Pius XI. und Österreich

Organisatoren
Rupert Klieber, Universität Wien; Werner Drobesch, Universität Klagenfurt; Thomas Aigner, Diözesanarchiv St. Pölten; Andreas Gottsmann, Akademie der Wissenschaften, Wien
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
30.01.2009 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Rupert Klieber, Kirchengeschichte Katholisch-Theologische Fakultät, Universität Wien

Die Öffnung der vatikanischen Archive für die Bestände des Pontifikats Pius XI. (1922-39) im Herbst 2006 bedeutet für die Historiographie vieler Länder zweifellos eine große Herausforderung und Chance, die koordinierte Anstrengungen verdient. Für den Bereich Österreich hat sich zu diesem Zweck im Jahr 2008 ein Wissenschaftliches Komitee unter Leitung von Prof. Rupert Klieber gebildet: Neben ihm als Vertreter der Theologischen Fakultäten gehören ihm für die historischen Institute Prof. Werner Drobesch (Universität Klagenfurt), für die kirchlichen Archive Dr. Thomas Aigner (Diözesanarchiv St. Pölten) sowie Dr. Andreas Gottsmann (Akademie der Wissenschaften) an.

Erste öffentliche Aktivität der Projektgruppe war ein öffentlicher Workshop, der die historische Kollegenschaft auf das Anliegen aufmerksam machen und konkrete Projektschritte konzipieren wollte. Die Veranstalter betrachteten es als ein professionelles „brain-storming“ für die kommende Projektarbeit. Es sollte auch ein Forum zur Präsentation erster geplanter Projektarbeiten von Nachwuchswissenschaftlern sowie zur Kontaktnahme mit verwandten Forschungsprojekten sein, wie unter anderem Projekte von Prof. Hubert Wolf, Münster. Das Komitee hatte zudem Historiker des Landes eingeladen, sich in Gestalt eines „Weisenrates“ an der Absteckung der Projektziele zu beteiligen und es mit ihrer Expertise auch weiter zu begleiten.

Der Vormittag stand unter dem Motto „Quellenlage und Forschungsdesiderate“ und wurde von Werner Drobesch (Klagenfurt) moderiert. Nach einem Eröffnungsvortrag von RUPERT KLIEBER (Wien) erläuterte ANDREAS GOTTSMANN (Wien) einschlägige Bestände des Vatikanischen Geheimarchivs bzw. des Österreichischen Staatsarchivs. Der Wiener Diözesanarchivar JOHANN WEIßENSTEINER skizzierte die relevanten Referenzbestände der kirchlichen Archive und verwies dabei auf etliche ungehobene Schätze wie die sogenannten Quinquennalberichte, die frühe Quantifizierungen zur religiösen Praxis erlauben.

Höhepunkt des Vormittags war ein "Round-Table-Gespräch" des sogenannten „Weisenrates“ des Projekts, an dem neben Weißensteiner die emeritierten (Kirchen-)Historiker ERNST HANISCH (Salzburg), KARL HEINZ FRANKL (Wien) und der ehemalige Wissenschaftspublizist HANS SPATZENEGGER beteiligten. Hanisch konstatierte dabei, dass er sich vom Projekt "keine historische Sensation" erwarte, jedoch wichtige Einsichten in die "atmosphärische Beschaffenheit der Ersten Republik" erhoffe, etwa hinsichtlich der vatikanischen Sicht auf die gesellschaftlichen wie politischen Auseinandersetzung zwischen Christlich-Sozialen und Sozialdemokraten. Frankl skizzierte an konkreten Beispielen die prägende Kraft von Rom-Aufenthalten österreichischer Geistlicher unter Pius XI. und regte vergleichende biographische Untersuchungen an. Weißensteiner erinnerte unter anderem an offene Fragen bezüglich der Entstehung neuer Apostolischer Administraturen für Innsbruck-Feldkirch und Eisenstadt, die durch die neuen Grenzziehungen nach 1918 nötig wurden. Spatzenegger verwies auf markante, teilweise gescheiterte katholische Projekte der Zeit wie jenes einer katholischen Universität in Salzburg. Abwesende Mitglieder des „Weisenrates“ wie PETER TROPPER (Klagenfurt) waren durch ihre visualisierten schriftlichen Anregungen präsent. Er erinnerte an das weite Feld des „symbolischen“ Handelns und dessen vielfältige Wirkungen in den katholisch geprägten Regionen, etwa in Form der Jubiläumsfeiern unter Pius XI. bzw. der Einführung neuer Feste wie dem Christkönigsfest. Das Round-Table-Gespräch der „Weisen“ löste eine rege Diskussion bei den Teilnehmern des Workshops aus kirchlichen und wissenschaftlichen Einrichtungen aus, die ihrerseits eine Reihe von weiterführenden Hinweisen auf Themenfelder und offene Fragen der Materie lieferten.

Der Nachmittag des Workshops firmierte unter dem Motto „Projekte und Forschungsinitiativen“ (Moderation: Andreas Gottsmann, Thomas Aigner). Er stand damit auch im Zeichen des internationalen wissenschaftlichen Austauschs zu Fragen rund um Pius XI. Die italienische Historikerin MADDALENA GUIOTTO (Italienisch-Deutsches Historisches Institut in Trient) referierte über "Italien und die österreichischen Christlichsozialen".

Es folgte ein Vortrag über "Bayern und Pius XI." von JÖRG ZEDLER (München). Laut Zedler ist für das Verständnis mancher österreichischer Fragen der Blick auf das Verhältnis zwischen Bayern und dem Heiligen Stuhl hilfreich. So bemühten sich Österreicher und Bayern beim Papst um die religiösen Interessen der deutschsprachigen Südtiroler, beide Seiten waren von der Haltung der Kurie gegenüber dem Nationalsozialismus betroffen. Den nachhaltigsten Einfluss hatte wohl das bayerische Konkordat von 1924/25 ausgeübt, dem Pacelli wie Pius XI. von Anfang an eine Musterfunktion zudachten und dessen Bestimmungen somit auch für Österreich und dessen Konkordat richtungweisend gewesen sein dürften.

WALTER IBER (Grazer Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung) referierte über die in vielerlei Hinsicht enge Verflechtung von Katholischer Kirche und Christlichsozialer Partei in der Ersten Republik. Im Rahmen eines "neuen", intensiveren Politischen Katholizismus begaben sich die Christlichsozialen ab 1918 verstärkt in das Kielwasser der Amtskirche und fungierten in kultur- und gesellschaftspolitischen Fragen als Verteidiger kirchlicher "Bastionen" gegen die Sozialdemokraten. Für das weitere Schicksal der Republik erwies sich diese Konstellation als folgenschwer.

Nach einer Pause stellte der Jungwissenschafter JÜRGEN STEINMAIR (Universität Wien) sein Dissertationskonzept zur Diskussion, welches sich mit "Ignaz Seipel und die römische Kirchenzentrale" einem zentralen Thema der kirchlichen Zeitgeschichte des Landes widmet; Steinmair steht unmittelbar vor Recherchen in den vatikanischen Archiven. Steinmairs geht in seiner Arbeitshypothese davon aus, dass es zu einer vatikanischen Beeinflussung Seipels gekommen sei und Seipel diese auch zugelassen habe. In der Forschungsfrage wird nach Form und Intensität der Vereinnahmung gefragt. Die Antworten darauf sollen in erster Linie in den Nuntiaturberichten und den Beständen der Affari Ecclesiastici Straordinari gesucht werden

Den Abschluss der Referate bildete eine Vorstellung des vom Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf angestoßenen Projekts einer "Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)", die der Münsteraner Kirchenhistoriker KLAUS UNTERBURGER (Münster) als Mitglied der Projektgruppe Wolf präsentierte. Im Rahmen dieses umfangreichen Unternehmens werden die gesamten Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis editionstechnisch bearbeitet und anschließend online gestellt.

Eine Schlussdiskussion unter der Leitung von Rupert Klieber bot Gelegenheit zu zusammenfassenden Resümees und letzten Ergänzungen aus den Reihen der Teilnehmer.

Laut Absichtserklärung des Österreichischen Komitees soll in den kommenden zwei bis drei Jahren auf der Basis weiterer Rom-Stipendien und konkreter Forschungsaufträge in den vatikanischen Archiven versucht werden, offene (kirchen-) politische Fragen zu klären bzw. bestehende Desiderate hinsichtlich der Gesellschafts- und Mentalitätsgeschichte der Ersten Österreichischen Republik (1918-1938) zu erfüllen. Der „Ernte“ der am Workshop vorgenommenen „Aussaat“ des Projekts soll dann in einer größeren abschließenden Fachtagung eingefahren werden.

Konferenzübericht:

RUPERT KLIEBER (Universität Wien)
Begrüßung

ANDREAS GOTTSMANN (Österreichische Akademie der Wissenschaften)
Österreichisches Staatsarchiv und Vatikanisches Geheimarchiv

JOHANN WEIßENSTEINER (Diözesanarchiv Wien)
Die österreichischen Diözesanarchive

Roundtable des „Weisenrates“

MADDALENA GUIOTTO (Fondazione Bruno Kessler, Trient)
Italien und die österreichischen Christsozialen

JÖRG ZEDLER (München)
Bayern und Pius XI.

WALTER IBER (Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung, Graz)
Die Christlich-Sozialen der Ersten Republik und die Katholische Kirche

JÜRGEN STEINMAIR (Universität Wien)
Ignaz Seipel und die römische Kirchenzentrale

KLAUS UNTERBURGER (Projektgruppe Hubert Wolf, Münster)
Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)


Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts