Für Zeit und Ewigkeit. Stiftungen zwischen Mittelalter und Moderne

Für Zeit und Ewigkeit. Stiftungen zwischen Mittelalter und Moderne

Organisatoren
Geschichtsverein der Diözese Rottenburg-Stuttgart; Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart
Ort
Weingarten
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.09.2008 - 20.09.2008
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Von
Maria E. Gründig, Geschichtsverein der Diözese Rottenburg-Stuttgart e.V.

Heute ist für Viele kaum mehr nachvollziehbar, warum Eigentum übereignet wird, ohne eine sichtbare „produktive“ Gegenleistung zu erwarten. Daher ging die Tagung, die der Geschichtsverein und die Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Weingarten (Oberschwaben) veranstalteten und von Abraham P. Kustermann, Wolfgang Zimmermann und Dieter R. Bauer geleitet wurde, folgenden Fragen nach: Welche Erwartungen verbanden die Gebenden mit ihren Stiftungen ? Wer empfing die Gaben und wie wurden sie organisiert, um die Stiftungsintension langfristig garantieren zu können? Wie prägte der jeweilige kulturelle und gesellschaftliche Kontext den Stifterwillen und das Stiftungsziel? Welche Entwicklung durchlief das Stiftungswesen im christlichen Europa zwischen Mittelalter, Moderne und Postmoderne?

Erste Antworten konnte MICHAEL BORGOLTE (Berlin) in seinem überkonfessionellen und Epochen überblickenden Vortrag „Stiftungen – eine Geschichte von Zeit und Raum“ geben. Der Mediavist und Stiftungsforscher stellte fest, dass sich Stiftungen in vielen, wenn nicht in allen schriftgestützten Hochkulturen entfaltet hätten. Da es bislang nicht genügend vergleichende Studien gäben, seien nur wenige allgemeine Aussagen möglich. Aus universalhistorischer Perspektive lasse sich jedoch sagen, dass vormoderne Stiftungen eher auf unbeschränkte Dauer angelegt und mit festen Orten verknüpft worden seien. In der Gegenwart tendiere man dagegen zu Revidierbarkeit der Stiftungszwecke und zu Verräumlichung (z.B. Regionalisierung). Viele „ewige“ Stiftungen seien eingerichtet worden, wo als Gegenleistung für die durch sie bewirkten guten Taten eine Förderung des Seelenheils bis zum Weltgericht erwartet wurde. Der Stifterwille und der Stiftungszweck sei dort am ehesten angetastet worden, wo eine Fegefeuerlehre existiert habe – z.B. in der lateinischen Christenheit seit dem 14. Jahrhundert – , wo unklare Vorstellungen über das Jüngste Gericht und das Schicksal der Einzelseele herrschten – etwa im Judentum und im orthodoxen Christentum –, oder wo der Glaube an ein ewiges Leben des Individuums verworfen wurde – wie im Buddhismus. Widerruflich war der Stifterwille auch im Islam. In der Vormoderne wurden Stiftungen für einen genau bezeichneten Ort bestimmt, wo sie dem Gottesdienst und dem Gebet, der Fürsorge für Kranke und Notleidende oder der Wissenschaft zugute kommen sollten. Die Stiftungsorte konnten Kirche, Moschee, Kloster, Grablege, Spital, Rechtsschule, Bibliothek oder Universität sein. Das Überleben von Stiftungen scheint in der westlichen Christenheit am ehesten garantiert gewesen zu sein: Nur hier bildeten sie als geistliche Werke Knoten in einem unzerreißbaren Netzwerk – nämlich der Kirche.
Heute verfügten die Megastiftungen US-amerikanischen Zuschnitts über ein so großes Kapital, dass die Festsetzung eines beständigen und spezifischen Zweckes und die Konzentration auf einen bestimmten Ort nicht mehr realisiert werden könne. Diese Stiftungen seien zum ersten Mal in der Geschichte auf die Erfassung großer Räume, wenn nicht ganzer Staaten gerichtet. Ihre Anpassungsfähigkeit an die Erfordernisse der jeweiligen Gegenwart könne segensreich sein, doch stellten sie auch eine virtuelle Bedrohung für demokratische Gesellschaften dar.

GISELA DROSSBACH (München/Dresden) stellte in ihrem Referat „Spitäler im Mittelalter – Stiftungen für die Ewigkeit?“ die wohl dauerhafteste und gleichzeitig vielgestaltigste Stiftungsform vor. Als Xenodochien im Hellenismus entstanden, um Pilgern, Kranken, Alten, Armen, Witwen und Waisen Unterkunft zu bieten, fanden sie auch im christlichen Raum rasch weite Verbreitung. Christliche Spitalgründungen im Frühen und Hohen Mittelalter waren oft mit Klostergründungen verbunden und erfüllten einerseits Wünsche von Laien, aktiv und passiv karitativ tätig zu sein und die „sieben Werke der Barmherzigkeit“ zu erfüllen. Andererseits stillten sie auch das Bedürfnis, über den Tod hinaus zu wirken und erinnert zu werden. Sie galten als sichere Investition für die Ewigkeit. Als „ewige“ Einrichtung angelegt, zeigten Spitäler eine ausgeprägte Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit. Dies führte einerseits zu Aufgabenspezialisierungen im pflegerischen und medizinischen Bereich, andererseits agierten Spitäler auch multifunktional. Neben den geistlichen Aufgaben übernahmen sie im Lauf der Jahrhunderte viele weltliche Aufgaben: Sie hatten Anteil am Finanzwesen (Geldverleih) und am Erwerbs- und Produktionsprozess und besaßen politischen Einfluss. Diese Eigenschaften sicherten, so schloss die Historikerin, den dauerhaften Bestand der Spitalstiftungen.

BERNHARD NEIDIGER (Stuttgart) referierte über spätmittelalterliche Prädikaturstiftungen in Süddeutschland. Die Idee, Predigtstiftungen für Theologen einzurichten, stamme aus dem 14. Jahrhundert. Sie wanderte aus dem Böhmen Karls IV. kommend, über Franken und die Oberpfalz in die Städtelandschaft Süddeutschlands (Oberschwaben, Württemberg). Zumeist von Laien gestiftet, sollte der Inhaber einer Prädikatur zusätzliche qualitätsvolle Predigtgottesdienste an Sonn- und Feiertagen sowie in den Fastenzeiten halten. Im 15. Jahrhundert wurden Prediger meist in kleinen Städten angestellt, in denen keine Bettelorden für regelmäßige Predigten sorgten. Erst gegen Ende des 15. und im 16. Jahrhundert kam es auch in Städten mit Mendikantenkonventen zu Prädikaturstiftungen. Da das Besetzungsrecht meist bei den Städten lag, hätten diese, so der Historiker und Archivar, die Predigtstiftungen von Anfang an unterstützt. Durch regelmäßige Predigen sollten die Gläubigen „belehrt“ und „gebessert“ werden. Durch die Errichtung von Predigtpfründen entwickelte sich ein neuer Stellenmarkt für Theologen außerhalb der Ordenskonvente, die „Weltgeistlichkeit“. Wie bei allen geistlichen Stiftungen des Mittelalters – unabhängig davon, ob es sich um die Stiftung einer Messpfründe, eines Klosters oder einer Universität handelte – hätten die Stifterinnen und Stifter die Hoffnung verbunden, Vorsorge für das eigene Seelenheil zu treffen.

Der Vortrag von EVA-MARIA BUTZ (Dortmund) betrachtete karolingische Könige in ihrer Rolle „als Wohltäter und Stifter“. Die Karolinger des 9. Jahrhunderts, vor allem Karl II. („der Kahle“) und Karl III. („der Dicke“), verbanden mit der großzügigen Übertragung von Land und Vermögenswerten ebenfalls die Hoffnung, etwas für das eigene (Seelen-)Heil, aber auch für die Stabilität des Reiches zu tun: Ihre Stiftungen verpflichteten Kleriker (an Domstiften) und Mönche zu allgemeiner Herrschermemoria und zu einer oft auf Dauer angelegten individuellen Gedächtnisleistung. Diese Memoria geschah durch das Gebet, aber auch durch karitative Akte, z.B. durch Erinnerungsmahle, an die Armenspeisungen gebunden waren. Vergleiche man das Stiftungsverhalten Karls II. und III. mit den aktuellen Ergebnissen der Memorialbuchforschung, so werde deutlich, dass die Stiftertätigkeit – ebenso wie weitere Bemühungen um Memoria und Gebetsgedenken – eng mit der jeweils aktuellen politischen Lage und den erreichten Zielen verbunden gewesen sei. Sie seien zudem Ausdruck des Selbstverständnisses der Herrscher. Für die Historikerin sind Stiftungen und Memorialakte auch in ihrem karitativen und sozialen Zusammenhang eine wichtige Quelle für die politische Geschichte und die Geschichte des Königtums.

Eine Exkursion in die ehemalige Reichsstadt Biberach an der Riss unter der Führung von KURT DIEMER zeigte, was in den vorausgegangenen Referaten zum Teil bereits behandelt worden war: In Biberach hatte bürgerschaftliches Stifterhandeln über Jahrhunderte eines der reichsten Spitäler Oberschwabens entstehen lassen, das alle „klassischen“ geistlichen und weltlichen Aufgaben übernommen hatte. Die Besichtigung der durch Stiftungen finanzierten Baudenkmale – vom Spital (heute Museum) bis zu den gestifteten Kapellen im Kirchensimultaneum – zeigte anschaulich, wie und wo Stiftungsgelder investiert wurden. Da Biberach eine bikonfessionelle Stadt war, entstand in der seit dem Westfälischen Frieden 1648 streng konfessionsparitätisch organisierten Stadt häufig Streit. Seit der Reformation und sogar noch im 20. Jahrhundert entzündete er sich vor allem über die Frage, welche Intension mit einer vor der Reformation errichteten Stiftung verbunden war, und welcher konfessionellen Gruppe folglich das Eigentum an einer Stiftung zuzusprechen sei. Am Beispiel Biberachs wurde zudem klar, dass in bikonfessionellen Orten die Erforschung unterschiedlicher konfessioneller Stiftungspraxen Erfolg versprechend ist.
Ein Besuch des nahe gelegenen Jordanbads hatte das Ziel, über die Organisation und Arbeit einer modernen Stiftung zu informieren. ANNEMARIE STROBL, Vorsitzende der im Jahr 2000 errichteten St. Elisabeth-Stiftung, zeigte den Werdegang der Anlage auf, in der die 1869 begonnene soziale und karitative Arbeit der Franziskanerinnen von Reute bis heute fortgeführt wird. Heute liegt der Aufgabenschwerpunkt in der Alten- und Behindertenhilfe und im Gesundheitswesen. 1450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind für über 2300 hilfebedürftige Menschen an über 20 Standorten im Einsatz.

Über die „Entstehung und Entwicklung der sozialen Stiftungen im frühneuzeitlichen Münster“ sprach RALF KLÖTZER (Steinfurt). Er konstatierte eine kontinuierlich wachsende, gleichzeitig wellenförmige Entwicklung der Stiftungslandschaft. Die Gründungswellen – in den Jahren 1302-1354, 1565-1620 und 1732-1768 – finden sich während und nach Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs. Die Münsteraner Stiftungen konnten sich relativ frei entwickeln, da zentralistische Eingriffe durch Rat, Bürgerschaft, Landesherrn und Kirche bis 1800 fast ganz aus blieben. Bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts dominierte ein Stiftungsverhalten mittelalterlicher Prägung, war also meist religiös motiviert. Da möglichst viele Personen in den Genuss der Zuwendungen kommen sollten – etwa die Hälfte der Münsteraner Bevölkerung war ganz oder teilweise auf das Betteln als Existenzgrundlage angewiesen – waren Stiftungen breit gestreut. Ende des 16. Jahrhunderts trat die gezielte Förderung von Bedürftigen in den Vordergrund: Waisenhaus und Studien- bzw. Schul- und Ausbildungsstiftungen entstanden und kamen Jungen und Mädchen zugute. Zustiftungen und Spenden gingen seitdem vermehrt an ausgewählte Einzelinstitutionen. Soziale Stiftungen und das Bettelwesen blieben in Münster bis nach 1800 die tragenden Säulen der Fürsorge, da die katholische Stadt kein dauerhaftes Bettelverbot erließ. Erst die Gründung von Sozialvereinen im 19. Jahrhundert und die Einführung staatlicher Hilfen habe, so führte der Historiker und Archivar aus, die Aufgabenverteilung verändert.

Über „Studienstiftungen in der Frühen Neuzeit“ referierte SABINE HOLTZ (Tübingen/Stuttgart). Erste Stipendien seien für das späte Mittelalter bezeugt. Oft aus den Erträgen privater „frommer“ Altarstiftungen finanziert, seien sie Theologie-, Medizin- und Jurastudenten während der Studienzeit zur Verfügung gestellt worden. Um 1500 zeigten sich Anzeichen für einen intentionalen Wandel: Nun wurden auch Stipendienstiftungen errichtet, die einem „gemeiner Nutzen“ dienten. Dies weise auf erste Säkularisierungstendenzen im Stipendienwesen hin. Die Reformation habe diese Entwicklung jedoch abgebrochen. Nur noch „Rechtgläubige“ und Studenten der Theologie seien in den Genuss der Stipendien gekommen. Da die Erträge säkularisierter Kirchengüter, auch die Erträge aus Mess- oder Pfründstiftungen, oft direkt in den Bildungssektor geflossen seien, sei dieser erheblich angewachsen. Im konfessionellen Zeitalter (1555-1648) wurde das Stipendienwesen zu einem einflussreichen Instrument konfessioneller Bildungspolitik. Der Vergleich von alt- und neugläubigen Stiftungslandschaften zeige Übereinstimmungen: In beiden konfessionellen Gruppen habe die Verbundenheit zu einer Universität, christlich-religiöse und konfessionelle Motive, sowie Nützlichkeitsüberlegungen das Stifterhandeln gesteuert. Auf evangelischer Seite scheinen utilitaristische Überlegungen handlungsleitend gewesen zu sein, während katholische Stifter eher auf das Seelenheil gezielt hätten. Die Tatsache, dass in Freiburg und Tübingen knapp 80 Prozent aller Stipendien im konfessionellen Zeitalter errichtet wurden, zeige, dass konfessionelle Konkurrenz den Studienstiftungsgedanken in beiden Stiftergruppen gefördert habe. Die Territorialisierung und die durchgängige Konfessionalisierung der Ausbildungsförderung seien Merkmale beider Stipendienlandschaften. Es verwundere nicht, so stellte die Landeshistorikerin fest, dass die Obrigkeiten das Stipendienwesen zu Elitenbildung, Disziplinierung und Herrschaftsfestigung genutzt hätten.

PETER HERSCHE befasste sich in seinem Vortrag „Die materielle Dimension der Stiftungen“ mit dem erneuten Aufschwung des Stiftungswesens im katholischen Europa nach der Krise des Reformationszeitalters. Viele Bauprojekte im Barock seien durch die Zunahme der Stiftungen – Kapitalien von mehreren Millionen Gulden – geradezu erzwungen worden. Allerdings seien die meisten Gelder nicht in die großen Bauprojekte der Männerorden oder in den Pfarrkirchenbau geflossen, sondern in den Bau von Frauenklöstern, die – als Folge von Erbregelungen – zu Tausenden gegründet wurden. Da im nachreformatorischen katholischen Europa rund 100 Millionen Seelenmessen im Jahr gestiftet wurden, und allein in Italien mehr als eine halbe Million Altarblätter, sein ein immenser Druck entstanden, Altäre und Kirchen zu errichten und Kleriker anzustellen.
Abschließend verglich der Sozial- und Kulturhistoriker den Umgang mit Kapital – vor allem die Investitionen in Stiftungen – im katholischen Europa mit der Ökonomie der protestantischen Länder. Diese investierten ihre Kapitalien in die Wirtschaft, was sich als zukunftsweisend herausgestellt habe. Er widerspricht der These Max Webers, der die Ursache dieses Wirtschaftshandelns mit einer spezifisch protestantischen (Wirtschafts-)Ethik begründete. Die unterschiedliche ökonomische Entwicklung sei Folge geographischer Gegebenheiten: Die Reformation habe vor allem städtisches Gebiet erfasst, so dass der „alte Glaube“ in ländlich und agrarisch geprägten Regionen beheimatet blieb, was Denkmuster und Alltagsleben beeinflusst habe. Zweckrationalität sei bei Katholiken ebenso vorhanden wie bei Protestanten. Die weitere Erforschung des Themas Stiftungswesen könnte die Diskussion um die noch immer umstrittene Weber-These von der Rückständigkeit des barocken Katholizismus voranbringen.

PAUL MÜNCHs Referat stellte am Beispiel von Eugenie von Hohenzollern-Hechingen (1808-1847) einen spezifischen Typus einer adeligen Stifterin vor, der als wenig erforscht gilt. Hineingeboren in eine Zeit des aufgeklärten Katholizismus, sei ihr Stiftungshandeln von konfessioneller Toleranz geprägt gewesen: Stiftungsideen habe sie auch evangelischen Pädagogen entliehen. Ihre Gaben hätten jüdische wie christliche Vermögenslose erhalten. Sie habe sich selbst in der Tradition Elisabeths von Thüringen gesehen und praktisches Christentum konkret realisieren wollen, indem sie sozialkaritativ gehandelt habe und ihre Stiftungen direkt der breiten Bevölkerung zugute kommen ließ. Die Kapitalien habe sie meist selbst organisiert und kontrolliert. Die sehr reiche Fürstin (Stiftungsumfang umgerechnet um 4 Millionen Euro) verstand ihre Stiftungstätigkeit zudem als Regierungshandeln. Sie sah sich als „Landesmutter“, die der Gesellschaft, aber auch der katholischen Kirche, etwas von dem zurückgeben wollte, was sie selbst empfangen habe. Der Zeitabschnitt bis zu ihren Tod – von dessen Nähe die Kinderlose wusste – war eine Zeit des Übergangs hin zur Romantik, die die erwachsene Frau ebenfalls beeinflusst habe. Der Historiker mit Schwerpunkt Frühe Neuzeit sieht Forschungsbedarf auf dem Gebiet der Adelsforschung. Bis heute sei die Erforschung der weiblichen Linien meist vernachlässigt und der Adel oft pauschal als restaurativ-retardiert bewertet worden.

Der Einladung des Bischofs der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Dr. Gebhard Fürst, zu einem Vortrag im Tagungshaus Weingarten über „die missionarische Kirche und ihr karitatives Problem“ waren die Tagungsteilnehmer, sowie zahlreiche ehrenamtlich Tätige, Stifter und Stifterinnen und in Stiftung tätige Menschen gefolgt. Bischof Dr. Fürst zeigte auf, dass karitativ-diakonisches Handeln die Grundlage für den Erfolg seit dem frühen Christentums gewesen sei. Kirche ist und bleibt bei ihrem diakonischen Auftrag: Sie „stifte“ eine christliche Kultur des Helfens und halte ihr christlich-spirituelles Profil aufrecht.

Über das württembergische Stiftungsrecht im 19. Jahrhundert referierte STEFAN IHLI (Tübingen). Die hierin definierten Grundsätze determinierten einen höchst aktuellen Konflikt, der zwischen der Diözese und im Land um den Rechtsstatus der Stiftung existiere: die oberschwäbische Stiftung Liebenau soll der staatlichen Stiftungsaufsicht zugeordnet zu werden, da innerhalb der Stiftung kirchliche Stiftungsaufsicht und kirchliches Tarifrecht in einem härter werdenden Konkurrenzkampf innerhalb des karitativen Sektors als belastend empfunden würden. Ein diesbezügliches rechtswissenschaftliches Gutachten über das staatlich-württembergische als auch über das kirchliche Stiftungsrecht des 19. Jahrhunderts von Karl-Hermann Kästner und Daniel Couzinet sowie ein weiteres historisches Gutachten von Andreas Holzem zur Gründungsgeschichte der Stiftung stellte der Kirchenrechtler vor und erläuterte die Entstehung der Stiftung seit dem Jahr 1824, kirchliche Intension des Stifters, Kaplan Adolf Aich sowie die gesamtgesellschaftlichen Hintergründe dar.

WALTER GÖGGELMANN (Reutlingen/Heidelberg) thematisierte in seinem Referat „Ein Haus für das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit“ den Weg von der Idee des „ganzen Hauses“ über die realisierte „Hausgenossenschaft“ zur „Gustav-Werner-Stiftung zum Bruderhaus“ dar. 1882 wollte der evangelische Pfarrer Gustav Werner (1809-1887) „Ewigkeitsträchtiges in seiner Zeit“ stiften und damit die soziale Frage des 19. Jahrhunderts lösen. Er gründete eine diakonische Gemeinschaft von Männern und Frauen, die die Hoffnung auf das Reich Gottes und den Lebensnerv dieser Diakonie im Werk weiter tragen sollten. Nach seinem Tod sei es wichtig gewesen, die verzweigte kapitalarme Einrichtung unter dem Dach einer Stiftung bürgerlichen Rechts zu sichern. Anders als vom Gründer gedacht, entwickelte sich sein Erbe zur „Gustav-Werner-Stiftung zum Bruderhaus“ (seit 2001 „bruderhausDIAKONIE“). Heute würden, so berichtete der Diakoniewissenschaftler und Pfarrer i.R., etwa 10.000 Menschen von ca. 3.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern betreut.

BERND ANDRICK (Gelsenkirchen) sprach über die Modernisierung des Stiftungsprivatrechts in Deutschland. In den zurückliegenden knapp 20 Jahren habe die Zahl der neu gegründeten Stiftungen kontinuierlich zugenommen: 1990 seien 181 Neustiftungen gezählt worden, 2001 schon 829 – und damit ein Zuwachs von 450 Prozent. Dies zeige, wie wichtig die Überarbeitung der Stiftungsgesetzgebung gewesen sei – und es auch künftig bleibe: 2007 habe es 1.134 Neustiftungen gegeben. Einer der wesentlichen Neuerungen im neuen Gesetz vom September 2002 (Bürgerliches Gesetzbuch, auf Grundlage des Grundgesetzes) war der Wechsel vom Konzessionssystem zum Normativsystem, sodass nun keine staatliche Genehmigung vor der Stiftungsgründung eingeholt werden muss. Der Staat kontrolliere nur noch formale Strukturmerkmale wie Angaben über den Stiftungszweck (der das Gemeinwohl nicht gefährden darf und der grundsätzlich unveränderbar, also auf „Ewigkeit“ angelegt ist), die Beschreibung des Vermögens, die Festlegung von Ziel und Zweck einer Stiftung, die Formulierung einer Satzung sowie die Einrichtung eines Vorstands (als Kontrollorgan). Das Bundesgesetz verpflichtete die Länder zur Anpassung ihrer Stiftungsgesetze. Dies, so führte der Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht aus, sei zwar in den zurückliegenden fünf Jahren geschehen, allerdings sieht er noch Optimierungsbedarf bei manchen Landesstiftungsgesetzen.

Eine, die Tagung abschließende Podiumsdiskussion hatte das Ziel, aktuelle Fragen des Stiftungsgedankens in der Bürgergesellschaft des 21. Jahrhunderts zu thematisieren und durch konkrete Beispiele zu ergänzen. Als Diskutanten stellten sich der Geschäftsführer des Stifterverbandes, VOLKER MEYER-GUCKEL (Berlin), der Vorsitzende des Stiftungsforums in der Diözese Rottenburg-Stuttgart, WERNER REDIES, sowie der mit Stiftungsfragen beschäftigte – derzeit auch mit der Vertretung der Diözese in Sachen Liebenau betraute – Reutlinger Rechtsanwalt VOLKER KRAUSE zur Verfügung. ABRAHAM P. KUSTERMANN moderierte die Diskussion, bei der das Plenum eingebunden war und in die drei Bereiche Stiftungszweck, Stiftungsaufsicht und Desiderate im Mittelpunkt standen.

Erstens waren sich die Diskutanten waren sich darüber einig, dass die Stiftenden meist exakte Vorstellungen über Ziel und Zweck der geplanten Stiftung hätten. Sie vertreten aber die Meinung, dass der Stiftungszweck nicht zu eng gefasst werden solle, um in den kommenden Jahrhunderten angemessen auf gesamtgesellschaftliche Veränderungen und gewandelte Bedürfnisse reagieren zu können. Wichtig sei kompetente Beratung, um die effektivsten Wege zur Umsetzung des Stifterwillens zu finden.
Da sich zweitens der Staat weitgehend aus der Kontrollarbeit innerhalb der Stiftungen zurückgezogen habe, ist eine kompetente – keineswegs nur buchhalterische - Aufsicht durch die selbst gewählten Kontrollgremien wichtig. Anders als bei gemeinnützigen Gesellschaften (eGmbH) seien Stiftungsräte finanziell nicht an der zu kontrollierenden Institution beteiligt und verfolgten keine Eigeninteressen. Stiftungsräten ginge es vielmehr um die Prüfung, ob die Idee, der Geist bzw. der Wille der Stiftenden umgesetzt und in der Stiftung gelebt würde.
Drittens begrüßten die Diskutanten die derzeitige Stiftungswelle, durch die viele wichtige Projekte angestoßen werden und die oftmals nur deshalb realisiert würden, weil es vertrauensvolle persönliche Beziehungen zwischen Stiftenden und Empfangenden gebe. Die Befürchtung, dass sich der Staat aus Aufgaben zurückziehe, wo Privatengagement vorhanden sei, teilen sie nicht, weil man die Modelle vereinigen, „matchen“ könne.
Der These von Michael Borgolte, der Demokratien durch "Mega-Stiftungen" gefährdet sieht, folgten die Fachleute nicht. Vielmehr sehen sie die Gefahr, dass manche Stiftungen nur wenig verändern, helfen, lindern könnten, wenn sie mit zu geringen Finanzmitteln ausgestattet seien. Sie plädieren daher nachdrücklich für die Zusammenlegung schon bestehender, ähnlicher Stiftungen („Kartellbildung“) oder für Zustiftungen. Hierfür böten sich, wie Werner Redies abschließend bemerkte, beispielsweise die Bischof-Moser-Stiftung oder die Stiftung Wegzeichen an.
Die Veröffentlichung der Vorträge ist im Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte (RJKG) für das Jahr 2010 vorgesehen.

Konferenzübersicht:

Stiftungen. Eine Geschichte von Zeit und Raum
Michael Borgolte (Berlin)

Spitäler im Mittelalter – Stiftungen für die Ewigkeit?
Gisela Drossbach (Kassel/München)

Spätmittelalterliche Prädikaturstiftungen in Süddeutschland
Bernhard Neidiger (Stuttgart)

Der König als Wohltäter und Stifter. Liturgisches Gebetsgedenken zwischen summarischer und individueller Memoria im frühen Mittelalter
Eva-Maria Butz (Dortmund)

„Dem Spittel ein Drittel“
Das Biberach der Stifter. Führung
Kurt Diemer (Biberach)

Vom Klostereigentum zur St. Elisabeth-Stiftung
Annemarie Strobl (Bad Waldsee)

Den Armen die Not wenden. Entstehung und Entwicklung der sozialen Stiftungen im frühneuzeitlichen Münster (1500–1800)

Ralf Klötzer (Steinfurt)

Universität und Stiftung. Studienstiftungen im konfessionellen Vergleich
Sabine Holtz (Tübingen/Stuttgart)

Die materielle Dimension der Stiftungen in der katholischen Ökonomie der Frühneuzeit
Peter Hersche (Bern)

Eugenie von Hohenzollern-Hechingen – Typus einer adligen Stifterin
Paul Münch (Essen/Bisingen)

Die missionarische Kirche und ihr konkret karitatives Profil
Gebhard Fürst (Rottenburg am Neckar)

Das württembergische Stiftungsrecht im 19. Jahrhundert. Rechtsgeschichtliche Determinanten höchst aktueller Konflikte
Stefan Ihli (Rottenburg am Neckar)

„Ein Haus für das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit“. Der Weg bis zur „Gustav-Werner-Stiftung zum Bruderhaus“
Walter Göggelmann (Reutlingen/Heidelberg)

Die Modernisierung des Stiftungsrechts. Jüngste rechtspolitische Bewegungen auf Ebene des Bundes und der Länder
Bernd Andrick (Gelsenkirchen)

Stiftung – heute. Zu aktuellen Aspekten der Entwicklung des Stiftungswesens Podiumsdiskussion. Moderation: Abraham Peter Kustermann, Stuttgart

Volker Meyer-Guckel (Berlin)
Stifterverband für die deutsche Wissenschaft

Prälat Werner Redies (Rottenburg a.N.)
Vorsitzender des Stiftungsforums in der Diözese Rottenburg-Stuttgart

Peter Krause (Reutlingen)
Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Stiftungsrecht

Kontakt

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Dr. Maria E. Gründig
Stafflenbergstraße 46
70184 Stuttgart
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