Sacramentum magnum: The Sacrament of Marriage in the Middle Ages – Le sacrement du mariage au moyen âge – Das Ehesakrament im Mittelalter

Sacramentum magnum: The Sacrament of Marriage in the Middle Ages – Le sacrement du mariage au moyen âge – Das Ehesakrament im Mittelalter

Organisatoren
Internationale Gesellschaft für theologische Mediävistik (IGTM); Filosofický Ústav, Akademie věd České republiky (Philosophisches Institut der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik)
Ort
Prag
Land
Czech Republic
Vom - Bis
14.06.2012 - 16.06.2012
Url der Konferenzwebsite
Von
Pavel Blažek, Filosofický Ústav, Akademie věd České republiky / (zurzeit) Freie Universität Berlin

Ausgehend von der Lehre der Bibel und der Kirchenväter und in kreativer Aneignung römischen Rechts und aristotelischer Philosophie, entwickelte das lateinische Mittelalter eine vielfältige und originelle Theologie der Ehe. Der mittelalterliche Beitrag zur christlichen Theologie der Ehe reicht von einer definitorischen Erfassung des Eheschließungsprozesses, über eine Fortentwicklung und Neuinterpretation der biblischen und patristischen Lehre von der Sakramentalität, Unauflösbarkeit und dem monogamen Charakter der christlichen Ehe bis hin zu neuen Zugängen zur Ehemoral und zur Ehepastoral. Die meisten dieser Neuerungen entstanden in Reaktion auf zeitgenössische Herausforderungen, wie etwa die Katharerbewegung, die Begegnung mit dem Eheverständnis und der Ehepraxis im Islam, sowie auf die wachsenden pastoralen Bedürfnisse der Laien. Viele der im Mittelalter formulierten Lehren und Ansätze wirken bis in die gegenwärtige Theologie der Ehe nach.

Diese und andere Aspekte der mittelalterlichen Theologie der Ehe waren Gegenstand der Tagung Sacramentum magnum. The sacrament of marriage in the Middle Ages – Le sacrement du mariage au moyen âge – Das Ehesakrament im Mittelalter, die vom 14. – 16. Juni 2012 in Prag stattfand. Die Tagung wurde von der Internationalen Gesellschaft für Theologische Mediävistik (IGTM) als deren zehnte Jahrestagung sowie vom Philosophischen Institut der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik (Flú AV ČR) ausgerichtet und stand unter der Schirmherrschaft des Prager Erzbischofs Kard. Dominik Duka und des Vorsitzenden des Ökumenischen Rates der Kirchen in der Tschechischen Republik Synodalsenior Pfr. Joel Ruml. Die Tagungsorganisation lag bei Dr. Pavel Blažek (Prag), dem als wissenschaftlicher Beirat Prof. David d’Avray (London), Dr. Giuliano Marchetto (Trient) und Prof. Patrick Nold (Albany, NY) zur Seite standen. Tagungsort war das repräsentative Konferenzzentrum der Akademie der Wissenschaften Villa Lanna in Prag-Dejvice.

Nach Grußworten des Direktors des Philosophischen Instituts, Pavel Baran (Prag), des Vorsitzenden der IGTM, Volker Leppin (Tübingen) sowie der beiden Schirmherren der Tagung, Kard. Dominik Duka und Synodalsenior Pfr. Joel Ruml, eröffnete DAVID HUNTER (Lexington, Kentucky) die Reihe der wissenschaftlichen Vorträge mit einem Referat zur Klerikerehe in Spätantike und Frühmittelalter. Der Referent wies darin auf den direkten Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Lehre von der Sakramentalität der Ehe und dem Verbot der Wiederheirat bei Klerikern hin. Die bereits in den Paulinen formulierte Forderung, ein Bischof dürfe nicht mehr als einmal verheiratet (gewesen) sein, sei in der Spätantike auf alle Kleriker ausgeweitet und argumentativ mit der Lehre untermauert worden, wonach nur die Erstehe als sakramental gelten könne. Die so verstandene „Monogamie“ sei später um die Forderung eines enthaltsam geführten Ehelebens erweitert worden und sei in der Spätantike und im Frühmittelalter geradezu zum Ideal und zur Norm für Klerikerehen avanciert.

INES WEBER (Regensburg/Tübingen) ging in ihrem Vortrag auf die Rezeption christlich-biblischer Normen in der früh- und hochmittelalterlichen Ehegesetzgebung, insbesondere im Hinblick auf den Ehebruch, ein. Anhand einer Fülle von Beispielen zeigte sie, wie im Verlauf des Früh- und Hochmittelalters eine Gesetzgebung der Ehe und konkret des Ehebruchs entwickelt wurde, die weitgehend von biblischen Vorstellungen und Normen abgeleitet und von diesen argumentativ untermauert war.

Die Frage der Paradiesehe in der frühmittelalterlichen Theologie war Gegenstand des Vortrags von ALESSANDRO SCAFI (London). Während noch für Augustinus Geschlechtsverkehr legitimer Bestandteil der Ehe von Adam und Eva gewesen sei (wenn auch im Unterschied zum postlapsarischen Jetzt ein vernunftbeherrschter und ‚konkupiszenzfreier‘ Geschlechtsverkehr), hätten frühmittelalterliche Autoren zu einer asexuell-spiritualistischen Sicht der Paradiesehe geneigt. Klar trete diese Tendenz bei Johannes Scotus Eriugena zutage, für den menschliche Sexualität und Geschlechtsverkehr eindeutig eine Folge des Sündenfalls darstellten.

VALERIA INGEGNO (Paris) stellte in ihrem Referat die augustinisch geprägte Theologie der Ehe im Kommentar zum ersten Brief an die Korinther des Gilbertus Porretanus vor. Im Unterschied zu einigen anderen Aspekten seiner Theologie, weiche dort Gilbertus in seiner Ehelehre nirgends von der katholischen Orthodoxie ab. Die Ehe werde von Gilbertus nicht nur als Heilmittel gegen die Konkupiszenz, sondern als Gabe Gottes, ja geradezu als eine spezielle Berufung (uocatio) im Rahmen der Kirche gewürdigt. Dies halte ihn freilich nicht davon ab, ganz im Sinne der Tradition die Jungfräulichkeit als höherwertig zu betrachten. Was die Möglichkeit der Wiederheirat nach dem Tod des Ehepartners anbelangt, so werde diese von Gilbertus bemerkenswerterweise nur Witwen zugestanden, Witwern dagegen verweigert.

Die Schrift De quadripartita specie nuptiarum Lothars von Segni, des späteren Papstes Innocenz III., war Gegenstand des Vortrags von MARIE-ODILE BONNICHON (Paris). So wie das zeitlich ältere De mysteriis missarum des künftigen Papstes eine explanatio missae darstelle, so bilde das De quadripartita specie nuptiarum eine explanatio nuptiarum, wobei der hier von Lothar allegorisch ausgelegten Eheliturgie höchstwahrscheinlich der von M. Andrieu edierte Ordo VII des Pontifikals von Sora zugrunde liege. Nach Lothar verweise das liturgische Ritual der Eheschließung auf Christus als Bräutigam, der durch seine Fleischwerdung die Prophezeiung Adams aus Gen 2,23-24 verwirklicht habe.

Die Entwicklung der dreimaligen öffentlichen Eheankündigung (banni) als Voraussetzung für die kirchliche Eheschließung im Hoch- und Spätmittelalter stand im Mittelpunkt des Vortrags von CHARLES CASPERS (Nimwegen). Am Beispiel der Diözese Cambrai, dem wahrscheinlichen Ursprungsort der banni, zeigte der Referent auf, wie sich diese Praxis von einer ursprünglich disziplinarischen Maßnahme zu einem Bestandteil der Eheliturgie entwickelt habe.

Der Vortrag von JIŘÍ KAŠNÝ (Prag) widmete sich der Ehelehre in der Summa de matrimonio des Raymund von Pennaforte. Der Referent ging darin insbesondere auf Raymunds Lehre vom Verlöbnis, dem Status von Kindern und von der Mitgift ein.

Die erste der zwei keynote lectures der Tagung hielt PHILIP L. REYNOLDS (Atlanta). In Vorschau auf sein demnächst erscheinendes Buch zum gleichen Thema, bot er darin ein Panorama der Entwicklung der Lehre von der Sakramentalität der Ehe von Petrus Lombardus bis zum Trienter Konzil. Mit seiner Aufnahme der Ehe unter die sieben Sakramente habe Petrus Lombardus Ergebnisse eines halben Jahrhunderts theologischer Entwicklung aufgegriffen und zusammengeführt. Habe bis zum Ausgang des 11. Jahrhunderts die in Gen 2,21-24 beschriebene Einsetzung der Ehe im Paradies den Hauptbeleg für die Heiligkeit der Ehe abgegeben, so sei ab dem frühen 12. Jahrhundert das Pauluswort vom sacramentum magnum (Eph 5,21-31) zur biblischen Kernaussage über die Ehe avanciert. Einhergehend mit einer Neuinterpretation dieser Paulusstelle sei mit ihr fortan der Sakramentscharakter der Ehe begründet und diese neu als durch Christus selbst eingesetzt aufgefasst worden. Dabei sei für die damaligen Theologen zunächst noch unproblematisch geblieben, dass sich nach deren eigenem Verständnis die Ehe von allen anderen Sakramenten des Neuen Bundes unterscheide, da sie im Unterschied zu diesen kein Gnadenmittel darstelle. Erst ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts begegne man der nachdrücklichen Nachweisführung, dass auch die Ehe ein Gnadenmittel sei und somit gleichwertig und gleichartig mit den anderen Sakramenten. Gleichzeitig damit entwickle sich die Lehre vom doppelten Charakter der Ehe: So werde nun betont, dass die Ehe im Unterschied zu den anderen sechs Sakramenten nicht nur ein Sakrament sei, sondern auch eine Institution des Naturrechts. Eine Entwicklung erfahre auch das Eheschließungsritual: Wenngleich während des gesamten Mittelalters der Konsens der Ehepartner und nicht der priesterliche Segen als das die Ehe begründende Element betrachtet worden sei, lasse sich im späteren Mittelalter eine liturgische Aufwertung der Rolle des Priesters bei der Eheschließung beobachten. Alle diese Entwicklungen hätten im 16. Jahrhundert ihren Niederschlag in den Diskussionen des Trienter Konzils um die Rechtsgültigkeit der Klandestinehen gefunden.

Auf die unterschiedliche Sicht des Ehesakraments bei Bonaventura und bei Thomas von Aquin ging JOSÉ GRANADOS (Rom) ein. Während für Bonaventura bereits die Ehe Adams und Evas im Paradies als Sakrament gelte, könne man nach Thomas erst nach dem Sündenfall und vor allem nach Christus vom Ehesakrament sprechen. Wie der Referent darlegte, hänge diese unterschiedliche Sichtweise mit einer unterschiedlich akzentuierten Theologie der Sakramente und deren Stellung in der Heilsökonomie zusammen. Während die Sakramentaltheologie Bonaventuras mehr auf die Zeichenhaftigkeit der Sakramente fokussiert sei – daher die Betonung des ab initio zeichenhaft-sakramentalen Charakters der Ehe –, komme es Thomas mehr darauf an, auch im Hinblick auf die Sakramente die Dynamik und Prozesshaftigkeit der Heilsgeschichte hervorzuheben – daher die Betonung der Einsetzung des Ehesakraments erst durch Christus.

Ergänzend zu seinem Vorredner, ging SHAWN COLBERG (Collegeville, Minnesota) näher auf Wertung und Funktionen des Ehesakraments bei Bonaventura ein. Indem es die Verbindung von Gott und Mensch symbolisiere und den Charakter eines Heilsmittels gegen die Sünde habe, fördere nach Bonaventura das Ehesakrament die Gleichförmigkeit mit Gott und trage somit zur Vervollkommnung der menschlichen Natur bei. Neben dem geweihten Leben, das freilich den status perfectionis darstelle, sei somit die Ehe ein weiterer Weg zur Erlangung von Einheit und Gleichförmigkeit mit Gott.

Das Eheverständnis im Compendium theologicae veritatis des Dominikaners Hugo Ripelin von Straßburg war Thema des Vortrags von PATRICK MONJOU (Aix-en-Provence). Wie der Referent aufzeigte, enthält dieses weit verbreitete theologische Handbuch des 13. Jahrhunderts eine, wenn auch nicht originelle, so keineswegs uninteressante Zusammenfassung der zeitgenössischen Theologie der Ehe, die in der französischsprachigen Bearbeitungen des Werkes im 15. Jahrhundert noch einmal eine Erweiterung erfahren habe.

Auf Fragen der Unlösbarkeit der Ehe in der spätmittelalterlichen Kanonistik ging GIULIANO MARCHETTO (Trient) in seinem Votrag ein. Am Beispiel von drei Consilia des 14. und 15. Jahrhunderts (Pietro d’Ancarano, Felino Sandei und Filippo Decio) zeichnete er die spätmittelalterlichen Entwicklungen in der Beurteilung der Frage nach der Auflösbarkeit noch nicht vollzogener Ehen durch den Papst nach.

PAVEL BLAŽEK (Prag) sprach in seinem Referat über das Verständnis des Ehesakraments bei Durandus von Saint-Pourçain. In bewusster Absetzung von der Lehre des Thomas von Aquin stelle der Dominikanertheologe und Widersacher des Aquinaten den Sakramentcharakter der Ehe in Frage. Aufgrund der zahlreichen strukturellen Unterschiede zu den anderen Sakramenten sei diese kein sacramentum stricte et proprie dictum, sondern lediglich ein Sakrament largo modo. Durandus vertrete diese Meinung in allen drei Redaktionen seines Sentenzenkommentars, in der letzten Redaktion erfahre sie sogar noch eine weitere Zuspitzung.

Die Ausführungen zum sogenannten impedimentum ordinis und impedimentum voti, das heißt der höheren Weihen und des Jungfräulichkeitsgelübdes als Ehehindernis, im Sentenzenkommentar des Johannes von Baconthorp, standen im Mittelpunkt des Vortrags von PATRICK NOLD (Albany). Im Unterschied zu älteren Kommentatoren der Sentenzen erörtere der Karmelitentheologe in Bezug auf das bei Petrus Lombardus diskutierte impedimentum ordinis und impedimentum voti nicht die Ehehindernisse der Weihe und des Keuschheitsgelübdes als solche, sondern wende sich der im Rahmen der Sentenzenkommentierung neuen Frage zu: ob eine noch nicht vollzogene Ehe durch einen Ordenseintritt bzw. durch höhere Weihen aufgelöst werden könne. Er greife damit ein Problem auf, zu dem nur wenige Jahre zuvor Papst Johannes XXII. in seiner Konstitution Antique concertationi Stellung bezogen hatte. Der Referent verglich die Position Baconthorps mit diesbezüglichen Stellungnahmen anderer zeitgenössischer Theologen und skizzierte die spätere Entwicklung der Diskussion zu diesem Thema.

Die zweite keynote lecture der Tagung hielt DAVID D’AVRAY (London). Unter Zuhilfenahme der Weberschen Unterscheidung von Wert- und Zweckrationalität versuchte er darin den nicht selbstverständlichen Tatbestand zu erklären, weshalb im späteren Mittelalter kirchliche Ehenichtigkeitserklärungen eindeutig abnehmen, während sich zur gleichen Zeit eine deutliche Zunahme von päpstlichen Dispensen im Falle von Eheschließungen innerhalb kirchenrechtlich verbotener Verwandtschaftsgrade beobachten lasse. Ersterer Trend sei vor allem dem Umstand geschuldet, dass im späteren Mittelalter die in ihrer sakramentalen Abbildhaftigkeit der Beziehung Christi und seiner Kirche begründete Unauflösbarkeit der Ehe stärker ins Bewusstsein rücke und zu einem absoluten Wert im Sinne der Weberschen Wertrationalität avanciere. Der zweite Trend sei hingegen eine Folge des ersten und hänge damit zusammen, dass im Unterschied zur Unauflösbarkeit der Ehe das Heiratsverbot zwischen Partnern entfernteren Verwandtschaftsgrades (vom Inzest strictu sensu abgesehen) für die Kirche keinen absoluten, sondern lediglich einen instrumentellen Wert im Sinne der Weberschen Zweckrationalität dargestellt habe.

CHRISTIAN TROTTMANN (Tours) stellte in seinem Vortrag die Ausführungen zur Ehe im Matthäuskommentar Papst Benedikts XII. vor. Der Zisterzienserpapst behandle darin neben der Ehe selbst auch die Frage des Konkubinats, des Ehebruchs und der Scheidung. Vor allem auf letztere werde intensiv eingegangen. Der Papst hebe dabei die Unauflösbarkeit der christlichen Ehe im Unterschied zur Ehe in der lex mosaica hervor und behandle zugleich eingehend die Frage der Trennung von Tisch und Bett.

STEPHEN PENN (Stirling) ging in seinem Referat auf John Wyclif’s Verständnis des Ehekonsenses und der consummatio matrimonii ein. Im Unterschied zur gängigen Lehre messe der Oxforder Theologe dem verbalen Ausdruck des Ehekonsenses (verba de praesenti) keinen sakramentstiftenden Charakter bei, sondern betrachte den consensus matrimonialis als einen inneren, in der Seele der Ehepartner stattfindenden Akt. In ähnlicher Weise und zusammenhängend mit seiner negativen Sicht menschlicher Sexualität sei für ihn auch der Geschlechtsverkehr kein notwendiger Bestandteil des Eheschließungsprozesses. Dies gelte gleichermaßen für die Segnung der Ehe durch den Priester.

Die Ausführungen zur Ehe in Geert Grootes Traktat De matrimonio waren Gegenstand des Vortrags von MIKHAIL KHORKOV (Moskau). Wie das Referat deutlich machte, stellt die 1377 verfasste Schrift eine Eheschelte im Stile Theophrasts dar, in der die Ehe und das eheliche Leben kritisch ad malam partem interpretiert und die traditionelle Lehre von der Natürlichkeit der Ehe und von den Ehezwecken bewusst und mit einer durchaus originellen theologischen Beweisführung hinterfragt und relativiert werden. Groote zitiere dabei aus Hieronymus’ Adversus Iovinianum sowie aus verschiedenen Schriften des Augustinus.

Auf Darstellungen der Ehe in Heiligenviten ging MARITA VON WEISSENBERG (Yale University) ein. Anders als gemeinhin angenommen, finde man in mittelalterlichen Heiligenviten nicht nur den Topos des Verzichts auf Ehe, sondern vielfach auch Schilderungen, die das eheliche Leben als positiv und durchaus erstrebenswert darstellen. Den Lesern dieser Viten würden damit zugleich positive Beispiele heiligmäßigen Ehelebens an die Hand gegeben und die Heiligkeit der Ehe unterstrichen.

Die Reihe der Vorträge schloss PAUL PAYAN (Avignon) mit einem Referat über die Ehe Marias und Josefs in der spätmittelalterlichen Theologie ab. Vor allem zwei Aspekte hätten im Mittelpunkt der spätmittelalterlichen theologischen Bemühungen um die Ehe von Maria und Josef gestanden: Im Zusammenhang mit der gleichzeitig verlaufenden pastoralen Aufwertung des heiligen Josef und der Heiligen Familie seien spätmittelalterliche Theologen zum einen bemüht gewesen nachzuweisen, dass die Ehe Josefs und Marias trotz ihres jungfräulichen Charakters eine vollwertige Ehe gewesen sei. Zum anderen sei es ihnen darum gegangen, den Widerspruch zwischen dem von Maria und Josef nach damals gängiger Auffassung geleisteten Jungfräulichkeitsgelöbnis und deren späteren Einwilligung zur Eheschließung aufzulösen, und damit ein Handeln zu rechtfertigen, das der damaligen Lehre vom Jungfräulichkeitsgelöbnis als Ehehindernis (impedimentum voti) zuwiderzulaufen schien. Jean Gerson und franziskanische Theologen als die Hauptvertreter dieser Diskussion seien dabei zu unterschiedlichen Lösungen dieser zwei Fragen gekommen, was nicht ohne Folgen für die Pastoral geblieben sei.

Einen weiteren Punkt des Tagungsprogramms bildeten Präsentationen von Dissertations- und Habilitationsvorhaben sowie weiterer laufender Forschungsprojekte sowohl zum Tagungsthema als auch zu anderen theologisch-mediävistischen Themen: LINE C. ENGH (Rom) stellte ihr neues Forschungsvorhaben zur Verwendung brautmystischer Symbolik als Argument zur Untermauerung päpstlicher Herrschaftsansprüche im Hoch- und Spätmittelalter vor. Das Projekt stellt eine Fortsetzung ihrer bereits abgeschlossenen und veröffentlichten Dissertation (2011) zur Brautmystik im Hoheliedkommentar des Bernard von Clairvaux dar. MIRIAM HAHN (München) berichtete aus ihrem prosopographisch angelegten Dissertationsprojekt zu Eheprozessen vor dem Freisinger Offizialat im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit. KRIJN PANSTERS (Utrecht) sprach über sein gegenwärtiges Buchprojekt zur Tugendlehre bei den frühen Franziskanern und ihrem Stellenwert in der franziskanischen Unterweisungsliteratur und Spiritualität. Die noch 2012 erwartete Monographie (Brill) knüpft an seine bereits 2007 erschienene Dissertation zu Kardinaltugenden in den spätmittelalterlichen Niederlanden an. OKSANA BANDROVSKA (Wien) stellte ihr Dissertationsvorhaben zur mittelalterlichen Entwicklung der kanonistischen Lehre vom Verlöbnis und von den Verwandtschaftsgraden vor. TOMÁŠ KOTRLÝ (Prag) präsentierte aus seiner bereits 2009 abgeschlossenen und derzeit im Druck befindlichen Dissertation zum Begräbnis im kanonischen Recht. Insbesondere ging er dabei auf das Kapitel zur Frage des Grabes von Ehepartnern ein. Die Reihe der vorgestellten Forschungsvorhaben beschloss JESSICA BARKERS (London) mit einer Präsentation ihres kunsthistorisch sowie religions – und sozialgeschichtlich angelegten Forschungsvorhabens zu Darstellungen von Ehepaaren auf Grabmälern im spätmittelalterlichen England.

Mag es für eine abschließende Bewertung des wissenschaftlichen Ertrags der Tagung noch zu früh sein (dies sei den Rezensenten des künftigen Tagungsbandes überlassen), so kann vielleicht als vorläufiges Fazit Folgendes festgehalten werden: Die Tagung hat gezeigt, wie fruchtbar das lange Zeit von der Forschung wenig beachtete Gebiet der mittelalterlichen Theologie der Ehe sein kann und wie viele unerforschte Aspekte es hervorzubringen vermag. Sie hat – darin liegt womöglich ihr wichtigster Beitrag – auf eine Reihe für die mittelalterliche Ehetheologie relevanter, bislang jedoch kaum berücksichtigter Texte und Autoren aufmerksam gemacht (Scotus Eriugena, Gilbertus Porretanus, Innocenz III., Benedikt XII., John Baconthorp, John Wyclif, Geert Groote und andere). Genauso hat sie wertvolle neue Einsichten in das theologische Eheverständnis bereits mehrfach diesbezüglich untersuchter Autoren wie Thomas von Aquin und Bonaventura geliefert. Schließlich hat sie – dies ist, wie der Titel der Tagung verrät, eines ihrer Kernanliegen gewesen – zu einer weiteren Klärung der mittelalterlichen Entwicklung der Lehre von der Sakramentalität der Ehe und deren pastoralen und theologischen Hintergründe und Auswirkungen beigetragen. Der Tagungsband erscheint beim Aschendorff Verlag in der Publikationsreihe der IGTM Archa Verbi Subsidia.

Konferenzübersicht:

Vorträge

David Hunter (University of Kentucky): Clerical Marriage and the „sacramentum magnum“ in the Early Middle Ages

Ines Weber (Regensburg/Tübingen): „Wer seine Frau entlässt und eine andere heimführt, begeht Ehebruch“. Weltliches Recht, biblische Norm und das Verhältnis von Mann und Frau vom 9. bis zum 12. Jahrhundert

Alessandro Scafi (London): Wedded Bliss? Early Medieval Views on the Place of Marriage in Eden

Valeria Ingegno (Paris): Matrimonio, verginità e seconde nozze nella riflessione di Gilberto Porretano (I Cor. VII, 1-40)

Marie-Odile Bonnichon (Paris): Le De quadripartita specie nuptiarum d’Innocent III (1198-1216)

Charles Caspers (Nimwegen): The tres banni and the fourth

Jiří Kašný (Prag): Raymond of Penyafort’s understanding of marital consent, contracting marriage, and marriage as sacrament

Philip L. Reynolds (Atlanta): The Twofold Nature of Marriage in Medieval Theology and at the Council of Trent (keynote lecture)

José Granados (Rom): The sacrament of marriage and creation in Saint Bonaventure and Saint Thomas Aquinas

Shawn Colberg (Collegeville, Minnesota): Saint Bonaventure on the Sacrament of Marriage and Christian Perfection

Patrick Monjou (Aix-en-Provence): Le mariage d’après le Compendium theologicae veritatis: une définition universelle?

Giuliano Marchetto (Trient): Tra teologia e diritto: l’indissolubilità del matrimonio nella dottrina canonistica dei secoli XIV e XV

Pavel Blažek (Prag): Matrimonium non est sacramentum stricte et proprie dictum: Durandus of Saint-Pourçain on the Sacrament of Marriage

Patrick Nold (Albany): Marriage, Religious profession and Holy Orders in the Sentence Commentary of John Baconthorpe (and contemporaries)

David d’Avray (London): Royal Marriage Cases: the underlying theology (keynote lecture)

Christian Trottmann (Tours): Adultère, mariage et divorce, d'après les traités 47-50 du Commentaire de Benoît XII sur l'Evangile de Matthieu

Stephen Penn (Stirling): Matrimonium quid proprie sit: John Wyclif on the Question of Marital Consummation

Mikhail Khorkov (Moskau): Eheverständnis und Ehekritik im Traktat De matrimonio von Geert Groote

Marita von Weissenberg (Yale University): Saints and the Sacrament: Marriage in Late Medieval Biographies of Saints

Paul Payan (Avignon): Mariage et virginité: l’exaltation du couple de Marie et Joseph à la fin du Moyen Âge

Projektvorstellungen und Kurzreferate

Line C. Engh (Rom): Between Cloister and Papacy:The Impact of bridal Imagery on Power Relations in Western Europe, 1150-1400

Miriam Hahn (München): Eheprozesse vor dem Freisinger Offizialat im späten Mittelalter

Krijn Pansters (Utrecht): Franciscan Virtue. Spiritual Growth and the Virtues in Thirteenth-Century Literature and Instruction

Oksana Bandrovska (Wien): Betrothal and Consanguinity/Affinity Matters in Canon Law from the Decretum Gratiani to the Clementinae

Tomáš Kotrlý (Prag): The Selection of the Marriage Grave in Gratian’s decree

Jessica Barkers (London): The Tombs of Married Couples in England, 1300-1530

Vorstellung der Referenten und Diskussionsleitung

Reimund Haas (Münster)
Jan Klok (Tübingen)
Volker Leppin (Tübingen)
Constant Mews (Monash University, Australia)
Britta Müller-Schauenburg (Frankfurt am Main)
Thomas Prügl (Wien)
Walter Senner (Rom)
Pavel Soukup (Prag/Berlin)
Ludwig Vones (Köln)
Ursula Vones-Liebenstein (Frankfurt am Main)

Mitgliederversammlung IGTM


Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Englisch, Französisch, Deutsch, Italienisch
Sprache des Berichts