Repräsentation und Erinnerung. Herrschaft, Literatur und Architektur im Hohen Mittelalter an Main und Tauber

Repräsentation und Erinnerung. Herrschaft, Literatur und Architektur im Hohen Mittelalter an Main und Tauber

Organisatoren
Landesarchiv Baden-Württemberg, Archivverbund Main-Tauber
Ort
Bronnbach/Gamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.10.2014 - 25.10.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Sandra Eichfelder, Historisches Institut, Universität Mannheim

Das Staatsarchiv Wertheim, das sich im Archivverbund Main-Tauber mit dem Stadtarchiv Wertheim und dem Archiv des Main-Tauber-Kreises zusammengeschlossen hat, bewahrt die schriftliche Überlieferung der Grafschaft Wertheim und der weiteren Territorial- und grundherrlichen Besitzungen der Grafen und Fürsten von Löwenstein-Wertheim. Dadurch war es in Zusammenarbeit mit den Universitäten Heidelberg und Mannheim prädestiniert als Ausrichter und Tagungsort für aktuelle Mittelalterforschung im Main-Tauber-Kreis, wobei durch die Lage des Archivs im Kulturzentrum Kloster Bronnbach die Infrastruktur des Klosters genutzt werden konnte. Die auswärtigen Gäste und Referenten, die sich unter den fast 100 Teilnehmern der sehr gut besuchten Tagung befanden, waren im Gästehaus des Klosters bestens untergebracht. Kunsthistoriker, Literaturwissenschaftler und Historiker trafen sich hier zu einem fruchtbaren interdisziplinären Austausch über die Literatur, Baugeschichte, Architektur und Sozialgeschichte des Adels um die Grafen von Wertheim und die Herren der benachbarten Gamburg. Dabei sollten höfische Repräsentation und Erinnerung in der Region in die zeitgenössischen kulturellen Kontexte eingeordnet und überregionale Beziehungen mit dem staufischen Herrscherhaus, besonders durch die Teilnahme der Edelfreien aus dem Taubertal an den Kreuzzügen von Friedrich I. und Heinrich VI., aufgezeigt werden.

Als allgemeine Einführung in die drei Sektionen der Tagung mit den thematischen Schwerpunkten Herrschaft, Literatur und Architektur verdeutlichte LUDGER LIEB (Heidelberg) die Bedeutung der Memorialkultur in der adligen Gesellschaft im historischen Raum von Main und Tauber als zentrale Aspekte mittelalterlicher Forschung.

Die sich anschließenden drei Vorträge der ersten Sektion widmeten sich historischen Fragen. PETER RÜCKERT (Stuttgart) nahm dabei besonders die persönlichen Netzwerke und wechselseitigen Verpflichtungen der Adligen der Gegend in den Blick. Durch die monumentale Architektur der Gamburg und der Burg Wertheim und die Erwähnung der Grafen von Wertheim als Förderer des Klosters Bronnbach und der höfischen Literatur sowie die Beteiligung am Kreuzzug Barbarossas und dem Italienzug Heinrichs wurde die Orientierung am staufischen Königtum und die Entstehung einer verdichteten Adelslandschaft mit einer Erinnerungskultur, die auf Ewigkeit ausgelegt ist, deutlich.

STEFAN TEBRUCK (Gießen) legte seinen Focus auf die Konstitution von Erinnerungsgemeinschaften und die Bildung einer Erinnerungskultur mit Hilfe historischer und literarischer Strategien. Seine sich auf den thüringischen Raum konzentrierenden Untersuchungen zeigten eine korrespondierende Sicht auf den Main-Tauber-Kreis und ermöglichten allgemeine Folgerungen zum Thema. Durch die enge Verbindung von Königsnähe und Kreuzzugsbeteiligung des Landgrafen Ludwig von Thüringen wird in der literarisch überformten Überlieferung ein tendenziöses und überhöhtes Erinnerungslob ersichtlich, zentral ist dabei die memoriale Funktion des Kreuzzugstodes Ludwigs.

STEFAN BURKHARDT (Heidelberg) zeigte am Beispiel des Erzbischofs Arnold von Mainz und dem Kampf um dessen Memoria auf, wie unterschiedliche Akteure versuchen, sich einer historischen Figur zu bemächtigen. Das mittelalterliche Totengedenken konnte zu Lebzeiten, beispielsweise durch Zuwendungen, beeinflusst werden, die dauerhafte Erinnerungswürdigkeit unterliegt jedoch dem Urteil der Nachwelt und ist von den Bindungen zwischen einzelnen Personen und Gruppen abhängig. Dabei wird im Falle von Arnold deutlich, dass der Leichnam des Verstorbenen als Stabilisator der Erinnerung dient und einen Erinnerungsort schaffen kann; sein Nichtvorhandensein wird als Verlust von kulturellem Gedächtnis gedeutet.

In der nachfolgenden speziell auf literarischen Quellen rekurrierenden Sektion der Tagung konnte HENRIKE MANUWALD (Freiburg) in einer Auswahl an Bilderhandschriften aus Fulda, Gotha, Berlin, Bremen und Bern den unterschiedlichen Umgang der bildlichen Memoria mit dem Tod Barbarossas und die daraus folgende Beeinflussung von Wertung und Emotionen verdeutlichen. Offensichtlich war es für die Zeitgenossen schwierig, mit der Vorstellung vom Tod des nackten Königs im Wasser angemessen umzugehen. Es sind ebenso Darstellungen der Ereignisgeschichte wie auch ein eher personalisiertes Bild zum Zweck einer herrscherorientierten Memoria überliefert; teilweise wird durch das Bildprogramm Verlässlichkeit und Durchsetzungskraft demonstriert, teilweise stellt die Darstellung der Trauer der Anwesenden über das Ertrinken Barbarossas das eigentliche Geschehen dar. Dabei sind die Assoziationen nicht eindeutig und die Beeinflussung von Erinnerungskultur folgt Eigengesetzlichkeiten.

Im öffentlichen Abendvortrag ließ ECKART CONRAD LUTZ (Freiburg/Schweiz) durch ausgewählte Passagen aus dem Parzival Wolframs von Eschenbach eine komplexe erzählte Welt entstehen, die zu einer „Schule der Höfischheit“ für die zeitgenössischen Zuhörer gedeutet werden kann. Die Rezitation der Texte im Mittelalter, wahrscheinlich in kleineren Erzähleinheiten, hatte Einsicht, Bildung und Unterhaltung zum Ziel und mahnte zu Vorsicht und Rücksicht gegenüber anderen. Die Fülle der psychologisch anspruchsvollen Bilder erforderte dabei von den Rezipienten ein hohes Reflexionsniveau, was die Frage aufwirft, ob es sich um ein elitäres Publikum handelte.

Die dritte Sektion der Tagung nahm unter der Moderation von Maria M. Rückert (Ludwigsburg) die Architektur in den Blick. Auf Einladung der Familie von Mallinckrodt kamen sämtliche Tagungsteilnehmer für die ersten drei Vorträge auf die Gamburg.

Zuerst referierte GOSWIN VON MALLINCKRODT (Gamburg) im dortigen Saalbau, wo 1986 die ältesten nördlich der Alpen erhaltenen profanen Wandmalereien entdeckt wurden, die vom Edelfreien Beringer von Gamburg in Auftrag gegeben wurden und diesen als Teilnehmer des Dritten Kreuzzuges, den biographischen Höhepunkt seines Lebens, unter Barbarossa zeigen. Zusammen mit den ebenfalls freigelegten Arkaden und Knotensäulen wird deutlich, wie man um 1200 Politik durch Architektur betreiben und somit Königsnähe demonstrieren konnte.

HARALD WOLTER-VON DEM KNESEBECK (Bonn) ordnete danach die Ausstattung des Gamburger Saalbaus als Ausdruck des eigenen Selbstverständnisses in den kunsthistorischen Kontext ein. Dabei betonte er besonders die an der bemalten Südwand festgehaltenen logistischen Meisterleistungen der Kreuzzugsteilnehmer, die auch bei nicht erfolgreichem Ausgang der Mission eine ruhmvolle Erinnerungskultur schaffen konnten. Die bewusste Arbeit mit Ecken, Wandflächen, Fensteröffnungen und die ebenfalls dekorative Außenfront sollten die eigene Burg zu einem perfekten Bauwerk machen, die dem Gast Identifikationsmöglichkeiten bot, Zugehörigkeit zur Hofwelt darstellte und auch für den Betrachter von außen hohen Repräsentationsansprüchen gerecht wurde.

JUDITH BANGERTER-PAETZ (Bern) betonte bei ihrer Einordnung in den Kontext anderer repräsentativer Saalbauten im Stauferreich die kulturelle Einzigartigkeit des architektonischen Gesamtkunstwerkes auf der Gamburg. Besonders hervorgehoben wurden von der Referentin die Ausstattung des Saales mit Fußbodenheizung, Knotensäulen und Doppelarkadenfenstern an der Ost- und Westwand sowie am Nordgiebel, die zur Belichtung und Repräsentation dienten. Rekonstruierbar ist zudem zur Hofseite hin ein großes Portal, das über eine hölzerne Galerie zugänglich war. Hier klang auch wieder einmal wie so oft im Verlauf der Tagung die Notwendigkeit einer interdisziplinären Zusammenarbeit zur Bestimmung der Funktion der Saalbauten an.

Die letzten beiden Vorträge der Sektion fanden dann wieder in Bronnbach statt. Repliken der Architektur aus dem Heiligen Land in Europa waren das Thema des Vortrags von JÜRGEN KRÜGER (Karlsruhe). Wie vielfältig die Erinnerungen an das, was man auf den Kreuzzügen gesehen hatte, sein konnten, zeigen beispielsweise die im 12. und 13. Jahrhundert entstandenen, räumlich sehr nahe beieinander liegenden Oktogonalkirchen der Region. Nachweisen konnte der Referent dabei die Übernahme von Maßen und einzelnen Bauteilen, wobei sich die Rezeption nicht immer auf die Jerusalemer Grabeskirche beziehen musste.

Abgerundet wurde der Themenblock Architektur durch die Verifizierung eines Stifternetzwerkes im Main-Tauber-Kreis, ersichtlich an dem Transfer von Architektur und Bauplastik ausgehend von Kloster Bronnbach, durch KATINKA HÄRET-KRUG (Heidelberg). Architektur und Bauformen fungierten als Bedeutungsträger; Einzelheiten des Bronnbacher Baues wurden in Wertheim und auf der Gamburg auf Geheiß des Bauherren rezipiert, allerdings durch fähige Bauleute unterschiedlich ausgeführt. Dies war nur möglich durch das Vorhandensein eines regen geistigen Lebens in der Region und setzte ein wirtschaftlich potentes Zentrum voraus, das auch die weitere Rezeption auf anderen Burgen im Taubertal durch Stifter ermöglichte.

Als Résumé der Veranstaltung bleibt festzuhalten, dass die Kulturlandschaft im Main-Tauber-Kreis durch prägende Gestalten im 12. und 13. Jahrhundert maßgeblich beeinflusst wurde. Die Einzelergebnisse zu Bildquellen, Literatur und Baubefund konnten im Laufe der Tagung in einen größeren Zusammenhang gestellt und ihre weitergehende Bedeutung erkannt werden. Auch die Verzahnung von Regionalgeschichte mit Ereignissen von Bedeutung für die gesamte mittelalterliche Welt wurde immer wieder thematisiert. Unabdingbar für die weitere Forschung auf dem Gebiet der Repräsentations- und Erinnerungskultur im Hohen Mittelalter erschien allen ReferentInnen weiterhin eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit, die auf den breiten Ergebnissen der Tagung aufbauen kann.

Konferenzübersicht:

Grußworte und Einführung
Ludger Lieb (Heidelberg)

1. Sektion: Herrschaft

Peter Rückert (Stuttgart), Adelige Herrschaften an Main und Tauber und ihre Erinnerungskultur um 1200

Stefan Tebruck (Gießen), Die Kreuzzüge in der zeitgenössischen Erinnerung im Spiegel der thüringisch-sächsischen Überlieferung

Stefan Burkhardt (Heidelberg), Erzbischof Arnold von Mainz und seine Memoria

2. Sektion: Literatur

Henrike Manuwald (Freiburg), Formen der bildlichen Memoria: Barbarossa in Bilderhandschriften der Sächsischen Weltchronik

Eckart Conrad Lutz (Freiburg/Schweiz), Erfahren – Erinnern – Erkennen. Wolframs Parzival-Roman am Hof

3. Sektion: Architektur

Goswin von Mallinckrodt (Gamburg), Der Palas der Gamburg und seine romanischen Wandmalereien

Harald Wolter-von dem Knesebeck (Bonn), Die Wandmalereien auf der Gamburg im kunsthistorischen Kontext

Judith Bangerter-Paetz (Bern), Adelige Repräsentation in hochmittelalterlichen Saalbauten

Jürgen Krüger (Karlsruhe), Erinnerungen an das Heilige Land in der romanischen Architektur

Katinka Häret-Krug (Heidelberg), Die romanische Architektur und Bauplastik im Kloster Bronnbach

Résumé


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Deutsch
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