Widerstand an der Saar 1935-1945

Widerstand an der Saar 1935-1945

Organisatoren
Union Stiftung; Landschaftsverband Rheinland; Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte
Ort
Saarbrücken
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.05.2014 - 16.05.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Alena Saam, Stadt- und Landesgeschichte, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte

Die Tagung „Widerstand an der Saar 1935-1945“ wurde am 15. Mai 2014 durch den Abendvortrag von HELMUT RÖNZ (Bonn) eröffnet. Nach Begrüßung und Danksagung an die Union Stiftung stellte Rönz das Projekt „Widerstand an der Saar“ als Teilprojekt des LVR-Projektes „Widerstand im Rheinland“ vor, dessen Ergebnisse im Laufe der Tagung präsentiert und diskutiert werden sollten. Die Saarregion war seit 1815 überwiegend Teil des Rheinlandes. Mit der Abspaltung von der Rheinprovinz 1918 ging sie jedoch ihren eigenen Weg, so dass es durchaus auch im Widerstand gegen den Nationalsozialismus Saarspezifika gab. Das Verhalten der Saarbevölkerung gegenüber dem NS-Regime sei nicht nur aufgrund der spezifischen Milieustrukturen anders zu betrachten und zu werten als im Reich, sondern auch, weil diese zwischen 1933 und 1935 durchaus durch Propaganda, Presse und Erzählungen von Emigranten erfahren konnte, was sie bei einem „Anschluss“ erwartete. Trotzdem verlief die Abstimmung über den Status des Saarlandes am 13. Januar 1935 zugunsten des NS-Regimes. Schnell bildeten sich an der Saar Widerstandsgruppen, die sich zunächst vornehmlich aus den ehemaligen Gegnern des „Anschlusses“ rekrutierten. Rönz betonte, dass Opposition und Widerstand an der Saar breit gefächert waren und von passiver Resistenz, nonkonformem Verhalten, situativer Widersetzlichkeit bis zu organisiertem, auch gewaltsamem Widerstand reichten. Zum Abschluss stellte Rönz den Typus und die Struktur des saarländischen Widerstands genauer vor, wobei er feststellte, dass bis auf einen genuinen jüdischen Widerstand alle Formen anzutreffen seien, was er mit zahlreichen Beispielen belegte. Dabei sei aber der kommunistische, Alltags- und konfessionelle Widerstand am weitesten verbreitet gewesen.

Nach der Begrüßung durch den Vorsitzenden der Union Stiftung, Rudolf Warnking, begann die erste Sektion am zweiten Konferenztag unter dem Titel „Der Raum und die Methode“ und moderiert von Markus Gestier (Saarbrücken). Helmut Rönz eröffnete die Sektion mit einer detaillierten Erklärung der Methode und der Darstellung der Ergebnisse des Forschungsprojekts zum Widerstand an der Saar. Bei der Frage des Untersuchungsraumes, der in dem Projekt das heutige Saarland bildete, verwies der Referent auf die Schwierigkeiten der Abgrenzung der reichsdeutschen und der saarländischen Gebiete, die sich bei der Archivrecherche ergeben können. Als Arbeitsgrundlage galten Wiedergutmachungs- und Entschädigungsakten, Gestapo- und Prozessakten, die derzeitig greifbare Literatur und Zeitzeugeninterviews. Die so erfassten Widerstandsgruppen wurden dann nach folgenden Aspekten aufgearbeitet: Herkunft und Ort des Widerstands, Gruppengröße, politische/ideologische Positionierung der Widerstandsgruppe, Zeitraum und Dauer des Widerstands, Maßnahmen des NS-Regimes und die Intensität bzw. Form des Widerstands. Für die Präsentation der Ergebnisse wies Rönz einmal auf die Online-Publikation auf der LVR-Webseite hin.1 Dort, so Rönz, finde man eine Karte mit Zoomfunktion, die ähnlich wie Google-Maps funktioniere und in der die bisher erarbeiteten Widerstandsfälle durch Punkte markiert seien. Außerdem kündigte er die Veröffentlichung eines erweiterten Tagungsbandes an, der die Projektergebnisse enthalten werde.

Im Anschluss daran referierte MARTIN SCHLEMMER (Duisburg) über „Politik und Raum an der Saar bis 1935“. Er verfolgte in seinem Vortrag das Ziel, diejenigen Aspekte herauszufiltern, die die Rückgliederung des Saargebiets an das Reich 1935 beeinflussten. Zunächst fing er mit der Schaffung des Saargebiets durch den Versailler Vertrag an und erläuterte dessen Bestimmungen zum Untersuchungsgebiet: Dazu gehörte die Abstimmung, die 15 Jahre nach Abschluss des Vertrags abgehalten werden sollte, sowie der verwaltungstechnische Aufbau des nun unter der Regierungsgewalt des Völkerbund stehenden Saargebiets. Weiter ging er auf die negativen deutschen und saarländischen Reaktionen auf die französische Besatzung ein, die nicht selten mit nationalen Klischees und rassistischen Ressentiments aufgeladen waren. Anschließend stellte Schlemmer die politische Situation im Saargebiet vor, die sich ähnlich wie im Reich gestaltete und von der Forderung der Rückgliederung dominiert war. Dabei erzielte die NSDAP nur unterdurchschnittliche Wahlergebnisse, das Jahr 1933 markierte dahingehend jedoch einen Wendepunkt. Die Gegner des Nationalsozialismus rekrutierten sich aus dem katholischen und dem linken Milieu. Während es innerhalb der Gewerkschaften, der SPD und der KPD zu einer „Einheitsfront“ kam, bildeten sich bei den Katholiken zwei Lager. Schlemmer veranschaulichte diese anhand des Streits zwischen dem Statuts-quo-Befürworter und Gründer der „Neuen Saarpost“ Johannes Hoffmann einerseits und dem Trier Bischof und Anhänger der Rückgliederung, Franz-Rudolf Bornewasser, andererseits. Anschließend zog Schlemmer das Fazit, dass sich die Saarländer bei der positiven Abstimmung von 1935 nicht unbedingt für das nationalsozialistische Regime entschieden hätten, sondern für die Zugehörigkeit zur deutschen Nation.

Die zweite Sektion mit dem Thema „Partei, Staat und Verfolgungsbehörden“, die von Alexander Friedmann (Luxemburg/Saarbrücken) moderiert wurde, leitete ARMIN NOLZEN (Warburg/Bochum) mit seinem Vortrag über „Symbolische Gewalt. Die NSDAP an der Saar vor und nach dem 13. Januar 1935“ ein. Grundlage des Vortrags war das Konzept der symbolischen Gewalt des französischen Soziologen Pierre Bourdieu. Nolzen formulierte dementsprechend die Fragestellung, wie es dazu kam, dass die Saarländer in der Abstimmung von 1935 den Status quo abwählten und wie der NS-Konformitätsprozess anschließend verlief. Dazu begann er mit der Bildung der „Deutschen Front“ (DF), die strukturelles Abbild der NSDAP gewesen sei. Die DF übte insofern „symbolische Gewalt“ aus, als dass sie NS-Ausdrücke und die operativen Praktiken der NSDAP, wie Institutionalisierung, Mobilisierung und Gewalt, übernahm. Die Androhung oder tatsächliche Ausübung von körperlicher Gewalt oder der Ausgrenzung aus sozialen Gefügen erzeugte einen Abschreckungseffekt, der damit eine symbolische Wirkung hatte. Anschließend ging Nolzen weiter auf die Zeit nach der Abstimmung und dem Aufbau der NSDAP im neu gegründeten Gau Rheinpfalz-Saar ein. Den ab März 1935 zu verzeichnenden Mitgliederansturm auf die NSDAP, ihre Gliederungen und angeschlossenen Verbände erklärte Nolzen mit den sozialen, materiellen und symbolischen Vorteilen, die eine Mitgliedschaft mit sich brachte. Die Mitwirkung an der NS-Herrschaft hielt Nolzen in sechs „operativen Praktiken“ fest: Institutionalisierung, Kontrolle, Hilfe, Erziehung, Mobilisierung und Gewalt. In seiner Schlussbetrachtung kam Nolzen auf die eingangs gestellten Fragen zurück und legte seine Ausgangshypothese dar: Die DF/NSDAP im Saargebiet benötigte keine übermäßige Repression, um eine Änderung des Status quo zu erreichen, sondern musste lediglich bestehende Dispositionen verstärken. Schließlich merkte er an, dass die Forschungslage über die Organisation von Frauen in der DF/NSDAP und auf sie abgestimmte Propaganda äußerst schlecht sei.

PETER WETTMANN-JUNGBLUT (Saarbrücken) folgte mit einem Vortrag über die Arbeit von Justiz, Polizei und Gestapo an der Saar 1935-1945. Er arbeitete Spezifika polizeilichen und behördlichen Handelns an der Saar heraus und verglich sie mit der Polizeiarbeit in anderen Regionen. Hierbei stellte er fest, dass noch einiges – auch empirisch – aufzuarbeiten sei. An der Saar bestanden die Behörden noch aus Beamten der Völkerbundszeit, nur die Gestapo wurde neu aufgebaut. Dies habe jedoch nicht zu einem milderen Klima an der Saar geführt. Denn auch hier entwickelte sich die Polizei bis 1939 zum willigen Vollstrecker der Gewaltherrschaft. Auch die Justiz war nicht unbedingt milder als anderswo im Reich – im Gegenteil – eine vergleichsweise weniger harte Urteilskultur lasse sich für das Sondergericht Saarbrücken auf keinen Fall feststellen.

Nach der Pause eröffnete Stefanie Schild (Bonn) die dritte und letzte Sektion, die die Ergebnisse des Projekts vorstellte. RALF FORSBACH (Bonn) begann mit einem Vortrag über den linken Widerstand an der Saar. Das Saargebiet sei für die politische Linke vor der Wiedereingliederung 1935 von großer Attraktivität gewesen. Deswegen ging Forsbach zunächst auf die Rolle des Saargebiets für die linke Opposition im Reich und den aus dem Saargebiet ins Reich getragenen Widerstand ein. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass die Widerstandstätigkeit vor allem aus dem Schmuggel von kommunistischem Schriftgut bestand. Der Referent betonte dabei die Gefahr des Verrats. Weiterhin hatte das Saargebiet eine große Bedeutung als Rückzugsgebiet für NS-Gegner aus dem Reichsgebiet. So suchten Kommunisten dort entweder nach Unterstützung für ihren Kampf gegen den Nationalsozialismus im Reich oder sie sahen sich gezwungen, ins Saargebiet zu fliehen und von dort aus Widerstand zu leisten. Oft war das Saargebiet nur eine Durchgangsstation für die Verfolgten, denn nach dem „Anschluss“ 1935 flohen viele von ihnen über Forbach nach Frankreich und leisteten von dort aus Widerstand. Abschließend stellte Forsbach den saarländischen Widerstand seit der Angliederung des Saargebietes an das Reich vor. Dabei unterschied er zwischen den öffentlichen Unmutsäußerungen und der geheimen politischen Arbeit. Insgesamt untermauerte er seinen Vortrag mit zahlreichen Beispielen aus dem Saarland.

Der nächste Referent, HERMANN-JOSEF SCHEIDGEN (Köln), war für den konfessionellen Widerstand an der Saar zuständig. Zunächst begann er mit einem kurzen Überblick über die konfessionelle Entwicklung im Saarland, wobei er konstatierte, dass ab dem 19. Jahrhundert ein Wandel der konfessionellen Strukturen hin zum Katholizismus stattfand. Außerdem ging er auf den konfessionellen Widerstand und dessen Formen im Allgemeinen ein. Dabei lasse sich feststellen, dass diese Art des Widerstands aus dem jeweiligem Glauben resultiere, dessen religiös-ethische Maxime zum Handeln auffordere. Die Formen des Widerstands erstreckten sich über Verweigerung und öffentlichen Protest. Dabei sei die katholische Opposition wegen des gut organisierten katholischen Milieus im Saargebiet recht stark gewesen. Der Referent hob auch das Engagement von Frauen hervor. Bei den Protestanten stellte Scheidgen fest, dass es zwar eine große Anzahl von Aktionen zur innerkirchlichen Selbstbehauptung gab, jedoch kein übergreifendes Konzept zu erkennen gewesen sei. Das lag seiner Ansicht nach daran, dass die Zentren des protestantischen Widerstands in der Rheinprovinz, beispielsweise in Elberfeld, zu finden waren, wohingegen der Katholizismus ein „Bollwerk“ in St. Wendel hatte. Zum Schluss erwähnte Scheidgen ausdrücklich, dass konfessioneller Widerstand nicht nur in den großen Kirchen entstand, sondern auch in kleinen Glaubensgemeinschaften, wie den evangelischen Freikirchen und den Zeugen Jehovas. Insbesondere für letztere sei eine numerisch und qualitativ hohe Widerstandsaktivität nachzuweisen, die vom Verweigern des „Hitler-Grußes“ bis hin zur Verweigerung am Kriegsdienst teilzunehmen, reichte.

Die Tagung endete mit dem Vortrag von ANSGAR KLEIN (Bonn) über den bürgerlichen, den Retter- und Alltagswiderstand gegen das NS-Regime an der Saar. Klein begann mit der Vorstellung des bürgerlich-liberalen Widerstands, bei dem er die reichsweite Vernetzung des Kölner-, Kreisauer- und Goerdeler-Kreises mit dem militärischen, kirchlichen oder gewerkschaftlichen Widerstand hervorhob. Danach ging Klein auf den Retterwiderstand ein, der anhand der Pogromnacht 1938 in zwei Phasen unterteilt werden könne. Die erste Phase, so der Referent, war von Solidarität mit jüdischen Mitbürgern gekennzeichnet, die meist ohne strafrechtliche Folgen war. Nach der Pogromnacht verschärfte sich jedoch die Diskriminierung der Juden, weswegen eine nennenswerte Zahl von ihnen die Flucht ins Ausland wagte. Dabei fanden die illegalen Grenzüberschreitungen oftmals mit Hilfe Dritter statt. Diese Helfer waren jedoch häufig von finanziellen Motiven getrieben, statt von humanen. Der Kriegsausbruch unterbrach dies. Die 1941 einsetzenden Deportationen lösten ein Untertauchen von Juden in die Illegalität aus, wobei sie ebenfalls auf die Hilfe von nicht-jüdischen Verwandten oder Freunden angewiesen waren. Ebenso erging es Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern oder Deserteuren. Der Alltagswiderstand lasse, so Klein, nicht immer auf grundsätzliche Kritik am oder die Beseitigung des Nationalsozialismus schließen, dennoch sah der NS-Staat jede öffentliche Unmutsäußerung als Angriff. Nicht nur die öffentliche Kritik, sondern auch das Hören von feindlichen Sendern lasse sich unter diese Kategorie fassen. Als letztes stellte Klein die Jugendopposition vor, für die er das Mitglied der „Weißen Rose“ Willi Graf als Beispiel anführte. Auch Jugendcliquen, wie die in Saarbrücken aktive „Pogobande“, nannte er hier. Diese in der Tradition der Bündischen Jugend stehenden Gruppen grenzten sich demonstrativ von der Hitlerjugend und dem Bund Deutscher Mädel ab. Sie druckten beispielsweise Plakate und Flugblätter oder beschrifteten Wände mit dem „PX“-Zeichen.

Abschließend erfolgte eine Podiumsdiskussion, die von Michael Lentes, Redakteur des Saarländischen Rundfunks, geleitet wurde. Bei dieser ging es zunächst um Formen des Widerstands und Einordnungsprobleme. Hauptthema des Gesprächs mit Podium und Publikum war jedoch das „Saarländische Trauma“ (Rönz). Warum stimmte eine Region, in der die Nationalsozialisten bei Wahlen stets schlecht abschnitten, mit einer so überwältigenden Mehrheit für den „Anschluss“? Auch auf dieser Tagung konnte die Frage nicht letztgültig beantwortet werden.

Die Aufarbeitung des „Saarwiderstands“ lässt auf neue Ansätze und Fragen zur Forschung hoffen. Nicht zuletzt erfolgten durch dieses empirische Projekt eine Verbreiterung der Datenbasis und eine beispielhafte Erfassung von Widerstandsaktivitäten für eine ganze Region. Die Erfassung der Fälle über Onlinekarte und Datenbank ist ein innovativer Ansatz, der nicht nur von der Forschung, sondern auch von Bildungsinstitutionen, Schulen und interessierten Laien vor Ort genutzt werden kann.

Konferenzübersicht:

Helmut Rönz (Bonn): Widerstand an der Saar 1935–1945

Rudolf Warnking (Saarbrücken): Begrüßung

Helmut Rönz (Bonn): Widerstand an der Saar – Eine Einführung

Martin Schlemmer (Duisburg): Politik und Raum Saar bis 1935

Armin Nolzen (Warburg/Bochum): Symbolische Gewalt. Die NSDAP an der Saar vor und nach dem 13. Januar 1935

Peter Wettmann-Jungblut (Saarbrücken): Justiz, Polizei und Gestapo an der Saar

Ralf Forsbach (Bonn): Linker Widerstand gegen das NS-Regime im Saarland

Hermann-Josef Scheidgen (Köln): Konfessioneller Widerstand an der Saar

Ansgar Klein (Bonn): Bürgerlicher Widerstand, Retterwiderstand und Alltagswiderstand gegen das NS-Regime an der Saar 1935–1945

Podiumsdiskussion, Moderation: Michael Lentes, Redakteur, Saarländischer Rundfunk

Anmerkung:
1 <www.rheinische-geschichte.lvr.de>.


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