Diskursiver Wandel. Internationale Tagung zum Stand der Diskursanalyse in den Geschichtswissenschaften

Diskursiver Wandel. Internationale Tagung zum Stand der Diskursanalyse in den Geschichtswissenschaften

Organisatoren
Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Ort
Düsseldorf
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.03.2009 - 27.03.2009
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Von
Tobias Winnerling, Historisches Seminar, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf,

Die Tagung „Diskursiver Wandel“ fand, ausgerichtet vom Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, am 26. und 27. März 2009 im Düsseldorfer Schloss Mickeln statt. Wesentliches Anliegen der Veranstaltung war es, sich des Standes der Diskursanalyse in den historischen Wissenschaften zu vergegenwärtigen; also Einblicke zu erhalten in die momentane Rezeption und Adaption der auf Michel Foucault zurückgehenden Theorien, die historische Prozesse vor allem über die Untersuchung von Diskursen, Äußerungsfolgen, zu fassen und verstehen suchen. Der Diskurs besteht primär aus dem Gesagten, dauerhaft manifestiert als Geschriebenen, und wirkt bestimmend auf Handeln und Denken der Sprecher und Leser, der Diskursteilnehmer ein. Die Analyse von Diskursen erlaubt also Rückschlüsse auf Denk- und Handlungsschemata, auf soziale und intellektuelle Ordnungen, und kann deren Formationen erklären. Nachdem sich die Diskursanalyse nach heftigen Kontroversen in den 1990er-Jahren als historische Methode etablieren konnte, wuchs sie in vielfältige Anwendungs- und Untersuchungskontexte hinein, so dass eine Zusammenschau ihres momentanen Standes mehr als wünschenswert war und auch nach der Tagung immer noch ist.

Zum Auftakt gab ACHIM LANDWEHR (Düsseldorf) eine Standortbestimmung der Diskursanalyse in der Geschichtswissenschaft und fragte dann: Was bleibt zu tun? Noch immer sei auffällig, dass die historische Diskursanalyse nicht nur methodisch, sondern auch bei der Wahl ihrer Untersuchungsgegenstände Foucaults Werk eng verbunden bleibt, obwohl das zu behandelnde Themenspektrum praktisch unbeschränkt ist. So gerate die Diskursanalyse in die Gefahr, sich selbst zu marginalisieren, indem sie als auf wenige Themen zugeschnittenes Instrument erscheine. Hinzu komme, dass Diskurs und Materialität, Diskurs und Zeit, Diskurs und Raum, Diskurs und Bild als Problemfelder bisher lediglich angeschnitten seien. Ebenso wenig thematisiert, aber grundlegend ist die Verknüpfung von Diskursen mit der Kategorie des Wandels: Wandel in Diskursen und durch Diskurse findet unzweifelhaft statt, aber wie ist er zu denken?

HILMAR SCHÄFER (Konstanz) betrachtete in seinem Vortrag die Diskurstheorie soziologisch und stellte fest, dass weniger der Wandel als vielmehr die Stabilität von Diskursen ein theoretisches Problem darstellen sollte. Foucault entwickelte Ansätze, um eine soziale Hierarchie von Wissensformen fassen zu können, thematisierte sozial diskreditiertes Wissen als „unterworfenes Wissen“, um Widerstandspraktiken zu identifizieren, die eine Verschiebung der Machtverhältnisse im Diskurs bewirken können. So werde der homogene Diskurs in eine Mehrzahl konkurrierender Diskurse aufgelöst, was eine Dynamisierung der Wissenskategorien bewirke. Notwendig sei eine praxeologisch orientierte Analyse im Rahmen des Dispositiv-Begriffs, der nicht-diskursive Praktiken und auch die Körperlichkeit des Menschen einbeziehen solle, um eine Wandelanalyse als Verschiebungsanalyse von Machtdimensionen zu ermöglichen.

MARIAN FÜSSEL (Göttingen) und TIM NEU (Münster) argumentierten zugunsten eines verstärkten Einbezugs von Akteuren in die Diskursanalyse unter praxeologischen Gesichtspunkten: Das dezentralisierte Subjekt rückt damit wieder in den Fokus historischer Diskursanalyse, unter Einbezug des bourdieuschen Habitus-Konzepts, als Kombination von Diskurs und Praxis. Der körperliche Wandel des Diskurs ausübenden Subjekts bedinge Diskrepanzen zwischen dem Diskurs und den habitualisierten Sprachschemata, hinzu komme individueller Gestaltungsspielraum in der diskursiven Praxis. Auf die Aneignungskonzepte der Diskursteilnehmer müsse also stärker eingegangen werden. In den von Foucault selbst terminologisierten Brüchen und Diskontinuitäten des Diskurses wandele sich das dem Diskurs zugrundeliegende Phänomen, nicht der Diskurs selbst; so ändere soziale Praxis auch den Diskurs. Dennoch sei die historische Diskursanalyse primär ein Instrument zur mikroskopischen Nahbetrachtung historischer Vorgänge.

ULRIKE KLÖPPEL (Berlin) behandelte Foucaults Konzept der Problematisierungsweise: Anhand des Hermaphroditismusdiskurses zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert illustrierte sie, dass in Diskursen angesprochene Probleme durch die Suche nach Lösungen diskursiven Wandel generierten. Das Problem ist nichts Naturgegebenes, sondern durch Problematisierungsweisen konstruiert. Das Problem als Element des Diskurses und die Problemgrundlage als interpretierte Faktizität stehen in keiner notwendigen Beziehung zueinander. Der Hermaphrodit wird erst in der Betrachtung zu einer Herausforderung der dualen Geschlechterordnung. Eine solche Schwierigkeit, die zu einer Problematisierung herausfordere, konstituiere sich im Ereignis, das als Element der Diskurstheorie das Zufällige der Geschichte operationalisiere, hier beispielhaft das Zusammentreffen von Mediziner und Hermaphrodit, in dessen Folge Diskurse über Problematisierungen angestoßen werden oder sich wandeln.

SILKE KURTH (Florenz) betrachtete die bildlichen Darstellungen der Mythen von Marsias, Tityos, Prometheus und Medusa im Italien des 16. und 17. Jahrhunderts, bei denen die grausamen körperlichen Strafen den Fokus bildeten. Das humanistische Bildprogramm stellt bis ins 17. Jahrhundert einen hegemonialen Diskurs dar, der den heldenhaften Siegerkörper als eine Illustration des Sieges des Guten institutionalisiert. Es lassen sich im 17. Jahrhundert Abweichungen von diesem Schema finden: Die negativen Leidensfiguren werden erstmals mit Bildelementen versehen, die zuvor dem Sieger vorbehalten waren. Das klassisch-humanistische Bildprogramm und das neue empathologische Symbolsystem der negativen Figuren seien Teile desselben Körperdiskurses, und wandelten sich mit dessen Schwerpunktverlagerung auf das eigene körperliche Erleben, das durch affektive Bilder stimuliert werden solle.

PETER-PAUL BÄNZINGER (Zürich) gab eine deskriptiv orientierte Darstellung des Wandels im Diskurs über HIV und Aids in der Schweiz der 1980er-Jahre. Von einer Betrachtung der Risikogruppen, die eine Bekämpfung durch Repression andeutet, wandelte sich der Diskurs zu einem auf Prävention zentrierten, wobei Bänzinger den Bruch Mitte der 1980er-Jahre ansiedelte. Als wichtige Akteure nahm er NGOs, Medien und Behörden in den Blick, wobei den Medien hauptsächlich eine Verstärkerrolle zukomme. Wesentlicher Akteur seien die NGOs, die ihre Ressourcen dazu nutzten, Prävention als Vorgehensweise durch Verhaltenskonditionierung stark zu machen. Motoren des diskursiven Wandels lägen im interpersonellen Netzwerk von Behörden und NGOs, in dem einzelne Wahrnehmungsänderungen aufgegriffen und multipliziert würden, bis multilineare Argumentation im Diskurs über HIV und Aids möglich würden.

DÉSIRÉE SCHAUZ (München) plädierte unter Einbeziehung Reinhart Kosellecks für einen Wandel zur Dispositivanalyse, da verschiedene historische Zeitschichten es ermöglichten, Leerstellen und Lücken in Diskursen als Wandlungspunkte zu analysieren. Das Dispositiv müsse als Set von Diskursen, Praktiken und Denkmustern gesehen werden. Machteffekte und nichtintendierte Folgen führten auf der Erfahrungsebene zu Änderungen im Diskurs. Solche Modifikationen seien Lösungen für unerwartete Erfahrungen. Im Gefängnisdiskurs komme es zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert zu Wandlungen, die durch das Entweichen der Disziplinierungsobjekte aus der Disziplinierung hervorgerufen würden, woran Reformen nichts zu ändern vermochten. Im Ende des 19. Jahrhunderts erstarkenden biopolitisch geprägten Dispositiv verschränkten sich Stagnation und Wandel.

BERNHARD SCHNEIDER (Trier) demonstrierte quantitativ wie qualitativ, dass der deutsche katholische Diskurs über Arme und Armenfürsorge starke Wandlungen erfuhr, als die Kirche durch Revolution und Säkularisation Ressourcen verlor, ihre karitativen Handlungsfelder aber gegen staatliche und philanthropische Interessen zu verteidigen versuchte. Im Fall der Barmherzigen Schwestern ist nicht nur eine deutliche Verstärkung des Diskurses nach einem Aufsatz Brentanos 1831 zu beobachten, sondern auch eine Rückprojektion der Tradition die Säkularisation als Legitimation für die Wiederbegründung des Ordens. Es handele sich um einen theologischen Spezialdiskurs, der in zwei Subdiskurse zerfalle. Im ersten werde eine Neubestimmung der Position der katholischen Kirche in der nach-revolutionären Gesellschaft versucht, im zweiten eine theologische Behandlung der Armut in Kontinuität zu frühneuzeitlichen und mittelalterlichen Argumentationen unternommen.

HENDRIK PLETZ (Köln) sprach über diskursiven Wandel durch technische Reproduktion von Aussagen. Die materiellen Grundlagen der Diskurszirkulation würden von der Diskursanalyse vernachlässigt, obwohl die Reproduktion von Aussagen für das Bestehen des Diskurses essentiell sei. Die Modifikationen von Aussagen in der materiellen Reproduktion zeigt zum Beispiel der Videorekorder auf: Durch Verfremdung und kontextunabhängige Reproduktion wird das Bild zu einem beherrschbaren Artefakt. In der ironischen Distanz verliert das ursprüngliche Diskursmotiv des verrohenden Horrorfilms an affektiver Gewalt und wandelt sich zum neutralisierten Element der Popkultur. Exakt reproduzierte Diskurse, so die These, verflachten zu Klischees und Stereotypen, nur Wandlung könne Diskurse stabilisieren. Die mediale und materielle Aufbereitung von Zeichen sei eine präfigurierende Bedingung diskursiven Wandels, auf der Ebene der Herstellung von Zeichen wie auf der semiotischen.

SONJA PALFNER (Berlin) beleuchtete die technischen Bedingungen von Möglichkeiten diskursiven Wandels am Beispiel der Brustkrebsgene. Mit der Verschiebung der Molekularbiologie zur Genetik in den 1970er-Jahren wurde eine erbgenetische Betrachtung des familiären Brustkrebses möglich, der so in den 1980er-Jahren postuliert wurde, auch wenn das vermutete Gen erst nach technischen Innovationen „hervorgebracht“ werden konnte. Damit erweise es sich als mit retrospektiv imaginierter Geschichtlichkeit aufgeladene diskursive Bedingung der Möglichkeit seiner eigenen Existenz. Praktiken, Menschen und Dinge gruppierten sich um das diskursive Gen und machten es zur Aussage. Außergenetische Ursachen seien durch die Hegemonialisierung des Gendiskurses negiert worden. Durch die Ergebnisse von Früherkennungsprogrammen habe sich der Diskurs erneut gewandelt, als die Ursächlichkeit der Gene real abnahm, so dass neue Ursachenfaktoren gesucht werden mussten.

UTE LOTZ-HEUMANN (Tucson) beschrieb die Wandlung des Kurort-Diskurses im langen 18. Jahrhundert. Im foucaultschen Sinne stelle der Kurort dieser Zeit eine Heterotopie dar, eine Projektionsfläche gesellschaftlicher Ideale jenseits des Alltags. In den Kurortratgebern trete er als diskursiver Schnittpunkt zwischen Bürgertum und Adel in Erscheinung, augenfällig im Wandel der Landschaftswahrnehmungen. Wandel könne im Diskurs graduell entstehen oder durch Gatekeeper angestoßen werden. Für den deutschen Seebäder-Diskurs wurde Lichtenberg als Gatekeeper identifiziert, der mit der Übertragung seiner England-Erfahrungen entscheidende Diskurswandlungen angestoßen habe. Beispielhaft für allmähliche Diskurswandlungen hingegen steht Karlsbad als Kurort mit andauernder Prominenz; die Eigenwerbung formulierte die negativ konnotierten Elemente der umgebenden Landschaft stetig neu, um sich in den Diskurs einzufügen, was diesen selbst wandele.

DEBORA GERSTENBERGER spürte den Mechanismen des portugiesischen Königshauses nach, die nach der Verlegung des Hofes nach Brasilien im Jahr 1807 die Wahrnehmung als Regenten eines portugiesischen Imperiums und die Herrschaft Joãos VI. aufrechterhielten. Die Polizei figurierte als maßgeblicher Akteur; als primäres Machtinstrument der Regimeerhaltung, dessen Interessen auf die Persistenz der Ordnung zielen, sei sie ein Wandelindikator. Alle Gefahren für die Ordnung wurden als ausländisch definiert, und daher versucht, den Diskurs durch Ausschluss aller „fremden“ Elemente abzuschließen. Da in Brasilien keine Opposition diskursiven Wandel generieren konnte, mussten die Individuen kontrolliert werden, in Portugal dagegen die öffentliche Meinung, erschwert durch andauernde Interaktion mit dem Ausland. Diskursiver Wandel werde hier durch die Interaktion mit anderen diskursiven Gemeinschaften angestoßen, wobei die Akteure in die Analyse einbezogen werden müssten.

GESA BLUHM legte den Fokus auf den Diskurswandel im politischen Kommunikationsraum. Das Politische sei in der Diskursforschung bislang vernachlässigt worden. Anhand der transnationalen Konstruktion der deutsch-französischen Freundschaft suchte sie nach Semantiken und Praktiken des Diskurses unter Einbezug der Akteure. Aussagen von diskursmächtigen Akteuren vermöchten den Diskurs zu wandeln. Der transnationale politische Kommunikationsraum umfasse staatliche wie nichtstaatliche Akteure, da die Fähigkeit zu politischem Handeln durch die individuellen Ressourcen bestimmt werde. Analysiert wurden Bedeutungsverschiebungen von Schlüsselworten, kommunikative Praktiken und wechselnde Machtverhältnisse der Akteure. Im politischen Bereich sei nur der dynamische Diskurs ein lebendiger; mit der Institutionalisierung und Schematisierung ersterbe das Thema emotional – die deutsch-französische Freundschaft werde zur lebensfernen Argumentationshülle, die zur Instrumentalisierung mühevoll wiederbelebt werden muss.

Bei FELIX KRÄMER wurde der Krisenbegriff theoretisch konzipiert, um operational zu sein. Krisen verwiesen auf etwas, das zunächst stabil gewesen sein soll und nun in die Krise geraten sei, sie gäben Hinweise auf kulturelle Verteilungskämpfe, schrieben sich im Erfolgsfall in die Selbstbeschreibung einer Identitätsgruppe ein. Als performative Akte dienen Krisen der Zentralisierung auf die Krisengruppe und der Reproduktion alter gesellschaftlicher Strukturen, wobei sie auch historiografisch strukturiert sind. In der Krise der Männlichkeit in den 1970er-Jahren wurden alle anderen Körper als bedrohlich angesehen, die Krise der Männlichkeit als Krise der Gesamtgesellschaft erzählt. Die Selbstentfremdung der US-Männer vom tradierten Männlichkeitsbild lasse die Analytiker zu Bestandteilen des Krisenszenarios selbst werden; die Krisenstrategie fordere durch offensive Selbstviktimisierung der Krisengruppe Aufmerksamkeit ein.

REINER KELLER verwendete eine wissenssoziologische Diskursanalyse, die einen Diskurs als System der Zeichensetzung und -verwaltung begreift, in dem Akteure mit Kreativität, Deutungs- und Handlungsfähigkeit ausgestattet sind, den Diskurs aber nicht zu kontrollieren vermögen. Der Umwelt- und Risikodiskurs wurde in den 1960er-Jahren durch Rachel Carsons „Silent Spring“ angestoßen. die sozialen Bewegungen der westlichen Hemisphäre konstruierten eine Sorge um die Umwelt. So differenzierten sich Teildiskurse aus, vom Bewegungsdiskurs habe, so Keller, die Entwicklung zum Institutionen-Diskurs geführt. Zwei Effekte wandelten dabei die Diskursarena: Die wachsende Nichteindeutigkeit wissenschaftlichen Wissens, so dass Politik zielführende Methoden selektieren musste, und das Hinzutreten neuer Sprecher, die neue Aussageforen generieren. Ereignisse würden durch die Umdeutung kultureller Konstrukte transformiert, wie die Staudammkatastrophe von Vajont 1962, die erst den institutionellen Diskurs, dann den Gegendiskurs gestützt habe.

ALEXANDER ZIEM und MARTIN WENGELER stellten eine sprachwissenschaftliche Diskursforschung vor. Ausgehend von Foucault entwickelten sie eine eigene Methodik, um die sprachliche Konstruktion von Finanzkrisen zwischen 1982 und 2003 analysieren zu können. Anhand eines virtuellen Textkorpus wird unter Zuhilfenahme von Koselleck und Jäger eine diskursive Bedeutungsanalyse sprachlicher Zeichen unternommen. Wirtschaftskrisen würden immer als nie dagewesen geschildert, was durch die Wiederholung bereits fraglich werde. Die Analyse des Textkorpus nach einzelnen Kategorien könne sich wandelnde Elemente im Diskurs identifizieren, um die Form des Wandels zu erfassen; ob der diskursive Wandel jenseits einer deskriptiven Ebene so erklärt werden könne, müssten die Ergebnisse der Untersuchung zeigen. Erste Folgerungen seien jedoch, dass der Diskurs eine Institutionalisierung und eine zunehmende Ausrichtung auf eine neoliberale Perspektive erfahre.

Die Diskussionen kreisten zumeist darum, wie sich historische Diskursanalyse in ein konkreteres und konsensfähiges theoretisches Modell gießen lässt, und welche anderen Denker hier weiterführende Angebote machen könnten. Außer Michel Foucault waren Judith Butler, Ernesto Laclau/Chantal Mouffe, Pierre Bourdieu, Gilles Deleuze, Bruno Latour, Reinhart Koselleck, Siegfried Jäger, Jaques Derrida die meistgenannten Namen. Ebenfalls in Spiel gebracht wurden Jürgen Habermas und auch Philipp Sarasin. Die Frage, wie man nun das Werk Foucaults nutzen sollte, ob interpretativ-selektiv oder in seiner Gesamtheit, ist noch offen. Allerdings steht zu bedenken, dass auch dessen Werk einen steten Wandlungsprozess aufzeichnet; er verweist selbst über sich hinaus.

Was die theoretischen Modifikationen betrifft, so ist zunächst die Rückkehr der Akteure zu nennen, wenn auch über die Form ihres Einbezugs kein endgültiger Konsens erzielt werden konnte. Korrespondierend dazu halten verstärkt praxeologische Überlegungen Einzug, als Sammelbegriff für alles Nicht-Diskursive oder als diskursive wie nicht-diskursive Handlungen gleichermaßen einbeschreibend. In diesem Kontext entspann sich eine noch nicht beendete Kontroverse um den Dispositiv-Begriff; die vorgeschlagenen Verwendungsmöglichkeiten reichten von einer Alternative zum Diskursbegriff überhaupt bis zu einer völligen Vernachlässigung als eigentlich überflüssig. Gerade, was die einzelnen Theoreme der Diskursanalyse angeht - Äußerung, Aussage, Ereignis, Diskurs, Diskursformation, Dispositiv - sind die Reichweiten, Interaktionen, Verknüpfungen und Ordnungen der jeweiligen Elemente weiterhin unbestimmt; die Diskursanalyse ist noch weit davon entfernt, ihren eigenen hegemonialen Diskurs ausgebildet zu haben, und wandelt sich beständig in sich selbst. 1

Konferenzübersicht:

Einleitung
Achim Landwehr, Diskursgeschichte und Geschichte als Diskurs

Sektion 1: Theorie, Chair Franz Eder

Hilmar Schäfer, Dynamisches Wissen und die (In)-Stabilität diskursiver Praxis

Marian Füssel / Tim Neu, Doing Discourse. Diskursiver Wandel aus praxeologischer Perspektive

Ulrike Klöppel, Foucaults Konzept der Problematisierungsweise: Ein Ansatz zur Analyse diskursiver Trans-/Formationen

Sektion 2: Körper, Chair Reiner Keller

Silke Kurth, „Quid me mihi detrahis?“ oder das Antlitz der Agonie. Personalisierung des Mythos und künstlerische Transformation des Körperdiskurses im frühneuzeitlichen Italien

Peter-Paul Bänzinger, Act Up! Konstellationen und Verschiebungen im Diskurs über Aids und HIV

Sektion 3: Führungen, Chair Reiner Keller

Désirée Schauz, Problemverarbeitung und interdiskursive Prozesse als Faktoren diskursiven Wandels in der Moderne

Bernhard Schneider, Katholische Armuts- und Armenfürsorgediskurse in Deutschland zwischen Spätaufklärung und dem Sieg des Ultramontanismus (ca. 1800-1850)

Sektion 4: Techniken, Chair Jürgen Martschukat

Hendrik Pletz, Diskursiver Wandel und technische Praxis. Differenzierende Wiederholung im medialen Dispositiv des Videorecorders

Sonja Palfner, Ereignis Aussage: Eine empirische Studie über neue Wissensordnungen und ihre spezifischen Machtwirkungen im Zeichen der Brustkrebs-Forschung der 1980er und 1990er Jahre in der BRD

Sektion 5: Räume, Chair Jürgen Martschukat

Ute Lotz-Heumann, Wie kommt der Wandel in den Diskurs? Die Heterotopie Kurort in der Sattelzeit

Debora Gerstenberger, Diskursiver Wandel und seine Wirkung auf den imperialen Raum: Das Beispiel des luso-brasilianischen Imperiums im 19. Jahrhundert

Gesa Bluhm, Diskursiver Wandel in politischer Kommunikation am Beispiel des Freundschaftsdiskurses in den deutsch-französischen Nachkriegsbeziehungen

Sektion 6: Krisen, Chair Achim Landwehr

Felix Krämer, Diskurstheoretische Reflexion des Krisenbegriffs in Geschichte und Historiografie. Der Fall Männlichkeit

Reiner Keller, Wandel von Diskursen – Wandel durch Diskurse. Das Beispiel der Umwelt- und Risikodiskurse seit den 1960er Jahren

Alexander Ziem / Martin Wengeler, Wirtschaftskrisen im Wandel der Zeit. Zur sprachlich-diskursiven Konstitution von „Krisen“ in der BRD 1982 und 2003

Abschlussdiskussion

Anmerkung:
1 Eine umfangreichere Version dieses Berichtes finden Sie unter <http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/geschichte/lehrstuehle/viii-geschichte-der-fruehen-neuzeit/forschung/tagungen/diskursiverwandel/tagungsbericht/.> (17.04.2009)


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