Wirtschaftshistorischer Nachwuchswissenschaftler/innen-Workshop

Wirtschaftshistorischer Nachwuchswissenschaftler/innen-Workshop

Organisatoren
Alexander Nützenadel, Europa Universität Viadrina, Frankfurt an der Oder; Mark Spoerer, Humboldt Universität zu Berlin; André Steiner, Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.07.2008 - 04.07.2008
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Von
Sebastian Solte, Humboldt-Universität zu Berlin

Am 3. und 4. Juli 2008 fand in der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt Universität zu Berlin ein wirtschaftshistorischer Workshop statt, der Doktoranden und vor kurzem promovierten Postdocs Gelegenheit geben sollte, ihre aktuellen Forschungsprojekte vorzustellen. Als Veranstalter zeichneten Alexander Nützenadel (Europa Universität Viadrina, Frankfurt/Oder), Mark Spoerer (Humboldt Universität zu Berlin) und André Steiner (Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam) verantwortlich. Finanzielle Unterstützung steuerten die Wirtschaftswissenschaftliche Gesellschaft der Humboldt Universität, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Volkswagen Stiftung bei. Als Gast war zudem Harold James (Princeton/Florenz) geladen, der den Workshop mit einem Abendvortrag über „Globalisierung und internationale Wirtschaftsordnung“ eröffnete.

Um ein möglichst großes Spektrum aktueller Forschungsarbeiten abdecken zu können, sah sich der Workshop methodisch einem reflektierten Eklektizismus verpflichtet. Die Vorgabe lautete demnach „anything goes - von Kulturgeschichte über Neue Institutionenökonomik bis zu Kliometrie“. Selbstverständlich wurde eine sinnvolle Abstimmung von Fragestellung und methodischem Ansatz vorausgesetzt.

Der Nachmittag des ersten Tages war den Themenblöcken Risiko sowie Konjunktur und Wachstum gewidmet. ALEXANDER ENGEL (Universität Göttingen) eröffnete den Workshop mit einer Vorstellung seines Habilitationsprojekts „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Eine Geschichte der modernen Risikoökonomie“. Gleich dieser erste Vortrag fiel etwas aus der Reihe, handelte es sich doch mehr um eine Ideenskizze als um ein bereits belastbares Konzept. Die vorläufige Fragestellung stellt darauf ab, wie der Umgang mit Marktrisiken als zentralem Problem unternehmerischen Handelns in der Moderne realisiert wurde. Geographisch soll der Schwerpunkt auf die USA, Deutschland und Großbritannien gelegt werden, zeitlich auf die Spanne von 1880 bis 1987. Neben Grundlagen zur Entwicklung einer Theorie der Risikoökonomie wird sich der Fokus des empirischen Teils auf den Umgang mit quantifizierbaren Risiken richten, also in erster Linie Preisrisiken auf Märkten.

Der zweite Teil Konjunktur und Wachstum wurde von NICOLE WAIDLEIN (Universität Hohenheim) eingeleitet, die über „Verlauf und Ursachen der wirtschaftlichen Entwicklung der BRD auf Länderebene 1948 – 1990“ referierte. Unter Rückgriff auf Erklärungsansätze wie die Rekonstruktionshypothese und die Catching-Up Theorie untersucht sie in ihrer Dissertation verfügbare Daten auf Bundesländerebene. Methodisch bedient sie sich dabei der dynamischen Data Envelopment Analyse und des Growth Accounting. Anschließend stellte JULIA CASUTT-SCHNEEBERGER (Universität Zürich) ihre Promotionsarbeit im fortgeschrittenen Stadium vor. Mittels einer zeitreihenökonometrischen Spektralanalyse erforscht sie den „Einfluss des Konjunkturzyklus auf die Streikaktivität in Deutschland, Österreich und der Schweiz von 1900 bis 2005“. Abgerundet wurde der erste Tag schließlich durch einen öffentlichen Vortrag von HAROLD JAMES (Princeton/Florenz). Er sprach in der Heilig-Geist-Kapelle der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät vor einem breiten Publikum zum Thema „Globalisierung und internationale Wirtschaftsordnung in historischer Perspektive“.

An ebendiesen Vortrag knüpfte der Morgen des zweiten Tages mit dem Schwerpunkt Globalisierung im weitesten Sinne an. Zunächst präsentierte JULIA RISCHBIETER (Universität Göttingen) einen Teil ihres Dissertationsprojekts „Kaffee, Konsum, Kommerz. Deutsche Konsumgesellschaft und globaler Handel 1860-1914“, das somit zeitlich der sogenannten Ersten Globalisierung zuzuordnen ist. Dabei griff sie die Debatte um Kaffeeterminbörsen im deutschen Kaiserreich des späten 19. Jahrhunderts exemplarisch als Auseinandersetzung um nationalstaatliche Möglichkeiten der Einflussnahme auf Globalisierungsprozesse auf. Einige Jahrhunderte früher setzte im Anschluss ANDREAS OBENAUS (Universität Wien) bei Ursprüngen und Grundlagen interkontinentalen Handels an. Er stellte den Forschungsstand seines Dissertationsprojekts „Die islamische Dimension der europäischen Expansion in den Atlantik“ vor.

Im zweiten Block, erneut mit dem Schwerpunkt Wachstum und Konjunktur, stellte NORMANN MÜLLER (Universität Tübingen) das Paper „Human Capital and Innovative Success – Evidence from Inventor's Biographies“ aus seiner kurz vor der Fertigstellung stehenden Doktorarbeit vor. Anhand einer ökonometrischen Analyse von 267 Erfinderbiographien untersucht er die Frage, welche biographischen Merkmale einen systematischen Einfluss auf deren Innovationserfolge hatten. Dabei ist für ihn insbesondere der Einfluss formaler Schulbildung von Interesse. Ebenfalls aus Tübingen angereist, referierte anschließend DOMINIC BEHLE (Universität Tübingen) zu der Frage „Did Numeracy and Health Determine Labour Productivity in Tsarist Russia?“. Ausgehend von Daten aus den 1870er-Jahren wird der Einfluss von Rechenfähigkeiten und Gesundheitszustand der Arbeitskräfte auf deren Arbeitsproduktivität ökonometrisch analysiert.

Der Schwerpunkt Unternehmen rundete schließlich das Programm ab. Als erste trug ULRIKE SCHULZ (Universität Bielefeld) aus ihrem Forschungsprojekt „Die Anerkennung von Eigentums-, Verfügungs- und Handelsrechten am Beispiel der Unternehmensgeschichte der Firma "Simson" 1856-1993“ vor. Wie der Titel verrät, beschäftigt sie sich mit der institutionenökonomischen Theorie der Verfügungsrechte und ihrem Einsatz in der Unternehmensgeschichte. Anschließend berichtete HARALD DEGNER (Universität Hohenheim) aus seinem Promotionsprojekt „Unternehmenswachstum und Innovativität: Sind große Unternehmen innovativ oder werden innovative Unternehmen groß?“. Unter Bezugnahme auf die Schumpeter-Hypothese erforscht er ökonometrisch die Beziehung zwischen Innovativität – mittels Anzahl wertvoller Patente gemessen – und der Größe von Unternehmen im deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik (1877-1932). Den letzten Kurzvortrag steuerte ALEXANDRA VON KÜNSBERG-LANGENSTADT (Universität Mannheim) bei. In ihrer Dissertation „Die Regulierung der Elektrizitätswirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland während der ersten drei Nachkriegsjahrzehnte“ analysiert sie mit dem Instrumentarium der Politischen Ökonomie die Struktur der deutschen Stromwirtschaft, ihre Akteure und die politischen Entscheidungsprozesse.

In der Abschlussdiskussion zeigten sich die Teilnehmer durchweg zufrieden. Vor allem die gewonnenen „Einsichten in andere Methoden“, „neue und anregende Kontakte“ und der „Erkenntnisgewinn durch Blicke über den eigenen Tellerrand hinaus“ wurden von vielen Teilnehmern hervorgehoben. Insbesondere die Abwesenheit eines einschränkenden Oberthemas wurde positiv aufgenommen. Auch die Auffächerung der Beiträge durch das Format (10 Min. Referat, 5 Min. Koreferat, 30 Min. Diskussion) wurde als sinnvoll bewertet. Kritisch wurde angemerkt, dass die Heterogenität des Teilnehmerfelds hinsichtlich des Standes der Projekte zukünftig reduziert werden solle.

Kürzübersicht:

Schwerpunkt: Risiko, Wachstum und Konjunktur (I)

Alexander Engel, Göttingen: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Die Geburt der Risikoökonomie, 1880-1980
Kommentar: Julia Casutt-Schneeberger

Nicole Siebertz, Hohenheim: Verlauf und Ursachen der wirtschaftlichen Entwicklung der BRD auf Länderebene 1948-1990
Kommentar: Alexandra von Künsberg-Langenstadt

Julia Casutt-Schneeberger, Zürich: Der Einfluss des Konjunkturzyklus auf die Streikaktivität in Deutschland, Österreich und der Schweiz von 1900 bis 2005
Kommentar: Ulrike Schulz

Öffentlicher Vortrag in der Heilig-Geist-Kapelle

Harold James, Princeton/Florenz: Globalisierung und internationale Wirtschaftsordnung in historischer Perspektive

Schwerpunkt: Globalisierung

Julia Rischbieter, Göttingen: Kaffee, Konsum, Kommerz. Deutsche Konsumgesellschaft und globaler Handel 1860-1914
Kommentar: Harald Degner

Andreas Obenaus, Wien: Die islamische Dimension der europäischen Expansion in den Atlantik
Kommentar: Normann Müller

Schwerpunkt: Wachstum und Konjunktur (II)

Normann Müller, Tübingen: Human Capital and Innovative Success – Evidence from Inventor's Biographies
Kommentar: Julia Rischbieter

Dominic Behle, Tübingen: Do Numeracy and Health Determine Labour Productivity in Tsarist Russia?
Kommentar: Andreas Obenaus

Schwerpunkt: Unternehmen

Ulrike Schulz, Bielefeld: Die Anerkennung von Eigentum, Verfügungs- und Handelsrechten am Beispiel der Unternehmensgeschichte der Firma "Simson" 1856-1993
Kommentar: Nicole Siebertz

Harald Degner, Hohenheim: Unternehmenswachstum und Innovativität: Sind große Unternehmen innovativ oder werden innovative Unternehmen groß?
Kommentar: Alexander Engel

Alexandra von Künsberg-Langenstadt, Mannheim: Die Regulierung der Elektrizitätswirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland während der ersten drei Nachkriegsjahrzehnte
Kommentar: Dominic Behle


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