Als augenfällige, wenn auch nicht geographische Mitte der Iberischen Halbinsel mit einer durchgängigen Siedlungskontinuität, geprägt von keltiberischer, römischer, westgotischer, arabischer und schließlich neuzeitlich-spanischer Kultur, bot sich Toledo – das antike Toletum – als ein passender Namensgeber für das Projekt einer Netzwerkgründung geradezu an. So spiegelt die Stadt gleichsam als Stellvertreterin der sich für diesen Raum auf rund ein Jahrtausend bemessenen Antike (von der einsetzenden Präsenz Roms im 3. Jahrhundert v. Chr. bis zur arabischen Eroberung im frühen 8. Jahrhundert n. Chr.) gut die Möglichkeiten wieder, hier interdisziplinäre Ansätze vor allem – aber nicht ausschließlich – der Altertumswissenschaften zu vereinen. Dementsprechend fanden neben althistorischen und klassisch-archäologischen Themen auch Rezeptions- und Forschungsgeschichte, Christliche Archäologie und die Nutzung moderner Medien in Forschung und Lehre in den Vorträgen ihren jeweiligen Platz. Die Veranstaltung im Hamburger Warburg-Haus war als Workshop konzipiert und sollte zuvörderst Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern die Gelegenheit geben, Arbeitsfortschritte und Ergebnisse zu präsentieren sowie sich auszutauschen.
Der Nachmittag und Abend des 22. Oktobers standen unter dem Thema „Antike in der Moderne – die Iberische Halbinsel im Fokus der Forschung“. In Form eines Überblicks über das „Forschungsfeld Iberische Halbinsel“ stellte einleitend SABINE PANZRAM (Alte Geschichte / Hamburg) dar, dass das aktuelle Bild der seit einigen Jahren aufblühenden „Stadtarchäologie“ in Spanien und Portugal mit seinem quantitativ wie qualitativ bemerkenswerten Reichtum an Befunden eben ein noch nicht lange währendes ist. Trotz der Sichtbarkeit monumentaler Bauten wie z.B. des Amphitheaters von Augusta Emerita und der Entdeckung der Vesuvstädte unter der Ägide des seinerzeit spanischen Königshofes in Neapel setzte in Spanien selbst eine wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Zeugnisse erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein. Da unter Franco allein die westgotischen Überreste als Zeugnisse einer „urspanischen“ Vergangenheit interessierten, in der sich das Land zum ersten Mal geeint und katholisch präsentierte, geriet die klassische Antike erst wieder mit der „transición“ in den Blick - nämlich als die Vergangenheit als Provinz des Imperiums buchstäblich die Zukunft als Region der Europäischen Gemeinschaft ermöglichen sollte.
Ein markantes Beispiel für jene jüngere Aufmerksamkeit gegenüber dem Fortleben antiker Hinterlassenschaften bis in die Gegenwart stellte MARKUS TRUNK (Klassische Archäologie / Trier) mit der durch das spanische Wissenschaftsministerium geförderten internationalen Forschergruppe „Antiguo o moderno. Encuadre de la escultura de estilo clásico en su período correspondiente“ vor. Ihr Augenmerk liegt auf Sammlungen, die sich über die gesamte Iberische Halbinsel verstreut in Palazzos oder Kastellen finden lassen - wie jüngst im Palacio de Cogolludo (Guadalajara): Hier wurden in der Fundamentierungsschicht des Hofgebäudes Skulpturen aufgefunden, die ihre Besitzer in Zeiten der napoleonischen Besatzung offenbar hatten retten wollen. Die gut erhaltenen, teils lebensgroßen antiken Originale sollen jetzt angemessen aufgearbeitet werden.
Die Tradition internationaler Zusammenarbeit in dieser Region des Mittelmeerraums im Bereich der Altertumswissenschaften skizzierte die 1. Direktorin des Deutschen Archäologischen Instituts Madrid, DIRCE MARZOLI: „Geschichte und Wirken des Deutschen Archäologischen Instituts auf der Iberischen Halbinsel von 1943/1954 bis heute“. Die Etablierung eines „Stützpunktes“ im Jahre 1943 in der spanischen Hauptstadt ist eng mit der Person des Frühmittelalter-Archäologen Helmut Schlunk verbunden, der nach der Wiedereröffnung 1954 als Direktor die Zusammenarbeit zwischen deutschen und spanischen Altertumswissenschaftlern entscheidend prägte. Die Kontinuität hinsichtlich der Vielfalt der Forschungen spiegeln die exemplarisch vorgestellten Projekte wie die kupferzeitliche Hangsiedlung von Zambujal (Extremadura/Portugal), das Munizipium Munigua (Provinz Sevilla) im Zentrum einer Bergwerksregion oder eine phönizische Faktorei auf der vor Marokko gelegenen Insel Mogador – letztgenanntes Beispiel zeigt, dass altertumswissenschaftliche Zusammenarbeit politische Differenzen oder gar kontinentale Grenzen überwinden kann.
Nach diesem forschungsgeschichtlichen Auftakt gehörte der Vormittag des 23. Oktobers den Referentinnen und Referenten, die sich thematisch im Gebiet der „Iberischen Halbinsel zwischen Republik und formativer Phase (3. Jahrhundert v. Chr. – 1. Jahrhundert n. Chr.“ bewegen. JANINE LEHMANN (Klassische Archäologie / Köln) stellte die Frage „Republikanische capitolia auf der Iberischen Halbinsel?“ mit Blick auf die Beispiele Italica, Carteia, Sagunt, Baelo Claudia und Pollentia. Sie tendiert überwiegend zu einer vorsichtigen Zuordnung. Oft genug scheint ihr allein die markante Lage im Kontext einer Platzanlage und die teils lediglich rekonstruierbare Annahme einer mehrgliedrigen Cella für die Identifikation als Kapitolstempel gedient zu haben. Gerade in den nicht ursprünglich römischen Gründungen könnte es sich bei den ergrabenen Bauten um architektonische Mischformen handeln, die, wenn es Tempel waren, auch nicht per se die kapitolinische Trias beheimatet haben müssen – Synkretismen lokal verehrter oder von Phöniziern und Griechen etablierter Gottheiten wären durchaus denkbar.
Aus dem Kontext seiner Studie zur frühkaiserzeitlichen Expansion in den nördlichen Provinzen stellte FELIX BARTENSTEIN (Alte Geschichte / Göttingen) unter dem Titel „Augustus in Nordspanien – Konflikt und Ordnung“ dar, wie und mit welchen Folgen sich der Princeps militärisch in Hispanien engagierte. Sowohl das direkte militärische Vorgehen als auch anschließende administrative Maßnahmen in Hispanien sieht er als „Testläufe“ für spätere Provinzialisierungsprojekte, da insbesondere das schwierige Terrain und die gut organisierte indigene Bevölkerung den Römern in der Alpenregion und jenseits der Rheingrenze ähnliche Schwierigkeiten bereiteten. Zu fragen bleibt, ob sich in diesem Zusammenhang bereits die Möglichkeit ergab, die militärischen Hinterlassenschaften der Bürgerkriege durch Dezentralisierung, Gründung von Veteranenkolonien etc. systematisch zu regeln.
Im Folgenden plädierte CAROLINE BERGEN (Alte Geschichte / Hamburg), antiken Hafenanlagen, ja dem „Hafenstadtindividuum“ (F. Pirson), größere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen: „Tarraco und Carthago Nova. Zwei Hafenstädte in der Provinz Tarraconensis“. Nicht allein auf Plänen und medial aufbereiteten Rekonstruktionen, wie es sie gerade für Tarraco in der Frühen Kaiserzeit zahlreich gibt, gerate die Hafengegend leicht aus dem Blickfeld oder nehme sich angesichts des architektonischen Reichtums der Provinzhauptstadt erstaunlich blass aus. Im Mittelpunkt ihrer vergleichenden Fallstudien steht die Frage, ob das Prinzip der imitatio Romae auch auf Hafenanlagen zu übertragen ist, also die hauptstädtischen Häfen Puteoli, Ostia und etwas später Portus in ihrer Anlage Vorbildcharakter für die Provinzen hatten und über die naturräumlichen Gegebenheiten hinausgehend, die Größe, Lage und Ausbaunotwendigkeit eines Hafens bedingten.
Nachmittags stand „Die Iberische Halbinsel zwischen den Jahrhunderten der Transformation und der Spätantike (4. Jahrhundert n. Chr. – 711)“ im Blickfeld. Zunächst stellte JUDITH VÉGH (Alte Geschichte / Heidelberg) die Frage nach den Besonderheiten, die für „Die Christianisierung Hispaniens, 4.-7. Jahrhundert“ möglicherweise prägend waren. Die Annahme eines provinzialen „Sonderwegs“ bezüglich einer schnellen Verbreitung und tiefen Verwurzelung des Christentums – angefangen bei der nicht unumstrittenen missionarischen Tätigkeit des Paulus – sei auf der Basis einer Zusammenschau der literarischen, epigraphischen und archäologischen Zeugnisse zu relativieren. Als entscheidend erweise sich in diesem Zusammenhang der Vergleich mit den benachbarten südgallischen und nordafrikanischen Provinzen, denen durch ihre markanten Bischofssitze und die dort wirkenden Persönlichkeiten ein besonderer Einfluss auf die Christianisierung der lateinischsprachigen Reichshälfte nachzusagen ist.
Verbindende Momente zwischen den westlichen Provinzen sieht auch BEATE BRÜHLMANN (Klassische Archäologie / Trier) hinsichtlich der „Römischen Villen in Hispanien und Gallien. Eine vergleichende Untersuchung zur Architektur und Funktion römischer Prachtvillen im Westen des Römischen Reiches“. Für den Zeitraum vom 2. bis zum 4. Jahrhundert n. Chr. kann man eine Vielzahl größerer Villenanlagen nachweisen, an denen sich eine große Variationsbreite von Bautypen erkennen lässt. Generell scheint ein provinzübergreifend hoher Ausstattungsluxus stark ausgeprägt gewesen zu sein. Oft unabhängig von den lokalen klimatischen Verhältnissen, welche bei kleineren Gehöften nicht selten funktionale architektonische Lösungen bedingten, legten die Besitzer jener hochkaiserzeitlichen „Luxury Villas“ wie Nennig oder Montmaurin vorrangig Wert auf den repräsentativen Charakter der Bauten.
Einem Grabungsbefund einen möglichst namhaften Besitzer zuzuordnen ist wünschenswert, aber nicht immer nachzuvollziehen, musste BENJAMIN WOLTER (Alte Geschichte / Hamburg) mit einem kritischen Blick auf „Konstantinopel in Hispanien? Die so genannte Villa des Maternus in Carranque“ feststellen. Er „dekonstruiert“ die These, die als Besitzer der Villenanlage in der Provinz Toledo auf der Basis ergänzter Inschriften Maternus Cynegius, den Prätorianerpräfekten des Ostens unter Theodosius, favorisiert. Die von Zosimus erwähnten weitreichenden Kompetenzen jenes Cynegius beim Verbot der heidnischen Kulte und die Überführung seiner sterblichen Überreste nach Spanien lassen ein besonderes Vertrauensverhältnis zum gleichsam aus Spanien stammenden Kaiser erahnen und machen eine Residenz des östlichen Gewährsmannes eben dort nicht unwahrscheinlich – gerade dann, wenn man die kurzfristigen Bemühungen von Theodosius um eine erneute Reichseinheit berücksichtigt.
An den Ort, der Pate für den Workshop stand, führte zum chronologischen Abschluss JENNY ABURA (Christliche Archäologie und Byzantinische Kunstgeschichte / Göttingen) mit ihrer Studie über „Die westgotenzeitlichen Kapitelle von Toledo“. Sie stellte beispielhaft Stücke aus ihrem Katalog von insgesamt 101 Kapitellen vor, den die Vortragende als Materialbasis für weitere Vergleiche an anderen Orten im westgotischen Einflussbereich konzipiert hat. Die Einteilung in insgesamt sieben Gruppen von Kapitellen erfolgte vorrangig nach stilistischen Kriterien, da Spolisierung und Erhaltungszustand chronologisch genauere Einordnungen nur in Ausnahmefällen zulassen. Die fehlende Kontextualisierung verhindert bislang eine klare Einschätzung des vom einstigen westgotischen Zentrum Toledo ausgehenden Einflusses auf andere Städte in Fragen stilistischer Entwicklung; gleichwohl lassen sich einige Kapitelltypen bislang nur in Toledo selbst fassen.
Der letzte Vortrag schlug den Bogen zur „Moderne in der Antike – die Iberische Halbinsel im Fokus moderner Medien“. Als Vertreterin eines intensivierten und verantwortungsvollen Einsatzes moderner Medien in der Lehre präsentierte sich ANGELIKA MEIER (Alte Geschichte / Hamburg) mit der Fragestellung „Net Generation: Historie als Podcast?“ Den Mehrwert im Einsatz von Podcasts sieht sie, wenn diese individuelles und mobiles Lernen fördern, eine Visualisierung von Lerninhalten ermöglichen oder in Form von „Blended Learning“ auch außerhalb des seminaristischen Betriebes eine parallele bzw. nachträgliche stoffliche Auseinandersetzung erleichtern. Idealiter sollten sie zudem von Studierenden selbst produziert werden, die somit zusätzlich Einblick in ein mögliches Berufsfeld gewinnen, und zwar z.B. auf einer Exkursion, die in diesem Fall in das zentralspanische römische Munizipium Segobriga führte.
Die rege Diskussion der verschiedenen Qualifikationsarbeiten lieferte augenfällige Belege für die Fruchtbarkeit interdisziplinärer Arbeit in altertumswissenschaftlichen Fächern – kaum eine althistorische Fragestellung, die auf der Iberischen Halbinsel nicht auch auf archäologische Befunde zurückgreifen müsste bzw. vice versa und dementsprechend methodischer Reflektion bedürfte. „Toletum“ eröffnete seinen jetzigen und künftigen Teilnehmern mindestens ebenso vielerlei wissenschaftliche Zugänge, wie es der antike Straßenknotenpunkt gleichen Namens gegenüber den unterschiedlichsten kulturellen Einflüssen getan hat. Wenn sich italische, gallische und nordafrikanische Architektur sowie östliche Religionen und Repräsentationsformen auf der Iberischen Halbinsel in unterschiedlichster Ausprägung niederschlagen konnten, dürften Pyrenäen und Mittelmeer schon in frühster Zeit und dann durchgängig bis weit in die Spätantike hinein weniger eine begrenzende als eher eine verbindende Funktion gehabt haben – eine Tradition, die sich zum einen in den im Rahmen des Workshops zu Tage tretenden Forschungsinteressen von Wissenschaftlern aus Mitteleuropa spiegelt und die zum anderen in einer unverzichtbaren Institution wie dem DAI zu fassen ist. Alle Teilnehmenden waren sich einig, dass die online-Präsenz1 lediglich der Überbrückung der Zeit bis zum nächsten Workshop dient: „Toletum II“ ist bereits in Planung!
Konferenzübersicht:
Sabine Panzram / Markus Trunk: Begrüßung
„Antike in der Moderne“ – die Iberische Halbinsel im Fokus der Forschung
Sabine Panzram (Alte Geschichte / Universität Hamburg - Deutsches Archäologisches Institut Berlin-Madrid): „Un nudo más difícil de desatar que el Gordiano” – Forschungsfeld Iberische Halbinsel
Markus Trunk (Klassische Archäologie / Universität Trier): Die Forschergruppe „Antiguo o moderno. Encuadre de la escultura de estilo
clásico en su período correspondiente”
Dirce Marzoli (Vor- und Frühgeschichte / 1. Direktorin Deutsches Archäologisches Institut Madrid): Geschichte und Wirken des Deutschen Archäologischen Instituts auf der Iberischen Halbinsel von 1943/1954 bis heute: Ein Überblick
Die Iberische Halbinsel zwischen Republik und „formativer Phase“ (3. Jh. v. Chr.–1. Jh. n. Chr.)
Janine Lehmann (Klassische Archäologie / Universität zu Köln): Zur Architektursprache spätrepublikanischer-frühkaiserzeitlicher Städte auf der Iberischen Halbinsel
Felix Bartenstein (Alte Geschichte / Georg-August-Universität Göttingen): Augustus in Nordspanien – Konflikt und Ordnung
Caroline Bergen (Alte Geschichte / Universität Hamburg): Tarraco und Carthago Nova. Zwei Hafenstädte in der Provinz Tarraconensis
Die Iberische Halbinsel zwischen den „Jahrhunderten der Transformation“ und der Spätantike (4. Jh. n. Chr. –711)
Judith Végh (Alte Geschichte / Universität Heidelberg): Die Christianisierung Hispaniens, 4.-7. Jh.
Oliver Kreis (Alte Geschichte / Universität Hamburg): Ossius von Corduba und Konstantin der Große. Welchen Einfluss hatte der Bischof auf den Kaiser? (ausgefallen)
Beate Brühlmann (Klassische Archäologie / Universität Trier): Römische Villen in Hispanien und Gallien. Eine vergleichende Untersuchung zur Architektur und Funktion römischer Prachtvillen im Westen des Römischen Reiches
Benjamin Wolter (Alte Geschichte / Universität Hamburg): Konstantinopel in Hispanien? Die so genannte Villa des Maternus in Carranque
Jenny Abura (Christliche Archäologie und Byzantinische Kunstgeschichte / Georg-August-Universität Göttingen ): Die westgotenzeitlichen Kapitelle von Toledo
„Moderne in der Antike“ – die Iberische Halbinsel im Fokus moderner Medien
Angelika Meier (Alte Geschichte / Universität Hamburg): Net Generation: „Historie als Podcast“?
Anmerkung:
1 <http://www.toletum-network.com> (17.11.2010).