Tradition and Modernity in East Central European Rural Societies

Tradition and Modernity in East Central European Rural Societies

Organisatoren
Dr. des. Angela Harre Europa-Universität Viadrina Dr. Dietmar Müller Universität Leipzig
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.06.2008 - 21.06.2008
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Von
Petar Petrov, Inst. f. Ethnographie, Sofia, Bulgarien

Die Idee zu dieser Tagung kam aus zwei fachlich und thematisch verwandten, von der Volkswagen-Stiftung geförderten Forschungsprojekten – “Bodenrecht, Kataster und Grundbuchwesen im östlichen Europa 1918-1945-1989” (Universität Leipzig) und “Agrarismus in Ostmitteleuropa 1890-1960” (Europa-Universität Viadrina). Die wissenschaftliche Leitung lag in den Händen derer Koordinatoren Dietmar Müller und Angela Harre. Damit war das im Titel der Tagung verwendete Begriffspaar “Tradition und Moderne” von vornherein nur auf konkrete Teilaspekte der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Transformationsprozesse bezogen, dafür aber auf zentrale Bereiche für das Leben größer Bevölkerungsteile in den betroffenen Agrargesellschaften: Produktion und Vermittlung agraristischen Gedankenguts, Landreformen, Institutionen und Praxisformen von Bodeneigentum, Genossenschaften im ländlichen Raum, Rolle der Bauernparteien in den Transformationen. Demgegenüber wurde der im Titel angekündigte Raum “Ostmitteleuropa” durch Referate erweitert, in deren Mittelpunkt auch Skandinavien und andere westliche Teile des europäischen Kontinents standen. Unter den Teilnehmern der weitestgehend international besetzten Tagung dominierten in ihrer Zahl die Sozial-, Wirtschafts- und Agrarhistoriker sowie Ethnologen. Eine starke Präsenz zeigten die Mitarbeiter am Leipziger Forschungsprojekt (Bojinca, Milosevic, Zaleski), während sich die Mitarbeiter des in Frankfurt/Oder beheimateten Projekts nur als Diskutanten beteiligten. Alle anderen Vortragenden präsentierten Ergebnisse aus ihren bereits abgeschlossenen, laufenden oder noch im Entwurf stehenden Forschungsprojekten oder Dissertationen.

Unter dem Titel „The Mirror of Agrarian Modernity – Agrarian Press in Estonia, Galicia and Sweden 1890-1917“ befasste sich FREDERIK ERIKSSON (Södertörn University College) mit der Agrarmodernisierung als einem Konzept wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels. Zeitgenössische schwedische, estnische und galizische Agrarzeitschriften bildeten die Quellenbasis für seine vergleichende Untersuchung. Gleichzeitig betrachtete Eriksson sie als Medien, die die entworfenen Konzepte an die ländliche Bevölkerung vermitteln sollten. Auffallend war jedoch, dass gerade bei der Analyse eines kommunikativen (wenn auch einseitigen) Prozesses die Produzenten und die Rezipienten wenig berücksichtigt blieben. Erst in der anschließenden Diskussion wurden Fragen nach den Autoren gestellt, die in den Zeitschriften als Modernisten auftraten, und nach ihrem Einfluss auf das anvisierte bäuerliche Publikum, besonders wenn man die Lese(un)kundigkeit etwa in Galizien in Betracht zöge. Die Ausführung blieb somit weitgehend auf die Analyse von Texten beschränkt, die die Darstellung der grundlegenden Zielsetzungen des Projekts „Modernisierung“ erlaubten.

Die damaligen Veröffentlichungen strebten nach Veränderungen in der Organisation und landwirtschaftlichen Praxis der bäuerlichen Betriebe. Der selbständige bäuerliche Betrieb blieb weiterhin das Ideal. Eine moderne, rationale Landwirtschaft sei aber nur durch den Zusammenschluss einzelner Betriebe zu Genossenschaften vorstellbar gewesen. Der Weg des Fortschritts führe darüber hinaus zu einer verstärkten Bildungstätigkeit, wobei Bildung nicht allein als berufliche Schulausbildung, sondern als ein fortdauernder Prozess des Lernens aufgefasst wurde. Die Bauern sollten sich stets für die Errungenschaften der Wissenschaft und Forschung interessieren und die neuen Kenntnisse und Methoden in ihren Betrieben zur Anwendung bringen. Eriksson verwies mehrmals darauf, dass Modernitäts- und Rationalitätsvorstellungen aufs engste mit Maskulinitätsideen verflochten waren. Dem Mann und der Frau wurden unterschiedliche, deutlich definierte wirtschaftliche und soziale Bereiche und Rollen im Betrieb zugewiesen: Männer wurden als die „produktive und moderne“ Seite konzipiert, während den Frauen „unterstützende und traditionelle“ Rollen beigemessen wurden. Daher sei die Agrarmodernisierung, so Eriksson, durch modernistische Konzepte und zugleich durch das Erbe patriarchaler Konzepte gekennzeichnet gewesen. Zum Beispiel wurden die Männer in der estnischen Agrarpresse angeregt, landwirtschaftliche Schulen zu absolvieren (wenn möglich im Ausland) und viel und weit zu reisen, um unterwegs neue Kenntnisse zu erwerben, während sich die Frauen nicht all zu weit vom Haus und Hof entfernen durften, um die nötigen Haushaltsaktivitäten zu erlernen. So zeigte bereits der erste Vortrag, dass die in Titeln wissenschaftlicher Arbeiten und Konferenzen inflationär verwendeten Begriffe „Tradition“ und „Moderne“ für die Formulierung des Titels der Berliner Tagung glücklich gewählt waren. Durch die Verweise auf dänische und deutsche Vorbilder (etwa im Bereich des Gennossenschaftswesens) kristallisierte sich der „Ideentransfer“ als ein weiterer Schlüsselbegriff heraus, der auch in den nachfolgenen Beiträgen stets in Mittelpunkt stand.

Genossenschaften standen im Fokus des Interesses zweier weiterer Wissenschaftler, die ihre theoretischen und methodologischen Überlegungen zu ihren noch im Entwurf stehenden Forschungsprojekten vorstellten. In ihrem Beitrag „Agrarianism and Co-operatives in South Eastern Europe“ besprach AUGUSTA DIMOU (Universität Leipzig) am Beispiel bulgarischer Genossenschaften die Enwicklung und den Transfer genossenschaftlicher Ideen, deren Verhältnis zu Staat und Gesellschaft und die sozialen Praktiken der Mitglieder ländlicher Kreditgenossenschaften. Während der Diskussion wurde angeregt, in ihrer Arbeit einen Schwerpunkt auf das Problem „soziales Vetrauen“ zu setzen. Die südosteuropäischen Gesellschaften beruhen weitestgehend auf personalisierten (und nicht auf anonymen wie etwa in Westeuropa) Sozialbeziehungen und privaten Netzwerken (Familie, Verwandtschaft, Freundschaftskreise), woraus sich eine Kultur des Misstrauens gegenüber staatlicher Gewalt, staatlichen Institutionen und Gesetz ergibt. Zu fragen ist, ob und wie sich institutionelles Vertrauen in Institutionen wie den Genossenschaften bildet, die zwischen Staat und privaten Netzwerken vermitteln und in denen die Vertragstreue der (zum Beispiel in Kreditverhältnissen stehenden) Mitgliedern vorausgesetzt werden muss. In seinem Vortrag „Agrarianism as an Ideology in Estonia and Latvia in Comparison“ verwies auch JOHAN EELLEND (Södertörn University College) darauf, dass die Erforschung genossenschaftlicher Institutionen und Aktivitäten neue Erkenntnisse im breiten Forschungsfeld des Agrarismus erbringen könne. Gegenstand seiner Untersuchungen sind die Genossenschaftsverbände als Vermittler zwischen dem Staat und lokalen Genossenschaften. Er forderte für die Ideengeschichte zum Agrarismus Ansätze ein, die das menschliche Handeln stärker einbezögen.

Mit Ideologien setzte sich auch SRĐAN MILOŠEVIČ (Universität Belgrad) auseinander. Sein Vortrag „Agrarian Issue – ‘Sacred Issue’“ handelte, wie im Untertitel formuliert, von „the general ideological scope of interwar agrarian reform in Yugoslavia“. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen zur Konstruktion des ideologischen Rahmens der Landreformen zeigen, dass sie stark von den Ideen des Kollektivismus, der Agrarromantik und des Bauernnationalismus geprägt waren. Die Agrarreformen in Jugoslawien seien eher ein nationales denn ein ökonomisches oder soziales Projekt gewesen. Dafür spreche auch die Tatsache, dass sie sich kaum auf rationale wirtschaftliche Überlegungen stützten und daher scheiterten. Sie waren vielmehr Gegenstand politischer Debatten, wobei die serbischen Formen des Bodeneigentums stilisiert und als einziges Erfolgsmodell dargeboten wurden. Milošević interpretierte die Übertragung des serbischen oder, enger betrachtet, des schumadischen Projekts auf ganz Jugoslawien als einen nationalistischen Versuch serbischen Machtausbaus.

Der ausschließlich auf Serbien fokussierte Vortrag rief Fragen nach möglichen Einflüssen agraristischer Ideen und der Landreformen im benachbarten Bulgarien hervor. Milošević schloss solche Einflüsse aus. Die Serben hätten die Ideen und Erfahrungen des Nachbarlandes absichtlicht ignoriert, nicht nur weil Serbien und Bulgarien Kriegsfeinde gewesen wären, sondern auch weil die Serben ihren Staat als fortschrittlich und hochentwickelt präsentieren wollten. Sie betrachteten Bulgarien als ein Gegenbild des eigenen Erfolges, schrieben dem Nachbarn Rückständigkeit zu und grenzten sich somit vom bulgarischen Modell ab, um die „Einzigartigkeit“ ihrer Agrarreform stärker hervorheben zu können. Diese Argumentation blieb in der Diskussion umstritten, weil die Gemeinsamkeiten des serbischen und bulgarischen Modells zu eklatant waren. Die Diskussionsteilnehmer verwiesen auf internationale Tagungen und Treffen der Agrarier, die Aktivitäten der Grünen Internationale, den grenzüberschreitenden Einfluss zeitgenössischer Wissenschaftler und Intellektueller und auf die Rezeption derselben westlichen Autoren in mehreren osteuropäischen Ländern. Sie plädierten dafür, bei der Erforschung „nationaler“ Agrarismen eine Transferanalyse einzubeziehen, die die Wahrnehmung und eventuell die (adaptierende) Übernahme fremder Ideen und Modelle beleuchten würde.

Wie wichtig diese Herangehensweise sein kann, zeigte sich an dem sehr gelungenen Vortrag von KATJA BRUISCH (Göttingen) „Self-Exploitation and Self-Collectivization. The Genesis of Chayanov’s Theory of the Peasant Economy”. Schon ein aufmerksamer Blick auf die Wirtschaftslehren des frühen 20. Jahrhunderts ließ erkennen, wie stark Tschajanows Theorie von den Verflechtungen der westlichen und russischen Ökonomie geprägt war. Und noch in den 1960er Jahren hätten wiederum westeuropäische und amerikanische Wirtschaftsethnologen und Entwicklungsökonomen die Theorie des russischen Agrarwissenschaftlers über die bäuerliche Familienwirtschaft auf erkenntnisreiche Weise weiterverarbeitet.

Der Beitrag „The Perception of East Central and South Eastern European Land Reforms in Western Europe, 1918-1939“ von STEFAN DYROFF (Universität Bern) stellte ebenfalls ein Beispiel für eine gelungene Wahrnehmungsanalyse dar. Anhand von Schriften zeitgenossischer Wissenschaftler analysierte er die westliche Produktion von Meinungsbildern zu den Landreformen in Ostmittel- und Südosteuropa. Dyroff betonte mehrmals, dass diese Texte auf Grund ihres politischen Hintergrundes nicht als rein wissenschaftliche Schriften gelesen werden könnten und lieferte zahlreiche Belege für Aussagen und Argumentationsmuster politisch engagierter Wissenschaftler, deren Handeln in manchen Fällen sogar bis zur wissenschaftlichen Korruption reichte: Westliche Autoren wurden von osteuropäischen Regierungen bezahlt, damit sie über die Reformen in den entsprechenden Ländern vorteilhaft schrieben.

Im ersten Teil seines Vortrags setzte sich Dyroff mit den Landreformen als Gegenstand der Diplomatie der Siegermächte des Ersten Weltkrieges auseinander. Festzuhalten seien Versuche, durch wissenschaftliche Publikationen auf die osteuropäischen innerstaatlichen Gesetzgebungen im Bereich der Agrarreformen und Eigentumsordnung Einfluss zu nehmen. Im zweiten, längeren Teil konzentrierte sich Stefan Dyroff auf die akademische Literatur und ihren Einfluss auf die öffentliche Meinung. Es fänden sich zwar neutrale, ausgewogene Publikationen. Vorherrschend seien aber tendenziöse Veröffentlichungen gewesen, in denen Befürworter und Kritiker der Reformen den Lesern zwei radikal unterschiedliche Einstellungen suggerierten. Beide Seiten seien „national motiviert“ gewesen, d. h. sie führten Kampagnen zugunsten eines bestimmten Landes (etwa Ungarns), dessen Landreform sie als fortschrittlich, erfolgreich, demokratisch und „zivilisiert“ darstellten, um das durch den Krieg entstandene schlechte Image des Landes im Westen zu verbessern. Demstsprechend wurde ein negatives Fazit gezogen, wenn man die Reformen eines anderen Landes als Vergleichmaßstab herauszog. Die westeuropäische Wahrnehmung der Reformen im östlichen Teil des Kontinents entstand somit in einem Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik. Daher lässt sich die Wahrnehmung der Landreformen als ein aktviver Prozess auffassen: als Produktion von Suggestionen mit wissenschaftlichem Anstrich.

Die Verbindung von Wissenschaft und Eigeninteresse beschränkte sich leider nicht nur auf die Autoren der Vergangenheit. In ihrem Referat „The Registration of Land Property in Romania. Impacts on the Agriculture“ berichtete ALINA BOJINCA (Bukarest) über die neuesten Reformen im Kataster und Grundbuchwesen. Bis vor wenigen Jahren wurden in Rumänien die Grunstücke auf zweierlei Weise verzeichnet – Kataster und Grundbuch. Durch eine Reform im Jahr 2004 wurden beide Ämter in einer Nationalen Agentur für Kataster und Immobiliarpublizität zusammen gelegt, die das Angebot ihrer Dienstleistungen seitdem stetig verbessere, unter anderem durch von der Weltbank und der EU unterstützte Projekte. Ein Beispiel für ein EU-Projekt sei die Erarbeitung eines elektronischen Grundbuchs, mit dessen Hilfe Eintragungen, Auszüge und sonstige Gesuche der Bürger einfacher, schneller und sicherer bearbeitet werden könnten. Da die Wissenschaftlerin gleichzeitig in der Agentur beschäftigt ist, liess sich eine mangelnde wissenschaftliche Distanz zum Forschungsfeld nicht vermeiden. Der Vortrag gerann zu einer Lobrede auf die neue Agentur. Dominierende Fachdetails erschwerten erheblich das Verständnis und nur gezielte Nachfragen erlaubten einen Zugang zu den Besonderheiten der Reform, der neuen Institution und deren Aktivitäten. Angesichts der Verständnisschwierigkeiten vieler anwesender Wissenschaftler drängte sich die Frage auf, wie denn der durchschnittliche rumänische Bauer mit einer derartigen Vermittlung von neuen Gesetzen und Regeln zurechtkommen würde.

Während die bisher behandelten Vorträge Entwicklungen auf der Makroebene zu erfassen suchten, wurde in drei weiteren Referaten die Beobachtungsebene auf kleinere Räume (Bezirke, Gemeinden, einzelne Dörfer) begrenzt. Der Vortragstitel von DANIEL BRETT (School of Slavonic and East European Studies, London) lautete zwar allgemein “Peasant Parties in Poland and Romania in Comparison during the 20th Century“, doch das Forschungsinteresse galt der Rezeption staatspolitischer Entscheidungen auf der Regionalebene. Somit sollten im Vortrag lokale politische Orientierungen, Diskurse und Praktiken in den Vordergrund gestellt werden. In der Tat fiel dieses Vorhaben jedoch wegen der mangelnden Quellenbasis eher bescheiden aus. Wie Brett selber berichtete, seien die Archivalien zur Bauernpartei in den einzelnen Orten nur spärlich zu finden, so dass lediglich einzelne „Schnappschüsse“ gewonnen werden könnten. Manche von ihnen ermöglichten dennoch weiterführende Forschungen, wie etwa der Einblick in die verwandtschaftlichen und patenschaftlichen Netzwerke der Bauernpartei Siebenbürgens. Die meisten Tagungsteilnehmer standen der Generalisierungsmöglichkeit der Ergebnisse und besonders seiner Thesen jedoch skeptisch gegenüber. Brett hatte behauptet, die landesspezifischen Modi politischer Transitionen sowohl nach dem Zweiten Weltkrieg als auch während der „Wende“ hingen von dem Vorkriegseinfluss der jeweiligen Bauernparteien ab. Auf Grund der Stärke der dortigen Bauernpartei seien die polnischen Kommunisten zum Beispiel gezwungen gewesen, einen Habitus des Ver- und Aushandelns zu entwickeln.

Unter dem Titel „Agrarianism on the Ground. An Anthropological Case Study in Galicia“ präsentierte der polnische Ethnologe RADOSLAW ZALESKI (Warschau) die durch Interiews in zwei galizischen Dörfern erworbenen Erkenntnisse über die Instrumentalisierung politischer Ideologien auf lokaler Ebene. Er vetrat die These, dass politische Ideologien je nach aktueller Situation in den einzelnen Orten unterschiedliche Interpretationen erführen. Betrachte man die sozialen Praktiken der Bauern, könne man kaum vom Agrarismus als einer geschlossenen, kohärenten Ideologie reden. Vielmehr handle es sich um eine „Bauernideologie“, in der ideologische Vorstellungen unterschiedlichster – unter anderem auch agrarkommunistischer – Provenienz vermischt seien. Sie beruhe auf der allgemeinen Vorstellung der Bauern, dass der Staat für das Dorf und die Landwirtschaft sorgen müsse. Die Aussagen der interviewten Personen schienen stark an die gegenwärtigen, postsozialistischen Lebenssituationen gebunden (Zeit der Neuordnung, Unsicherheit und „Zerstörung“), so dass das Leben im Sozialismus (Paternalismus von seiten des „wohlwollenden“ sozialistischen Staates) als ein Gegenbild zum heutigen und zum vorsozialistischen („Zeit der Armut“) Leben entworfen würde. Die sozialistische Periode würde nun als das „Goldene Zeitalter“ des polnischen Bauerntums gedeutet. Gleichzeitig sehnten sich die Bauern nach der Rückkehr der „Goldenen Zeit“ in der Form von EU-Zuschlägen. Zaleski spricht daher von einem „modernen Agrarismus“ als Strategie der Alltagsbewältigung. Auch unter gewandelten sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen blieben die Bauern in ihrer „traditionellen Moral“ und den vertrauten Verhaltensmustern verhaftet.

Mit den sozialen Auswirkungen der rumänischen Landreformen auf lokaler Ebene setzte sich CORNEL MICU (Jena/Braila) auseinander. Anhand von Gemeinde- und Bezirksarchivalien aus dem Bezirk Braila stellte er in seinem Vortrag „Rural Elites in Romania during the 20th Century“ den durch unterschiedliche Agrarreformen bewirkten Wandel der ländlichen Lokaleliten dar. Er definierte die drei Elitengruppen a) Großgrundbesitzer, b) regionale Fachleute (Beamte, die durch ihre Aktivitäten institutionell zwischen den Dörfern und der Bezirksstadt positioniert sind) und c) Lokaleliten im engeren Sinne (Bürgermeiser, Priester, Lehrer, Angestellte in den Dörfern). Fraglich blieb allerdings, ob allein objektive Kriterien wie Landbesitz und berufliche Tätigkeit für die Bildung dieser Kategorien ausreichend sind. Schon durch die Landverteilungen 1918-19 und noch stärker durch die Agrarreform 1945 wurden die Großgrundbesitzer bis 1949 vollständig enteignet. Sie lösten sich vom Dorf bereits in der Zwischenkriegszeit ab und erwarben auf regionaler und nationaler Ebene wichtige Positionen in den Städten. Dementsprechend verloren sie als Lokalelite bis 1945 weitestgehend und unter dem Kommunismus völlig ihre frühere Bedeutung. Und auch nach den Umwälzungen des Jahres 1989/90 blieben die meisten im urbanen Milleu integriert, was durch die langsame Umsetzung der Restitutionsgesetze (1991, 1997) zusätzlich begünstigt wurde. Die zweite Elitengruppe, die Fachleute, formierte sich zunächst in den Städten (z. B. die Mitglieder der Landwirtschaftskammern) und war in der Zwischenkriegszeit von den Präferenzen der jeweiligen machtausübenden Partei abhängig, wovon zahlreiche Entlassungen und Wiedereinstellungen zeugen. Agrarexperten mit wissenschaftlicher Ausbildung waren in den ersten Jahrzehnten eine Rarität. Die Akten der Landwirtschaftskammer in Braila zeigen, dass unter ihren Mitgliedern erst 1936 ein Agronom nachweisbar ist. Im Sozialismus wuchs diesen Fachleuten unter den Bedingungen des Einparteiensystems eine herausgehobene Bedeutung zu. Seit den 1960er Jahren bezogen sie wichtige Positionen auch in den Dörfern. Die politische Macht und die Entscheidungsfunktionen, die sie im Sozialismus ausübten, konvertieren sie seit 1989 in wirtschaftliche Macht. Daher bezeichnete Micu die Vertreter dieser Elite als die eigentlichen Gewinner der Transformation. Und selbst die dritte Gruppe, die Lokalelite, hatte meist keine eigentliche Qualifikation im Agrarsektor und war in der Landwirtschaft, wenn überhaupt, nur marginal beschäftigt. Ihre Aufgabe war, staatliche Vorgaben vor Ort umzusetzen. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe nutzten ihre Verteter oft ihre amtliche Positionen aus, um sich selbst und ihre Familien bei den Reformen zu bevorrechten. Sie seien aber die Verlierer bei der Transition.

Mit dem Schlussvortrag „The Periphery of Fascism. A Model of Fascism in European Agrarian Peripheries“ kehrte TRAIAN SANDU (Paris) zu den angesprochenen Problemen der Tradition und Moderne zurück. Er unteruchte die Auseinandersetzung der 1927 in Rumänien gegründeten faschistischen Eisernen Garde und fragte nach deren Methoden der Massenmobilisierung in ländlichen Regionen. Sandu stellte fest, dass die Legionäre Symbole, Rollen und Praktiken der bäuerlichen Volkskultur verwendeten, um die Bauern für ihre Ziele zu gewinnen. Beispiele wären die rituelle Rolle von Codreanu als Pate bei Taufen und Fotos von ihm und seiner Frau in Bauernkleidern. Hier wurden Traditionen politisch für die Mobilisierung einer modernen Massenbewegung instrumentalisiert.

Die meisten Referate und Diskussionen auf der Tagung zeigten, dass es keine Agrarismusforschung ohne die Berücksichtigung der transnationalen Verflechtung von agraristischen Theorien, Diskursen und Institutionen geben könnte. Gleichzeitig aber baten mikroanalytische Zugänge zusätzliche Erklärungshilfen zum Verständnis der „großen“ Prozesse. Verdienst der Tagung ist es, dass sie unterschiedliche Ansätze und Perspektiven zusammengebracht hat. Die Veröffentlichung der Beiträge ist für das Jahr 2009 vorgesehen.

CONFERENCE OVERVIEW

20th June 2008

FROM PEASANT TO FARMER. STUDIES IN SOCIAL TRANSFORMATION PROCESSES
Chair/Introduction: Helga Schultz

Fredrik Eriksson: Modernity, Rationality and Citizenship – Swedish Agrarian Organisations through the Eyes of the Agrarian Press, 1880–1917

Cornel Micu: Rural Elites in Romania during the 20th Century.

LAND PROPERTY AND AGRARIAN REFORMS DURING THE 20TH CENTURY
Chair/Introduction: Dietmar Müller

Srđan Milošević: Agrarian Issue – “Sacred Issue”: The General Ideological Scope of Interwar Agrarian Reform in Yugoslavia.

Stefan Dyroff: The perception of East Central and South Eastern European Land Reforms in Western Europe, 1918-1939.

Alina Bojinca: The registration of landed property in Romania. Impacts on the Agriculture.

21st June 2008
INSTITUTIONS AND SOCIAL PRACTICES OF PEASANT PARTIES AND CO-OPERATIVES
Chair/Introduction: Torsten Lorenz

Daniel Brett: Peasant Parties in Poland and Romania in Comparison during the 20th Century

Radosław Zaleski: Agrarianism on the Ground. An Anthropological Case Study in Galicia

Augusta Dimou: Agrarianism and co-operatives in South Eastern Europe.

BETWEEN DEMOCRATIZATION AND AUTHORITARIANISM. STUDIES IN AGRARIANISM AS AN IDEOLOGY
Chair/Introduction: Angela Harre

Katja Bruisch: Self-Exploitation and Self-Collectivization: The Genesis of Chayanov's Theory of Peasant Economy. (short presentation)

Johan Eellend: Agrarianism as an Ideology in Estonia and Latvia in Comparison

Traian Sandu: The Periphery of Fascism. A Model of Fascism in European agrarian Peripheries

Boris Trechnewski: The Agrarians and the European Unity Plans in Central Europe (1918–1939)

Kontakt

Angela Harre
E-Mail: <harre@euv-frankfurt-o.de>
Dietmar Müller
E-Mail: <muellerd@uni-leipzig.de>


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