Für ihren Gründungsworkshop am 26./27. Juni 2015 hatte sich die AG Mediengeschichte eine erste gemeinsame Annäherung an die Frage „Was ist Mediengeschichte?“ aus medienwissenschaftlicher Perspektive vorgenommen. Grundlage der Diskussionen war ein Reader mit kurzen Inputs der Workshop-Gäste (s.o.) zu ihrer jeweiligen Sicht auf die leitende Frage. Sowohl die Texte als auch die Beiträge der Anwesenden drehten sich, in je unterschiedlicher Weise, um eine Reihe geteilter Fragestellungen, von denen der Nachbericht einen kurzen Eindruck geben möchte.
Wiederholt wurde über die Frage diskutiert, ob sich in der gegenwärtigen medienhistorischen Forschung eine Tendenz zur Partikularisierung, zu immer kleinteiligeren Forschungsbereichen und -fragen abzeichnet, die zugleich mit der permanenten Integration (oder sogar der Privilegierung) neuer, noch nicht bearbeiteter Gegenstände einhergeht. Dabei standen aber nicht nur die Selektionsmechanismen zur Diskussion, sondern auch die Selektionszwänge: So wäre zu fragen, wie groß der institutionell zugestandene Spielraum zur Erschließung neuer Gegenstandsbereiche denn tatsächlich ist. Mit dem Aspekt der Partikularisierung stand auch zur Debatte, wie mikro- und makrohistorische Aspekte zueinander ins Verhältnis gesetzt werden können. Plädoyers für eine Wiederbelebung (hierzulande eher anrüchiger) universalgeschichtlicher Zugänge standen dabei neben jenen für eine Spezialisierung bzw. quasi-ethnologische Konzentration auf lokale Situationen. Die Geschichtswissenschaften interessieren sich in den letzten Jahrzehnten unter Stichwörtern wie der Global, World oder Entangled History wieder zunehmend für übergreifende Perspektiven. Auch wenn sie etwa von Erhard Schüttpelz im Zusammenhang mit der Kulturtechnikforschung ins Spiel gebracht wurden, tun sich die Medienwissenschaften mit diesen Ansätzen zu großen Teilen schwer. Im Hintergrund solcher methodischen und thematischen Tendenzen mögen unterschiedliche Fachgeschichten und forschungspolitische Einsätze stehen: So ließe sich der in den Medienwissenschaften anhaltend geführte Krisendiskurs, der die ForscherInnen unter einen hohen Innovationsdruck setzt, etwa auf das junge Alter bzw. die noch in Aushandlung befindlichen disziplinären Grenzen und gesellschaftlichen Rollen des Fachs zurückführen. Dem gegenüber sind die Geschichtswissenschaften sowohl hinsichtlich ihres disziplinären Status als auch ihrer gesellschaftlichen Funktionen – bei allen auch hier auftretenden Krisen und Veränderungen – lange etabliert.
Verknüpft war mit diesen Aspekten die Frage nach der Rolle von Medientheorie: Gegen den Einsatz von Medienbegriffen wurde unter anderem eine historische Medialitätsforschung in Anschlag gebracht. Dieser müsste es unter Verzicht auf eine vorgelagerte systematische Erschließung (und damit: Überformung) des Gegenstandsbereichs darum gehen, im Vorfeld offen zu halten, was sich in den historischen Beschreibungen dann jeweils als Medialität zu erkennen gibt. Die begrenzte Reichweite von Medienbegriffen wurde auch mit dem Verweis auf ihren latenten – und ihrer historischen und kulturellen Provenienz geschuldeten – Eurozentrismus hervorgehoben. Produktiv könnten sie dementsprechend vor allem mit Blick auf eine Historisierung ‚unser eigenen Kultur‘ werden, im Sinne eines kritischen Eurozentrismus also. Beide Aspekte – der Status von Medientheorie und die Bestimmung des Gegenstandsbereichs – wurden dabei in Verbindung zu der grundlegenden Frage gebracht, wie mit dem Problem des Anachronismus (angesichts der unhintergehbaren Spannung zwischen gegenwärtiger historischer Arbeit und vergangenen Wirklichkeiten) umzugehen sei.
Die Eigenlogik historischer Gegenstandsbereiche wurde in der Diskussion im Hinblick auf die Transformationen, die Medien durchlaufen, weiter erörtert. In Anlehnung an Joseph Vogls „Medien-Werden“ wurde die Frage gestellt, wann wir von Nicht-Medien und Nicht-Medialität sprechen können und welchen heuristischen Mehrwert ein solcher Begriff für die Mediengeschichtsschreibung hätte. Erörtert wurde dieser Fragenkomplex am Beispiel der Geschichte des Adiaphoristischen Streits in der Frühen Neuzeit. Adiaphora könnten ein erstes Modell für zweifelhafte Mitteldinge darstellen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie jegliche Medienoperation und -funktion aussetzen und damit nicht länger Medien sind (schließlich wurde ihnen ihr Status als Heilsmedien entzogen). Unter der Annahme, dass Religionen immer schon ein spezifisches Medienwissen inhärent ist, stellten die Teilnehmer die Produktivität einer Mediengeschichte der Religionen heraus. Das Denken in historischen Epochen, dem im Zuge der Diskussion um die Partikularität medienwissenschaftlicher Forschung eher eine Absage erteilt wurde, kam hier auch nochmal in Betonung seiner Leistungsfähigkeit zur Sprache, vor allem in Hinsicht auf einen Dialog mit den Geschichtswissenschaften. Wenn die Medienwissenschaften sich neue Bereiche, wie eben etwa die Religionsgeschichte, erschließen möchten, muss sie nicht bei null beginnen, sondern kann auf das schon erarbeitete Wissen der Nachbardisziplinen zurückgreifen. Da die Geschichtswissenschaften, auch bei aller internen Kritik an derartigen Einteilungen, nach wie vor in Epochen (wie etwa dem Mittelalter oder der Frühen Neuzeit) organisiert sind, kann es auch aus medienwissenschaftlicher Perspektive Sinn machen, die Epochen nicht vollständig zu verabschieden, um interdisziplinären Gesprächen einen gemeinsamen Rahmen zu bieten.
Wenn Adiaphora also nahelegen, dass Medien ihre eigenen Zeiten generieren, scheint es sinnvoll, für eine Zeitlichkeit von Medien in der Mediengeschichtsschreibung jenseits generalisierender Narrative zu plädieren. Produktive methodische Ansätze einer unorthodox operierenden Mediengeschichte zeigten die Diskutanten etwa unter Bezug auf das Feld der Medienarchäologie auf. Eine Medienarchäologie der Rohstoffe, Ressourcen und Abfälle sprengt den Modus der Chronologie und macht das Ausfransen von Zeit plausibel. In diesem Sinne ließen sich unter einer mikroskopischen Perspektive persistierende Medienmaterialitäten kartographieren.
Hieran anknüpfend wurde nach den Agenturen der Mediengeschichtsschreibung gefragt und das Potenzial von Gegen-Geschichten betont. Eine solche Geschichte „von unten“ könnte sich für Amateurkulturen interessieren und somit die Figur des Amateurs, die häufig in der grundlegenden Komplementarität von Experte/Dilettant abqualifiziert wird, aufwerten. Einen möglichen Anknüpfungspunkt könnte das Phänomen der Memory Institutions in den USA darstellen, die z.B. anonyme historische Fotografien digital zur Verfügung stellen und von den Nutzern sichten und ordnen lassen. Solche Folksonomien irritieren die traditionellen Grenzziehungen zwischen den Räumen des Populären, des Amateurs und der Wissenschaft und stellen die regulative Funktion von Institutionen als öffentliche Wahrheitsagenturen in Frage.
Nach den überaus intensiven und produktiven Diskussionen im Rahmen des Workshops herrschte die einhellige Meinung, dass die Arbeit der AG Mediengeschichte notwendig ist und fortgesetzt werden soll. Im Rahmen der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM) in Bayreuth wird ein Treffen (1.10.2015, 9.00-11.00 Uhr, Raum S67) stattfinden, bei dem über die weiteren Aktivitäten gesprochen wird. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, daran teilzunehmen. Online finden Sie die AG unter http://www.mediengeschichte.net. Wenn Sie der AG Mediengeschichte beitreten und/oder in den Mailverteiler der AG aufgenommen werden möchten, können Sie sich gerne wenden an: Matthias Koch (Lüneburg, mkoch@leuphana.de), Christian Köhler (Paderborn, koehlerc@msopb.de) oder Monique Miggelbrink (Paderborn, monique.miggelbrink@mail.uni-paderborn.de).
Konferenzübersicht:
Stephan Gregory (Weimar): „Medien und Mediationen. Was heißt und wie weit reicht Mediengeschichte?“
Anika Höppner (Erfurt): „Adiaphorie. Mediengeschichten der Religion“
Till A. Heilmann (Bonn): „Fünf Fragen zur Mediengeschichtsschreibung“
Petra Löffler (Berlin): „Digitalisierung, Partizipation und An-Archäologie als Heranforderungen an die Mediengeschichte“