Anlässlich der Beendigung der ersten Projektphase des Schleswig-Holsteinischen und Hamburgischen Klosterregisters/Klosterbuchs fand am 4. und 5. November 2010 in der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek zu Kiel eine Tagung zu Klöstern, Stiften und Konventen nördlich der Elbe statt. Die unter der Leitung von Oliver Auge und Katja Hillebrand stattfindende Tagung widmete sich dem gegenwärtigen Stand der Klosterforschung in Schleswig-Holstein, Nordschleswig sowie den Hansestädten Lübeck und Hamburg. Ziel war es, den Autoren des Klosterbuchs und der interessierten Öffentlichkeit ein Forum zum Wissensaustausch und zur Erörterung des bisher Erarbeiteten sowie zur Absteckung künftiger Forschungsfelder zu bieten. Dabei wurde interdisziplinär unter Beteiligung der Mediävistik, Kunstgeschichte, Archäologie und Theologie sowohl die Klosterlandschaft des genannten Raumes in den Blick genommen, als auch anhand einzelner Klöster spezifischen Fragestellungen nachgegangen.
Eröffnet wurde die Tagung durch Grußworte des Präsidenten der Christian-Albrechts-Universität und wissenschaftlichen Beirats des Projekts, Gerhard Fouquet und durch Grußworte des Gastgebers, des Direktors der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek, Jens Ahlers.
Nach einer Einführung in das Tagungsthema durch Oliver Auge skizzierte KATJA HILLEBRAND (Kiel) im ersten Vortrag die bisherige Forschungsgeschichte der monastischen Niederlassungen nördlich der Elbe von den Chroniken des ausgehenden 16. Jahrhunderts über quellenkundliche Editionen des 18. Jahrhunderts bis hin zu archäologischen Untersuchungen ab 1945. Hinsichtlich des Denkmal- und Inventarbestands konstatierte sie eine starke Dezimierung, die noch im 19. Jahrhundert durch Abrisse klösterlicher Bauten in Hamburg und Lübeck verstärkt worden sei. Im 20. Jahrhundert habe schließlich ein erweitertes Bewusstsein für die stadthistorische Relevanz dieser Gebäude eingesetzt, was zu einer Neubeurteilung unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten führte.
Der Genese und Gestalt der Sakrallandschaft nördlich der Elbe galten die Ausführungen von ENNO BÜNZ (Leipzig). Er schilderte den Aufbau und die allmähliche Konsolidierung der Bistums- und Pfarreiorganisation. Insbesondere letztere sei neben den Klöstern als drittes Element Grundlage einer in die Breite gehenden Christianisierung gewesen. Dabei betonte Bünz die regionale Differenzierung der erst im 12. und 13. Jahrhundert endgültig etablierten kirchlichen Strukturen.
REIMER HANSEN (Berlin) betrachtete in seinem Beitrag die Klöster Dithmarschens und zeigte, dass erstaunlicherweise hauptsächlich Mendikantenorden im Land dauerhaft Fuß fassen konnten. Charakteristisch sei zudem, dass die Klöster als Institutionen des Landes galten: Für periodische Beden aus dem Land gelobten die Klöster liturgische Dienste und bildeten so Heils- und Schutzinstitutionen, die gleichermaßen sowohl der Seelsorge als auch der Landesverteidigung dienen sollten.
Der Beitrag von OLIVER AUGE (Kiel) umfasste Landesherrschaft, Kloster und Stift. Dabei ging er zunächst auf die Stiftung und Privilegierung der monastischen und klerikalen Einrichtungen ein, um danach ihre Funktion als Grablegen und Memorialorte sowie als dynastische Versorgungstätten zu untersuchen und nach ihrer Instrumentalisierung für herrschaftliche Zwecke zu fragen. Als Spezifika des untersuchten Raums identifizierte er die vergleichsweise schwach ausgeprägte Einflussnahme der schleswig-holsteinischen Landesherrschaft auf die Stifte und Klöster und die fehlende Herausbildung eines Hausklosters. Ein Grund dafür sei die schwache politisch-ökonomische Situation der Landesherrschaft gewesen, welche auch die wenigen Zeugnisse der Repräsentation in den wechselseitigen Beziehungen erklären könne. Diese stellte Auge abschließend vor.
Der wirtschaftshistorische Vortrag von JOHANNES ROSENPLÄNTER (Kiel) ging insbesondere am Beispiel des Benediktinerinnenklosters Preetz der Fragestellung nach, auf welche Ressourcen Konvente im späten Mittelalter zurückgreifen konnten und wie einzelne Einkommensarten verwaltet wurden. Die Frage, inwieweit die zentrale Einkommensquelle der Grundherrschaft als wirtschaftlicher Impulsgeber wirkte, setzte Rosenplänter dabei in Beziehung zur eigenen klösterlichen Wirtschaftstätigkeit in Agrarwesen und Gewerbe und zeigte, dass Klöster gezielt wirtschaftliche Ressourcen mobilisieren und auf konjunkturelle Schwankungen reagieren mussten, um die laufenden Kosten des Klosteralltags absichern zu können.
KERSTIN SCHNABEL (Wolfenbüttel) widmete sich in ihrer Darstellung den Klosterarchiven und -bibliotheken. Neben den Ordnungs- und Verwaltungsstrukturen schilderte sie dezidiert Motive, Ziele und Gebrauch klösterlicher Schriftlichkeit und wies den Einfluss der Klosterreformen im Schriftgut der schleswig-holsteinischen Klöster nach.
Der gut besuchte öffentliche Abendvortrag von UWE ALBRECHT (Kiel) hatte die Denkmaltopographie der Klosteranlagen zum Thema. Zwar ließe sich ein bedeutender Verlust an Baudenkmälern und Inventaren zu den Klöstern nördlich der Elbe konstatieren, doch könne man am Erhaltenen erkennen, dass die Niederlassungen nicht nur künstlerische und bauliche Impulse empfingen, sondern auch Innovationen boten. So hätten die großen Backsteinklosterkirchen des 12. und 13. Jahrhunderts aus den sächsischen Vorbildern eigenständige, dem neuen Baustoff Backstein entsprechende Formdetails entwickelt, orientiert an den großen Stilentwicklungen. Darüber hinaus hätten die Klöster seit dem frühen 14. Jahrhundert als große Auftraggeber die Etablierung geschulter Werkstätten ermöglicht, die schließlich am Vorabend der Reformation dem internationalen künstlerischen Standard entsprachen.
Einführend zur vormittäglichen Exkursion des zweiten Tagungstags zum Kieler Franziskanerkloster skizzierte UWE ALBRECHT (Kiel) neben einem geschichtlichen Abriss dieser landesherrlichen Klostergründung durch den Schauenburger Grafen Adolf IV. die Baugeschichte der Klosterkirche. Anhand von Aufmaßen und Grundrissen des 19. und 20. Jahrhunderts erläuterte er die heute nur noch archäologisch zu erfassende Klosterkirche und ihre bauhistorische Stellung im Kontext der spätgotischen Formensprache und darüber hinaus auch als bevorzugte Begräbnisstätte des holsteinischen Adels.
Vor Ort erklärten DIRK JONKANSKI (Kiel) und DIETHELM HOFFMANN (Kiel) die Einbindung der denkmalgeschützten Klausuranlage in die moderne Stadttopographie nach dem Wiederaufbau der kriegszerstörten Innenstadt. Dabei ging Jonkanski auf die jüngsten Bemühungen ein, die Fundamentreste der Klosterkirche in die neue Platzgestaltung zu integrieren und die Kirche im Stadtbild wieder erfahrbar zu machen. Hoffmann stellte für den Kreuzgang und das Refektorium im erhaltenen Westflügel das konzeptionelle Vorgehen während der letzten Restaurierungsmaßnahmen vor. Vorrangig sei es gewesen, die klösterlichen Räume in ihrer ehemaligen schlichten Gestaltung durch zurückhaltende Sanierungseingriffe in die Bausubstanz zu erhalten.
Anschließend erklärte ROMAN JANSSEN (Herrenberg) das Bildprogramm des sich heute in der Kieler St. Nikolai-Kirche befindlichen Altarretabels der Franziskanerkirche. Anhand einer vorgenommen Wandlung der Altarretabelflügel vor Ort erläuterte Janssen die Altarwandlung in den zwei Festkreisen des Jahres. Janssen machte deutlich, dass die zentralen szenischen Darstellungen zum Marienleben, die auch das seltene Motiv der Verlobung Mariens beinhalten, die Intention des der Observanz zugewandten Konvents verdeutlicht: eine Hinwendung zur Armut und Demut gemäß den Ausführungen des Ordensheiligen Bernhard von Siena, der im Rahmen der Observanz eine herausgehobene Stellung genoss.
KLAUS-JOACHIM LORENZEN-SCHMIDT (Hamburg) präsentierte im Anschluss an die Exkursion in einem Forschungsbericht Informationen zu den Mitgliedern der Mendikanten- und Feldklöster, welche er bis jetzt im Rahmen seines Projekts zur Erfassung aller Kleriker in Nordelbien quellenkundlich identifizieren konnte. Zwar sei das klösterliche Material insgesamt disparat, doch könne insbesondere in den großen Städten auf weiteres Quellenmaterial zurückgegriffen werden. Lorenzen-Schmidt verwies auf die Möglichkeit, personelle Einzugsgebiete der Klöster rekonstruieren zu können. So seien nachweislich Hamburgische Bürgertöchter in Harvestehude, Uetersen, Neukloster bei Buxtehude, Reinbek und Marienwohlde untergebracht worden.
KLAUS KRÜGER (Halle) stellte sich die Aufgabe, mittelalterliche, aus monastischen Kontexten stammende Inschriften im Raum Schleswig-Holstein als wichtiges Forschungsdesiderat auf ihren Quellenwert für die Erforschung der Klöster zu untersuchen. Bauinschriften, Inschriften auf liturgischen Geräten und Grabinschriften stellte er anhand verschiedener Beispiele vor und betonte, dass der immense Aussagewert epigraphischer Zeugnisse nur unter Einbeziehung ihres Kontextes ermittelbar sei.
HEINRICH DORMEIER (Kiel) widmete sich in seinem Vortrag dem Lübecker St. Annenkloster, das aufgrund seines kurzen Bestehens und der geringen Überlieferung bisher nur stiefmütterlich behandelt worden sei. Die Auswertung der Lübecker Bürgertestamente ermöglichte es Dormeier, neue Ergebnisse zu präsentieren. Die sehr viel höher als bisher angenommene Zahl der Legate für das neue Kloster und die Bandbreite der Abgaben verweise darauf, dass die Neugründung nicht von einer kleinen Gruppe von Kaufleuten betrieben, sondern zum Anliegen breiter Bevölkerungskreise wurde. Als mögliche Motive der Testatoren nannte Dormeier neben der Windesheimischen Reformorientierung des Konvents insbesondere das Patrozinium der „Modeheiligen“ Anna Selbdritt.
Das Wirken der Observanz und die Ausbreitung der Reformation beleuchtete schließlich JOHANNES SCHILLING (Kiel). Er schilderte Reformbewegungen und Observanzbestrebungen im schleswig-holsteinischen Raum und konstatierte, dass die Klöster in Schleswig-Holstein sich vor der Reformation in einem guten Zustand befunden hätten. Danach ging er der Behandlung der Klosterfrage in den Kirchenordnungen und den Folgen der Klosterauflösung nach.
Nach einer Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse aus den Tagungsbeiträgen der Referenten, die exemplarisch die einzelnen Forschungsrichtungen interdisziplinär behandelten, richtete THOMAS RIIS (Kiel) in seinen Schlussworten den Blick auf Forschungsdesiderate wie die wirtschaftlichen Nahbeziehungen zwischen Konventen und Dorf- und Stadtgemeinschaften. Hier sah er für das bis 2012 fortdauernde Schleswig-Holsteinische und Hamburgische Klosterbuch-Projekt die Möglichkeit, neben der Einzelaufarbeitung der Niederlassungen durch die Autoren, weiteren Fragestellungen nachzugehen.
Erstmals wurde in dieser Forschungsvielfalt der Einfluss monastischer Kultur innerhalb des vorgegebenen regionalen Rahmens gewürdigt. Die Vorträge der verschiedenen Teildisziplinen ermöglichten vielschichtige Einblicke in Bezug auf die quellenkundliche und dingliche Überlieferung und deren wissenschaftliche Aufarbeitung. Diese aufeinander eingehenden Erkenntnisse fördern die weitere Arbeit am Schleswig-Holsteinischen und Hamburgischen Klosterbuch.
Konferenzübersicht:
Gerhard Fouquet (Kiel): Grußwort und Eröffnung der Tagung
Jens Ahlers (Kiel): Begrüßung
Oliver Auge (Kiel): Einführung in das Tagungsthema
Katja Hillebrand (Kiel): Klöster, Stifte und Konvente in Schleswig-Holstein, Nordschleswig sowie in den Hansestädten Hamburg und Lübeck. Zur Wahrnehmung und Erforschung monastischer und kanonikaler Lebensformen und Traditionen
Enno Bünz (Leipzig): Zur Genese und Gestalt der Sakrallandschaft nördlich der Elbe
Reimer Hansen (Berlin): Landschaftliche Verfassungs- und klösterliche Lebensordnung. Die Klöster des Landes Dithmarschen
Oliver Auge (Kiel): Landesherrschaft, Kloster und Stift. Monastische und klerikale Einrichtungen im Wirkungsfeld landesherrlicher Politik
Johannes Rosenplänter (Kiel): Klösterliche Grundherrschaft als wirtschaftlicher Impulsgeber
Kerstin Schnabel (Wolfenbüttel): Bibliotheken, Klosterarchive und Schriftlichkeit im Zeichen der Orden
Uwe Albrecht (Kiel): Klöster und Stifte in Schleswig-Holstein, Nordschleswig und Hamburg. Zur Denkmaltopographie der Klosteranlagen und ihrer Ausstattung
Uwe Albrecht (Kiel): Das Kieler Franziskanerkloster. Über landesherrliche Einflussnahme und monastisches Wirken
Diethelm Hoffmann (Kiel)/Dirk Jonkanski (Kiel): Der denkmalpflegerische Umgang mit dem klösterlichen Erbe. Das Beispiel des Kieler Franziskanerklosters
Roman Janssen (Herrenberg): Spiritualität und monastisches Selbstverständnis. Das Erzväterretabel des Kieler Franziskanerklosters im Zeichen ordenspolitischer Vorstellungen
Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt (Hamburg): Prosopographie und Klosterforschung am Beispiel ausgewählter Hamburger und Holsteiner Ordensniederlassungen
Klaus Krüger (Halle): Von Glocken und Gräbern. Die Funktionen epigraphischer Denkmäler zwischen Kult und Erinnerung
Heinrich Dormeier (Kiel): Stadtklöster und Stiftungsfrömmigkeit vor der Reformation. Das Lübecker St. Annenkloster im Spiegel der testamentarischen Überlieferung
Johannes Schilling (Kiel): Das Wirken der Observanz und die Ausbreitung der Reformation
Thomas Riis (Kiel): Zusammenfassung und Ausblick