Diese Sektion hatte es sich zur Aufgabe gemacht, das Thema „Ungleichheiten“ des Historikertags 2008 aus der Perspektive der Wahrnehmung und Erfahrung von Ungleichheiten im Kontext imperialer Ausdehnungen der griechisch-römischen Welt (Alexander und hellenistische Großreiche, Ausdehnung Roms in den Osten) zu beleuchten. So stellte sich die Frage, ob sich die Wahrnehmung und der Umgang mit dem kulturell Anderen verändern, wenn er der unterworfene Gegner ist. Ausgegangen wurde von einem in der Antike im Gegensatz zur Moderne verschiedenartig konstituierten Ungleichheitsbegriff, der nicht soziale Ungleichheit bewertete, sondern die Grenze grundsätzlich zwischen Bürgern und Nichtbürgern zog. Die moderne Vorstellung, dass alle Menschen prinzipiell gleich seien, kann jedenfalls nicht vorausgesetzt werden. Den Referenten lag ein Fragenkatalog vor, dem sich jeder auf eigene Weise näherte: Erstens: Wie wurde im jeweiligen Zeit- und Kulturhorizont kulturelle Ungleichheit konstituiert, repräsentiert oder konzeptionell verarbeitet? Zweitens: Gibt es Anzeichen dafür, dass kulturelle Ungleichheit hierarchisiert wurde und sich daraus ein unterschiedlicher Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen (Status, Ämter, wirtschaftliche Güter) ergab? Drittens: Welche machtpolitischen Funktionen und Konsequenzen hatte die Darstellung kultureller Ungleichheit bzw. ihre Aufhebung? Viertens: Welches waren die Trägerschichten des Ungleichheitsdiskurses und welche Institutionen trugen und verbreiteten ihn? Fünftens: Wie interagierten möglicherweise verschiedene ‚Achsen der Ungleichheit’, das heißt ethnisch-kulturelle, soziale und geschlechtsspezifische Ungleichheit?
Gemeinsam war den Beiträgen die Frage nach dem Verhältnis zwischen gesellschaftlicher Kommunikation und konkreter gesellschaftlicher Realität, wobei durchaus unterschiedliche und widerstreitende Wahrnehmungen und Repräsentationen von Ungleichheiten in unterschiedlichen sozialen und politischen Situationen (innerhalb der Elite, im Alltag, in der Königsideologie usw.) behandelt wurden. Gemeinsam ist die Erkenntnis, dass Ungleichheitsdiskurse wesentlich durch funktionalisierte Vergangenheiten als Beweis kultureller Divergenz oder Konvergenz bestimmt werden und man – wie fast immer – weniger über Realitäten, tatsächliche Motive und Folgen der Ungleichheitsdiskurse als über das Wesen dieser Diskurse selbst erfährt.
JOSEF WIESEHÖFER (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel) betrachtete politisch-kulturelle Ungleichheit aus der Sicht eines orientalischen Reiches, dem Iran, dessen „Nationalgeschichte“ das Ziel verfolgte, Rum (= der Westen, das heißt griechisch-makedonische Welt, Rom, dann oströmische Welt) als ewigen Erzfeind erscheinen zu lassen, was sich durchaus mit der bildlichen Darstellung zum Beispiel der Sasaniden deckt, die die römischen Kaiser als Gefangene und Opfer abbilden. Ganz anders hingegen in der diplomatischen Korrespondenz, in der sich beide Herrscher gegenseitig als Brüder bezeichnen. Als schriftliche Quelle diente ihm das so genannte Herrenbuch, das eine Art „Iranische Nationalgeschichte“ darstellt. Diese nur indirekt überlieferte, aber eine lange Tradition begründende Schrift stellt eine Mischung aus heroischen Stoffen, Sprüchen von Königen und Weisen, priesterlichen Streitgesprächen, philosophischen Betrachtungen, moralischen Vorschriften sowie königlichen Testamenten und Thronreden dar, deren Ziel die Vermittlung herrschaftlicher Legitimität, Gerechtigkeit, Religiosität und vorbildhaften Lebenswandels, mithin die moralischen und politisch-sozialen Ideale und Tugenden von Herrschern und Untertanen war, auf die sich die Sasaniden bei ihrer Herrschaft stützen wollten. Hier wird eine „intentionale Geschichte“ vermittelt, die den Sasaniden geholfen habe, sich als gleichsam naturgesetzlichen Höhepunkt der iranischen Geschichte zu präsentieren und die Überlegenheit bzw. Ungleichheit mit ihrem westlichen Gegner herauszustreichen. In diesem Beitrag ließ sich gut verfolgen, wie Ungleichheitsdiskurse mit Hilfe funktionalisierter Vergangenheiten als Beweis kultureller Divergenz dienen konnten und sich weniger über die realen Hintergründe des Ungleichheitsdiskurses als über das Wesen dieses Diskurses selbst erfahren ließ. Hinzuzufügen wäre ein Element kultureller Gleichheit zwischen westlicher und östlicher Welt – was aber nicht Thema sein konnte, da es ja um Ungleichheiten ging –, das durch die Quellenlage selbst konstituiert wird: Bei den Griechen und Römern ordneten sich Geschichtserzählungen ebenfalls Interessen nach Legitimität und exemplarischen Verhalten unter, wenn auch in einem ganz anderen politisch-sozialen Umfeld.
Drei der Vorträge bezogen sich auf das hellenistische Ägypten, in denen die durch die griechisch-makedonische Fremdherrschaft entstandene soziale, ethnische und kulturelle Ungleichheit beleuchtet wurde.
GREGOR WEBER (Universität Augsburg) stellte die Frage, ob die ethnische und kulturelle Ungleichheit, wie sie im ptolemäischen Ägypten zwischen den herrschenden Griechen bzw. Makedonen und den indigenen Ägyptern herrschte, als solche empfunden wurde. Besonders in den Blick nahm er die vielgestaltige kultische Verehrung des Herrschers, des Herrscherpaares und der gesamten Dynastie, die er als Kommunikationszusammenhang zwischen König und Bevölkerung verstanden wissen wollte, und die ein dialektisches Gefüge von Erwartungshaltung der Bevölkerung und Selbstdarstellung des Herrschers in unterschiedlichen Kontexten bildete. Die Ptolemäer besaßen kein fertiges Konzept zur kultischen Verehrung ihrer selbst, ihrer Familienmitglieder und ihrer Ahnen, sondern fügten schrittweise neue Elemente hinzu und experimentierten mit diesen. Die große Bandbreite parallel existierender Vorstellungen, die sich auch widersprechen konnten, wirkt fast beliebig. Aber gerade hierin dürfte das Geheimnis des Erfolges liegen, der sich einstellen konnte, weil die durch die Göttlichkeit proklamierte Macht auch durch deren reale Präsenz im Alltag und in der Geschichte gedeckt war. Den Mitgliedern der griechischen Elite am Hof und im Land sei eine Vorbildfunktion zugekommen, indem sie die kultische Verehrung ihres Königs bzw. der Dynastie prägten und dabei gleichzeitig auch selbst kreativ erweiterten. Der ägyptischen Seite sei es jedoch zum Teil gelungen, ihre kulturellen wie religiösen Bedürfnisse aktiv mitzugestalten, wodurch sich der Herrscherkult als Institution der Ungleichheit präsentiert habe. Wie sich die Ägypter auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen von der griechischen Kultur tangiert fühlten, bleibt uns allerdings verborgen, da wir aus ägyptischen Quellen kaum etwas über die Griechen erfahren. Dieser Beitrag hob deutlich auf die griechisch-makedonische Elite als Trägerschicht des Ungleichheitsdiskurses ab.
STEFAN PFEIFFER (Universität Mannheim) betrachtete den Herrscher- und Dynastiekult aus der ägyptischen Perspektive und fragte danach, was am indigenen Kult für den ptolemäischen König gegenüber dem alten Pharaonenkult neu war. Über die ägyptischen Varianten des hellenistischen Herrscherkults gibt es Nachrichten, da sich die ägyptischen Priester vermutlich jährlich beim König versammelten und dort Ehrenbeschlüsse verabschiedeten, von denen knapp 17 Dekrete überliefert sind. In jedem ägyptischen Tempel gab es einen Kult für die gesamte ptolemäische Dynastie. Am Beispiel des Dekrets von Rosette zeigte er die Vermischung griechischer und ägyptischer Elemente auf. Um einen ptolemäischen Herrscher zu einem ägyptischen Gott zu machen, habe es der Anwesenheit seines Kultbildes im Allerheiligsten des Tempels und eines besonderen Tempelfestes bedurft, das durch die Prozession die lokale Bevölkerung einbezogen habe. Durch die Einfügung des Namens Ptolemaios’ V. in die Priestertitulatur sei er verwaltungsrechtlich zu einer Gottheit jedes Heiligtums geworden. Diese Erhebung des Königs zum ägyptischen Gott habe handfeste Vorteile für die Priester, die an dem Opfergut partizipierten und so ihr Einkommen erweiterten, gehabt. Einerseits seien aus den Königen einheimische Götter, andererseits eine neue Dimension der Ungleichheit hergestellt worden, indem die lebenden Herrscher nun mit einer sakralen Weihe umgeben waren. Dieser ägyptisch ausgestaltete Herrscherkult sei aber keinesfalls als Übernahme des altägyptischen Königskults zu verstehen. Nie zuvor war der ägyptische Pharao zu einem Gott des ägyptischen Tempels geworden, er war der oberste Priester des Landes. Göttlich verehrt wurde nur seine Wesenskraft. Hier übernahmen die ägyptischen Priester das Vorbild des griechischen Herrscherkults und statteten ihn mit ägyptischen Konventionen aus. Auch der Einbezug der königlichen Gemahlinnen zeige einen fundamentalen Unterschied zum traditionellen Pharaonenkult auf, wodurch sich der ägyptisch-griechische Dynastiekult als eine eigenständige Entwicklung erweise, die aber in bekannten Traditionen wurzelte. Dieser Beitrag legte den Fokus auf den Umgang der unterlegenen Seite mit der durch die Eroberung entstandenen Ungleichheit.
SITTA VON REDEN (Universität Augsburg) sprach über die machtpolitische Bedeutung mythologischer Komplexe und Mythen als Verhandlungsfeld politisch konstituierter Ungleichheiten. Die ersten Ptolemäer bemühten sich, ein neues symbolisches System zu schaffen, mit dessen Hilfe sie die Ressourcen Ägyptens kontrollieren wollten. Die Fremdherrscher hatten zwar Zugriff auf Steuern, Geld, Positionen in Militär, Verwaltung, griechischem Kult und am Hof, doch der Getreidereichtum wurde von den Tempeln noch mitkontrolliert. Im Prozess der graduellen Ausgestaltung einer politischen und sozialen Herrschaftssymbolik über Gesamtägypten spielten der Kult und die Religion als Kommunikationsmedium eine wesentliche Rolle. Der Versuch der Integration und teilweisen Aneignung ägyptischer Symbolik war ein wesentlicher Aspekt der ptolemäischen Politik. Aus der traditionellen Wahrnehmung Ägyptens als der ältesten Kultur und dem Geburtsort der Götter speiste sich das Rollenverständnis der Fremdherrscher als Vollendern nicht Unterdrücker dieser Kultur. Das Füllhorn, obwohl ein griechisches Symbol, diente als Vehikel der Harmonisierung, als Horn der Amaltheia, die in der Version der Mutter des Gottes Dionysos eine spezielle Bedeutung bekam, denn die Ptolemäer verbanden sich ganz besonders mit dem Dionysoskult und identifizierten sich in zunehmendem Maße mit Dionysos selbst. Dionysos sprach alle sozialen Gruppen an, Männer ebenso wie Frauen, und konnte Fremdheit und Eigenheit durch das Motiv der Reise und Rückkehr vereinen. Die beliebte Darstellung der vergöttlichten Arsinoe als Isis erfolgte in einer Bildsprache, die den Ägyptern als griechisch und den Griechen als ägyptisch erschienen sein muss. Die mythologischen Erzählungen seien aus der Verbindung griechischer, ägyptischer und ptolemäischer Theologien entstanden, deren rivalisierende Versionen durch verschiedene Priesterschaften propagiert worden. Die Dynamik religiös-kultureller Annäherung habe eine Form der politischen Kommunikation geschaffen, mit deren Hilfe die gegenseitige Legitimation erreicht werden konnte, von der der soziale Frieden in Ägypten abhing. Mithin zeige die gräko-ägyptische Mythenentwicklung im hellenistischen Ägypten einen ganz eigenen Umgang mit kultureller Ungleichheit, der unsere Konzepte von Toleranz und Ausgrenzung grundlegend in Frage stellt.
Der klassische Archäologe ROLF MICHAEL SCHNEIDER (Ludwigs-Maximilian-Universität München) betrachtete das Fremde im Zentrum der Macht der römischen Kaiserzeit. Hier konnte er zeigen, wie der Diskurs über kulturelle Ungleichheit im Medium der Bilder nicht asymmetrisch, sondern dialektisch geführt wurde, unter bewusster Einbindung vermeintlicher Gegensätze und Widersprüche. Bilder und Monumente des Fremden verbanden die Kulturen des Orients und Roms, indem sie sich komplex aufeinander bezogen. Rom eignete sich sowohl Freunde wie Feinde aus den östlichen Gebieten in der griechisch-römischen Ikonographie des schönen Orientalen und mit Hilfe des Konzepts der göttlichen Ur-Mutter und trojanischer Ur-Väter an. Diese Bilder fehlen jedoch für Ägypten. Stattdessen wurden riesige Obelisken ins Zentrum der Macht nach Rom transportiert und ägyptische Götter in römischen Heiligtümern und Häusern aufgenommen. Genuin asiatische Monumente waren hingegen aus dem Stadtbild Roms ausgeschlossen. In dem die römische Elite Diskurse aus dem frühen Hellenismus aufgriffen habe, gleichzeitig aber programmatisch weiterentwickelte, sei ein spezifisch römischer Umgang mit kultureller Ungleichheit entstanden. Hier wies Schneider auf das Konzept der Toleranz des Frankfurter Sozialphilosophen Rainer Forst hin, wonach Toleranz gegenüber fremden Einstellungen immer beides ist: Sowohl ein begrenztes Ja wie auch ein begrenztes Nein, das heist im kulturellen Diskurs die gleichermaßen begrenzte Anerkennung wie Ablehnung. Dieser Beitrag zeigte den vielgestaltigen Umgang des siegreichen Rom mit den Kulturen seiner unterlegenen Gegner, dessen Elite sich einerseits das Fremde begierig aneignete, anderseits aber stets der politisch wie kulturell überlegene Herrscher blieb, mithin Ungleichheit fraglos akzeptierte.
Die Diskussionen nach den einzelnen Beiträgen waren zumeist auf spezielle Fragen gerichtet. In der Schlußdiskussion wurde eine klare Positionierung der Ungleichheit eingefordert. Als Antwort wurde besonders betont, dass die Vorträge zeigen sollten, wie unsere Vorstellungen und Konzepte von hierarchischer Ungleichheit anhand der vorgestellten Beispiele aufgebrochen werden können. Es blieb indes die Frage im Raum, ob die griechisch-römische Aneignung der Welt nicht doch als Schaffung einer hierarchischen Ungleichheit zu verstehen sei. Die Vorträge hatten sich jedenfalls um ein wesentlich differenzierteres Bild bemüht.
Sektionsübersicht:
Joseph Wiesehofer (Kiel): Politisch-kulturelle Ungleichheit aus östlicher Sicht: Rum und Iran in der ‚Iranischen Nationalgeschichte’
Gregor Weber (Augsburg): Herrscher- und Dynastiekult in griechisch-makedonischer Perspektive
Sitta von Reden (Augsburg): Isis – Aphrodite – Arsinoe: Zur machtpolitischen Bedeutung eines mythologischen Komplexes
Stefan Pfeiffer (Trier): Herrscher- und Dynastiekult in ägyptischer Perspektive
Rolf Michael Schneider (München): Der Orient in Rom: Das Fremde im Zentrum der Macht