Netzwerktreffen Reformationsgeschichte

Netzwerktreffen Reformationsgeschichte

Organisatoren
Guido Braun / Dorothée Goetze / Maren Walter, Institut für Geschichtswissenschaft (IGW) Bonn; Tobias Tenhaef, Zentrum für Historische Friedensforschung Bonn
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.09.2015 - 06.09.2015
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Von
Anna Krabbe, Institut für Vergleichende Städtegeschichte, Westfälische-Wilhelms-Universität Münster

Die Möglichkeit zur Präsentation und Diskussion von Dissertationen und Projekten zur Reformation bot das Septembertreffen des Netzwerks Reformationsgeschichte am Institut für Geschichtswissenschaft und Zentrum für Historische Friedensforschung am 5. und 6. September in Bonn. Dabei zeigte sich, dass die Reformationszeit zunehmend als Prozess mit Ausläufern bis weit ins 17. Jahrhundert verstanden wird. Interkonfessionalität und das Verhältnis zwischen den sich entwickelnden Konfessionen traten in den vorgestellten Projekten in den Vordergrund, wobei aber auch die These der Konfessionsbildung durch Abgrenzung nicht vollständig verworfen wurde.

Zum Anfang des Treffens führte MARIA-ELISABETH BRUNERT (Bonn) die Teilnehmer durch das Zentrum für Historische Friedensforschung. Dabei erläuterte sie nicht nur die ausführlichen Editionsgrundlagen der Acta Pacis Westphaliae, sondern auch die umfangreiche Bibliothek zu Krieg und Frieden in der Neuzeit und besonders zum Westfälischen Frieden. Diese enthalte sowohl Literatur aus Deutschland als auch die Perspektiven der anderen beteiligten europäischen Staaten. Vor allem wies sie auf die umfangreiche Sammlung von Quellen auf Microfiche aus den Vatikanischen Archiven, Paris und vielen kleineren Städten zu diesem Thema hin.

Die Vortragsreihe eröffnete JULIA MÜLLER (Bochum) mit einem Überblick über ihr Dissertationsprojekt zur Intention der Lutheraner bei der Unterstützung und Einforderung der Täuferverfolgung im 16. Jahrhundert. Mit einem medienanalytischen Zugriff plant sie eine Untersuchung der Schriften von Justus Menius, Superintendent von Eisenach, und des thüringisch-hessischen Täuferführers Melchior Rinck auf apologetische, polemische, didaktische und propagandistische Elemente. Kernfragen ihrer Arbeit werden sein, inwiefern die Täuferschriften tatsächlich hauptsächlich apologetisch waren und ob die lutherischen Schriften eher als polemisch-didaktisch oder als politische Propaganda zu bezeichnen sind.
MAGNUS ULRICH FERBER (Frankfurt am Main) präsentierte das DFG-geförderte Editionsprojekt des Briefwechsels des Späthumanisten und Komödiendichters Nicodemus Frischlin (1547–1590). Anhand dieser Edition widerlegte Ferber die These Joachim Whaleys 1, der Frischlin als ein Beispiel für überkonfessionelles Nationalbewusstsein im Reich Ende des 16. Jahrhunderts interpretierte. Frischlin zeige zwar durchaus Beispiele für den Reichspatriotismus der Protestanten, so Ferber, aber der Territorialpatriotismus sei bei ihm deutlich stärker ausgeprägt. Zudem habe Frischlin sich selbst immer klar als Lutheraner definiert. Frischlin zeige somit nicht die Grenzen der Konfessionalisierung, sondern im Gegenteil die starke konfessionelle Prägung Württembergs und seiner Landeskinder in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.

Mit der Interkonfessionalität der universitären Elite im 17. und 18. Jahrhundert befasste sich KIRSTEN ANNA VAN ELTEN (Hamburg) anhand eines Vergleichs der Universitäten Helmstedt und Rinteln. Im Zentrum stand die Frage, inwiefern die Konfessionszugehörigkeit Einfluss auf die Einstellung von Professoren ausübte. Ihre bisherigen Ergebnisse zeigen, dass beide Universitäten durchaus konfessionelle Grenzgänger als Professoren einstellten, es in Helmstedt aber deutlich weniger Konflikte mit dem Landesherren darüber gab. Rinteln zeichne sich vor allem durch interne Konflikte der Professorenschaft aus. Generell seien an beiden Universitäten interkonfessionelle Tendenzen nur so lange möglich gewesen, wie der Bestand der lutherischen Professorenschaft nicht gefährdet war.

PETER ARNOLD HEUSER (Bonn) analysierte im Abendvortrag die Verortung und Rezeption des intellektuellen Widerstandes des Humanistenzirkels um Georg Cassander (1513/15–1566). Der Zirkel war europäisch geprägt, neben Cassander gehörten ihm unter anderem auch Pedro Ximénez (um 1524–1595) und Jean Matal (1517–1597) an. Charakteristisch für ihn, so Heuser, sei die Entwicklung einer Semantik des Friedens und Ausgleiches in Theorie und praktischer Politikberatung in einem dialogischen Prozess. Dabei sei schon bei Cassander neben die Idee der Uniformität der Kirche ein gewisses Toleranzdenken getreten. Diese Friedenssemantik sei bis ins 18. Jahrhundert nicht nur stark rezipiert, sondern auch stets nach den Bedürfnissen der Rezipienten in den verschiedenen europäischen Staaten transformiert worden.

Den Beginn des zweiten Tages des Netzwerktreffens machte JOCHEN HERMEL (Bonn) mit einem Vortrag über sein Dissertationsprojekt zu den heimlichen reformierten Gemeinden Kölns im 17. Jahrhundert. Auf der Basis von Protokollen der Konsistorien-Sitzungen der drei reformierten Gemeinden analysierte er sowohl illegales nichtkatholisches Alltagsleben als auch die Ausbildung von Kirchenstrukturen in der Diaspora. Trotz grundsätzlichen Verbots habe es ein nichtkatholisches Gemeindeleben gegeben. Heimlichkeit sei für die Gemeinden zwar wesentlich gewesen, aber auch begrenzt. Rat, Bevölkerung und Orden seien sich der Existenz der Gemeinden stets bewusst gewesen, nur nicht der Namen ihrer Mitglieder. Der Druck der katholischen Obrigkeit habe seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts allerdings langsam abgenommen.

LENA OETZEL (Salzburg/ Bonn) zeigte anhand einer Kommunikationsanalyse, dass das Marianische Episkopat der Einführung des Protestantismus in England durch Elizabeth I. 1558/59 durchaus verbal und nonverbal Widerstand leistete. Anhand der Leichenpredigt auf die verstorbene Mary, der Ablehnung der Krönung, der Debatte im Parlament und der Weigerung eines Treueschwurs auf Elizabeth I. als Oberhaupt der englischen Kirche, zeigt Oetzel den Widerstand der Bischöfe. Sie hätten alle verbalen und nonverbalen Mittel in diesen besonders kritischen Momenten der noch instabilen Herrschaft ausgeschöpft, um eine Reprotestantisierung Englands zu verhindern. Grundsätzlich, so Oetzel, hätten die Bischöfe die Autorität des protestantischen Regimes anerkannt, sich aber in erster Linie Gott verpflichtet gesehen. Elizabeth I. habe ihrerseits zwar mit den Bischöfen zusammenarbeiten wollen, jedoch letztlich wegen der ständig gesteigerten Kritik ihre Macht zur Absetzung der Bischöfe genutzt. Der Beginn ihrer Herrschaft als Phase der Instabilität habe sowohl Elizabeth I. als auch den katholischen Bischöfen ungewöhnliche Handlungsspielräume ermöglicht.

Durch eine Analyse der Personalpolitik des brandenburgischen Kurfürsten Joachim Friedrich (reg. 1598–1608) argumentierte UWE FOLWARCZNY (Tübingen), dass der Kurfürst keineswegs selbst zum Reformiertentum neigte, sondern seine Politik durch Pragmatismus und konfessionelle Toleranz gekennzeichnet gewesen sei. Anhand der Hofprediger Joachim Friedrichs zeigte Folwarczny die klare lutherische Position des Kurfürsten auf, die auch bei der Auswahl seiner engen politischen Berater und Vertrauten wie Graf Hieronymus Schlick und Kanzler Johann von Löben entscheidend gewesen sei. Um aber auch den im Klever Erbstreit hinzugewonnen Territorien entgegenzukommen und die Beziehungen zum reformierten Reichsadel zu verbessern, habe Kurfürst Joachim Friedrich zunehmend auch reformierte Adelige als Berater berufen. So habe der Kurfürst pragmatisch eine überregional gemeinprotestantische Politik betrieben, gleichzeitig jedoch versucht die innerterritoriale Rechtsgläubigkeit Brandenburgs zu bewahren, so Folwarczny.

Zum Abschluss des Treffens gab TOBIAS TENHAEF (Bonn) einen Einblick in sein Dissertationsprojekt zur Beziehung der geldrischen Landstände zu den Herzögen des Hauses Habsburg in den Jahren 1543 bis 1609. Dabei machte er mehrere zentrale Wendepunkte dieses Verhältnisses aus: Zum einen das Traktat von Venlo 1543, in dem das Verhältnis zum neuen Landesherrn schriftlich fixiert wurde und das einen modus vivendi für Konfliktlösungen geboten habe; zum zweiten die Generalstatthalterschaft des Herzogs von Alba 1567–1572, in der das Verhältnis bis zum Aufstand der Landstände 1576 eskalierte; zum dritten die Reformation Gelderns unter dem Statthalter Johann von Nassau 1578–1580. In den 1580er-Jahren habe dann ein Prozess eingesetzt, in dem das Niederquartier die Herrschaft durch einen Fürsten grundsätzlich abgelehnt habe, während das Oberquartier sich wieder in die habsburgische Herrschaft integrierte.

Für das nächste Kolloquium im Frühjahr 2015 wurde abschließend der Wunsch nach einer stärkeren interdisziplinären Beteiligung geäußert.

Konferenzübersicht:

Maria-Elisabeth Brunert: Führung durch das Zentrum für Historische Friedensforschung

Julia Müller (Bochum): Zwischen Apologie, Polemik, Didaktik und Propaganda. Melchior Rincks und Justus Menius‘ Publikationen zum Täufertum zwischen 1530 und 1558

Magnus Ulrich Ferber (Frankfurt am Main): Nation und Konfession im Briefwechsel des Späthumanisten Nicodemus Frischlin

Kirsten Anna van Elten (Hamburg): Die Universitäten Helmstedt und Rinteln: Orte der Interkonfessionalität im 17. und 18. Jahrhundert?

Peter Arnold Heuser (Bonn): Friedenssemantiken im Humanistenzirkel um Georg Cassander (1513/15–1566): Genese, Orientierungspunkte und Wirkungsgeschichte

Jochen Hermel (Bonn): Katholische Stadt – nichtkatholische Einwohner. Die heimlichen Gemeinden Kölns im 17. Jahrhundert

Lena Oetzel (Salzburg/ Bonn): Das Marianische Episkopat und der Herrschaftsantritt Elisabeths I. 1558/59 – eine Konfliktkommunikation

Uwe Folwarczny (Tübingen): Zwischen Luther- und Reformiertentum. Die Personalpolitik des brandenburgischen Kurfürsten Joachim Friedrich (1598–1608)

Tobias Tenhaef (Bonn): Konflikt, Aufstand, Wiederversöhnung. Das Verhältnis der Stände des Herzogtums Geldern zu den Herzögen aus dem Hause Habsburg (1543–1609)

Anmerkung:
1 Joachim Whaley, Eine deutsche Nation in der Frühen Neuzeit? Nationale und konfessionelle Identitäten vor dem Dreißigjährigen Krieg: Nicodemus Frischlin und Melchior Goldast von Haiminsfeld als Beispiele, in: Historisches Jahrbuch 129 (2009), S. 331–350.


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