Wassermühlen IV.

Organisatoren
Regionalmuseum Hohenmauth; Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas – Projektgruppe Usus aquarum
Ort
Vysoké Mýto/Hohenmauth (Tschechische Republik)
Land
Czech Republic
Vom - Bis
10.10.2011 - 12.10.2011
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Von
Martina Maříková, GWZO an der Universität Leipzig / Archiv der Hauptstadt Prag

Seit 2002 findet in Vysoké Mýto/Hohenmauth (Ostböhmen) alle drei Jahre eine Konferenz zum Thema Wassermühlen statt, deren geistiger Vater und Hauptorganisator Radim Urbánek aus dem dortigem Regionalmuseum ist. Zu diesem Anlass treffen sich in Vysoké Mýto Experten/innen verschiedener Bereiche, um ihre Kenntnisse über Wasserbauten auszutauschen. Wassermühlen und ihre technische Einrichtung werden so aus dem Blickwinkel von Archäologie, Bauforschung, Denkmalpflege, Geschichte, Kunstgeschichte, Technikgeschichte und Volkskunde betrachtet. Im Jahre 2011 wurde die Tagung dank der Kooperation mit dem GWZO auch durch einige wertvolle Beiträge aus dem Ausland (Deutschland, Slowakei, Ukraine) bereichert. Die ersten zwei Tage der Veranstaltung sind traditionell Referaten und Workshops gewidmet, am letzten Tag der Konferenz wird eine Auswahl interessanter Bauten in der Umgebung von Vysoké Mýto besichtigt (dieses Mal handelte es sich um Müllerheim in Tržek, den Kanal Halda und die Schulmühle in Pardubice). Die Tagung konzentrierte sich zwar auf die gesamte Geschichte der Wassermühlen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hinsichtlich der Quellenlage dominierte hier jedoch natürlich die neuzeitliche Thematik.

Eine Ausnahme stellten die Beiträge in den zwei ersten Sektionen dar. Die Einführungsreferate wiesen auf die Hauptprobleme des Studiums mittelalterlicher Mühlen in der Tschechischen Republik hin – den Mangel an erhaltenen Quellen und Schwierigkeiten ihrer Interpretation. LUCIE GALUSOVÁ (Leipzig) äusserte sich aufgrund der durchgeführten Ausgrabungen kritisch zum Aussagewert der wüsten Wasserbauten und zu den Möglichkeiten der Archäologie, diese Objekte im Terrain zu aufzuspüren. LUDĚK ŠTĚPÁN (Zaječice) resümierte die Erkenntnisse und Hypothesen über die immer aktuelle, aber nur schwer lösbare Frage der Anfänge und Verbreitung des oberschlächtigen Wasserrades in Böhmen und seiner technologischen Vorteile. Nicht alle der vorgelegten Hypothesen dürfen unkritisch angenommen werden, ihre Verifikation wird jedoch durch den Mangel an relevanten Quellen erschwert. Eine ähnliche Situation besteht auch im Falle der Entstehung geschworener Landesmüller, die mit der technischen Aufsicht über die Wassermühlen und Wehre in Böhmen beauftragt waren (MARTINA MAŘÍKOVÁ, Leipzig). Tätigkeit und Zuständigkeitsbereich des Amtes in den ersten Jahrzehnten seines Bestehens lassen sich leider nur sehr schwer rekonstruieren.

Die darauf folgenden Referent/innen bereicherten die Tagung um Perspektiven aus dem Ausland und boten einen sehr nützlichen Vergleich des Forschungsstandes westlich und östlich der Tschechischen Republik. Die Präsentation von Befunden aus Elfgen im Rheinland im Kontext anderer Ausgrabungen mittelalterlicher Wassermühlen in Deutschland (JENS BERTHOLD, Bückeburg) zeigte eindeutig, dass die tschechische Archäologie noch einen weiten Weg vor sich hat. Ganz anders ist die Situation in der heutigen Ukraine (OLENA KRUSHYNSKA, Kiew), wo das langsam wachsende Interesse an den allmählich vergehenden Bauten durch den Mangel an Quellen ihrer älteren Phase und das Unverständnis der Behörden und der Öffentlichkeit behindert worden sind.

Besondere Erwähnung verdienen die Beiträge jener Referet/innen, die - mit größerem oder kleinerem Erfolg - versuchten, Wassermühlen in einen weiteren gesellschaflichen Kontext zu setzen. RUDOLF ŠIMEK (Rožmitál pod Třemšínem) machte so auf manch unberücksichtigte ästhetische Qualitäten der Mühlenarchitektur und den Einfluss dieser Bauten auf die Landschaftsgestaltung im Barock aufmerksam. TEREZA PAVLÍČKOVÁ (Rychnov nad Kněžnou) thematisierte die schwierige soziale Lage der Bewohner des Adlergebirges, und zwar am Beispiel der Koexistenz der dortigen Mühlen und Webereien. ROMAN TYKAL (Měčín) bot in seinem Vortrag über ein Mühlenmodell, das Bestandteil eines böhmischen Musterdorfes während der „Völkerkundlichen tschechoslawischen Ausstellung“ im Jahre 1895 war, einen ungewöhnlichen Einblick in die Anfänge des öffentlichen Interesses für Volksarchitektur. VENDULA HNOJSKÁ (Blovice) stellte die bewegte Geschichte einiger Privatmüller in der Umgebung von Blovice (südwestliches Böhmen) zur Zeit der Kollektivierung vor. Štěpán verwies auf eine vergessene Quelle aus dem Nationalarchiv in Prag über die Topographie der im Zusammenhang mit dem Anlegen von Stauseen untergegangenen Mühlen hin.

Auch im Jahre 2011 standen wieder baugeschichtliche Beiträge auf dem Tagungsprogramm. Die Referate zeigten erneut, wie irreführend es sein kann, Alter und die Funktion der Bauten nur aufgrund der erhaltenen Schriftquellen zu beurteilen. So erwies die Untersuchung eines unauffälligen Objekts in Turnov (MIROSLAV KOLKA, MARTIN OUHRABKA, IVAN PEŘINA, Liberec), dass die Konstruktionen wider alle Erwartungen in der Renaissance errichtet worden sind. Leider handelt es sich - ähnlich wie in diesem Fall - zu oft um Mühlen, die kurz vor ihrer vollständigen Zerstörung stehen. Nur einige Bauten entgehen diesem Schicksal, entweder durch ihre Versetzung in ein Freilichtmuseum (TOMÁŠ LEDVINKA, Zubrnice, PETR DOSTÁL, Prag), oder durch einen Umbau in ein Ausstellungsgebäude der Regionalgeschichte (PAVEL BUREŠ, Prag).

Die zweite große Gruppe von Beiträgen widmete sich traditionell der Untersuchung der technischen Einrichtung der Mühlen. Dabei ging es nicht nur um Funde einzelner Maschinen, sondern auch um Versuch diese zu restaurieren oder ein bereits in Vergessenheit geratenes Wasserrad wiederzuerrichten. FRANTIŠEK LEDVINKA (Zubrnice) thematisierte die bisher nicht berücksichtigte Problematik der Herstellung von Mühlsteinen, RADIM URBÁNEK (Vysoké Mýto) verwies auf Möglichkeiten zur Datierung der Mühlen aufgrund steinerner Säulen von Mahlbühnen und VÁCLAV MEDEK (Pardubice) beschrieb ausführlich die Geschichte des Wegmann‘schen Walzenstuhls und sein Einführung in den tschechischen Mühlen.

Auch im Jahre 2011 nahmen die Organisatoren Workshops zum Thema Wassermühlen in das Programm auf. Das Ziel dieser praktischen Beschäftigung besteht darin, den Teilnehmer/innen einen Einblick in noch unbekannte Bereiche zu gewähren und ihnen damit Kenntnisse zu vermitteln, die sie für ihre späteren Untersuchungen nutzen können. Sechs Workshops boten Anleitung zur Archivforschung, zur Arbeit mit alten Karten und Drucken, stellten die Rolle der Mühlenbaumeister für den Mühlenaufbau dar und zeigten einige wenig bekannte Maschinen, die einst bei der Getreideverarbeitung genutzt wurden.

Zum Abschluss muss hervorgehoben werden, dass es sich bei dieser Tagung um die einzige Konferenz in der Tschechischen Republik handelt, die dem Thema Wassermühlen gewidmet ist. Ihr unbestrittener Verdienst ist, dass sie eine Plattform für Forscher/innen verschiedener Bereiche und Generationen bietet, die sich mit dieser Problematik beschäftigen. Neben den „Legenden“ dieses Faches (wie F. Ledvinka, S. Štepán, V. Medek) kommen hier auch Nachwuchswissenschaftler/innen zu Wort. Dies beweist die aktive Teilnahme des erst 18-jährigen DAVID VEVERKA (Libušín), der schon jetzt ein Experte für Turbinen ist. Da die Tagung öffentlich ist, erfüllt sie außerdem gewissermaßen auch eine Aufklärungsfunktion. Sie spiegelt so die Situation in Tschechien wider, wo die Bauten oft nur durch Privatbesitzer erhalten werden, die Mühlen zum Beispiel als Wochenendhäuser nutzen. Trotz des Umstandes, dass die diesjährige Tagung bereits die vierte Veranstaltung war, steht außer Zweifel, dass die Mühlenforschung in Tschechien noch einen weiten Weg zurückzulegen hat. Die vorgetragenen Referate zeigten treffend den Forschungsstand, der trotz einiger bedeutender Publikationen immer noch am Anfang steht. 1 Die Tagung und die bereits publizierten Sammelbände stellen jedoch eine gute Basis für eine qualitative Änderung der Untersuchung des Themas dar – so dass in Zukunft statt zahlreicher Einzelstudien vor allem übergreifende und methodisch fundierte Untersuchungen vorgenommen werden.2

Konferenzübersicht:

Jiří Junek (Vysoké Mýto): Begrüßung

1. Vortragsblock

Lucie Galusová (Leipzig): Methode, Möglichkeiten und Schwierigkeiten der nichtdestruktiven achäologischen Forschung der mittelalterlichen Wassermühlen

Luděk Štěpán (Zaječice): Die ersten mittelalterlichen Mühlen mit oberschlächtigem Wasserrad und ihre Mühlsteine

Martina Maříková (Leipzig): Geschworene Landesmüller

2. Vortragsblock

Jens Berthold (Bückeburg): Archäologische Spuren der hochmittelalterlichen Wassermühle von Elfgen (Rheinland, Deutschland)

Olena Krushynska (Kiew): Wassermühlen in der Ukraine – ihr aktuelles Zustand, Forschung und Denkmalschutz

Ondřej Merta (Brno): Mühlen an der Alten Thaya

Jordánová Kveta (Liberec): Die erhaltenen Wassermühlen im Hultschiner Ländchen und ihre Zukunft

Jan Pešta - Jarmila Hansová - Radim Urbánek (Prag - České Budějovice - Vysoké Mýto): Mühle Nr. 113 in Königseck, Bezirk Neuhaus

Miroslav Kolka, Martin Ouhrabka, Ivan Peřina (Liberec): Mühle Nr. 374 in Turnau, ein Beitrag zur Beziehung zwischen dem Alter des Baues und dem Alter ihres Einrichtung

3. Vortragsblock

Václav Medek (Pardubice): Entwicklung der Walzenstuhl-Maschinen

David Veverka (Libušín): Die selten und rar erhaltenen Maschinen der tschechischen Mühlen

Martin Petráš (Bratislava/Pressburg): Mühlen in der Niederung Kvačanska dolina – was war, was ist und was sein wird

Tomáš Ledvinka (Zubrnice): Die Installation des „amerikanischen“ Mahlgangs in die Mühle Nr. 28 in Týnište (Bezirk Aussig)

Martina Karásková (Prag): Mühle Nr. 7 in Pustověty (Bezirk Rakonitz)

Workshops:

Martin Holota (Prag): Das Gerät zur Messung der Feuchtigkeit in Getreide

Eva Chodějovská (Prag): Historische Karten als Quelle der Landschaft in der Vergangenheit

Martina Maříková (Prag): Was ist gut zu wissen, bevor man ins Archiv geht

Luděk Štěpán (Zaječice): Mühlenbaumeister

Rudolf Šimek (Rožmitál pod Třemšínem): Illustrationen in frühneuzeitlichen Büchern

David Veverka (Libušín): Die Kataloge der Mahlmaschinen

4. Vortragsblock

Luděk Štěpán (Zaječice): Dokumentation der durch Stauseen beseitigenden Wasserbauten

František Ledvinka (Zubrnice): Zu den Mühlsteinen – Erzeugung und Nutzung

Radim Urbánek (Vysoké Mýto): Die steinernen Bestandteile der Mahlbühne

Petr Dostál (Prag): Wassermühle aus Radešice Nr. 9 im Freilichtmuseum Vysoký Chlumec

5. Vortragsblock

Roman Tykal (Měčín): Die böhmische Mühle in der „Völkerkundlichen tschechoslawischen Ausstellung“

Pavel Bureš (Prag): Die Mühlen kehren wieder ins Leben zurück

Rudolf Šimek (Rožmitál pod Třemšínem): Die Mühle als ein landschaftsbildendes Element in der Barockzeit

Vendula Hnojská (Blovice): Die Stellung der Müller in der Gesellschaft nach dem Jahr 1948 - Beispiele aus Úslavagebiet

Tereza Pavlíčková (Rychnov nad Kněžnou): Mühle und Weberei unter einem Dach – Beispiele des Parallelbetriebs von Mühle und mechanischer Weberei im Adlergebirge

Anmerkungen:
1 Magda Křivanová/Luděk Štěpán, Dílo a život mlynářů a sekerníků v Čechách. Historie a technika vodních a větrných mlýnů, hamrů, pil, valch, olejen, stoup, Praha 2000; Luděk Štěpán/Radim Urbánek/Hana Klimešová, Dílo a život mlynářů a sekerníků v Čechách 2, Praha 2008.
2 Vodní mlýny: Sborník referátů ze semináře, 18.–19. 6. 2002, Vysoké Mýto 2002; Vodní mlýny 2: Sborník referátů ze semináře, 23.–25. 11. 2005, Vysoké Mýto 2010.


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