Für die erste globale Ölpreiskrise 1973/74 haben sich besonders die Schlüsselbilder der leeren Autobahnen im kollektiven Gedächtnis eingebrannt. Sie wird zudem in zeitgeschichtlichen Darstellungen immer wieder als tiefgreifende Zäsur beschrieben. Dennoch, so betonte FRANK BÖSCH (Potsdam), in seinen einführenden Worten, habe sich die Geschichtswissenschaft bisher kaum mit ihr auseinandergesetzt. Ziel der Sektion war es deshalb, sich dieser historiographischen Leerstelle anhand der Reaktionen auf die Energiekrisen der 1970er-Jahre anzunähern. Bösch stellte jedoch auch fest, dass Krisen nicht nur für einen Niedergang stehen, sondern zugleich Reaktionen auslösen können, die Neuanfänge bedeuten, wie in den folgenden Beiträgen aufgezeigt werden sollte.
Den Anfang machte der Mitorganisator dieser Sektion, RÜDIGER GRAF (Bochum), der als besonderer Kenner dieser Materie bereits zahlreiche einschlägige Aufsätze veröffentlicht hat.1 In seinem Vortrag „Souveränität in einer Welt des Öls. Globale Ressourcenkonflikte und nationale Energiesicherheit in den 1970er Jahren“ beschäftigte er sich mit den Reaktionen der Regierungen Westeuropas und den USA auf die souveränitätspolitischen Herausforderungen im Zuge der Ölkrisen. Graf betonte, dass trotz der Abhängigkeit von diesem Rohstoff die Ölkrise nicht wie ein Schock über die Regierungen der westlichen Industriestaaten hereingebrochen sei. Vielmehr habe es schon seit Beginn der 1970er-Jahre in Regierungskreisen Überlegungen gegeben, wie einem politisch motivierten Ölembargo entgegengewirkt werden könne. Dennoch hätten die Maßnahmen der OPEC unter den westlichen Staaten große Verunsicherung hervorgerufen, da viele Fragen offen geblieben seien und verlässliche Informationen über die Lage auf dem Energiemarkt gefehlt hätten. Nach Graf hätten sich den Staaten verschiedene Möglichkeiten geboten, mit den Herausforderungen umzugehen. Die britische und französische Regierung, die von den Lieferbeschränkungen offiziell nicht betroffen waren, hätten versucht, die Erdöllieferungen durch langfristige Verträge mit den Förderländern zu sichern. Die USA hingegen habe auf eine Kooperation der Erdölimporteure gesetzt, die während der Washingtoner Energiekonferenz im Februar 1974 verhandelt worden sei, um Druck auf die Förderländer auszuüben. Zwar habe die USA mit der Gründung der Internationalen Energieagentur (IEA) ihr Hauptziel erreicht, doch habe sie auch ein Stückweit Souveränität eingebüßt, da sie sich verpflichtet habe, ihre Erdölreserven in Krisenfällen einem Verteilungsmechanismus bereitzustellen. Obwohl die IEA hinter den Erwartungen zurückgeblieben sei, habe sie jedoch durchaus fortan einen Gegenpol zur OPEC dargestellt und neue „Informations- und Kommunikationsstrukturen für die Abstimmung nationaler Energiepolitiken“ etabliert. Graf bilanzierte, dass die westlichen Regierungen relativ flexibel auf die Herausforderungen durch die Ölkrise reagiert und sowohl bilaterale als auch multilaterale Kooperationen gesucht hätten. Deshalb passe das Handeln nicht in das Narrativ eines Souveränitätsverlustes im Zuge wachsender Globalisierung und Niedergangs der Nationalstaaten. Vielmehr seien die Regierungen immer dort zu Einschränkungen ihrer Souveränität bereit gewesen, wo sie sich davon an anderer Stelle einen Zugewinn an Souveränität erhofft hätten.
Mit der zweiten Energiekrise der 1970er-Jahre beschäftigte sich FRANK BÖSCH (Potsdam) in seinem Vortrag „Zwischen Harrisburg und Iran: Globale Reaktionen auf die zweite Ölpreiskrise“. Zwar sei diese Krise, ausgelöst durch die iranische Revolution und flankiert von dem bis dato schwerwiegendsten Störfall eines Atomkraftwerkes in Harrisburg (USA), ökonomisch schwerwiegender als die erste gewesen und zeitgenössisch durchaus auch als einschneidend erlebt worden, doch in der Öffentlichkeit und Forschung sei sie im Rückblick kaum beachtet worden. Bösch fragte in seinem Vortrag, welche Reaktionen die zweite Ölkrise in den Bereichen internationale Beziehungen, Energieverbrauch sowie Förderung alternativer Energien ausgelöst habe. Die Energiepolitik habe zum einen neue (ökonomische) Brücken zwischen Ost und West geschlagen und damit die allgemeine Diplomatie entscheidend mitgeprägt oder sie teilweise sogar überlagert. Bösch verdeutlichte dies am Beispiel des sogenannten „Erdgas-Röhren-Geschäfts“, einem Abkommen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion, wonach erstere Röhren an die Sowjetunion lieferte und im Gegenzug Erdgas erhielt. Trotz einer Verschärfung des Kalten Krieges im Zuge des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan Ende 1979, sei es nach der zweiten Ölkrise zu dem bisher größten Vertrag mit einer Verdopplung der Gaslieferungen aus der Sowjetunion gekommen.
Im zweiten Feld seines Vortrags widmete sich Bösch den Folgen für den Energieverbrauch. Zwar sei bereits nach der ersten Ölkrise die Devise „Weg vom Öl“ aufgekommen, doch signifikante Einsparungen hätten sich erst im Zuge der zweiten ausmachen lassen. In den Ministerien seien weitreichende Sparmaßnahmen diskutiert worden und insbesondere bei der Wärmedämmung um 1980 auch umgesetzt worden. Zudem habe die Regierung vor allem mit der Automobil- sowie Haushaltegeräteindustrie feste Ziele für energieeffiziente Geräte vereinbart. Dieser kooperative Weg sei, so Bösch, die bevorzugte Strategie der bundesdeutschen Regierung gewesen. Sie habe auf eine Verbesserung der Technik und Markttransparenz gesetzt, statt den Konsumenten rigide Sparvorschriften zu machen. Für den Bereich der alternativen Energieressourcen machte Bösch unterschiedliche Entwicklungen aus. Zwar hätten westdeutsche Politiker intern eine pessimistische Haltung gegenüber schnellen Erträgen aus der alternativen Energiegewinnung vertreten, dennoch seien die Forschungsetats besonders für technische Großprojekte massiv ausgeweitet worden. Der Störfall in Harrisburg war für die USA ein Wendepunkt in der Kernkraftpolitik und in anderen Ländern habe er zumindest zu einer großen Verunsicherung und Überprüfung der eigenen Atomkraftwerke geführt. Zusammenfassend merkte Bösch an, dass die beiden Ölpreiskrisen zusammen betrachtet werden sollten, da sich im Zuge der zweiten Krise, Entwicklungen, die schon während der ersten angedacht worden waren, nun dynamisiert hätten und neue Entwicklungspfade eingeschlagen worden seien.
INGO KÖHLER (Göttingen) befasste sich in seinem Vortrag „Zwischen Regulierung und Sensibilisierung. Die Debatten über den Benzinverbrauch in den USA und Westdeutschland nach dem ersten Ölpreisschock“ mit den Folgen für die Automobilindustrie. Er beschrieb zwei generelle Vorgehensweisen, mit denen Regierungen Benzineinsparungen forcieren konnten: Zum einen die Möglichkeit auf einen Technikausbau der Automobilindustrie zu setzen und benzinsparendere Pkws produzieren zu lassen; diesen Weg habe die US-amerikanische Regierung eingeschlagen. Die zweite Möglichkeit bestehe darin, auf Kooperation und „Erziehung“ zum Sparen bei den Autofahrern zu setzen. Das amerikanische Modell der „technology forcing policy“ sei zunächst für die Smokbekämpfung angewandt und im Zuge der Ölpreiskrise ausgeweitet worden. Die amerikanischen Automobilhersteller seien angehalten worden, energieeffizientere Pkws zu produzieren. Nach Vorgaben aus der Politik sollte, so Köhler, der Flottenverbrauch (der durchschnittliche Verbrauch aller Modelle eines Herstellers) bis 1980 um 40 Prozent auf 11 Liter gesenkt werden. Die Energievorgaben der Politik hätten sich jedoch mit den bereits bestehenden Umweltvorgaben überschnitten, die ersten umweltfreundlichen Katalysatoren beispielsweise hätten deutlich mehr Benzin verbraucht. Aufgrund des Widerstands der Automobilindustrie sei der Durchschnittsverbrauch bis 1980 letztlich nur um 20 Prozent gesenkt worden. Auch von Seiten der Verbraucher habe die Politik keine Unterstützung zur Durchsetzung ihrer Vorgaben erfahren. Vielmehr habe die amerikanische Bevölkerung auch nach der ersten Ölkrise mehrheitlich große Straßenkreuzer gekauft.
Im zweiten Teil seines Vortrags wandte sich Köhler der Bundesregierung zu. Diese habe einen Kurs der Technikkonsolidierung statt der -forcierung sowie eine „Strategie der kleinen Schritte“ verfolgt. Der Automobilindustrie seien weniger verbindliche Vorgaben gemacht worden, stattdessen habe man auf ein Erziehungsprogramm der Konsumenten zum Benzinsparen gesetzt. Laut Köhler sei der Erziehungseffekt durchaus sinnvoll gewesen, denn Anfang/Mitte der 1970er-Jahre sei das Automobil-Leitbild der bundesdeutschen Konsumenten noch nicht so gefestigt gewesen, wie es in den USA der Fall gewesen sei. Dies sei vor allem auf den geringeren Motorisierungsgrad zurückzuführen. Köhler führte die hohe Akzeptanz von Klein- und Mittelklassewagen, wie etwa der VW-Golf, auf ein verändertes Automobil-Leitbild zurück, das Anreize für die Automobilwirtschaft geschaffen habe, dieses Leitbild durch vermehrte Produktion von Kleinwagen zu bedienen. Die Automobilhersteller hätten sich zudem als verantwortungsvolle Unternehmen inszeniert, die Verbraucher ihrerseits zum Sparen aufgerufen sowie die Bereitschaft signalisiert, umweltfreundliche und verantwortungsvolle Pkw-Modelle zu produzieren, um dem neuen Leitbild zu entsprechen. Zusammenfassend bilanzierte Köhler, dass es in den USA kaum zu einer Veränderung des Leitbildes gekommen sei und die Forcierung neuer Technologien an der Inkonsistenz sowie mangelnder Akzeptanz der Vorgaben gescheitert sei, während Benzinsparen in der Bundesrepublik als ein „Gemeinschaftsprojekt“ gesehen worden sei.
Der letzte Vortrag der Sektion von CHRISTOPH WEHNER (Bochum) „Kalkulierbares Risiko? Die Versicherung der Atomgefahr“ beschäftigte sich mit der zweiten umstrittenen Energieressource der 1970er-Jahre. Er ging der Frage nach, welche unterschiedlichen Vorstellungen über die Sicherheit von Atomkraftwerken in den Debatten über deren Versicherbarkeit verhandelt wurden. Im Zuge der ersten Ölkrise sei der Ausbau der Kernenergie zunächst forciert worden, was allerdings vermehrt Atomkraftskeptiker und -gegner auf den Plan gerufen habe. Dabei sei die „Kardinalsfrage“ gewesen, ob es sich bei der Kernenergie um ein kalkulierbares Risiko handele. Besondere Bedeutung in der Entwicklung der Kernenergie in der Bundesrepublik schrieb Wehner dem Atomgesetz von 1960 zu, das den Staat dazu verpflichtete, die Haftpflichtkosten zu übernehmen. Der Gesetzestext sowie die Haftpflichtgrenze von 500 Millionen D-Mark hätten sich am US-amerikanischen Atomhaftungsgesetz orientiert, bis hin zur Übernahme der gleichen Schadenssumme. Mit dem Gesetz habe sich die Risikowahrnehmung der Versicherer verändert, sie galt nun als „weitgehend kalkulierbares Technikrisiko“. In den 1970er-Jahren sei die Frage nach der Angemessenheit der Entschädigung im Falle eines Atomunfalls ins Zentrum des Interesses gerückt. In den USA sei die Forderung verschiedener Gruppen lautgeworden, die staatlichen Haftungsgarantien abzuschaffen und sie stattdessen durch eine unlimitierte Versicherungshaftung der AKW-Betreiber zu ersetzen. Dahinter habe die Hoffnung gestanden, dass dadurch eine Kostendynamik verursacht würde, die letztlich die Kernenergie unrentabel erscheinen ließe. Während in der amerikanischen Bevölkerung besonders die Angst vorgeherrscht habe, im Falle eines Atomunfalls nicht angemessen entschädigt zu werden, sei diese Sorge in der bundesdeutschen Debatte weniger ausschlaggebend gewesen. Die Frage der Versicherbarkeit sei anders als in den USA nicht als ökonomisches Entschädigungsproblem wahrgenommen worden, sondern primär als „Vertrauensdefizit in die Reaktorsicherheit“. Deutsche Versicherungsexperten betonten zwar, so Wehner, dass Kernkraftwerke in versicherungstechnischem Sinne sicher seien, da es noch nie zu einem atomaren Unfall gekommen sei, dass ein solcher aber niemals völlig ausgeschlossen werde könne. Gerade der letzte Punkt habe den Atomkritikern als Anknüpfungspunkt gedient.
Bei den bundesdeutschen Versicherern habe sich in den 1970er-Jahren keine Veränderung in der Haltung zur Atomkraft vollzogen. Noch nicht einmal der Störfall in Harrisburg 1979 habe etwas daran geändert. Vielmehr hätte Harrisburg die Versicherer in ihren Kalkulationen bestärkt, dass ein Störunfall zwar hohe Versicherungskosten verursache, aber nicht zwingend zur Katastrophe führen müsse. Die Versicherer hätten zudem in einem kulturpessimistischen Sinne die Gesellschaft selbst als „unkalkulierbares Risiko“ gesehen. Zusammenfassend argumentierte Wehner, dass die Debatte um die Begrenztheit der Versicherungs- und Entschädigungsmöglichkeiten sich in die generellen Diskurse über Grenzen einbetten ließen, die infolge der ersten Energiekrise aufkamen.
MARTINA HEßLER (Hamburg) schlug in ihrem Kommentar vor, die Energiesparmaßnahmen der Konsumenten und Produzenten gemeinsam zu betrachten und wies auf den Rebound Effekt hin, der das Phänomen beschreibe, dass trotz Einsparmaßnahmen der Energieverbrauch steige. Des Weiteren plädierte Heßler für eine globalgeschichtliche Perspektive der Energiekrisen und vermutete, dass sich dadurch eine andere Interpretation der Ereignisse ergeben würde.
In der anschließenden Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, inwieweit die Folgen der Energiekrisen heute insbesondere in den alltäglichen Praktiken zu spüren seien und ob es nicht sinnvoll sei, diese in einer Langzeitperspektive zu untersuchen, da Praktiken zwar länger bräuchten, sich durchzusetzen, sie aber gleichzeitig ein besserer Indikator für gesellschaftliche Einstellungsveränderungen seien als zeitgenössische Diskurse.
Die Sektion zeigte eindrücklich, wie omnipräsent das Thema Energie in den 1970er-Jahren war und bis heute geblieben ist. Die Angst vor einer Energieknappheit beeinflusste sowohl das tägliche Leben der Bevölkerung, etwa beim Tanken, als auch die höchsten Belange der Politik. Deshalb ist es umso erstaunlicher, dass dieses Thema bisher noch nahezu eine Leerstelle in der Zeitgeschichtsforschung bildet. Diese Sektion leistete einen wichtigen Anstoß zur weiteren Beschäftigung mit dieser Thematik.
Sektionsübersicht:
Sektionsleitung: Frank Bösch, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, Universität Potsdam / Rüdiger Graf, Ruhr-Universität Bochum
Frank Bösch (Potsdam): Einführung
Rüdiger Graf (Bochum): Souveränität in einer Welt des Öls. Globale Ressourcenkonflikte und nationale Energiesicherheit in den 1970er Jahren
Frank Bösch (Potsdam): Zwischen Harrisburg und Iran: Globale Reaktionen auf die zweite Ölpreiskrise 1979
Ingo Köhler (Göttingen): Zwischen Regulierung und Sensibilisierung. Die Debatten über den Benzinverbrauch in den USA und Westdeutschland nach dem ersten Ölpreisschock
Christoph Wehner (Bochum): Kalkulierbares Risiko? Die Versicherung der Atomgefahr
Anmerkung:
1 Vgl. beispielsweise: Rüdiger Graf, Ressourcenkonflikte als Wissenskonflikte. Ölreserven und Petroknowledge in Wissenschaft und Politik, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 63 (2012), S. 582-600.