Autonome Automaten. Künstliche Körper und artifizielle Agenten in der technisierten Gesellschaft. Interdisziplinäre Arbeitstagung

Autonome Automaten. Künstliche Körper und artifizielle Agenten in der technisierten Gesellschaft. Interdisziplinäre Arbeitstagung

Organisatoren
Institut für Zivil- und Wirtschaftsrecht, Universität Frankfurt am Main
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.07.2011 - 16.07.2011
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Von
Malte Gruber, Institut für Zivil- und Wirtschaftsrecht, Universität Frankfurt am Main

„Autonome Automaten“ waren das Thema der diesjährigen Sommertagung der „Kritischen Reihe“ am 15. und 16. Juli 2011, deren Fokus auf der besonderen gesellschaftlichen Bedeutung lag, die so genannten Zukunftstechniken bereits in der Gegenwart zukommt. Künstliche Intelligenz, künstliches Bewusstsein und auch künstliches Leben gehören mehr denn je zu den prominenten Forschungsgegenständen der heutigen Technikwissenschaften, und gerade die Fortschritte im Bereich der Robotik und der zunehmend sozial integrierten Informationstechnologien werfen Fragen nach dem gesellschaftlichen Umgang mit deren Gegenständen auf. Roboter und informationstechnische Artefakte wie Software- oder Netzagenten scheinen nicht prinzipiell auf ihren ursprünglichen Status als bloße Objekte oder Dinge beschränkt, sondern begegnen Menschen mitunter als widerständige Wesen, als handelnde Akteure, womöglich sogar als soziale Interaktionspartner. Solche Begegnungen könnten nicht zuletzt auch das Selbstbild des Menschen und der Gesellschaft beeinflussen.

In diesem Sinn untersuchte nach einer Einführung des Mitveranstalters MALTE GRUBER die Rechtswissenschaftlerin SUSANNE BECK (Würzburg) die Auswirkungen der „Vermenschlichung“ der Maschinen und der „Maschinisierung“ des Menschen auf das tradierte, aufklärerische Menschenbild und die darauf basierenden Konzepte, insbesondere das der rechtlichen Verantwortung. Während das traditionelle Konzept auf der Annahme der Sonderstellung des autonomen Menschen basiere, sollte eine dem sich auflösenden Dualismus Mensch-Maschine angepasste rechtliche Verantwortung die Betonung auf eine prospektive Verteilung von Handlungen und Zuständigkeitsbereichen auf alle Beteiligten (also auch auf Maschinen) statt auf eine retrospektive Beurteilung individuellen Verhaltens legen. Die Ausweitung von Zuschreibungen autonomer Verantwortlichkeit auf nichtmenschliche Wesen kritisierte KATJA STOPPENBRINK (Luxembourg) in ihrem nachfolgenden Vortrag. Mit Bezug auf das Kantische Konzept von sittlicher Verantwortung sah sie ihren Verdacht bestätigt, dass bereits die Rede von „autonomen Automaten“ in sich widersprüchlich, d.h. eine contradictio in adiecto sei.

Jenseits tradierter anthropozentrischer Handlungs- und Verantwortungskonzepte stellte JOCHEN BUNG (Passau) sodann in Variation zum berühmten Turing-Test erneut die grundlegende Frage: „Können Artefakte denken?“ Sein Lösungsweg orientierte sich an aktuellen geistesphilosophischen wie auch phänomenologischen Erkenntnissen über das sensomotorische Fundament der Intelligenz: Denken finde nicht nur im Körper, sondern mit dem Körper statt. Schließlich sei es auch durchaus möglich, dass eines Tages eine situationsräumlich sensibilisierte Rechenmaschine in ihrem Verhalten von Menschen nicht mehr zu unterscheiden sei und daher Adressatin rechtlicher und moralischer Verantwortungszuschreibungen sein könnte. Einen Vergleich von menschlicher und nichtmenschlicher Denk- und Handlungsfähigkeit stellte auch DIRK FABRICIUS (Frankfurt am Main) an, allerdings aus einem anderen, vor allem evolutionstheoretisch geprägten Blickwinkel: Bereits der Zweifel an der Sonderstellung des Menschen im Kontinuum der Evolution lege eine gleichsam entgegengesetzte Sichtweise nahe, nach der Menschen als Maschinen betrachtet werden könnten – jedoch als Maschinen, die durchaus Freiheit besäßen.

Indes werfen nicht nur Maschinen die Frage nach der Möglichkeit artifiziellen Denkens und Wollens auf, wie STEPHAN MEYER (Erfurt) mit Blick auf die artifizielle Willensträgerschaft von kollektiven, insbesondere staatlichen Organisationen deutlich machte. Ein Staat könnte dann als Träger eines (befehlsgebenden) Willens angesehen werden, wenn sich zeigen ließe, dass er intentionale Zustände habe.

Die Medizinethikerin KIRSTEN BRUKAMP (Aachen) führte die Frage nach der Willensfreiheit und Autonomie wieder auf die Perspektive des individuellen Menschen zurück. Angesichts konkreter Beispiele des Einsatzes von Neurotechnologien mit persönlichkeitsverändernder Wirkung (Tiefenhirnstimulation, Psycho- und Neuropharmaka), so Brukamp, werde die Zuschreibung von Autonomie und Verantwortung auch für langfristige Lebensentwürfe in wachsendem Maße problematisch. Aber auch auf Seiten künstlicher Systeme bleiben die Konzepte von Autonomie und Intelligenz beweglich, wie die Kulturanthropologen SEBASTIAN SIERRA BARRA und MARTIN DESCHAUER (beide Frankfurt am Main) deutlich machten. Auf dem Weg zur Erzeugung „Künstlicher Intelligenz“ entstünden immer mehr Verständnisse von Intelligenz. Plötzlich breche die Grenze zwischen Intelligenz und Instinkt, zwischen Mensch und Tier und hole die Dimension des Körpers und des Gehirns zurück in die Diskussion zwischen „Künstlichkeit“ und „Natürlichkeit“.

JULIA VON DALL´ARMI (Gießen) führte danach anhand zweier repräsentativer Romane der Gegenwartsliteratur – Bernhard Kegels „Sexy Sons“ (2001) und Charlotte Kerners „Blueprint“ (1999) Regularitäten einer Coping-Strategie im Themenfeld „Literatur und Gentechnik“ vor. Hierbei zeigte sie eine argumentative Ambivalenz auf, die den fiktionalen Texten zu eigen sei: So übten diese zwar oberflächenstrukturell massive Kritik am Klonprozess menschlicher Lebewesen, tiefenstrukturell sei allerdings ein fallabhängiges Plädoyer für die künstliche Reproduktion anhand der Handlungsstränge und der Figurenargumentation abzulesen.

Als ambivalent beschrieben SEBASTIAN KLINGE und LAURENS SCHLICHT (beide Jena) auch die Differenz von Mensch und Automat in Anbetracht zweier unterschiedlicher Denkkollektive, und zwar der Taubstummenforschung der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und der Kybernetik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dabei stellten sie dar, wie der Automat in beiden Diskursen innerhalb eines anthropologischen Denkstils die Grenzen des Menschen als Wissensobjekt umriss – um ihn gleichzeitig als die Epistemologie des Menschen verändernde Tatsache neu zu bestimmen. Anschließend richtete die Kunst- und Medienwissenschaftlerin VERENA KUNI (Frankfurt am Main) das Augenmerk auf Fiktionen sowie experimentelle Realisationen von „Autistischen Automaten“ in Wissenschaft und Populärkultur, Literatur, Film und Bildender Kunst. Solche zumeist absurd anmutenden Konfigurationen und Konstruktionen ließen sich danach für Reflexionen über das Verhältnis von Technologie und Gesellschaft fruchtbar machen.

SABINE MÜLLER (Kiel) stellte sodann eine weitere Form der „Technopathie“ vor, indem sie die Darstellung weiblicher Roboter, Bauchtanz- und Orienttopoi in Filmen wie Fritz Langs „Metropolis“ vorführte. Den Abschluss bildete der Vortrag des Freien Publizisten MARTIN UEBELHART (Zürich), der zusammenfassend nochmals die zentrale Frage stellte: „Wie ‚denkt‘ die Künstliche Intelligenz?“ Mit Stanislaw Lem (1921-2006) stellte Uebelhart einen Science Fiction-Autor und Philosophen vor, der diese Frage unter anderem in den „Vorlesungen“ des Roboters GOLEM XIV behandelte, der „über sich“ und „über den Menschen“ referierte, insbesondere die Begriffsstutzigkeit des Menschen zur Systemlogik seiner eigenen Schöpfungen thematisierend – Uebelhart sprach hierbei von einem diskursiven rationalistischen „Manifest“.

Insgesamt zeigte die zweitägige Veranstaltung, dass das Thema der „Autonomen Automaten“ kaum erschöpfend zu behandeln ist, vielmehr eine fortgesetzte interdisziplinäre Verständigung erfordert. Auch in Zukunft wird die kontroverse Möglichkeit in Betracht zu ziehen sein, dass es einem informationstechnischen System in mehr oder weniger humanoider Gestalt eines Tages gelingen könnte, trotz seiner Künstlichkeit als ein autonomes, womöglich sogar menschenähnliches Wesen anerkannt zu werden.

Eine erste Gelegenheit zur weiteren Diskussion bot bereits der 25. Weltkongress der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie, der vom 15. bis zum 20. August ebenfalls in Frankfurt am Main stattgefunden hat. Im Rahmen eines Workshops zum Thema „Recht am technisierten Körper/Recht an verkörperter Technik“ konnten die mit den „Autonomen Automaten“ aufgeworfenen Fragen der brüchig gewordenen Dichotomie von Mensch und Maschine insbesondere mit Blick auf die möglichen rechtlichen Konsequenzen behandelt werden.1

Konferenzübersicht:

Malte Gruber (Frankfurt am Main): Begrüßung und Einführung

I. Herausforderungen der technisierten Gesellschaft

Susanne Beck (Würzburg): Technisierung des Menschen – Vermenschlichung der Technik. Neue Herausforderung für das juristische Konzept „Verantwortung“

Katja Stoppenbrink (Luxembourg): Autonome Automaten – eine contradictio in adiecto? Warum artifizielle Agenten unsere anthropozentrischen Begriffsbildungen herausfordern und wie wir damit umgehen können

II. Artifizielle Autonomie?

Jochen Bung (Passau): Können Artefakte denken?

Dirk Fabricius (Frankfurt am Main): Die Freiheit, 2*2=5 zu rechnen

Stephan Meyer (Erfurt): Die Erteilung von Rechtsbefehlen als geistesphilosophisches Problem

III. Mensch/Maschine

Kirsten Brukamp (Aachen): Aspekte der Autonomie beim Einsatz von Neurointerventionen

Sebastian Sierra Barra und Martin Deschauer (Frankfurt am Main): Versuch einer nichtmenschlichen Anthropologie von Intelligenz. Computersimulationen als Vermessungssimulationen?

Julia von dall´Armi (Gießen): Menschliche Macht über Maschinen oder maschinelle Macht über Menschen? Die literarische Realisierung des (Gen-) Technikdiskurses in der aktuellen Gegenwartsliteratur

Sebastian Klinge und Laurens Schlicht (Jena): Die Differenz Maschine. Der Automat als explanatorische Figur und Tatsache im Denkkollektiv der Taubstummenforscher und der Kybernetiker

IV. Technopathie

Verena Kuni (Frankfurt am Main): Autistische Automaten

Sabine Müller (Kiel): Verführung und Verderben durch Automaten? Weibliche Roboter und Orienttopoi im Film

Martin Uebelhart (Zürich): Die vollkommene Maschine. Wunschmaschinen und Maschinen(alb)träume im Werk von Stanislaw Lem

Anmerkung:
1 Die einzelnen Tagungsbeiträge werden neben weiteren Arbeiten zum Thema „Autonome Automaten“ in Band 12 der Schriftenreihe „Beiträge zur Rechts-, Gesellschafts- und Kulturkritik“ <http://www.kritische-reihe.de> publiziert.


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