Armut. Gender-Perspektiven ihrer Bewältigung in Geschichte und Gegenwart

Armut. Gender-Perspektiven ihrer Bewältigung in Geschichte und Gegenwart

Organisatoren
Gender Concept Group Dresden in Zusammenarbeit mit: Hans-Böckler-Stiftung, Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen, Deutsch-Britische Gesellschaft Dresden e.V.
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.11.2013 - 29.11.2013
Url der Konferenzwebsite
Von
Ulrike Kohn / Bettina Schötz, Institut für Anglistik und Amerikanistik, Technische Universität Dresden

Die Tagung widmete sich dem gesellschaftspolitisch virulenten Thema der Armut aus interdisziplinärer Perspektive. Während einerseits verschiedene Erscheinungsformen von Armut, etwa als Prekariat in der Krise moderner Arbeitsgesellschaften, als Begleiterscheinung von Globalisierungsprozessen oder als sogenannte gläserne Decke von Bildungszugängen, im Fokus standen, diente der allen Wissenschaftler/innen gemeinsame genderorientierte Zugang anderseits dazu, den Nexus von Armut und Geschlecht genauer zu beleuchten. Es sollte herausgestellt werden, dass eine genderwissenschaftliche Perspektive neuartige Einsichten in die Ursachen von Armut, die Mechanismen ihrer Produktion, die Wahrnehmung von Armut, aber auch die Strategien ihrer Bewältigung erlaubt.

Die Konferenz wurde durch den Prorektor der Technischen Universität Dresden Karl Lenz (Dresden), den Dekan der Fakultät für Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften Christian Prunitsch (Dresden) sowie die Mitorganisator/innen Stefan Horlacher (Dresden) und Susanne Schötz (Dresden) eröffnet, die in ihren einleitenden Worten unter Verweis auf den zwei Tage zuvor erschienenen Datenreport 2013 des Statistischen Bundesamtes die außerordentliche Aktualität des Themas Armut hervorhoben. Sie betonten die Notwendigkeit einer genderspezifischen Analyse von Armut und apostrophierten die Konferenz daher als einen wichtigen Beitrag zum gegenwärtigen Diskurs. Dass die Tagung an der Technischen Universität Dresden ausgerichtet wurde und unter den Referent/innen zahlreiche Dresdner Wissenschaftler/innen waren, sahen sie als einen deutlichen Hinweis auf die gewachsene Bedeutung der Geschlechterforschung an der Technischen Universität.

Nach einem einführenden Überblick über die ‚Klassiker‘ sozialwissenschaftlicher Armutsforschung fokussierte KLAUS DÖRRE (Jena) die Erscheinungsformen des ‚Prekariats‘. Ausgehend von der Feststellung, dass wir in Deutschland in einer „prekären Vollerwerbsgesellschaft“ lebten, analysierte er die Auswirkungen prekärer Lebensbedingungen beispielsweise. von Hartz-IV-Empfänger/innen auf deren Geschlechterkonstruktionen. Als Soziologe beobachtete er zum Einen eine Re-Traditionalisierung von Geschlechterbeziehungen: So wird die Ausübung von weiblich konnotierten Tätigkeiten durch Männer in der Unterschicht als ‚Zwangsfeminisierung‘ wahrgenommen, während den im Niedriglohnsektor tätigen Frauen eine ‚Entweiblichung‘ vorgeworfen wird, da sie sich für den Zuverdienst und gegen die alleinige Rolle als Hausfrau und Mutter entscheiden. Dörre identifizierte jedoch auch eine lebensphasenspezifische Flexibilisierung des Geschlechterarrangements in heterosexuellen Partnerschaften; das heißt um der Armut in der aktuellen Lebensphase zu entgehen, sind sowohl Männer als auch Frauen bereit, sich zugunsten des besser verdienenden Partners primär um den Haushalt und die Kindererziehung zu kümmern.

Um den Zusammenhang zwischen Armut und Geschlecht gezielt herauszuarbeiten, stützte sich die Analyse von WOLFGANG STRENGMANN-KUHN (Frankfurt am Main) auf verschiedene Messmethoden von Armut und deren Bezug zu Genderfaktoren. Zwar haben Frauen faktisch einen geringeren Anteil am Arbeitsmarkt, beziehen niedrigere Stundenlöhne und bilden den Großteil der im Niedriglohnsektor Beschäftigten. Dies genüge jedoch nicht, um Armut als ‚weiblich‘ zu klassifizieren. Besonderes Augenmerk legte Strengmann-Kuhn daher auf die Gruppe der überwiegend männlichen working poor. Er argumentierte, dass bei Maßnahmen gegen Armut an den Geschlechterrollen angesetzt werden muss. Denn obwohl das Einkommen dieser Männer häufig über der Armutsgrenze liegt, geraten sie durch ihre zu versorgenden Familien in die Armut. Daher forderte Strengmann-Kuhn politische Maßnahmen, die Frauen einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen. Nur wenn sich Männer maßgeblicher in die Kindererziehung und Pflege von Familienangehörigen einbringen und Frauen vergleichbare Löhne beziehen, kann diese Erscheinungsform von Armut nachhaltig verhindert werden.

Im Mittelpunkt von JENNY ROTHs (Dresden) sozialpsychologischem Vortrag standen aktuelle Untersuchungen zur Reproduktion sozialer Ungleichheit durch Stereotype. Insbesondere die Forschung zur Aktivierung von Stereotypen in Testsituationen zeigt, dass die Aktivierung negativer Leistungsstereotype zu objektiven Leistungseinbußen führen kann (Stereotype Threat). Langfristig ziehen die negativen Erfahrungen in Testsituationen eine Distanzierung und Desidentifizierung der betroffenen Mitglieder vom entsprechenden Fähigkeitsbereich nach sich. Somit werden Stereotype wie die, dass Frauen schlecht in Mathematik und unbegabt in technischen Bereichen seien, laut Roth nicht nur verstärkt, sondern auch erst produziert.

MAGDALENA GEHRINGs (Dresden) Beitrag fokussierte die lange Tradition in der Rezeption von amerikanischen Lösungsvorschlägen zur Bekämpfung weiblicher Armut durch den Allgemeinen Deutschen Frauenverein (ADF). Der ADF hat sich seit den 1860er-Jahren gezielt über Entwicklungen im Ausland informiert, um sie in teils abgewandelter Form für Deutschland zu übernehmen. Die Geschichtswissenschaftlerin erläuterte die Vorbildrolle Amerikas anhand zweier konkreter New Yorker Beispiele, die beide das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe propagierten: dem Frauenasyl und dem Arbeiterinnenschutzverein.

PEGGY RENGER-BERKA (Dresden) analysierte die Geschichte der Diakonissenhäuser seit ihrer Gründung 1836. Als Erfolgsmodell nach ganz Europa exportiert, haben die Häuser der Theologin zufolge insbesondere für unverheiratete und verwitwete Frauen aus der abstiegsgefährdeten unteren Mittelschicht eine wichtige Rolle gespielt. Denn diese konnten sich in ihnen zu Krankenpflegerinnen ausbilden lassen und dort anschließend gegen Taschengeld, Kost, Logis sowie Kranken- und Altersversorgung bei langfristiger Bindung ans Mutterhaus arbeiten. Während die Etablierung der ‚Diakonisse‘ auf eine breite gesellschaftliche Akzeptanz eines neuen Frauenberufs hindeutet, sah Renger-Berka in ihr auch die Verdrängung der Männer aus dem Pflegebereich begründet.

Die Kinderbetreuung in deutschen Kinderkrippen im 19. und frühen 20. Jahrhundert war Gegenstand des Beitrags von DOROTHEA EICKEMEYER (Dresden). Die Historikerin plädierte dafür, die Kinderkrippe stärker im Kontext armenfürsorgerischer Bestrebungen zu untersuchen und nicht wie bisher aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive allein auf ihre Funktion in der öffentlichen Kleinkindererziehung abzuheben. So kann die Krippe als Einrichtung an der Schnittstelle zwischen Privatwohltätigkeit und kommunaler Armen- und Säuglingsfürsorge analysiert werden. Deren primäre Funktionen bestanden darin, die Kinder der unterbürgerlichen Schichten vor Unfällen und gesundheitlichen Schäden zu bewahren und zur wirtschaftlichen Stabilisierung der elterlichen Haushalte (und der Entlastung der Armenkassen) beizutragen.

Den ersten literaturwissenschaftlichen Beitrag lieferte die Romanistin ELISABETH TILLER (Dresden). Sie interpretierte Melania Mazzuccos’ Roman Vita (2003) als einen vielschichtigen literarischen Versuch, anhand der hoffnungslosen wirtschaftlichen Situation des italienischen Südens um die Jahrhundertwende und der kollektiv geteilten Erfahrungsfigur der Emigration in die USA die jüngere italienische Vergangenheit mit der eigenen Familiengeschichte der Autorin zu verbinden. Entkommen die weiblichen und männlichen Figuren des Romans zunächst der italienischen Verarmung, begegnet ihnen in New York eine nicht weniger prekäre und gewalttätige Umwelt. Der Referentin zufolge schlagen die Protagonisten des fiktional-faktualen Hybrids in den USA gezwungenermaßen verschiedene, geschlechtsspezifische Wege ein. Ihr Leben nimmt im Spannungsfeld zwischen verarmter italophoner Kolonie und der sie umgebenden US-amerikanischen Gesellschaft in Abhängigkeit von gegenderten Rollenvorgaben einen gänzlich unterschiedlichen Verlauf, wobei die Hauptfigur Vita das Überschreiten von Grenzen und die Überwindung von Armut personifiziert.

Aus Erna Pinners (1890–1987) Œuvre wählte DOLORS SABATÉ PLANES (Santiago de Compostela) den Bericht „Ich reise durch die Welt“ (1931) als Untersuchungsgegenstand, da in diesem weibliche Stereotype und Frauenemanzipation in den Mittelpunkt gestellt werden. Sabaté Planes’ Ansatz verband die narratologische Analyse mit dem kulturwissenschaftlichen Paradigma der Alterität und gelangte schließlich zu einer Re-Positionierung der marginalen Reiseberichts-Gattung. So extrahierte sie aus Pinners Texten kritische Fragen zur Projektion und Rezeption emanzipierter Europäerinnen im Ausland und zur Manifestation eines grundsätzlichen weiblichen Selbstbewusstseins in wirtschaftlich unterentwickelten bzw. kolonialisierten Ländern. Die Germanistin fokussierte hierbei besonders den Konnex zwischen Armut und Weiblichkeit, den sie als Folge von Machtverhältnissen und Unrechtsstrukturen innerhalb von Mechanismen der modernen Gesellschaft – wie Kolonialismus und Patriarchat – entlarvte.

UTA MEIER-GRÄWE (Gießen) hielt den Vortrag der Abendveranstaltung. Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin stellte insbesondere auf die Diskrepanz zwischen der Feminisierung der Arbeitswelt und der gleichzeitig fortbestehenden Diskriminierung von Frauen durch das Gender-Regime in relevanten gesellschaftlichen Institutionen (unter anderem Erwerbsorganisationen, Familien- und Steuerrecht) ab. Geringere Einkommen und Altersrenten, sowie niedrigere Aufstiegschancen stellten für Meier-Gräwe nur einen Teil der Symptome dar, die unter anderem durch die – empirisch belegte – Trivialisierung von generativer Fürsorge- und Hausarbeit noch verstärkt würden. Infolgedessen signalisierten Männer eine deutlich geringere Bereitschaft zur Ausübung von Fürsorge- und Haustätigkeiten. Gemeinsam mit IRENE SCHNEIDER-BÖTTCHER (Dresden), CLAUDIA MAICHER (Leipzig) und KATHRIN BASTET (Dresden) erörterte Meier-Gräwe in der anschließenden Podiumsdiskussion konkrete Strategien für eine vorausschauende Politikgestaltung.

Der zweite Konferenztag wurde durch CLAUDIA MÜLLERs (Dresden) literaturwissenschaftliche Analyse des Stereotyps der ‚Fat Poor‘ eröffnet. Die Amerikanistin untersuchte die Darstellung von armen, fettleibigen Müttern in popkulturellen Texten wie Here Comes Honey Boo Boo (seit 2012), What‘s Eating Gilbert Grape (1993) und Precious (2009). In ihnen verschmelzen Armut und Fettleibigkeit als ähnliche, kausal zusammenhängende und einander bedingende Zustände. Die dämonisierende Darstellung der fettleibigen Mutterfiguren las Müller als Ausdruck der Angst vor einem alles kontrollierenden Matriarchat und der generationenübergreifenden Kopplung von Armut und Fettleibigkeit.

Anhand ausgewählter Märchen eruierte WIELAND SCHWANEBECK (Dresden), welche Rolle dem Topos des armen Mannes in der erzählerischen Inszenierung von Männlichkeit zukommt. So zählt Armut laut Schwanebeck nicht nur zu den basalen Elementen der Erzählgrammatik, sondern erhält regelrecht konstituierenden Charakter für die fabula und für das im Zentrum vieler Geschichten stehende Erlangen von Männlichkeit. Indem der Anglist den medialen Kontext ausweitete, gelang es ihm, in der Anerkennung der erzählerischen Verfasstheit von Männlichkeiten einen Ausweg aus dem allgegenwärtigen Krisendiskurs um Männlichkeit aufzuzeigen.

Unter Rekurs auf postkoloniale Theoriebildung einerseits und die Bourdieu’schen Arbeiten zum Kapitalbegriff und ‚männlichen Habitus‘ andererseits identifizierte BETTINA SCHÖTZ (Dresden) ein vielschichtiges Wechselverhältnis von Armut und Männlichkeit in der postkolonialen britischen Kurzgeschichte. Die Anglistin stellte den im xenophoben Großbritannien der Nachkriegszeit ausgegrenzten und am Existenzminimum lebenden Männerfiguren Samuel Selvons die wohlsituierten, doch innerlich zerrissenen Angehörigen der britischen Mittelschicht Hanif Kureishis gegenüber und zeigte, wie sich sowohl die Armutserfahrung als auch das Verständnis von Männlichkeit zwischen den 1950er- und den 1990er/2000er-Jahren gewandelt haben. Der wiederkehrende Zusammenhang von Armut bzw. Mangel und Männlichkeit lässt sich, so suggerieren Kureishis jüngste Geschichten, nur durch eine Transformation des auf Herrschaft geeichten männlichen Habitus durchbrechen.

GUDRUN LOSTER-SCHNEIDER (Dresden) untersuchte die Darstellung von genderfizierter Armut als ‚Risiko‘ in Sophie Ludwigs Henriette, oder das Weib wie es seyn kann (1800/1805) und Theodor Fontanes Mathilde Möhring (1895/1906). Die Germanistin wählte die beiden ‚Schwellenromane‘ gezielt aus einem Zeitraum, der gleichermaßen zentral ist für die Radikalisierung und Diskursivierung von Armut, für die Ausbildung der bürgerlichen Geschlechterstereotype und für die Entwicklung (post-)moderner Risikogesellschaften, und der folglich Armut, Gender und Risiko auf dichte Weise miteinander verknüpft. Auf der Grundlage eines kulturalistisch-konstruktivistischen Risiko-Verständnisses und einer methodisch kompatiblen literaturwissenschaftlichen Armutsforschung identifizierte Loster-Schneider Armut, Gender und Risiko somit gleichermaßen als historisch variable Phänomene wie auch als transhistorische Konstruktionselemente.

Im Anschluss an einen konzisen historischen Überblick über die ersten in den Neuenglandstaaten etablierten Fabriken und deren ungewöhnlichem Modell der Frauenanstellung thematisierte KATJA KANZLER (Dresden) die Rolle des ‚Fabrikmädchens‘ als „umkämpftes Zeichen“ (Amal Amireh) in der amerikanischen Industrialisierungsdebatte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Kanzler zufolge ist das ‚Fabrikmädchen‘ eine kulturelle Figur, in der sich Gender- und Klassendiskurse auf komplexe Weise überlagern und die sich zudem als literarisches Subjekt etabliert, wenn an zahlreichen Standorten Zeitschriften mit eigenen literarischen Texten publiziert werden. Besonderes Augenmerk legte die Amerikanistin daher auf die Frage, welche Konsequenzen die kulturelle Überdeterminierung des Phänomens ‚Fabrikmädchen‘ für die Entwicklung einer genuinen Arbeiter/innen-Literatur hat.

HILDEGARD KÖNIG (Dresden) und MARIA HÄUSL (Dresden) analysierten das Verständnis von Armut in verschiedenen biblischen Texten. In alttestamentlichen Schriften dominiert Armut von Frauen noch in Gestalt der Witwe, deren wirtschaftliche Notlage sich durch ihre weitgehende Rechtlosigkeit begründet. Dagegen verschwindet das Bild der weiblichen Armut nahezu vollständig in frühchristlichen Texten, welche die alltägliche (männliche) Erfahrung eines hohen Armutsrisikos trotz Arbeit in den unteren sozialen Schichten im römischen Kaiserreich spiegeln. Die Theologinnen kritisierten die räumliche und funktionale Restriktion nicht nur prekär lebender Frauen, sondern auch jener Frauen, die aktiv und selbstständig wirtschafteten und daraufhin mit vorgeblich apostolischer Autorität aus der kirchlichen Gestaltungsmacht gedrängt wurden und lediglich im Kontext pastoraler Aufgaben sichtbar blieben.

In dem ersten der beiden abschließenden geschichtswissenschaftlichen Beiträge betrachtete ELKE SCHLENKRICH (Halle) geschlossene Einrichtungen der Armenfürsorge in Sachsen und der Oberlausitz im späten 17. bis 19. Jahrhundert. Am Beispiel ausgewählter ‚geschlossener Häuser‘ in Leipzig und Görlitz legte sie dabei ihr Augenmerk auf die Lebenswelten armer und kranker Frauen.

Im Fokus der Ausführungen von ALEXANDRA-KATHRIN STANISLAW-KEMENAH (Dresden) stand die Unterbringung von Frauen und Männern in Dresdner Fürsorgeeinrichtungen der Frühen Neuzeit. Anhand von Bittgesuchen an das Bartholomäihospital und das Jakobsspital führte die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Dresden Lebensstationen der Aufnahmesuchenden vor. Sie ging der Frage nach, ob sich in den Supplikationen der Bittsteller/innen ein geschlechtsbedingt anderes Verständnis und ein anderer Umgang mit Armut insbesondere vor dem Hintergrund der in sie gesetzten Erwartungen hinsichtlich ihrer gesellschaftlich etablierten geschlechtsspezifischen Rollenverständnisse feststellen lasse.

In seinem Schlusswort unterstrich STEFAN HORLACHER (Dresden), dass die Beiträge einerseits illustriert haben, auf wie unterschiedliche Weise sich verschiedene Disziplinen demselben Problemkreis nähern, und andererseits, welche Synergieeffekte und neuen Erkenntnisse sich aus einer fachübergreifenden Zusammenarbeit ergeben können.

Die verschiedenen soziologischen, geschichtswissenschaftlichen, religionsgeschichtlichen, kultur- und literaturwissenschaftlichen Analysen haben im Laufe der Tagung immer wieder eindrücklich vor Augen geführt, dass eine genderwissenschaftliche Perspektive in der Lage ist, ganz neue Aspekte der Komplexität gesellschaftlicher Phänomene und Entwicklungen sichtbar zu machen. Die Beiträge haben verdeutlicht, dass sich Armut in Abhängigkeit vom Geschlecht in verschiedenen Gesellschaften zu unterschiedlichen Zeiten in spezifisch anderer Weise darstellt. Das heißt, erst wenn die Dimension Gender mitgedacht wird, ist es möglich, Armut in ihrer Vielschichtigkeit zu erfassen. Die außerordentliche Relevanz genderorientierter Forschungen werden auch die für die Zukunft geplanten Konferenzen und Projekte der Gender Concept Group Dresden erweisen.

Konferenzübersicht:

Klaus Dörre (Jena): Bewährungsproben für die Unterschicht: Re-Traditionalisierung von Geschlechterbeziehungen?

Wolfgang Strengmann-Kuhn (Frankfurt am Main): Armut und Gender

Jenny Roth (Dresden): Reproduktion von sozialer Ungleichheit durch Stereotype

Magdalena Gehring (Dresden): Die Rezeption amerikanischer Strategien zur Bekämpfung weiblicher Armut durch den Allgemeinen Deutschen Frauenverein – Am Beispiel der Hilfe zur Selbsthilfe

Peggy Renger-Berka (Dresden): Zwischen Ehelosigkeit, Berufstätigkeit und Selbstverleugnung – Evangelische Diakonissen im 19. Jahrhundert

Dorothea Eickemeyer (Dresden): Arbeiterfrauen und Kleinkinderbetreuung um 1900 in Sachsen

Elisabeth Tiller (Dresden): Armut und Emigration. Melania G. Mazzuccos Vita (2003) und der literarische Umgang mit Klischees

Dolors Sabaté Planes (Santiago de Compostela): Armut und Gender in Erna Pinners Reisebericht „Ich reise durch die Welt“ (1931)

Uta Meier-Gräwe (Gießen): Frauen zwischen Armutsgefährdung und existenzsichernder Erwerbsarbeit

Claudia Müller (Dresden): Das Stereotyp ‚Fat Poor’: Armut und Fettleibigkeit im diskursiv hergestellten Zusammenhang

Wieland Schwanebeck (Dresden): Geschichten vom Mangel: Zur Konstruktion von Männlichkeit in der klassischen Erzählgrammatik

Bettina Schötz (Dresden): Vom verarmten Außenseitertum zur orientierungslosen Mittelschicht: Männlichkeitsentwürfe in der ‚black British short story’

Gudrun Loster-Schneider (Dresden): Genderfizierte Armutsrisiken in deutschsprachigen Romanen 1800/1900

Katja Kanzler (Dresden): ‚Factory Girls‘: Gender und Klasse in der Selbstinszenierung von US-amerikanischen Fabrikarbeiterinnen, 1820–1840

Maria Häusl und Hildegard König (Dresden): Eine Handvoll Mehl im Topf – Armut und Geschlecht in der Bibel und in antiken christlichen Quellen

Elke Schlenkrich (Halle): Lebenswelten armer und kranker Frauen in geschlossenen Einrichtungen der Armenfürsorge in Sachsen und der Oberlausitz im späten 17. bis 19. Jahrhundert

Alexandra-Kathrin Stanislaw-Kemenah (Dresden): Die Armen aus christlicher Liebe mit Fleiß nach Vermögen zu befördern? Die Dresdner Armenfürsorge in der Frühen Neuzeit (16. bis 18. Jahrhundert)


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