Königin Luise und ihre Popularität. Die Erschaffung eines Idols, 1810 bis heute

Königin Luise und ihre Popularität. Die Erschaffung eines Idols, 1810 bis heute

Organisatoren
Stadt Neustrelitz; Universität Greifswald
Ort
Neustrelitz
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.07.2010 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Dirk Mellies, Lehrstuhl für Allgemeine Geschichte der Neuesten Zeit, Universität Greifswald

Anlässlich ihres 200. Todestags fand am 17. Juli 2010 im Carolinum Neustrelitz eine Fachtagung über die Königin Luise statt. Im Mittelpunkt der Tagung stand die Analyse, wie und warum die Königin Luise im 19. und 20. Jahrhundert zu einem Idol wurde und welche Bedeutung der „Glamour“ gekrönter Häupter bis heute in Politik und Gesellschaft hat.

THOMAS STAMM-KUHLMANN (Greifswald) wies in seinem Eröffnungsvortrag darauf hin, dass Luises Tod bereits zeitgenössisch politisch interpretiert wurde. Sogar in englischen diplomatischen Berichten sei kommentiert worden, dass Luise aufgrund des schweren Loses Preußens am „gebrochenen Herzen“ gestorben sei. Ausgehend von der frühen politischen Vereinnahmung Luises ging Stamm-Kuhlmann der Frage nach, wie politisch Luise eigentlich war. Er betonte, dass sich bis 1805 kaum politische Äußerungen in den durchaus umfassend vorhandenen Briefen des Königspaars und weiteren Quellen finden ließen. Ab 1805 änderte sich dies jedoch. Luise zeigte sich nun gut über die außenpolitischen Verhältnisse Preußens informiert und scheute sich nicht, mit konkreten Empfehlungen und Ermahnungen gegenüber ihrem Ehemann Friedrich Wilhelm III. hervorzutreten. Großes Gespür wies Luise ebenfalls in ihrer Unterstützung politischer Talente aus dem Kreis der preußischen Reformer auf. Stamm-Kuhlmann betonte jedoch, dass man zwar bei Luise den abstrakten Willen zur Reform des preußischen Staates, allerdings keinerlei Zeugnisse für konkrete gesellschaftliche Reformvorhaben fände. Interessant und durchaus ein Novum sei Luises Position zur Verteidigung der Geschlossenheit des preußischen Territoriums. Mit der vehementen Ablehnung der Abtretung Schlesiens zeigte sie sich als Verteidigerin der Integrität der preußischen Nation, die durch ein gegenseitiges Treueverhältnis zwischen Monarch und Untertanen konstituiert sei.

MICHAEL LISSOK (Greifswald) zeigte, dass das Herzogshaus Mecklenburg-Strelitz ebenfalls schon mit dem Tod Luises eine wohl organisierte Erinnerungskultur in Gang setzte. Hierzu zählte neben dem inszenierten Trauerzug der Überführung des Sarges nach Berlin vor allem die Auftragskunst Christian Daniel Rauchs und Christian Philipp Wolffs. Das Sterbezimmer Luises (eigentlich das Arbeitszimmer ihres Vaters Herzog Karl) wurde in dem Zustand des Todeszeitpunkts konserviert und erst ab 1834 mit zusätzlichen künstlerischen Elementen ausgestattet. 1815 hatte die Familie schon im Schlosspark den so genannten Luisentempel errichten lassen. Vom kunstgeschichtlichen Standpunkt betonte Lissok, dass die Auftragskunst des Herzogshauses (Büste, Grabplastik, Ganzfigurenportrait von Georg Kannegießer) unter der Regierungszeit des Großherzogs Georg durchaus auf der Höhe ihrer Zeit war, während die Auftragskunst in der Folgezeit seit den 1860er-Jahren wenig inspirierend sei.

LUISE SCHORN-SCHÜTTE (Frankfurt am Main) betonte in ihrem Vortrag, dass alle nationalen Geschichtserzählungen von Mythen geprägt seien und es die Aufgabe von Historikern sei, die Funktion derartiger Legenden aufzudecken. Die spezifische Luisengedenkkultur in Deutschland sei 1945 radikal abgebrochen worden. Für den Zeitraum bis 1945 gebe es jedoch zwei Traditionsstränge der Luisenerinnerung. Die erste ältere Form der Erinnerung trage durchaus progressive Elemente. Luise werde hier als Integrationsfigur der patriotischen Nationalbewegung wahrgenommen. Luise habe mit ihrer Mode, ihrer Ehe- und Familienauffassung und ihrer ostentativen Nähe zum Bürgertum zum Abbau der Standesschranken beigetragen. Hierdurch konnte sie nach ihrem Tod zur Symbolfigur derjenigen werden, die eine „bürgerliche Monarchie“ anstrebten. Mit der Reichsgründung von 1870/71 und spätestens mit den Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag (1876) setzte sich jedoch die „imperiale Erinnerung“ durch. Nicht mehr die teilhabende Luise, sondern die leidende Luise in ihrer Funktion als Mutter sei nun bei Treitschke und anderen Historikern in den Mittelpunkt gerückt worden. Stereotypisch sei beispielsweise das oft kolportierte Bild des von seiner Mutter Abschied nehmenden späteren Kaisers Wilhelm I., der 1871 nach dem Sieg über Frankreich wieder zum Sarkophag zurückkehrte. In der Weimarer Republik und in der NS-Zeit dominierte weiterhin die „imperiale Erinnerung“, die unter anderem im der DNVP-nahestehenden Königin-Luise-Bund gepflegt wurde. In der BRD und DDR wurde Luise in zaghaften Zügen erst in den 1980er-Jahren und dann vor allem nach dem Preußenjahr 2001 wiederentdeckt.

In der folgenden Diskussion zur ersten Sektion führte Schorn-Schütte aus, dass eine heutige Würdigung Luises reduziert auf ihre Schönheit und Jugendlichkeit unnötig sei. Da Luises Annäherung ans Bürgertum jedoch einen Brückenschlag zu reformerischen Ideen und zur konstitutionellen Traditionslinien böte, sehe sie am ehesten hier Anknüpfungspunkte einer Würdigung. Stamm-Kuhlmann betonte dagegen, dass man Tendenzen zu Schlichtheit und Empfindsamkeit zeitgenössisch auch anderswo im Adel fände. Auf die Frage nach anderen bedeutenden preußischen Königinnen erklärte Stamm-Kuhlmann, dass er etwa die Kaiserin Augusta und vor allem die Kaiserin Victoria im modernen Sinn weitaus eher als „emanzipiert“ bezeichnen würde als Luise.

In der zweiten Sektion präsentierte ULRIKE GRUNEWALD (Redaktion Zeitgeschehen, ZDF) einen Ausschnitt aus der ZDF-Dokureihe „Königliche Hochzeiten“, um im Folgenden den hohen Quotenerfolg royaler Fernsehsendungen darzulegen. Das Interesse an derartigen Themen sei generationsübergreifend. Bausteine des Erfolgs seien, dass das königliche Leben einerseits als „märchenhaft“ und „mysteriös“, andererseits jedoch auch in „inszenierter Nähe“ wahrgenommen werde. Die Zuschauer wollten am Innenleben der Royals teilhaben. Die spätestens seit dem Tod von Prinzessin Diana professionalisierten PR-Abteilungen der europäischen Königshäuser ständen heutzutage vor der schwierigen Aufgabe den schmalen Grad zwischen Distanz und Nähe zu wahren, der für die Popularität der Royals notwendig sei. Die Überredung der britischen Queen durch den damaligen Premierminister Tony Blair, sich nach dem Tod von Lady Di öffentlich zu äußern, sei für das Überleben der Monarchie immens wichtig gewesen, genauso wie es die wohldosierten PR-Auftritte von Prinz William heutzutage seien. Ansonsten wies Grunewald noch einmal ausdrücklich auf die Parallelen der Verehrung Dianas und Luises hin, die auch dadurch wesentlich begründet würden, dass beide als junge und schöne Frauen gestorben seien.

Danach folgte ein politikwissenschaftlicher Vortrag von HUBERTUS BUCHSTEIN (Greifswald). Vergleichend ging dieser der Fragestellung nach, ob in Monarchien eine geringere Wahlbeteiligung herrsche als in Republiken bzw. ob eine geringere Zufriedenheit mit der Demokratie feststellbar sei. Hierzu engte Buchstein den Kreis der weltweit noch 29 existierenden Monarchien auf 10 europäische Staaten ein, die er mit den westlichen Republiken (ohne die Staaten des früheren Ostblocks) verglich. Interessantes Ergebnis der Studie sei, dass sowohl bei nationalen Wahlen, als auch bei Umfragedaten zur Demokratiezufriedenheit die Monarchien in Europa signifikant besser abschnitten als die Republiken. Entpolitisierende Effekte der modernen parlamentarischen Monarchien Europas seien also nicht festzustellen. Buchstein führte des Weiteren den aus der Monarchieforschung stammenden Terminus der Monarchie als „psychologischer Staatsform“ ein. Er wies außerdem darauf hin, dass sich seit dem prominenten Fall des spanischen Königs Juan Carlos I. nach 1945 kein europäischer Monarch mehr in einem besonderen Maß politisch betätigt habe. Umso bemerkenswerter sei die enorme Anpassungsfähigkeit der Monarchien, die trotz fortschreitender nun auch über den Weg der Heirat stattfindender Verbürgerlichung und der zunehmenden Konkurrenz anderer „Celebrities“ überraschend erfolgreich seien.

In der abschließenden Diskussionsrunde betonte MdL MICHAEL KÖRNER (Neustrelitz) die gegenwartbezogenen Motive einer Beschäftigung mit Luise in der Region Mecklenburg-Strelitz. Hierüber könne regionale Identität geweckt werden, die aufgrund der neuen Kreis- und Gebietsreform bedroht werde. PHILIPP DEMANDT (Kulturstiftung der Länder, Berlin) wies erneut darauf hin, dass man keine Zeugnisse finde, die Luise ein konkretes Interesse an inneren gesellschaftlichen Reformen in Preußen bescheinigten. Einer etwaigen kontrafaktischen Legendenbildung, inwieweit sich die preußische Geschichte anders entwickelt hätte, wenn Luise länger gelebt und damit einen nachhaltigeren Einfluss auf ihre Söhne ausgeübt hätte, erteilte Demandt eine Abfuhr. Gerade weil Luise so früh als schöne und junge Königin gestorben sei, sei sie zu der „Sehnsuchtsplattform“ avanciert, die sie bis 1945 bei vielen Deutschen ohne Zweifel war. Buchstein stellte an dieser Stelle wieder den Vergleich zu modernen „Celebrities“ an. Nicht nur bei Lady Di, auch bei den ebenfalls früh verstorbenen Stars James Dean, Buddy Holly und anderen gäbe es ähnliche Muster der Erhebung zum Idol. Grunewald betonte abschließend, dass sich anhand der hohen Einschaltquoten royaler TV-Sendungen keinesfalls eine Affinität zur Monarchie ablesen lasse.

Stamm-Kuhlmann ging in seinem Schlusswort noch einmal auf das grundsätzliche Schicksal der Monarchie in Deutschland und Europa ein. Während die noch heute bestehenden Monarchien ihre Macht sukzessive den Parlamenten abtraten und sich damit dem demokratischen Geist der Zeit erfolgreich anpassten, entschied sich im 19. Jahrhundert die Hohenzollerndynastie für die Macht, was freilich 1918 zum Sturz aller deutscher Herrschaftsdynastien führte.

Konferenzübersicht:

Begrüßung durch MdL Michael Körner, Grußworte des Staatssekretärs für Bundesangelegenheiten und des Bevollmächtigten des Landes Mecklenburg-Vorpommern beim Bund, Thomas Freund, sowie dem Landrat des Kreises Mecklenburg-Strelitz, Heiko Kärger.

Thomas Stamm-Kuhlmann (Greifswald): Königin Luise, die Reformer und die Befreiungskriege: Die Legende und ihr realer Kern.

Michael Lissok (Greifswald): Das Haus Mecklenburg-Strelitz und die Verklärung der
Königin Luise.

Luise Schorn-Schütte (Frankfurt am Main): Die Königin Luise und ihre Instrumentalisierung im 20. Jahrhundert.

Ulrike Grunewald (Redaktion Zeitgeschehen, ZDF): Warum faszinieren uns gekrönte Häupter noch heute?

Hubertus Buchstein (Greifswald): Führt Monarchieseligkeit zur Entpolitisierung?

Podiumsdiskussion mit Hubertus Buchstein, Philipp Demandt (Kulturstiftung der Länder, Berlin), Ulrike Grunewald, Michael Körner und Michael Seidel (Moderation, Nordkurier).

Exkursion zur Luisengedenkstätte Schloss Hohenzieritz.


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