Loyalitäten und Illoyalitäten – Aktuelle Forschungen zur Donaumonarchie

Loyalitäten und Illoyalitäten – Aktuelle Forschungen zur Donaumonarchie

Organisatoren
Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung, Marburg
Ort
Marburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.01.2016 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Peter Techet, Emmy Noether-Nachwuchsgruppe „Glaubenskämpfe: Religion und Gewalt im katholischen Europa, 1848–1914“, Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz

Die Legitimität multiethnischer Imperien – wie das Habsburgerreich – wurde im Zeitalter des Nationalismus und der Nationalstaaten, also ab Mitte des 19. Jahrhunderts, gesellschaftlich und (staats)politisch herausgefordert: Das supranationale Konstrukt solcher Imperien ließ sich nur auf der Basis von historisch gewachsenen, verbindenden gesellschaftlichen Elementen, wie etwa einer gemeinsamen Religion, aufrechterhalten. Die auf der imperialen Ebene formulierte und erwartete Loyalität geriet aber in Konflikt mit der nationalen Gruppenloyalität, wenn die national definierten Gruppen politische und exklusive Loyalitätsansprüche erhoben. Der Politisierung der nationalen oder religiösen Identitäten lassen sich jedoch Geschichten von multiplen Identitäten und/oder imperialen Loyalitäten entgegenstellen.

Das Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung organisierte am 19. Januar 2016 einen Workshop über die Problematik von Loyalitäten und Illoyalitäten im Habsburgerreich: Das Ziel des Workshops bestand darin, anhand von Fallbeispielen die Einstellung der Bevölkerung gegenüber „ihrem“ Imperium zu erforschen. Dabei stellte sich die Frage nach den Zusammenhängen von nationalen, regionalen oder religiösen Identitäten und nach den von ihnen begründeten Loyalitäten. Wie festgestellt wurde, führte nationales Erwachen nicht notwendigerweise zur Illoyalität gegenüber dem Imperium, weil erst die nationalistischen Exklusivitätsansprüche der imperialen Loyalität entgegenwirkten.

Der in deutscher und englischer Sprache gehaltene Workshop war in drei auf Englisch betitelten Panels unterteilt: 1. Communication of Loyalty and Disloyalty; 2. Multiple Loyalties? Multiple Disloyalties?; und 3. Loyalty and Professional Identity. Alle drei wurden jeweils mit einer keynote-speech eingeführt.

In seiner keynote-speech zum ersten Panel stellte PIETER M. JUDSON (Florenz) den vermeintlichen Zusammenhang von Identität und Loyalität infrage: Die nationalen Identitätskonstruktionen schöpften sich aus der sprachlichen Vielfalt, deren lokal erlebten und imperial erlaubten Realität aber erst in den nationalistischen Forderungen politische Bedeutung beigemessen wurde. Die Loyalität war weder sprachlich, noch national bestimmt, weil die Loyalität nicht die persönliche Identifikation des Einzelnen, sondern die öffentliche Akzeptanz des ganzen Staates beschreibt. Der Staat kann die Loyalität einfordern, weil er öffentliche Sicherheit schafft. Besonders auf der lokalen Ebene konnte sich die zentrale Macht die Loyalität etwa der Bauern sichern, indem sie ihnen Schutz vor den Drohungen der lokalen Magnaten, Potentaten bieten konnte. Die Loyalität – also die Akzeptanz des Staates – war so die Folge einer pragmatischen Entscheidung: Zum Beispiel war die italienisch geprägte Hafenstadt Triest mit dem Imperium loyal, solange es ihm die wirtschaftliche Prosperität ermöglichte. Dass sich die Loyalität meistens gegenüber dem Herrscherhaus – oder gar gegenüber der Person des Monarchen – ausdrückte, lässt sich auch als Versagen des Staates – als Fehlen eines etablierten Staatspatriotismus – deuten. Die Loyalitätsfrage kann daher in der Habsburgermonarchie immer situativ gestellt und beantwortet werden.

KATARÍNA CHMELINOVÁ (Bratislava) analysierte in ihrem Vortrag die Loyalitätsspannungen im nördlichen und mittleren Teil der heutigen Slowakei anhand von barocken Gemälden: Der besprochene Teil des ehemaligen Oberungarn war stark protestantisch geprägt, was auch staatspolitisch eine zu bekämpfende Gefahr für das Habsburgerreich darstellte. In ihrem politischen Ziel, ihre Macht in den protestantisch geprägten Gebieten vom ehemaligen Oberungarn zu verfestigen, bedienten sich die Habsburger religiöser (und zwar: katholisch-gegenreformatorischer) Elemente und barocker Repräsentationsformen. Beide (der katholische Inhalt und die barocke Form) gewannen dadurch eine politische Bedeutung – nämlich: Herrschaftslegitimierung und die Einforderung der Loyalität.

HUGO LANE (New York) besprach die Konflikte um die Gründung einer ukrainischsprachigen Fakultät in Lviv/Lemberg: In diesem Fall erschienen die nationalen Identitäten nicht als Gegensatz zur imperialen Loyalität, sondern als konkurrierende nationale Loyalitäten. Die Stadt war politisch-kulturell polnisch dominiert, aber die polnische Deutungshoheit – etwa im universitären Feld – wurde von den Ukrainern herausgefordert: Ihre Ansprüche, eine eigene Universität gründen zu dürfen, gerieten daher nicht mit der imperialen Loyalität, sondern vielmehr mit den lokalen Herrschaftsansprüchen der polnischen Elite in Konflikt. Auch wenn solche Spannungen die Legitimität der Donaumonarchie schwächten, ging es in diesen Fällen hauptsächlich um Kämpfe um die lokale Deutungshoheit, und nicht um staatsfeindliche Akte: Auch in Lviv/Lemberg stellten die Ukrainer nicht den imperialen Rahmen, sondern bloß die lokale Deutungshoheit der polnischen Elite infrage.

Auch ELISABETH HAID (Wien) widmete sich den Loyalitätskonflikten in Galizien: Am Beispiel der Ruthenen ging sie der Frage nach, ob und inwiefern das idealisierte (Selbst-)Bild des Vielvölkerstaates – etwa das Bild von einem Imperium voller kaisertreuer Völker, wie der Ruthenen – der historischen Wahrheit entspricht. Besonders die Erfahrungen des Esten Weltkrieges zeigen, wie misstrauisch die zentrale Administration auch gegenüber den als sehr kaisertreu geltenden Völkern eingestellt war. Im Ersten Weltkrieg wurden auch die Ruthenen mit starkem Vorbehalt behandelt, weil sie der Russophilie bezichtigt wurden.

Das zweite Panel führte PETER HASLINGER (Marburg, Gießen) mit seinem Vortrag ein, in dem er – ausgehend von Daniel Unowsky´s Darstellungen von imperialen Loyalitätsbekundungen und von Martin Schulze Wessels Loyalitätskonzepten – die begrifflichen Unterschiede zwischen „Loyalität“ und „Identität“ betonte: Identität impliziert nicht unbedingt politisches Handeln; erst in der Loyalitätsentscheidung wird die persönliche Identität politisch. Während sich die Identität auf die persönliche Selbstwahrnehmung – ihre individuelle, gruppenbezogene, evtl. sogar politisch relevante Elemente – bezieht, setzt die Loyalität ein öffentliches Verhältnis zwischen den Individuen und einer politischen Einheit voraus. In einem multiethnischen Reich, auch wenn sich die Identitäten im kulturellen Sinne immer mehr in nationalen Unterschieden ausdrückten, war die Loyalität der Bevölkerung nicht notwendigerweise von diesen vorbestimmt: Nationale Identität und imperiale Loyalität konnten sich nämlich ergänzen. Haslinger erwähnte in seinem Vortrag neue Forschungsansätze bezüglich der Thematik, wie etwa die Erforschung der Loyalitätskonflikte und Loyalitätsänderungen im post-habsburgischen Raum, die die Wechselwirkungen und Unterschiede von Loyalität und Identität im nationalstaatlichen Rahmen auch miteinbeziehen könnten.

IRIS NACHUM (Tel Aviv / Jerusalem) stellte das Leben und das umstrittene Wirken des österreichischen Statistikers, des jüdischstämmigen Heinrich Rauchberg vor, der in seiner Analyse über die identitätswechselnden, böhmischen Juden – die sich immer mehr als tschechische und nicht mehr als deutsche Muttersprachler deklarierten – die Frage nach der imperialen und völkischen Loyalität untersuchte. Indem Rauchberg den früher mehrheitlich deutschsprechenden Juden von Böhmen und Prag „Untreue“ vorwarf, stellte er selber die supranationale Idee des Habsburgerreichs infrage, als ob die imperiale Loyalität deutschösterreichische Identität vorausgesetzt hätte. Rauchberg bediente sich dabei des Stereotyps des identitätswechselnden (also entwurzelten) Juden.

FRANCESCO FRIZZERA (Trento) widmete sich in seinem Vortrag den Loyalitäts- und Identitätsoptionen der im habsburgischen Tirol lebenden Italiener, deren lokale Identität die imperiale Loyalität förderte. Die Identität der österreichischen Italiener drückte sich nicht in exklusiv-nationalen Kategorien aus – sie fühlten sich also nicht dem italienischen Nationalstaat verbunden –, sondern sie ermöglichte multiple memberships, also Mehridentitäten aus national-kulturellen und regionalen Elementen. Das Phänomen war oft einer gewissen „nationalen Indifferenz“ (Tara Zahra) zu verdanken. Diese national indifferente Einstellung änderte sich aber während des Ersten Weltkrieges. Frizzeras Fallstudien von italienischen Flüchtlingen und Gefangenen im Ersten Weltkrieg zeigen nämlich, wie sich die Identitäten in Trento immer mehr entlang national-sprachlicher Frontlinien – statt die regionalen, nationalen und imperialen Identitäten miteinander zu versöhnen – formierten.

PIOTR KISIEL (Florenz) zeigte am Beispiel der „deutschen Stadt Biala“ – wie sich die Stadt selber nannte – die Verflechtungen zwischen völkischen Identitätsbildungen und imperialen Interessen. In Biala, einer im polnisch-jüdisch-ukrainisch bewohnten Galizien liegenden Kleinstadt, betrieb die deutsche Stadtführung trotz der nationalen Vielfalt der Stadtbevölkerung eine germanisierende, nationale Politik, die zwar in ihrem völkischen Ansatz der supranationalen Idee des Habsburgerreichs widersprach, aber den Interessen des Wiener Zentrums – das deutsche Element in der galizianischen Provinz zu stärken – entsprach.

MARK CORNWALL (Southampton) behandelte in seinem Keynote-Vortrag, der das dritte Panel einleitete, die Frage der Loyalität / Illoyalität in der Dichotomie von Treue / Verrat: Erst in den Fällen vom Verrat ließe sich die Frage nach Loyalität in ihrer staatspolitischen und strafrechtlichen Konsequenzen erforschen. Denn Identität impliziere kein politisch aktives Handeln, erst die Loyalitätsfrage beschreibe die Dynamik des Verhältnisses des Einzelnen zu einem Staat. Verrat sei aber mehr als Illoyalität: Es gehe um bewusstes Gegenhandeln. Cornwall will anhand von Krisensituationen – wie etwa der ungarischen Regierungskrise von 1905/06 oder der weniger bekannten, kroatischen politischen Krise von 1908/10 – erforschen, wann der Vorwurf der aktiven Illoyalität, also des Verrates erhoben wurde, und wie Verrat in den politischen Diskursen wahrgenommen und beurteilt wurden. In Ungarn warf die nationale Opposition 1905/06 dem König Franz Josef Illoyalität vor, weil sich der Monarch weigerte, den Wahlsieg der nationalen Opposition anzuerkennen; der von Franz Josef zum ungarischen Ministerpräsidenten ernannte Géza von Fejérváry fühlte sich jedoch dem Imperium gegenüber loyal, woraufhin er des Verrates am ungarischen Staate bezichtigt wurde. Imperiale und (national)staatliche Loyalitäten gerieten in diesem Fall in Konflikt. In der kroatischen Krise von 1908/10 war aber nicht einmal klar, was Loyalität in Kroatien bedeutet: Da sich Kroatien als Teil der ungarischen Reichshälfte auf staatliche Loyalität nicht berufen konnte, wurde die staatliche (also gegenüber Wien und / oder Budapest bestehende) Loyalität schon an sich als Verrat an der nationalen Loyalität interpretiert.

MARIA PAPATHANASSIOU (Athen) untersuchte die individuell erlebte Loyalität anhand der Tagebücher von zwei wandernden Gesellen um die Mitte des 19. Jahrhunderts: Die zwei Zuckerbäcker machten sich selber Gedanken über ihre eigene Identität – wo sie also hingehören –, was sie je nach dem konkreten Bezugsraum regional, imperial oder völkisch beantworteten.

MADALINA VALERIA VERES (Budapest) nahm sich der Gruppenloyalität der Kartographen des Habsburgerreichs im 18. Jahrhundert an. Die Kartographie entsprach dem imperialen Ansatz des Zentrums, lokale Räume zu beherrschen: Erst das kartographische Erfassen des Territoriums machte Loyalitätsansprüche des Zentrums möglich. Die national heterogene Gruppe der Kartographen leistete dementsprechend im Habsburgerreich eine staatslegitimierende Aufgabe, was ihnen selber ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl – im Sinne von einer beruflich begründeten imperialen Loyalität – verlieh.

TEODORA DANIELA SECHEL (Graz) wollte am Beispiel von siebenbürgischen Physikern und Ärzten aus dem 18. Jahrhundert die Etablierung einer berufsspezifischen, transnational wirkenden und supranational konzipierten Gruppenidentität aufzeigen. Ob und inwiefern ärztliche oder volkshygienische Tätigkeiten loyalitätsfördernd und identitätsbegründend wirken konnten, war jedoch in den Fallbeispielen nur heuretisch beantwortet.

Immerhin zeigte der letzte Vortrag, dass gewisse Berufsloyalitäten – wegen der transnationalen Vernetzung der ausgebübten Berufe – das imperiale Zusammengehörigkeitsgefühl stärken und in diesem Sinne als Alternative zu nationalen Loyalitäten stehen konnten. In anderen Vorträgen wurden ebenso gewisse Berufsfelder – vom Statistiker über Wandergeselle bis hin zu Kartographen – als erlebte imperiale Loyalitätsfälle behandelt. Neben regionaler und religiöser Identitäten bediente sich das Imperium eben solcher Berufsgruppenidentitäten, um trans-nationale, supra-nationale Loyalitäten hervorzurufen. Diese, oder noch eindeutigere Beispiele, wie etwa das Kronprinzenwerk, beweisen, dass Imperien bewusst auf Etablierung (sogar Konstruktion) imperialer Loyalität hinarbeiteten. Die Beschäftigung mit den imperialen Loyalitätskonstrukten verspricht so neue Forschungsergebnisse für den gesamten (post-) habsburgischen Raum und seine Identitätsdebatten.

Konferenzübersicht:

Panel I. Communication of Loyalty and Disloyalty

Pieter M. Judson: Loyalties or Identities or ‘something else?’ A Situational Approach to Crisis in the Habsburg Monarchy

Katarína Chmelinová: Arm of Court – Loyalties and Disloyalties in Baroque Visual Communication in Central Slovakia Mining Area

Hugo Lane: The Ukrainian University Question: A Reconsideration of Nation-building Politics in an Imperial Context

Elisabeth Haid: „Tiroler des Ostens“ oder „russophile Verräter“: Darstellungen von Loyalität und Illoyalität der galizischen Ruthenen während des Ersten Weltkriegs

Panel II. Multiple Loyalties? Multiple Disloyalties?

Peter Haslinger: Loyalty and Security: Habsburg and Post-Habsburg Spaces

Iris Nachum: Heinrich Rauchberg und die Loyalitätsfrage der „deutschen“ Juden in den böhmischen Ländern

Francesco Frizzera: Shaping identities. The civilian population of Trentino during the WWI

Piotr Kisiel: Understanding the “German City of Biala” thought identity and loyalty

Panel III. Loyalty and Professional Identity

Mark Cornwall: Accusations of Disloyalty and Anti-Dynasticism in the Habsburg Monarchy in the Twentieth Century

Maria Papathanassiou: Loyalität und Identität: Wandernde Gesellen zwischen Habsburgerreich und Deutschtum um die Mitte des 19. Jahrhunderts

Madalina Valeria Veres: Competing Loyalties: Military Engineers and Astronomers in the Service of the Habsburg Monarchy (1740-1790)

Teodora Daniela Sechel: Loyalties and Disloyalties of the Transylvanian Physici (1770s-1830s)


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