Performanz im interdisziplinären Diskurs. Begrifflichkeit – Methode – Erkenntnisgewinn

Performanz im interdisziplinären Diskurs. Begrifflichkeit – Methode – Erkenntnisgewinn

Organisatoren
Heidelberger Landespromotionskolleg „Das Konzert der Medien in der Vormoderne: Gruppenbildung und Performanz“
Ort
Heidelberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.07.2008 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Marion Philipp

Wie in den vorangegangenen Semestern hat sich das Landespromotionskolleg „Das Konzert der Medien in der Vormoderne. Gruppenbildung und Performanz“ im Sommersemester 2008 mit einem zentralen Begriff der Kollegsthematik befasst: Im Mittelpunkt stand das Konzept der Performanz, das von den Stipendiaten auf seine Anwendbarkeit für historische Fragestellungen geprüft wurde. Den Abschluss des Semesters bildete ein Workshop mit dem Titel „Performanz im interdisziplinären Diskurs. Begrifflichkeit – Methode – Erkenntnisgewinn“ unter Leitung der Musikwissenschaftlerin Silke Leopold (Heidelberg), der am 5. Juli 2008 in Heidelberg stattfand. Ausgangspunkt waren folgende Fragen: Inwieweit stellt der (zur Zeit inflationär gebrauchte) Performanz-Begriff einen gewinnbringenden Forschungsansatz dar? Wie lassen sich die oft topisch oder einseitig aus Zuschauersicht berichtenden Quellen auswerten, und wie korrelieren sie mit dem eigentlichen Ereignis? Inwieweit ist das Kausalverhältnis zwischen performativer Inszenierung und dahinterstehendem Zweck rekonstruierbar?

Die Historikerin HARRIET RUDOLPH (Trier/Frankfurt a.M.) referierte über „Multiple Performanzen. Die mediale Inszenierung von politischen Inszenierungen“. Mit den Performanz-Definitionen von John Austin und Jacques Derrida wählte sie einen theoretischen Einstieg, den sie dann am Beispiel von Herrschereinzügen des 16. Jahrhunderts in die Praxis überführte. An der Gegenüberstellung der Begriffe Performanz versus Inszenierung verdeutlichte Rudolph die Stärken des Erstgenannten für Phänomene der Vormoderne, in der Zeichen und Sachverhalt nicht getrennt wurden und der Anwesende gleichzeitig Medium und Adressat war. Anschließend ging es um die Quellen, die sich zur Rekonstruktion historischer Performanzen heranziehen lassen. Dabei unterschied Rudolph zwischen Verwaltungsschriften, Geschichtsschreibung, Egodokumenten, Artefakten und Publizistik. Die komplexe Performanz historischer Ereignisse beschrieb Rudolph dann, indem sie fünf, teilweise zeitlich aufeinander folgende Ebenen unterschied: erstens: die (primäre) Aufführung durch die Zeichensetzung, zweitens: die Rezeption durch Anwesende, drittens: die mediale (oder sekundäre) Aufführung durch Medienproduzenten, viertens: die Medienaufführung durch Vermittler und fünftens: die Medienrezeption durch die Rezipienten. Überzeugend belegte Rudolph am Beispiel des Holzschnitts mit dem Einzug der osmanischen Gesandtschaft in Frankfurt a.M. von Jost Amman (1562) und des Kupferstichs mit dem Einzug Erzherzog Leopold Wilhelms in Frankfurt a.M. von Caspar Merian (1658), dass die Analyse von Performanzen interdisziplinär und methodisch offen erfolgen muss. Gerade weil das Verhältnis zwischen Kaiser, Reich und Untertanen schriftlich kaum fixiert gewesen sei, erhielten performanztheoretische Überlegungen – im Hinblick auf die Inszenierung politischer wie sozialer Ordnung – großes Gewicht und dürften von der historischen Forschung nicht vernachlässigt werden.

Der Musikwissenschaftler THOMAS BETZWIESER (Bayreuth) trug über „Die mediale Überlieferung des Melodrams 'Lenardo und Blandine' (1779), oder: was sagen 160 Kupferstiche über Musik und Inszenierung?“ vor. Im Mittelpunkt stand das Melodram, das sich durch seine besondere Gattungsästhetik des musikbegleiteten Sprechens auszeichnet und als Schnittstelle zwischen Schauspiel und Oper zu begreifen ist. Lenardo und Blandine stellt den wohl einmaligen Fall dar, dass neben Musik und Text auch Bilder erhalten sind: Überliefert sind die Musik, die Peter von Winter komponierte, der Text, den Joseph Franz von Goetz dichtete, und 160 Kupferstiche. Letztere stellen gewissermaßen ‚Regieanweisungen’ für die musiktheatrale Aufführung dar, denn sie schreiben vor, welche Posen und Gesten die Schauspieler in einzelnen Szenen einnehmen sollen. An den Illustrationen, die in ihrer Dichte streckenweise an ein Daumenkino erinnern, wird deutlich, wie sehr Körper und Bewegung im Zentrum der Aufführung stehen. Dass die performativen Gesichtspunkte nicht nur die Aufführung, sondern bereits den Schaffensprozess des Werkes mitgestalten, demonstrierte Betzwieser dann in seiner Analyse. So habe Peter von Winter seiner musikalischen Gestaltung nicht nur den Textinhalt zugrunde gelegt. Vielmehr habe er in gleicher Weise die Gebärden der Schauspieler in den Kompositionsprozess einbezogen. Betzwieser sah darin den Beweis für die Bedeutung des ‚Theatralischen’ im Melodram, das nur dann in Gänze formal zu verstehen sei, wenn die performativen Aspekte eine entsprechende Aufmerksamkeit erhielten.

An die ‚Plädoyers’ der Referenten für den Performanzbegriff schlossen sich lebhafte Diskussionen an, die von der Kunsthistorikerin Lieselotte Saurma (Heidelberg) und dem Historiker Thomas Maissen (Heidelberg) mitgestaltet wurden. An konkreten Beispielen wurden die Vorzüge eines stärker an performativen Aspekten orientierten Forschungsansatzes deutlich. So ermöglicht dieser nicht nur faszinierende oder ungewöhnliche Einblicke in historische Praktiken, sondern öffnet oft auch einen Zugang zur unmittelbaren Lebenswelt der Zeitgenossen, die bei einem konventionellen, methodischen Vorgehen nicht in diesem Umfang Beachtung findet. Auch wenn zum Ausdruck kam, dass der Ansatz nicht auf alle historischen Phänomene übertragbar ist und die Beantwortung mancher Fragen unnötig verkompliziert, unterstrichen die Wortbeiträge der Workshopteilnehmer und Beispiele aus den Promotionsprojekten der Stipendiaten doch klar den positiven Effekt, den das Konzept der Performanz auf die geschichtswissenschaftliche Forschung ausübt.

Kurzübersicht:

Silke Leopold (Heidelberg): Moderation

Harriet Rudolph (Trier/Frankfurt a.M.): Multiple Performanzen. Die mediale Inszenierung von politischen Inszenierungen

Thomas Betzwieser (Bayreuth): Die mediale Überlieferung des Melodrams ‚Lenardo und Blandine’ (1779), oder: was sagen 160 Kupferstiche über Musik und Inszenierung?


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