Performing Emotions. Internationales und interdisziplinäres Symposium zum Verhältnis von Politik und Emotion in der Frühen Neuzeit und in der Moderne

Performing Emotions. Internationales und interdisziplinäres Symposium zum Verhältnis von Politik und Emotion in der Frühen Neuzeit und in der Moderne

Organisatoren
Claudia Jarzebowski / Anne Kwaschik, Freie Universität Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.06.2011 - 25.06.2011
Url der Konferenzwebsite
Von
Anne Lainault / Marie Lehmann-Brauns, Freie Universität Berlin

Das Verhältnis von Politik und Emotion wird gegenwärtig neu verhandelt. Lange Zeit gültig geglaubte Grenzziehungen zwischen beiden Bereichen werden von der Einsicht in politische Dynamiken überholt. Die subkutanen Zuweisungen, hier der rationale, männliche Westen und dort das irrationale, emotionale ‚Andere’ haben sich ad absurdum geführt. Zeit also, hinter diese Grenzziehungen zurückzugehen und nach einer historischen Perspektive auf das Verhältnis von Politik und Emotion zu suchen. Genau dieses hat sich das an der FU Berlin entstandene internationale und interdisziplinäre Symposium Performing Emotions. Internationales und interdisziplinäres Symposium zum Verhältnis von Politik und Emotion in der Frühen Neuzeit und in der Moderne zur Aufgabe gemacht, gefördert von der Volkswagenstiftung. Den Veranstalterinnen, Claudia Jarzebowski und Anne Kwaschik, ist es gelungen ein spannendes und inspirierendes Programm zusammenzustellen, in denen die historische Perspektive nicht unbedingt als eine chronologische Achse, sondern als eine Reihe systematischer Zugänge verstanden wurde, die die immer wieder für zentral gehaltene Epochengrenze „um 1800“ unterlaufen und überbrückt haben.1

Die Sektion „Geschlecht und Identität“ setzte an der di-vision du monde (Pierre Bourdieu) an, indem die Kategorie Geschlecht als Transmissionsriemen für die strikte Trennung von Politik und Emotion behandelt wurde. CATHERINE VIOLLET (Paris) beschäftigte sich mit den Memoiren der Zarin Katharina II., die sie als ein vielschichtiges und hochkomplexes Selbstzeugnis betrachtet, das Auskunft über die Kindheit Katharinas II., ihre Ankunft am russischen Hof und insbesondere über ihren Umgang mit Geschlechterrollen und den Zwängen resp. Freiräumen des „Gefühlsmanagement“ am Moskauer Hof gibt. BIRGIT ASCHMANN (Berlin) setzte sich in ihrem Vortrag mit Sexualisierungsstrategien zur Delegitimierung weiblicher Herrschaft im Spanien des 19. Jahrhundert am Beispiel von Isabella II. (1833 – 1868) auseinander. Dabei zog sie die Linie von der anfänglichen Stilisierung Isabellas als unschuldigem Mädchen zum Symbol des politischen Neuanfangs bis zur sexuellen Diskreditierung der Königin im Kontext der Auseinandersetzung liberaler und konservativer Parteien über ihren vermeintlichen Hang zu Extravaganz und Wahnsinn. STEPHANIE BUNG (Berlin) behandelte „Figurationen“ und „performative Verschriftlichungen“ von Emotionen in den französischen Salonalben des 17. Jahrhunderts. Im Zentrum des Vortrags stand die „Carte de Tendre“ der Madeleine de Scudéry, die mit der Abbildung eines imaginären Landes Möglichkeiten zur Eroberung des Herzens der auserwählten Frau abbildete. Diese Karte habe erst im spielerischen Nachvollzug ihre Funktion erfüllt, sie skizzierte die Zivilisationsideale der Honnêteté und Galanterie des 17. Jahrhunderts und diene zugleich als Anleitung zum Verständnis geschlechterspezifischer Interaktionen des Adels.

Die Sektion „Ausdrucksformen und Handlungsmuster“ setzte an der Beobachtung an, dass die Erforschung von Emotionen ihren Ausgangspunkt häufig bei ihren „Ausdrucksformen“ nimmt. DORIS KOLESCH (Berlin) analysierte in ihrem Vortrag die von Ludwig XIV. zwischen 1689 und 1705 verfassten Anleitungstexte der Spazierrouten im Park von Versailles sowie die Art der Präsentation der Gärten für das Publikum. In ihrer performativen Lesart stellte sie diese Inszenierung von Emotion, Politik und Bewegung in Verbindung mit der Topographie des Parks als Choreographie von Machtverhältnissen dar und analysierte die Dialektik von Affektdämpfung und der Erzeugung von Begehren. RENATE DÜRR (Tübingen), thematisierte die wechselseitige Bezugnahme von Emotion und Politik am Beispiel der lutherischen Laienprophetien des 17. Jahrhunderts. Dürr betonte die Bedeutung der Christus-Passion, die sich aktiv in das Herz der Gläubigen einschreiben sollte, für die Untersuchung von Emotionen im 17. Jahrhundert. Der Vortrag verwies im Ausgang von einem kulturwissenschaftlich erweiterten Politikbegriff auf das Zusammenwirken von spiritueller Dimension und politischen Emotionen in der Frühen Neuzeit und nuancierte die These von der „Sinnesfeindlichkeit“ des lutherischen Protestantismus. HELMUT PUFF (Ann Arbor, Michigan) fragte in seinem Vortrag ausgehend von einem lokalen Erinnerungsort nach den Zusammenhängen von Politik, Emotion und Architektur/Stadtplanung in der bundesdeutschen Erinnerungspolitik der 1950er- und 1960er-Jahre. Er analysierte insbesondere die emotionale Dimension der „Sprache des Gedenkens“ vor und nach 1945, die die Heilbronner Ehrenhalle (1963) und der sogenannte „Kubus des Schweigens“ im Kontext von Trauerritualen und Semantiken des Gedenkens aufgerufen und adaptiert hätten.

Die Sektion „Körper und Rituale“ thematisierte Emotionen als Praktiken der Zugehörigkeit und Abgrenzung von Individuen und Gruppen untereinander und zueinander, obrigkeitlich induziert, diskursiv erzeugt, politisch abgesichert. BETTINA HITZER (Berlin) analysierte den Wandel gesundheitspolitischer Diskurse von 1900 bis 1933 am Beispiel der deutschen Krebsvorsorge. Sie verwies in ihrer Darstellung der gesundheitspolitischen Kampagnen auf das wechselseitige Verhältnis von Angstbekämpfung und Angsterzeugung („Feigheit vor dem Krebs“) und den Wandel der Hypothesen über die Wirkungsweise und Handlungsrelevanz von Emotionen. Daran anschließend stellte PAULA DIEHL (Berlin) am Beispiel der SS-Uniformen ihre Überlegungen zu Emotionen und politischen Körper-Diskursen vor. Diehl diskutierte die affizierende Wirkung von Kleidung ganz allgemein und legte den Akzent insbesondere auf die politische Dimension der erzeugten Gefühle: der Balance zwischen der mit der Uniform verbundenen Ausschlussdrohung (Angst) und dem Integrationsversprechen in das vermeintliche, sogenannte „arische“ Idealbild (Hoffnung).

Die Sektion „Ressourcen und Ökonomien“ thematisierte Emotionen als Ressourcen zur Verhandlung über politische Räume und deren Erweiterung, vor allem im Sinne neoliberaler Anforderungen. GERTRAUDE KRELL (Berlin) fragte deshalb aufmunternd kritisch nach der Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit in der aktuellen Diskussion um Führungskompetenzen im Personalmanagement und den Möglichkeiten des Diversity-Managements. Sie ging mit Foucault davon aus, dass Diskurse systematisch die Gegenstände abbilden, von denen sie sprechen und zeigte die selektive Zuschreibung von Emotionalität in ihrer Bedeutung für die Fortschreibung von Geschlechternormen und –rollen. Im Anschluss daran präsentierte FRANCESCA VIDAL (Koblenz-Landau) Beispiele vor allem der antiken Rhetorik für die Erzeugung von Emotionen in der politischen Rede, deren Wirkmacht über die Antike hinausging. Im Ausgang von der Bestimmung der Affekterregung bei Aristoteles stellte Vidal Emotionen als entscheidendes Mittel der Überredungskunst dar und verortete sie innerhalb eines elastischen Koordinatensystems von Ethos, Pathos und Logos. CAROLINE MOINE (Saint-Quentin-en-Yvelines) widmete sich der Bedeutung audiovisueller Medien in der Vermittlung von Politik und der Inszenierung politischer Öffentlichkeiten am Beispiel des Filmes „Citizen Kane“ (1941), dem Moine eine besondere Stellung in der Reflektion auf das Verhältnis von Politik, Medien und Emotion attestierte. Der Vortrag akzentuierte die Bedeutung des gesellschaftlichen und historischen Kontextes für die Wirkung und Erzeugung filmisch umgesetzter, emotionaler Codes.

Die Sektion „Materialität und Medialität“ fragte systematisierend nach der Semantisierung von Emotionen in visuellen und akustischen Inszenierungen. Eingangs stellte ELKE WERNER (Berlin) in einem historiografischen Abriss die in den 1990er-Jahren beginnende Auseinandersetzung der Kunstgeschichte mit Emotionen dar. Am Beispiel divergierender Rubens-Interpretationen (insbesondere „Die Folgen des Krieges“, 1637/38) zeigte Werner die hochgradig ambivalente Brisanz, die Emotionen vor allem im Zusammenhang mit der Kategorie Geschlecht für die Analyse der politischen Ikonografie der Frühen Neuzeit offenbar haben. JANINA WELLMANN (Tel Aviv) zeichnete den Zusammenhang zwischen Poesie, Militär und Rhythmus nach. Den Kontext der Analyse bildete die höfische Kultur des 17. und 18. Jahrhunderts, deren choreografierte Bewegungen ein Korrelat aus Emotion und Körperlichkeit bildeten. Dieses Korrelat könne als Rhythmus gelesen werden, der sich beispielsweise in Tanz-, Kampf- Reit- oder Arbeitschoreografien als sozial codierte Darstellung von Emotionen ausdrückt. Auf die Bedeutung des Rhythmisierens von Emotionen verwies auch der Vortrag von KARSTEN LICHAU (Berlin). Dieser stellte die Schweigeminute, die 1918 von Georg V. in England eingeführt wurde, als akustische Inszenierung emotionaler Kohärenz vor. Der Vortrag betonte das „Framing“ (Goffman) von Emotionen und diskutierte kritisch Bedingungen und Grenzen emotionaler Vereinnahmungsbestrebungen.

HELENA FLAM (Leipzig) verdeutlichte in ihrem Abschlusskommentar die disziplinäre Gebundenheit der Blickwinkel auf das intrikate Verhältnis von Politik und Emotion und plädierte stark für eine Einbeziehung ethnologischer Herangehensweisen, insbesondere dann, wenn es darum gehen soll, die performativen Ebenen analytisch produktiv zu machen. Das, so betonte DANIEL SCHOENPFLUG (Berlin), solle aber nicht heißen, die Bedeutung historischer Zäsuren weiterhin zu reduzieren, vielmehr müssten diese aus den neu gewonnenen Erkenntnissen insbesondere zur Medialität emotionaler Performativität und aus interdisziplinärer Perspektive überdacht werden. Dabei, das hat dieses Symposium nachhaltig klargestellt, kann es nicht länger darum gehen, nach „wahren“, „eigentlichen“ oder „authentischen“ Emotionen hinter ihrem Ausdruck, ihrer sprachlichen Codierung oder politischen Instrumentalisierung zu suchen. Eine solche Herangehensweise würde die Bedeutung, die Emotionen historisch zukommt, weiterhin verschleiern. Vielmehr müssten Emotionen als gestalterische Elemente in die Analyse konkreter historischer Kontexte und sozialer Beziehungen einbezogen werden. Der methodisch neu erprobte Ansatz des Symposiums, Emotionen als Modus und vermittelnde sowie gestaltende Dimension menschlichen Handelns zu begreifen, hat sich dabei als hochgradig inspirierend erwiesen. Die Vorträge reflektierten fast durchweg die eigene disziplinäre Herangehensweise an die Leitfrage des Symposiums, was ein hohes theoretisches Niveau auch in den ausführlichen und engagierten Diskussionen ermöglicht hat.

Konferenzübersicht:

Claudia Jarzebowski (FU Berlin)/Anne Kwaschik (FU Berlin): Einführung

Sektion I: Geschlecht und Identität

Catherine Viollet (ITEM, CNRS-ENS) La politique des émotions dans les Mémoires de Catherine II, impératrice de Russie

Birgit Aschmann (HU Berlin) Von der »niña inocente« zur »ilustre prostituta«. Techniken der Apologie und Delegitimierung der spanischen Königin Isabella II. (1833-1868) über den Genderdiskurs

Stephanie Bung (FU Berlin) Graduelle Figuration und performative Verschriftlichung. Emotionen in »recueils galants« des 17. Jahrhunderts

Sektion II: Ausdrucksformen und Handlungsmuster

Doris Kolesch (FU Berlin) Flanieren im Park. Zur emotionalen und politischen Bedeutung von Bewegung im 17. Jahrhundert

Renate Dürr (Universität Kassel) Laienprophetien. Zur Emotionalisierung politischer Phantasien im 17. Jahrhundert

Helmut Puff (University of Michigan) »We commemorate«. Politics, Loss, and Communitas in Heilbronn’s ›Ehrenhalle‹

Sektion III: Körper und Ritual

Paula Diehl (HU Berlin) Affekt und Identität. Die Uniformen der SS-Männer

Bettina Hitzer (Max-Planck-Institut Berlin) Körper-Sorge(n). Gesundheitspolitik mit Gefühl

Sektion IV: Ressourcen und Ökonomien

Gertraude Krell (FU Berlin) Die Fabrikation von »Frauen« und »Emotionen« als ambivalente Ressourcen im Managementdiskurs

Francesca Vidal (Universität Koblenz-Landau) Zur Bedeutung der Affekterregung in der politischen Rede

Caroline Moine (Université de Versailles Saint-Quentin-en- Yvelines) Die Macht der Kunst? Emotion und Politik im Film

Sektion V: Materialität und Medialität

Elke Werner (FU Berlin) Visualität und Macht der Gefühle in der Frühen Neuzeit. Positionen der kunsthistorischen Emotionsforschung

Janina Wellmann (Tel Aviv University) Bewegung und höfische Repräsentation im 17. und 18. Jahrhundert

Karsten Lichau (Centre Marc Bloch Berlin) Das Schweigen des Leviathan. Zur akustischen Inszenierung emotionaler Einheit in der Schweigeminute

Abschlusspodium: Politik und Emotion – Perspektiven, Potentiale, Grenzen

Kommentare: Helena Flam (Leipzig) und Daniel Schönpflug (Berlin)

Anmerkung:
1 Wir danken den Teilnehmer/innen des Moduls „Gender and Diversity“ am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften, die an der Tagung teilgenommen haben und mit ihren kritischen Bemerkungen zur Verbesserung des Berichts beitrugen.


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