Remigration. Rückkehr in historischer Perspektive

Remigration. Rückkehr in historischer Perspektive

Organisatoren
Stuttgarter Arbeitskreis für Historische Migrationsforschung Leitung: Alexander Schunka / Eckart Olshausen
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
31.10.2008 - 01.11.2008
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Von
Simone Sackmann und Franziska Zach, Historisches Institut der Universität Stuttgart, Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit

Seit den 1990er-Jahren veranstaltet der Stuttgarter Arbeitskreis für Historische Migrationsforschung in Verbindung mit dem Historischen Institut der Universität Stuttgart Kolloquien und Konferenzen, die sich Themen der Historischen Migrationsforschung in epochenübergreifender Perspektive widmen. Im Mittelpunkt der diesjährigen Tagung stand das Phänomen „Remigration: Rückkehr in historischer Perspektive“. Ausschlaggebend dafür war unter anderem die Überlegung, dass Migrationsprozesse bislang häufig als lineare Vorgänge aufgefasst worden sind, als deren Ziel und Maßstab die (erfolgreiche oder misslungene) Eingliederung in eine bestimmte Aufnahmegesellschaft dient. Auf einige grundsätzliche Fragen im Hinblick auf Rückkehr und Remigration wiesen die Tagungsorganisatoren ECKART OLSHAUSEN und ALEXANDER SCHUNKA schon zu Beginn der Veranstaltung hin: auf die spezifische Bedeutung des Herkunftslandes für Emigranten, auf das Verhältnis von Re-Migration zu (E-)Migration (oder Zirkulärmigration) sowie auf die Selbst- und Fremddeutungen von Rückkehr: Lässt sich eine Rückwanderung in die alte Heimat als Scheitern oder Erfolg klassifizieren, handelt es sich um eine Notwendigkeit oder ist die Rückkehrentscheidung vielmehr von den Möglichkeiten der Migranten und den jeweiligen gesellschaftlichen oder obrigkeitlichen Bedingungen abhängig? Darüber hinaus sei zu fragen, in welchem Maß die Rückkehrer für die (Wieder-) Aufnahmegesellschaft einen Zuwachs an Potential und Ressourcen darstellten und inwieweit Remigration selbst instrumentalisiert und zu Zwecken der Sinnstiftung als Mythos betrachtet werden könne.

Das Problem des Zurückkehrens ist über die historischen Epochen hinweg recht ungleichgewichtig behandelt worden: Für die Zeit nach 1945 hat sich Remigrationsforschung gleichsam als eigenes Forschungsfeld etabliert, für andere Epochen fehlen Untersuchungen bisher weitgehend. Die Vorträge der Tagung verfolgten demgegenüber das Phänomen erstmals nicht nur territorial übergreifend, sondern auch über die klassischen historischen Epochengrenzen hinweg: von der griechischen Antike bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Aspekte der Aufrechterhaltung von Kontakten zum Herkunftsland wurden ebenso behandelt wie Beweggründe und Voraussetzungen für eine Rückwanderung oder Fragen der Wiederaufnahme durch eine ehemalige beziehungsweise imaginierte Herkunftsgesellschaft.

Im Eröffnungsvortrag „Rückkehr in historischer Perspektive“ wies MARITA KRAUSS (Augsburg) auf immer wiederkehrende Topoi hin, die über die Epochen hinweg im Zusammenhang mit Rückkehr bedient werden, so der treue Hund, Geschenke oder das Motiv des verlorenen Sohns. Grundsätzlich plädierte sie dafür, den Begriff Remigration zunächst eher eng zu definieren. Ihrer Ansicht nach müsse man das Phänomen stark aus der Sicht des jeweiligen Individuums betrachten und auf die Dauer eines Menschenlebens begrenzen. Dies schließe Gruppen-Remigrationen aus. Zudem seien die Entscheidung zur Rückkehr und die Durchführung von Rückwanderungen deutlich von den vorangegangenen Auswanderungsentscheidungen abzugrenzen. Demnach sei beispielsweise die Rückkehr von Kriegsgefangenen nicht als Remigration zu bezeichnen.

Die anschließenden Vorträge spannten einen chronologischen Bogen von Homer bis zu den Heimatvertriebenen. Den Anfang machte LEIF SCHEUERMANN (Hamburg/Stuttgart) mit seiner Betrachtung der Heimkehr des Odysseus, der als Prototyp des Remigranten angesehen werden könne, da er viele Jahre teilweise sehr erfolgreich in anderen Kulturen gelebt habe, um dann in sein Ausgangsland zurückzukehren. Homer habe mit seinem Epos den Archetypen der missglückten Remigration geschaffen. Obwohl Odysseus’ Migration von Beginn an auf Rückkehr angelegt gewesen sei und ihm schließlich die physische Heimkehr gelang, sei ihm seine Heimat fremd geworden und habe den Zustand der Entwurzelung fortgeschrieben.

Beispiele erfolgreicher Wiedereingliederung lieferte dagegen FRANK STINI (Stuttgart) in seinem Beitrag über begnadigte Exulanten der römischen Kaiserzeit. Das Exil, eine Form der Zwangsmigration, die unter den römischen Kaisern zu einem Strafinstrument ausgebaut worden war, habe eine Rückkehr keineswegs ausgeschlossen: Der Kaiser konnte im Zuge der von ihm erwarteten Mildtätigkeit oder als Ankündigung eines politischen Kurswechsels in Erwartung besonderer Loyalität Begnadigungen durchführen. Darüber hinaus habe der Exulant durch Aufrechterhaltung des Kontakts zu Personen aus der Heimat auf seine Begnadigung hinwirken und politische Wirksamkeit entfalten können. Zwar konnte das Ausmaß der Restitutio stark variieren, doch waren Standeserhöhungen und Karrieresprünge bei den Heimkehrern nicht selten.

Das Spannungsverhältnis von Rückkehr und Zirkulärmigration wurde im Beitrag von MARGIT STOLBERG-VOWINCKEL (Stuttgart) über Jerusalempilger im späten Mittelalter deutlich. Die Rückkehr sei bereits bei Reiseantritt impliziert, aufgrund der drohenden Gefahren jedoch keineswegs sicher gewesen. Im Fall einer glücklichen Heimkehr wurden die Pilgerfahrer beschenkt und mit großen Ehren begrüßt. Reisebekleidung und Pilgerbart wurden abgelegt, womit auch symbolisch die Wiedereingliederung in die Herkunftsgesellschaft, die oftmals mit einem Statusgewinn einhergegangen sei, vollzogen wurde. Auszug und Heimkehr seien von den Pilgern bewusst als Möglichkeit zum gesellschaftlichen Aufstieg wahrgenommen worden.

Die drei anschließenden Vorträge behandelten das Thema Remigration und Rückkehrplanung aus obrigkeitlicher Sicht vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. JUSTUS NIPPERDEY (Mainz/München) beschäftigte sich mit Fragen von temporärer Migration und Rückkehr in Bevölkerungsdiskurs und -politik Kurbayerns im 17. und 18. Jahrhundert. Emigration wurde in den Diskussionen der Zeit vorwiegend als Abkehr von der Obrigkeit verstanden, weshalb Remigration eigentlich ausgeschlossen gewesen sei. Zudem blieb Mobilität verdächtig: Wer einmal migriert war, dem traute man dies wieder zu. Faktisch war Remigration aber kein seltenes Phänomen und findet sich etwa in policeylichen Verfügungen. Die Verwaltung versuchte Migrations- und Remigrationsbewegungen möglichst stark zu kontrollieren, wie im Fall Jugendlicher, deren Ausreise zu Ausbildungszwecken mit einem Rückkehrzwang verbunden war. Um Konversionen der Landeskinder zu verhindern, mussten diese zudem mindestens einmal im Jahr die katholische Beichte in der Heimatgemeinde ablegen.

Am Beispiel der Migrationswelle vieler tausender Pfälzer, die im Sommer 1709 auf dem Weg nach Amerika unfreiwillig in London hängenblieben, untersuchte ALEXANDER SCHUNKA (Stuttgart) Remigrationsentscheidungen, obrigkeitliche Abschiebungspolitik und die seelsorgliche Legitimation von Rückwanderung im 18. Jahrhundert. Da ein Transport der Gruppe nach Nordamerika viel zu teuer war und diverse Ansiedlungsversuche aufgrund falscher Hoffnungen und Planungen fehlschlugen, wurden wegen der akuten wirtschaftlichen und sozialen Belastung von Aufnahmegesellschaft und Migranten relativ rasch Maßnahmen zur Rückführung tausender Pfälzer auf den Kontinent getroffen. Die deutschen Prediger in London interpretierten diese Rückkehr in die Heimat gleichzeitig als eine Rückkehr zu Gott, von dem sich die Pfälzer durch ihren rein weltlich motivierten Entschluss zur Auswanderung entfernt hätten. Die Remigration sei somit didaktisch legitimiert und religiös überhöht worden.

Obrigkeitliche Einflussnahmen auf Remigrationsprozesse führte JOCHEN OLTMER (Osnabrück) für das 19. und 20. Jahrhundert näher aus. Er ging dabei von der Ergebnisoffenheit einer jeden Migrationsbewegung aus, bei der die dauerhafte Wohnsitznahme nur ein mögliches, aber vielleicht ein eher seltenes Ergebnis darstelle. In diesem Zusammenhang sei Remigration ein selbstverständlicher Teil des Migrationsgeschehens, auf welches staatliche Stellen regulierend einwirken konnten. Seitens staatlicher Verwaltungen konnte sowohl die Rückwanderung von Ausgewanderten als auch von Zugewanderten entweder unterstützt oder verhindert werden. Voraussetzung dafür war im 19. Jahrhundert die Durchsetzung der Ausweispflicht. Im 20. Jahrhundert traten etwa transnationale Verträge zur Regulierung von (Re-) Migrationsprozessen hinzu.

Jochen Oltmers Beitrag bereitete den zweiten Tag des Kolloquiums vor, in dessen Mittelpunkt zunächst Fallstudien von Remigration und Rückkehr aus Übersee im 19. und 20. Jahrhundert standen. Der Vortrag von DANIEL KIRN (Stuttgart) widmete sich exemplarisch der Rückkehr südwestdeutscher Auswanderer aus Amerika im Zeitraum von 1830 bis 1860. Im Zentrum der Darstellung standen vor allem individuelle Beweggründe für die Remigration von Württembergern in ihre Heimatgebiete. Dazu zählten unter anderem die Rückkehr aufgrund von Heiratsabsichten oder in der Hoffnung auf größeren wirtschaftlichen Erfolg in der alten Heimat. Eine Rückwanderung in das Herkunftsgebiet unterschied sich demnach qualitativ von potentiellen Weiterwanderungszielen und ließ sich nicht immer auf Scheitern zurückführen.

Mit der Deportation von Deutschen aus Australien nach Deutschland im Gefolge des Ersten Weltkriegs beschäftigte sich JOHANNES H. VOIGT (Marbach). Vor dem Krieg seien die Beziehungen zwischen den verschiedenen australischen Bevölkerungsgruppen europäischer Herkunft ausgesprochen gut gewesen. Neue Einwanderer hatten sich bereits nach drei Jahren naturalisieren lassen und australische Staatsbürger werden können. Den Immigranten deutscher Herkunft stand es zudem frei, die deutsche Staatsbürgerschaft zu behalten, weshalb sie während des Krieges zwischen die Fronten gerieten. Die Abneigung der Australier richtete sich hauptsächlich gegen politische Amtsträger, praktizierende Ärzte, evangelisch-lutherische Pastoren, politisch engagierte Arbeiter- und Gewerkschaftsführer und Vertreter deutscher Unternehmen. Diese wurden schon während des Krieges in „Concentration Camps“ interniert und ab 1920 deportiert. Es konnte durchaus die absurde Situation eintreten, dass der Sohn für Australien in den Krieg zog und der Vater ausgewiesen wurde.

Der Abschlussvortrag von MATHIAS BEER (Tübingen) widmete sich der Mythologisierung von Remigration anhand der deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg. Da die Flüchtlinge erst nach mehreren Generationen und oftmals nicht in die genauen Herkunftsgebiete ihrer Vorfahren zurückkehrten, sei die Vorstellung einer Remigration hier problematisch. Dennoch sei die Einwanderung von staatlichen Stellen bewusst als Heimkehr interpretiert und instrumentalisiert worden. Diese Interpretation machten sich daraufhin auch die Aufnahmegesellschaft sowie die Rückkehrer selbst zu Eigen. Der so propagierte Mythos von Remigration sollte die Eingliederung erleichtern, identitätsstiftend wirken und die Zugehörigkeit zum neuen Staatswesen unterstreichen. Der Remigrationsmythos der Vertriebenen sei so zum Bestandteil des Staatsgründungsmythos der Bundesrepublik Deutschland geworden.

Trotz aller definitorischer Schwierigkeiten hat sich die epochenübergreifende Betrachtung des Themas Remigration und Rückkehr als fruchtbar erwiesen. Remigration in eine – zumindest subjektiv für bekannt gehaltene – Heimat ist mit anderen Entscheidungen, Mechanismen und Problemen behaftet als die Wanderung in eine mehr oder weniger unbekannte Ferne. Gleichwohl kann Rückwanderung nicht von Migrationsprozessen isoliert betrachtet werden, insbesondere bei temporär angelegten und zirkulären Wanderungsbewegungen. Die Auseinandersetzung mit den Heimatbeziehungen und der konkreten Rückkehr von Migranten erwies sich als innovativer, schärferer Zugang zu Migrationsprozessen, da sie neue Möglichkeiten des Vergleichs zweier Aufnahmegesellschaften und Kulturen bietet. Die Vorträge sollen in einem Band der Reihe „Stuttgarter Beiträge zur Historischen Migrationsforschung“ im Franz Steiner Verlag veröffentlicht werden.

Kurzübersicht:

Freitag, 31. Oktober 2008

Eckart Olshausen/Alexander Schunka
Begrüßung, Einleitung, Technisches

Marita Krauss (Augsburg)
Einleitungsreferat: Rückkehr in historischer Perspektive

Leif Scheuermann (Hamburg/Stuttgart)
Odysseus’ Heimkehr

Frank Stini (Stuttgart)
Perspektiven begnadigter Exulanten der römischen Kaiserzeit

Margit Stolberg-Vowinckel (Stuttgart)
Rückkehr und Statusgewinn: Funktionen von Abwesenheit und Abenteuer bei der Wiedereingliederung von Jerusalempilgern im späten Mittelalter

Justus Nipperdey (Mainz/München)
Temporäre Migration und Rückkehr in Bevölkerungsdiskurs und -politik im 17. Jahrhundert

Alexander Schunka (Stuttgart)
Arme Pfälzer: Aufnahme und Rückkehrplanung im London des frühen 18. Jahrhunderts

Jochen Oltmer (Osnabrück)
Abendvortrag: Förderung von Remigration als politisches Konzept und Projekt im 19. und 20. Jahrhundert

Samstag, 1. November 2008

Daniel Kirn (Stuttgart)
Enttäuschte Hoffnungen. Die Rückkehr südwestdeutscher Auswanderer aus Amerika

Johannes H. Voigt (Marbach)
Zwangsremigration von Australien nach Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg

Mathias Beer (Tübingen)
Remigration als Mythos. Das Beispiel der deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen

Michael Schönhuth (Trier)
Rückkehr in die Heimat? Remigration von Russlanddeutschen aus ethnologischer Perspektive

Abschlussdiskussion/Schlusswort der Organisatoren

Mitgliederversammlung des Arbeitskreises