Transferworkshop Gefühle in Gewaltprävention und Friedenserziehung

Transferworkshop Gefühle in Gewaltprävention und Friedenserziehung

Organisatoren
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin; Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main; Universität Bielefeld
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.10.2013 - 08.10.2013
Url der Konferenzwebsite
Von
Sabine Küntzel, Berlin

Wissenschaftler/innen und Praktiker/innen aus verschiedenen Disziplinen und Praxisfeldern der Emotionsforschung und der Gewaltprävention ins Gespräch zu bringen, um Anknüpfungspunkte zwischen Forschung und Praxis auszuloten, war das Ziel eines Transferworkshops zum Thema „Gefühle in Gewaltprävention und Friedenserziehung“ am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin (MPIB). Grundlage der Diskussion bildeten die Ergebnisse einer im Juni am MPIB abgehaltenen Konferenz „Emotions and Violence“. Die dort formulierten interdisziplinären Überlegungen zur Wechselwirkung von Emotionen und Gewalt, sowie der Rolle von Emotionen bei der Friedensbildung sollten im Workshop fortgeführt und für den Transfer fruchtbar gemacht werden. Dazu wurden eine Vernetzung der Emotionsforschung mit der Friedens- und Konfliktforschung sowie Überlegungen zu zukünftigen Kooperationsmöglichkeiten mit gesellschaftlichen Multiplikatoren im Bereich der Friedenspädagogik und Gewaltprävention angestrebt.

Im Mittelpunkt des Workshops standen Fragen nach der Übersetzung von Ergebnissen aus der wissenschaftlichen Emotionsforschung in die akute Gewaltprävention vor Ort, der wissenschaftlichen Aktualität bestehender Präventionsmodelle und der Rezeption der wissenschaftlichen Forschung im Feld der praktischen Friedensbildung. Auch Überlegungen zur Relevanz von Gefühlen bei der praktischen Arbeit von Friedenserziehung und Gewaltprävention und den konkreten Emotionen, die Täter/innen, Gewaltopfer und Praktiker/innen erfahren, waren für diese Diskussion an der Schnittstelle zwischen wissenschaftlicher Grundlagenforschung und gesellschaftlicher Gewaltprävention wichtig.

Dabei sollten im Workshop, wie die Leiterin des Minerva Forschungsschwerpunktes "Gefühle, Gewalt & Frieden" DAGMAR ELLERBROCK (Berlin) betonte, nicht einfach Forschungsergebnisse in die Praxis übertragen werden. Vielmehr war dieser erste Austausch als Basis für einen kontinuierlichen Dialog gedacht, um zukünftig sowohl Transfermodelle zu entwickeln als auch Forschungsprozesse anzuregen. Ellerbrock skizzierte einleitend den Forschungsstand vor allem aus Perspektive der historischen Emotionsforschung und formulierte mögliche Anknüpfungspunkte des angestrebten beiderseitigen Transfers.

THOMAS HELD (Osnabrück) betonte aus Perspektive der Deutschen Stiftung Friedensforschung, dass die Kategorie der Emotionen bisher ein Desiderat der Friedensforschung sei und dankte dem Minervaforschungsschwerpunkt des MPIB für die grundlegenden Anregungen zur Reflexion dieser wesentlichen Fragestellung. Gefühle, so Held, seien für eine nachhaltige Friedensarbeit vor allem deshalb zentral, weil sie ein wesentliches Strukturmerkmal von Gewaltdynamiken darstellten und das Potential besäßen erklären zu können, wann und warum eine Hassrede in konkrete Gewaltpraktiken umschlage. Auch für die Stabilisierung von Friedensgesellschaften sei es wesentlich, die Rolle der Gefühle zu verstehen, um Rückfälle in alte Konfliktkonstellationen aufgrund vorhandener Traumata und Hass zu verhindern.

Silke Fehlemann (Frankfurt) und Klaus Weinhauer (Bielefeld), mitverantwortlich für die Organisation des Workshops, moderierten die Expertenrunden, in der die Teilnehmer/innen in Kurzreferaten die Ergebnisse der Konferenz aufgriffen und Modelle zum Praxistransfer formulierten und weitergehenden Forschungsbedarf skizzierten.

Die Rolle von Emotionen beim historischen und politisch-moralischen Lernen in Gedenkstätten thematisierte JULIANE BRAUER (Berlin), die am MPIB zur Geschichte der Gefühle forscht. Sie kritisierte den von Seiten der Politik und der Gesellschaft an KZ-Gedenkstätten gestellten Anspruch, insbesondere Schüler/innen nicht nur über die Verbrechen des Nationalsozialismus zu informieren, sondern diese auch moralisch zu erziehen. Hierbei werde oft das Erlernen einer empathischen Grundhaltung als probates Lernziel definiert. Brauer verwies auf die unterschiedliche emotionale und historische Vorbildung, mit der Besucher/innen einer Gedenkstätten an den historischen Ort kommen. Es sei daher nicht möglich, ihnen Empathie für die Opfer vorzuschreiben. Vielmehr führe eine solche emotionale Vorgabe häufig zu einer Verweigerungshaltung der Lernenden. Somit müsse die Gefühlsbildung als ein ergebnisoffener Prozess gestaltet werden, bei dem sich Besucher/innen vor allem der eigenen Gefühle und Vorurteile bewusst werden könnten. Konkret bedeute dies, dass Friedenserziehung die Kategorie Emotion systematisch einbeziehen und emotional offene Antworträume schaffen müsse.

In ähnliche Richtung argumentierte auch MICHAEL STURM (Münster), Mitarbeiter der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Münster und des Geschichtsortes Villa ten Hompel. Bei einem Besuch in der Gedenkstätte, der von Besucher/innen nicht selten als Strafe angesehen werde, dürften keine bestimmten Gefühle impliziert, sondern auch mögliche Empathie für Täter/innen zugelassen und diskutiert werden. Künftig müsste systematisch reflektiert werden, welche Emotionen und Lernprozesse an welchen Orten angemessen seien. Aus einer für Emotionen sensiblen Perspektive betrachtet, seien etwa an KZ-Gedenkstätten – die nicht nur Orte des Lernens, sondern immer auch Friedhöfe sind – bestimmte Lernziele als problematisch einzuschätzen. Somit müsste die Beziehung zwischen Orten und Gefühlen analysiert werden, um sensible Konzepte zu entwickeln, die die emotionalen Implikationen eines Ortes bei der Konzeption emotionaler Angebote mit einbeziehe.

Im historischen Museum könnten, wie ANDREAS GEISSLER (Dresden) vom Militärhistorischen Museum der Bundeswehr Dresden (MHM) anmerkte, viele Themenkomplexe unbefangener angesprochen werden. Neben Empathie, die auch für das Lernen im Museum eine Rolle spielt, würden auch andere Emotionen durch Ausstellungen geweckt. Gerade moderne Häuser, wie das MHM, wollten ihre Besucher/innen durch überraschende Inszenierungen, unerwartete Momente und persönliche Geschichten emotional ansprechen. Dabei, so stellten die Teilnehmer des Transferworkshops fest, könne nicht davon ausgegangen werden, dass historische Akteure und heutige Besucher/innen analoge Emotionen empfänden. Vielmehr müsse es darum gehen, Gefühle selbst in ihrer Historizität zu reflektieren und zu präsentieren. Dafür sei beispielsweise eine Gefühlserzählung über unterschiedliche Zeitebenen hinweg ein innovativer Ansatz für ein Ausstellungkonzept, das die oben diskutierte prinzipielle emotionale Offenheit von Bildungsprozessen aufgreife. Gerade der Aspekt, Emotionen als narrative Struktur musealer Erzählung zu verstehen, regte eine intensive Diskussion an und verdeutlichte umfangreichen emotionswissenschaftlichen Forschungsbedarf.

Ein solches Narrativ müsste laut ANTJE BEDNAREK (Hannover) auch die wechselnden Wertesysteme historischer und heutiger Gesellschaften miteinbeziehen. Denn Werterziehung und Wertbindung seien auch bei der Friedenserziehung von großer Bedeutung, gehe es bei der Frage nach einer gewaltfreien Zukunft doch auch immer um Entwürfe einer guten Gesellschaft. Dabei müsse nicht nur die Ebene des Umgangs der Individuen miteinander beachtet werden. Auch die Verarbeitung von Emotionen, die durch institutionelle Gewalt ausgelöst wurden, trage zur Wertbildung bei.

Über Akteure von Institutionen, die selbst tagtäglich in Kontakt mit Gewalt kommen, sprach MICHAEL JASCH (Nienburg/Weser). Als Professor an der Polizeiakademie Niedersachsen konnte er Einblicke in den Ausbildungs- und Arbeitsalltag der Polizei bieten. Über erlittene oder ausgeübte Gewalt werde kaum gesprochen und dabei empfundene Gefühle marginalisiert. Insbesondere durch die während der Ausbildung erfahrene Disziplinierung und subjektiv als erniedrigend empfundene Situationen würden sich bei den angehenden Polizist/innen aber Gefühle anstauen, die nicht oder nur unzureichend verarbeitet werden. An dieser Stelle wurde die Diskussion der Junitagung aufgenommen, die unter Bezug auf die Forschungen Thomas Scheffs die Verbindung von Scham, Beschämung und Gewalthandlungen an historischen Beispielen diskutiert hatte. Gewalt verändere alles und jeden, so Jasch: Denjenigen, der sie ausübe, denjenigen, der sie erfahre und auch denjenigen, der sie beobachte. Diese Befunde angemessen in die Polizeiausbildung zu integrieren und auch in ihrer emotionalen Dimension zu erfassen, sei eine wesentliche Zukunftsaufgabe.

Dabei sei gerade die Kommunikation von und über Gefühle bei der Beendigung und Prävention von Gewalt notwendig, wie ANGELA MICKLEY (Potsdam), Professorin für Ökologie und Friedenspädagogik, deutlich machte. Die Sprache verdeutliche zudem eine andere Ebene des Gefühlserlebens, die mitbedacht werden müsse: Sprichwörter wie „das geht mir an die Nieren“ oder „es läuft mir kalt den Nacken hinunter“ zeigen, dass auch der Körper eine wesentliche Rolle bei der Empfindung von Emotionen spielt. Daher könnten leibliche Extremerfahrungen oftmals Zugang zu der Gefühlsebene von Gewalttäter/innen verschaffen und damit zur Vorbeugung weiterer Taten beitragen. Grundlegend sei deshalb stets auch immer die körperliche Dimension von Gefühlen, die schon Ellerbrock in ihrem Eingangsstatement hervorgehoben hatte, bei der Friedenserziehung zu berücksichtigen. Um zu verstehen, wie lokale Friedensfähigkeit gestärkt werden könnte, brauche es laut Mickley eine neue theoretische Fundierung der Friedenspädagogik, die explizit die Emotionen berücksichtige. Wie bereits auf der Tagung im Juni mehrfach betont worden war, ist es zentral, die Faszination, die von Gewalthandlungen ausgeht zu verstehen, um diese emotionalen Wirkmechanismen angemessen friedenspädagogisch aufgreifen zu können.

Überlegungen zur kulturellen Tradiertheit der Gefühle stellte ANNE SCHMIDT (Berlin) vom MPIB an. Dass Emotionen historisch wandelbar und kulturspezifisch seien, verdeutlichte sie am Beispiel des hydraulischen Emotionskonzepts. Dieses Konzept, das die Debatten über Gewalt häufig organisiere, sei in langer Tradition im Westen kultiviert worden und anderen Kulturen fremd. Gerade in der Friedensforschung herrsche laut Schmidt aber bisweilen ein ahistorisches Verständnis von Emotionen vor. Schmidt plädierte daher dafür, in der Friedensforschung stärker von einem kulturbedingten Emotionsverständnis auszugehen und stärker nach dem doing emotions zu fragen.

Den Blick auf den Zusammenhang von Emotionen, Gewalt und Frieden aus sozialpsychologischer Sicht richtete GUDRUN BROCKHAUS (München). Hier würden Emotionen als allgegenwärtige, die kognitiven Prozesse grundierende Faktoren angesehen. Brockhaus betonte den intersubjektiven Charakter von Emotionen, die stets durch Interaktion herausgebildet würden. Daher schlug sie vor, Emotionen nicht isoliert als Auslöser oder Folge von Gewalt zu betrachten, sondern den jeweiligen Umgang von Individuen und Gesellschaften mit Emotionen und Gewalt zu untersuchen. Dazu sei es fruchtbar, vermehrt Akteure aus der praktischen Gewaltprävention miteinzubeziehen. Zugleich verwies sie auf die Notwendigkeit zur Selbstreflexion, da auch in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Gewalt Emotionen entstehen.

Bei der abschließenden Diskussion wurden die wichtigsten Anregungen und Hindernisse bei der Untersuchung von Emotionen, Gewalt und Friedensschaffung zusammengetragen. Dabei kristallisierte sich unter anderem die Körperlichkeit der Gefühle als wichtiger Anknüpfungspunkt für zukünftige Forschungen und Transfermöglichkeiten heraus. Wobei Anne Schmidt sich dafür stark machte, diese nicht als als natürlich und universell konzipiert anzusehen. Daneben wurde einstimmig die Notwendigkeit von Selbstreflexivität – sowohl auf Seiten der Wissenschaftler, der gesellschaftlichen Multiplikatoren, als auch der Gewalt ausübenden und erfahrenden Personen – betont. Thomas Held hält einen weiter ausgebauten Dialog zwischen historischer Emotionsforschung und Friedens- und Konfliktforschung für notwendig. Dafür sollten verstärkt Praktiker aus dem Bereich der Pädagogik und der Sozial- und Bildungsarbeit in den wissenschaftlichen Dialog einbezogen werden. Gerade diese Personen hätten einen enormen Schatz an Erfahrungen, den es für die Forschung zu bergen gelte. Den Transferworkshop am MPI lobte Held als Modellprojekt für den Anstoß von innovativer Forschung, interdisziplinärem Austausch und Vernetzung von Wissenschaft und ihrer praktischer Anwendung.

Konferenzübersicht:

Dagmar Ellerbrock (Berlin): Begrüßung und einführende Bemerkungen. Helfen Gefühle dabei, Gewalt zu verstehen und zu verhindern?

Thomas Held (Osnabrück): Gefühle als Chance für die Friedenserziehung: Interessen und Potentiale

Emotionen als Perspektiven historischer Friedensforschung: Transferpotentiale für Gewaltprävention

Round Table Visiting Experts:
Moderation und Einführung: Silke Fehlemann (Frankfurt am Main)

Tagungsergebnisse und Transfervorschläge der Visiting Experts

Open Round Table:
Moderation und Einführung: Klaus Weinhauer (Bielefeld)

Gefühle als Bezugspunkt und Gegenstand: Berichte aus der Praxis

Moderierte Abschlussdiskussion:
Agenda: Transfermodelle, Forschungsbedarf und Anregungspotential im Austausch von historischer Emotionsforschung, Gewaltprävention und Friedenserziehung


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts