Toletum. Netzwerk zur Erforschung der Iberischen Halbinsel in der Antike / Network para la investigación sobre la Península Ibérica en la Antigüedad. Zweiter Workshop

Toletum. Netzwerk zur Erforschung der Iberischen Halbinsel in der Antike / Network para la investigación sobre la Península Ibérica en la Antigüedad. Zweiter Workshop

Organisatoren
Sabine Panzram, Universität Hamburg / Deutsches Archäologisches Institut Berlin-Madrid; Markus Trunk, Universität Trier
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.10.2012 - 22.10.2012
Url der Konferenzwebsite
Von
Sabine Panzram, Historisches Seminar – Arbeitsbereich Alte Geschichte, Universität Hamburg

In den kommenden drei Jahren wird sich das seit Dezember 2011 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Netzwerk für Nachwuchswissenschaftler/innen aus der Alten Geschichte und Klassischen Philologie, der Klassischen, Provinzialrömischen und Frühchristlichen Archäologie sowie der Bauforschung – „Toletum. Netzwerk zur Erforschung der Iberischen Halbinsel in der Antike / Network para la investigación sobre la Península Ibérica en la Antigüedad“1 – der Spätantike zuwenden, mithin einer Epoche, die auf der Iberischen Halbinsel erst jüngst wieder verstärkt in den Blick geraten ist. Dabei sollen zum einen Fragen nach der Präsenz „Roms” nach der Invasion der barbari (Definition von Staatlichkeit, Handlungsmacht der „warlords”) oder nach dem Sinn traditioneller „Wendepunkte”, das heißt der Jahre 284, 409 und 589 fokussiert werden: Lässt sich ihr Status als Epochengrenze angesichts der neuen Befunde noch aufrechterhalten? Und zum anderen soll nach der Intensität der Christianisierung der Iberischen Halbinsel im Vergleich zu anderen Regionen des Mittelmeerraums gefragt werden: Kann sie weiterhin als besonders „früh“ und besonders „intensiv“ christianisiert gelten? Neben der Zusammenführung der einzelnen Disziplinen und damit der jeweils spezifischen Herangehensweise und des Erkenntnisinteresses – denn allein das verspricht eine innovative Perspektive auf Texte wie auf Monumente (lässt doch zum Beispiel erst die Analyse der Liturgie die architektonische Ausgestaltung des Kirchenbaus plausibel werden) – hat Toletum sich einen möglichst intensiven Austausch zwischen erfahrenen Forscherinnen und Forschern nationaler und internationaler Provenienz und Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern in unterschiedlichen Qualifikationsphasen zum Ziel gesetzt. Die Arbeitstreffen sind grundsätzlich „offen“; jeder Interessierte, sei er an einer Universität oder einer Forschungseinrichtung wie zum Beispiel dem Deutschen Archäologischen Institut oder dem Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte tätig, ist herzlich willkommen. Der nächste Workshop wird voraussichtlich vom 1. bis zum 3. November 2012 im Hamburger Warburg-Haus stattfinden.

Interdisziplinarität, generationenübergreifender Austausch und Offenheit charakterisierten den 2. Workshop, der vom 20. bis zum 22. Oktober 2011 im Hamburger Warburg-Haus unter der Leitung von Sabine Panzram (Alte Geschichte / Hamburg) und Markus Trunk (Klassische Archäologie / Trier) stattfand. Thematisch stand er im Zeichen der „Stadtarchäologie“; den Schwerpunkt innerhalb einer chronologischen Abfolge von Karthago bis in die Spätantike bildeten Beiträge zum „Römischen Städte- und Siedlungswesen in der Kaiserzeit“. Als Diskutanten nahmen ROSA SANZ SERRANO (Alte Geschichte / Universidad Complutense Madrid) und WALTER TRILLMICH (Klassische Archäologie / Kopenhagen) teil. Dabei kristallisierten sich folgende Tendenzen heraus, die die Forschungen in diesem Bereich aktuell charakterisieren:

1. Aufarbeitung einzelner Gattungen (Beispiel Wandmalerei) und Monumentengruppen (Beispiel hispanische Altäre) aus dem gesamten Bereich der Iberischen Halbinsel. Grundlage sind Corpora aus der 2. Hälfte des letzten Jahrhunderts (Lorenzo Abad Casal, La pintura romana en España, Alicante 1982; Gustav Gamer, Formen römischer Altäre auf der hispanischen Halbinsel, Mainz 1989), die um Neufunde ergänzt werden sollen, um diese einem erweiterten Nutzerkreis zugänglich zu machen. Als problematisch erweisen sich hier die Aufnahmetechnik und die Methodik. Eine zeitgemäße Aufarbeitung der Befunde gibt sich eben nicht mehr mit einer Beschreibung der Stücke, ihrer Zeichnung und einem Foto zufrieden, sondern es stellt sich automatisch die Frage nach der Anlage einer Datenbank, der Berücksichtigung statistischer Erhebungen hinsichtlich der Fundverteilung etc. Dementsprechend müssten hier aber zudem die Altfunde – aufgearbeitet gemäß den neuen Kriterien – Eingang finden, damit das überarbeitete Corpus in dieser Form auch Ende dieses Jahrhunderts noch von Nutzen ist. Insofern scheint es in gewisser Weise einfacher, wenn man sich nur auf einen der unzähligen neuen Fundplätze in einer konkreten Region beschränkt und sodann auf eine Gattung aus einer Epoche konzentriert (Beispiel Segobriga). Hier hat es sich in vielen Fällen als gewinnbringend erwiesen, bei der Bearbeitung des Materials Reiseberichte und Aufzeichnungen aus der frühen Neuzeit zu berücksichtigen, die entweder die regionalen Akademien oder aber die reichhaltigen „fondos“ der Real Academia de la Historia Madrid bewahren.

2. Erschließung von Siedlungsstrukturen (Beispiel Almanzora) und Stadtarealen (Beispiel Los Bañales) mittels der Geowissenschaften. Die Untersuchung ländlichen Siedlungsraums im Bereich des Hinterlandes einer Stadt respektive des ummauerten städtischen Territoriums gehorcht zwar einerseits noch traditionellen Kriterien, das heißt nach wie vor wird nach der Entwicklung des Gebiets unter römischer Herrschaft und damit der Romanisierung / Romanisation gefragt. Auch die Aufarbeitung von Keramik und Kleinfunden, von Architektur und Plastik, die es ermöglichen soll, Aussagen über die wirtschaftliche Einbindung der Region und über die Repräsentationsformen Roms sowie der städtischen und regionalen Eliten zu treffen, wird weiterhin als unverzichtbar erachtet. Doch im Prinzip haben sich die Prioritäten bereits verschoben. Denn andererseits dominieren in immer größeren Maße die neuen Techniken: geomagnetische Prospektionen verdrängen die intensive Geländebegehung oder den Oberflächensurvey, gezielte Sondagen auf der Basis dieses Scans aufwendige Grabungen und dreidimensionale Modelle „made by ScetchUp“ die nützlichen Phasenpläne. Ziel ist eine „Landscape Archaeology“ im umfassenden interdisziplinären Sinne, die die geologische Morphologie, das geographische Umfeld, die historische Topographie, das Klima, das Vorkommen von Wild- und Nutzpflanzen und deren Anbaudichte oder die Frage nach natürlicher und künstlicher Bewässerung von Wohngebieten und Anbauflächen einbezieht.

3. Deutung des Befundes mittels Analogie. Die Frage nach Vergleichsmomenten, also der Blick auf strukturell ähnliche Befunde in anderen Regionen des Imperium Romanum, ist essentiell. Auf Analogieschlüsse kann aufgrund der teilweise hohen Siedlungskontinuität und fehlenden schriftlichen Überlieferung weder die punische Stadtarchäologie (Beispiel Cádiz), die nach Karthago schaut, noch die römische verzichten. Im Falle frühkaiserzeitlicher Stadtgründungen (Beispiel Augusta Emerita) geht der Blick auf Gründungen aus diesen Jahren in anderen Reichsteilen wie Augusta Treverorum (Trier) und Nikopolis. Aber auch die Frage einer imitatio Urbis liegt nahe, wenn sich die Rezeption einer stadtrömischen Platzanlage wie des Augustusforums in einer Provinzhauptstadt konstatieren lässt (Beispiel Augusta Emerita). Hier führen Detailuntersuchungen zu immer differenzierteren Aussagen, so dass zum einen nicht mehr von einer „Kopie“ gesprochen werden sollte: zwar sind Ausstattungsdetails wie die clipei oder die Koren wiederzufinden, aber mit regional deutlich variierten dekorativen Abweichungen. Zum anderen relativiert dieses Resultat die von Teilen der Forschung noch postulierte kaiserliche Bautätigkeit in diesem Stadttypus, die allein darauf abgezielt habe, „kleine Abbilder Roms“ zu schaffen. Vielmehr scheinen die städtischen Eliten ihren Handlungsspielraum dahingehend genutzt zu haben, traditionelle Elemente innovativ umzugestalten und damit durchaus eigenen Vorstellungen vom „Römersein“ Ausdruck zu verleihen.

4. Einbeziehung der Spätantike. Das verstärkte Interesse an den Jahrhunderten bis zum Einfall der Araber rührt vielfach von der Frage nach Kontinuität oder Wandel her. Sie betrifft das Städtewesen ebenso wie Formen der Herrschaftsausübung und wird gemeinhin mit der Feststellung beantwortet, es handle sich um Transformationen. Mit der spätantiken Villenarchitektur gerät ein Thema in den Blick, das als gut erforscht gelten kann. Hier verspricht ein Vergleich mit Gallien jedoch offensichtlich neue Erkenntnisse, die letztlich zu einer Revision der Typologie von Jean-Gérard Gorges2 führen sollen. Die Christianisierung des kaiserzeitlichen Städtewesens hat sich in den letzten Jahren zu einem Forschungsschwerpunkt entwickelt, der den hispanischen Befund gemäß den Ergebnissen deutet, die sich in Italien oder Gallien zeigen: also von der Genese eines christlichen Zentrums im suburbium ausgehend, das sich vielfach um eine Märtyrerbasilika gruppiert, über Bestattungen, die ad sanctos vorgenommen werden, bis zur allmählichen Durchdringung des städtischen Raums mit christlichen Kultbauten. Parallel zu dieser Entwicklung, so die communis opinio, habe sich eine „Bischofsherrschaft“ etabliert etc. Ob dieses „Deutungsschema“ tatsächlich angemessen ist, werden die Befunde, die aus den Kampagnen in den kommenden Jahren zu erwarten sind, zeigen.

In seinem den Workshop beschließenden Vortrag zog FRANCISCO BELTRÁN LLORIS (Alte Geschichte / Zaragoza) noch einmal unter besonderer Berücksichtigung der epigraphischen Neufunde nach drei Jahrzehnten „Stadtarchäologie“ auf der Iberischen Halbinsel Bilanz. Er wies dabei auf den epochemachenden Beitrag der Arbeiten Géza Alföldys (1935-2011), der mit der Edition der „Römischen Inschriften von Tarraco“ (Berlin 1975) seinerzeit neue Maßstäbe gesetzt hatte und die Einrichtung des Centro CIL II in Alcalá de Henares hin3, in dem unter deutscher Beteiligung die neue Edition der Faszikel der zweiten Auflage des CIL II koordiniert wird. Den stets gerühmten Reichtum der Iberischen Halbinsel an epigraphischen Zeugnissen mit etwa 28.000 Monumenten setzte er in Relation zu den etwa 10.000, die aus den germanischen Provinzen, aber auch allein aus Pompeji bekannt sind. Stattdessen betonte er „tatsächliche“ Besonderheiten wie die zahlreichen indigenen Monumente und die Nutzung von Bronze für Stadtgesetze, Verträge etc. und verwies auf das Desiderat einer Beurteilung des sich kontinuierlich vergrößernden Befundes nach qualitativen Gesichtspunkten.

Nach Bilanzierung und Methodenreflexion gilt es nun also – ohne die Ebene der Erschließung neuer Monumente jedweder Gattung im Sinne traditioneller Grundlagenforschung außer Acht zu lassen – sich mit der Iberischen Halbinsel in jenen Jahrhunderten auseinanderzusetzen, die ganz im Zeichen von Toletum – Toledo stehen.

Konferenzübersicht:

Die Iberische Halbinsel zwischen Karthago und Rom

Iván Fumado Ortega (Ur- und Frühgeschichte / Deutsches Archäologisches Institut Berlin): Paisaje urbano en la Iberia púnica. Usos del suelo y equilibrio simbólico en los asentamientos de tradición fenicia en la Península Ibérica

Dominik Kloss (Alte Geschichte / Universität Hamburg): Numantia – Neue Forschungen auf alten Feldern

Felix Bartenstein (Alte Geschichte / Georg-August-Universität Göttingen): Zur Chronologie der Kantabrischen Kriege

Römisches Städte- und Siedlungswesen in der Kaiserzeit

Nicole Röring (Bauforschung / MEMVIER Bamberg / Ludwigs-Maximilians-Universität München): Colonia Augusta Emerita – Römische Stadtplanung am Reißbrett

Vibeke Charlotte Goldbeck (Klassische Archäologie / Freie Universität Berlin): Fora augusta. Zur Rezeption des Augustusforums an Platzanlagen in den römischen Provinzen

Nadine Cavelius (Klassische Archäologie / Universität Trier): Die Neustadt von Italica. Ausnahme oder Regelfall?

Janine Lehmann (Klassische Archäologie / Universität zu Köln): Konstanten und Dynamiken in der hispanischen Baudekoration

Jan Schneider (Klassische Archäologie / Justus-Liebig-Universität Gießen): Ländliche Siedlungsstruktur im römischen Spanien. Untersuchungen am Südlauf des Almanzora

Markus Trunk / Georg Breitner (Klassische Archäologie / Universität Trier): Los Bañales - Perspektiven der Erforschung eines Fundplatzes in Aragón

Elke Winkler (Klassische Archäologie / Justus-Liebig-Universität Gießen): Wandmalerei im römischen Spanien

Hanna Martin (Klassische Archäologie / Justus-Liebig-Universität Gießen): Ein Seitenblick - Reliefs auf hispanischen Altären

Stadt und Eliten

Anthony Álvarez Melero (Alte Geschichte / Universidad de Sevilla): ¿Marginales dentro de la marginalidad? Reflexiones acerca de las liberti relacionados con equites Romani de Hispania

Oliver Kreis (Alte Geschichte / Universität Hamburg): Ossius von Corduba und Konstantin der Große. Welchen Einfluss hatte der Bischof auf den Kaiser?

Judith Végh (Alte Geschichte / Universität Heidelberg): Bauherren in spätantiken Inschriften aus Hispanien

Römisches Städte- und Siedlungswesen in der Spätantike

Jonathan Blümel (Alte Geschichte / Universität Hamburg): Stadt und Christianisierung in Hispanien – Tarraco und Segobriga

Jenny Abura (Christliche Archäologie und Byzantinische Kunstgeschichte / Georg-August-Universität Göttingen): Segobriga in der Spätantike. Architektur und bauplastische Elemente

Beate Brühlmann (Klassische Archäologie / Universität Trier): Villen in Hispanien und Gallien: Zur Bedeutung der Villentypologie

Forschungsfeld Iberische Halbinsel

Francisco Beltrán Lloris (Alte Geschichte / Universidad de Zaragoza): Epigrafía y ciudad en Hispania (1980-2011). Balance y perspectivas

Anmerkungen:
1 Informationen zum Netzwerk und seinen Aktivitäten unter <http://www.toletum-network.com> (30.01.2012).
2 Jean-Gérard Gorges: Les villas hispano-romaines. Inventaire et problématique archéologiques, Paris 1979.
3 Siehe <http://www2.uah.es/imagines_cilii/> (30.01.2012).


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