Menschen und Tiere zwischen Mittelalter und Moderne. Internationale Tagung der Bamberg Graduate School of History (BaGraHist)

Menschen und Tiere zwischen Mittelalter und Moderne. Internationale Tagung der Bamberg Graduate School of History (BaGraHist)

Organisatoren
Bamberg Graduate School of History (BaGraHist); gefördert vom DAAD aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF)
Ort
Bamberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.07.2016 - 09.07.2016
Url der Konferenzwebsite
Von
Andreas Flurschütz da Cruz / Sandra Schardt, Universität Bamberg

Die Human-Animal Studies erfreuen sich in der Geschichtswissenschaft derzeit wachsender Beliebtheit. In diesem Umfeld ist auch die Tagung zu verorten, die vom 7. bis 9. Juli 2016 an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg als Kooperation der Lehrstühle für Mittelalterliche und Neuere Geschichte unter Leitung von Prof. Dr. Klaus van Eickels und Prof. Dr. Mark Häberlein, gefördert vom DAAD aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), stattfand.

Im Anschluss an die Begrüßung und die Vorstellung der Graduiertenschule durch ihren Sprecher Klaus van Eickels führte Mark Häberlein in das Tagungsthema ein. Er bot einen kurzen Abriss über die Entwicklung der Forschung zur Rolle von Tieren in der Geschichtswissenschaft und skizzierte aktuelle Forschungstendenzen und -schwerpunkte sowie die diesbezüglichen Fragestellungen von Qualifikationsarbeiten, die derzeit an der Universität Bamberg entstehen.

Im öffentlichen Abendvortrag stellte GESINE KRÜGER (Zürich) die Präsenz von Tieren auf Schiffen, die im Zuge der europäischen Expansion zwischen Europa und den überseeischen Kolonien verkehrten, in den Mittelpunkt, wobei diesen Tieren an Bord und in den Zielländern spezifische Aufgaben zukamen: Sie dienten als Nutz- bzw. Farmtiere, waren Tauschobjekte und Kommunikationsmedien, etwa in Form exotischer Herrschergeschenke zwischen Fürsten, und sorgten regelmäßig für Auseinandersetzungen – nicht erst im Ankunftsland, sondern bereits unter den Schiffspassagieren. Insgesamt attestiert Krüger den Tieren eine zentrale, bisher aber weitgehend unterschätzte Rolle im Kolonisierungsprozess. So seien beispielsweise Reiseberichte hinsichtlich der darin enthaltenen Fauna bislang kaum untersucht.

Die erste Sektion, „Menschen und Tiere im Mittelalter“, eröffnete GÁBOR BRADÁCS (Debrecen) mit einem Überblick über Tierdarstellungen in der ungarischen Geschichtsschreibung. Er betrachtete Tiere darin einerseits als Subjekte, so etwa den legendenhaften Rothirsch als zentralen Akteur bei der Entstehung des Magyarentums. Andererseits träten sie als Objekte in Form von Nutz- oder Haustieren auf. In der steppisch-nomadischen ungarischen Tradition komme hier dem Pferd besondere Bedeutung zu, dem die Historiographie allerdings kaum gerecht werde.

Verbunden mit einem Forschungsüberblick und der damit einhergehenden Kritik an der unkontrollierten Übernahme von Elefantennennungen in der Literatur demonstrierte KLAUS VAN EICKELS (Bamberg) die Präsenz dieser Tiere im europäischen Mittelalter. In der bisherigen Forschung setzten sich einige Mythen von historisch letztlich nicht belegbaren Elefanten fort; nachweisbar seien vor dem 15. Jahrhundert hingegen nur wenige, unter denen Abul Abbaz, ein Geschenk des Abbasidenherrschers an Karl den Großen, wohl der bekannteste war. Basierend auf der beachtlichen Zahl, die die portugiesischen Könige fremden Herrschern zum Geschenk machten, sprach van Eickels gar von einer „Elefantendiplomatie“ Portugals. Er veranschaulichte anhand von Abbildungen und Schriftquellen das defizitäre Wissen der Zeitgenossen um das tatsächliche Aussehen von Elefanten und zeigte, dass einzelne Exemplare der stattlichen Tiere im mittelalterlichen Europa tatsächlich unterwegs sein konnten, ohne große Spuren in der Historiographie zu hinterlassen.

Einen ganz anderen Zugang zur Thematik stellte DANIEL MANTHEY (Bamberg) anhand von Quellenauszügen Thomas' von Cantimpré vor. Diesem Dominikaner des 13. Jahrhunderts galten die Bienen und ihre Organisationsform, aber besonders ihr Fleiß als Ideal für das christliche und speziell das monastische Zusammenleben. Thomas von Cantimpré ging es im „Liber de natura rerum“ und dem „Bonum universale de apibus“ nicht um strukturiertes Tierwissen, sondern um die Vermittlung bestimmter Wertvorstellungen, um einen positiven Effekt auf seine Leser, vor allem seine Mitbrüder, denen die Werke als Argumentationshilfe und Leitfaden dienen sollten, zu erzielen. Die Biene und andere in den Büchern vorkommende Tiere dienen ihm hier primär als metaphorische Exempel. Besonders ging Manthey auf das Verhältnis von Tieren zu Heiligen sowie ihre Funktion als Begleiter oder Verkörperungen von Dämonen und negativen Ereignissen ein.

KONAN KOUASSI PARFAIT BORIS (Bamberg) beleuchtete das rechtsförmige Vorgehen gegen Tiere im Spätmittelalter. Stand diesbezüglich im Kontext des Kulturkampfs des späten 19. Jahrhunderts der Nachweis klerikaler Irrationalität im Vordergrund, so interessiere sich die neuere Kulturgeschichte vor allem für die Mentalitäten und die Mensch-Tier-Beziehung, die in diesen Verfahren zum Ausdruck kommt. Boris thematisierte sowohl die öffentliche Hinrichtung von Schweinen als auch die Exkommunikation von Massenschädlingen wie Heuschrecken und Ratten und setzte diese in Relation zu neueren Hypothesen bezüglich Ritualmord- und Hostienschändungsbeschuldigungen gegen Juden, die frappierenderweise in denselben europäischen (vor allem nordfranzösischen) Regionen auftraten.

Die zweite Sektion widmete sich in vier Vorträgen dem Themenkomplex von Nutztierhaltung und -handel in der Frühen Neuzeit am Beispiel von Rindern. ANNA MARIA GRILLMAIER (Augsburg) umriss die Ausmaße und die wirtschaftlichen Bedeutung des Handels mit ungarischen Ochsen in Schwaben im 15. und 16. Jahrhundert. Ungarn stand zu dieser Zeit mit bis zu 200.000 Tieren pro Jahr an der Spitze der Länder, aus denen Ochsen ins Reich importiert wurden. Große Abnehmer waren die Reichsstädte Augsburg und Ulm beziehungsweise deren Metzger, die sich zu Metzgergesellschaften zusammenschlossen, um den Handel effektiver organisieren zu können. Im Detail analysierte Grillmaier Logistik, Finanzierung, Vertrieb und Infrastruktur des Ochsenhandels, dessen Wichtigkeit die Tatsache illustriert, dass bei Bedarf sogar Strohdächer für die Versorgung der Tiere abgedeckt wurden. Als der ungarische Markt infolge des Langen Türkenkriegs seit Ende des 16. Jahrhunderts an Bedeutung verlor, musste der Bedarf durch andere, regionale Zentren gedeckt werden, möglicherweise auch von Bamberg aus, das ANDREAS SCHENKER (Bamberg) für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinsichtlich des Viehhandels untersuchte. Ihm zufolge stiegen sowohl Schlachtungen als auch Fleischkonsum in diesem Zeitraum signifikant an. Gerade Ochsenfleisch avancierte laut Schenker zum urbanen Grund- und Substitutionsnahrungsmittel. Die Obrigkeit sah sich deshalb dazu gezwungen, regulierend in den Handel einzugreifen.

EMMA HART (St. Andrews) nahm vor allem für den interkontinentalen Handel und die Verwertung von Rindfleisch im britischen Empire in den Blick. Sie konstatierte eine Kommerzialisierung des Handels und unterstrich die Wichtigkeit des Einflusses von Zünften und Messen auf das Marktgeschehen. JADON NISLY (Bamberg) präsentierte seine Forschungsergebnisse zu Generierung und Verbreitung von Wissen um die Viehzucht auf fürstlichen Mustergütern in Franken. Die sogenannten „Schweizereien“ waren nicht auf Profit angelegt, sondern dienten der allgemeinen Verbesserung der Viehzucht auf dem Land. Schon im 18. Jahrhundert erfuhren die Tiere eine gewisse Individualisierung durch differenzierte Namengebung, die sich häufig auf Statur und Fellfarbe bezog und aus der man wiederum meinte, auf ihren Charakter und somit letztlich auf ihre Fleisch- und Milchleistung, sprich ihre Brauchbarkeit schließen zu können. Am Beispiel des Melkens thematisierte Nisly die engen Beziehungen zwischen Mägden und Kühen sowie die Möglichkeit, Letztere auch als Akteurinnen zu begreifen.

Pferde und Hunde standen im Mittelpunkt der dritten Sektion, die sich der Tierhaltung im Rahmen fürstlicher Repräsentation und bürgerlicher Kultur widmete. ALEXANDRA LOTZ (Wiesbaden) stellte die heute noch bestehenden europäischen Staatsgestüte vor und strich die Bedeutung des Pferdes als lebendiges Denkmal heraus. Die Gestüte entstanden in der Frühen Neuzeit als landesherrliche Zuchtbetriebe zur Deckung des Hof- und Heeresbedarfs an Pferden. Durch ihren weitgehenden Bedeutungsverlust sähen sie sich heute einem grundlegenden Funktionswandel ausgesetzt. Die traditionellen Geschäftsfelder wurden abgelöst bzw. erweitert durch innovative, touristisch sowie kommerziell ausgerichtete Konzepte bis hin zur Pensionshaltung für Fohlen und Ruhestandspferde. MAGDALENA BAYREUTHER (München) rückte die Bedeutung von Pferden als „beweglicher Thron“ und die damit korrespondierenden Geräte und Accessoires wie Kutschen und Reitausstattung als repräsentative Objekte am frühneuzeitlichen Fürstenhof in den Mittelpunkt ihres Vortrags und arbeitete die subtilen Unterschiede innerhalb des Hochadels auf diesem Gebiet heraus. An den Beispielen des Wittelsbacher Hofes in München und des Hofs der Fürsten von Löwenstein-Wertheim untersuchte sie den betriebenen Aufwand, der maßgeblich von den finanziellen Möglichkeiten des jeweiligen Hauses abhing, an das ein bestimmter repräsentativer Anspruch gestellt wurde. Die Höhe der Investitionen, auch für Pferde und Kutschen, lag nur bedingt im persönlichen Ermessen der Fürsten, sondern ging einher mit der Erfüllung gesellschaftlicher Erwartungen.

Hunden als „Schwellentieren“ zwischen Natur und Kultur, Öffentlichkeit und Privatsphäre, Drinnen und Draußen, Sakralem und Profanen, Erlaubtem und Verbotenem, Schädlichem und Nützlichem widmete sich ALINE STEINBRECHER (Konstanz) und prononcierte noch einmal die bereits in verschiedenen Vorträgen angeklungene Rolle gerade des Hundes als sozialer Akteur. Anhand von Frankfurter Ratsprotokollen und Policeyordnungen zeigte sie den diesbezüglichen Regulierungsbedarf auf; mittels Vermisstenanzeigen wies sie die Bedeutung des Hundes als individueller Beziehungspartner des Menschen nach. Allerdings seien erst wenige Fälle dieser tierischen Agentenschaft untersucht. In der Diskussion wurde die Frage nach spezifisch nationalen Diskursen über Hunde aufgeworfen, die ebenfalls einer weitergehenden Erforschung bedürfe.

In seinem Schlusskommentar fasste HEINRICH LANG (Bamberg) die Ergebnisse der Tagung konzise zusammen. Die aspektreichen und auf unterschiedlichen Konzepten basierenden Tagungsbeiträge könnten einen signifikanten Beitrag dazu leisten, dass der lange vernachlässigten Rolle der Tiere in der Geschichte, aufbauend auf der Idee einer „Histoire totale“ und im Sinne postulierter Aufmerksamkeitssymmetrie, endlich die ihnen angemessene Beachtung zukomme. Die Vorträge könnten als Grundlage für weitere Recherchen und die konzeptuelle Ausgestaltung des Themas in seinen verschiedenen Facetten dienen.

Konferenzsübersicht:

Klaus van Eickels (Bamberg, Sprecher der BaGraHist): Begrüßung

Mark Häberlein (Bamberg): Einführung in das Tagungsthema

Gesine Krüger (Zürich, CH): Ein Schiff voller Tiere. Die Europäische Expansion neu erzählt

Sektion 1: Menschen und Tiere im Mittelalter
Sektionsleitung: Andreas Flurschütz da Cruz (Bamberg)

Gábor Bradács (Debrecen, HU): Tiere in der mittelalterlichen ungarischen Historiographie – Funktionen und Kontexte

Klaus van Eickels (Bamberg): Elefanten im europäischen Mittelalter

Daniel Manthey (Bamberg): Tiere im Liber de natura rerum des Thomas von Cantimpré

Konan Kouassai Parfait Boris (Bamberg): Mittelalterliche Tierprozesse

Emma Hart (St. Andrews, UK): The Politics of Turning Animals into Food in the Early Modern Western World

Jadon Nisly (Bamberg): „die Viehzucht in meinem Lande zu verbessern“ – Aufklärung, Rinderhaltung und Wissen in fürstlichen Mustergütern in Bamberg und Ansbach (1740–1800)

Sektion 3: Tierhaltung, fürstliche Repräsentation und bürgerliche Kultur in der Neuzeit
Sektionsleitung: Mark Häberlein (Bamberg)

Alexandra Lotz (Wiesbaden): Europäische Staatsgestüte – lebendiges Kulturerbe

Magdalena Bayreuther (München): Alte Schabracke! Die „feinen Unterschiede" am Reit- und Fahrzubehör der Häuser Wittelsbach und Löwenstein im 18. Jahrhundert

Aline Steinbrecher (Konstanz): „Zu Lust und Nutzen dienet“ – Zur Rolle der Hunde im städtischen Kontext (1650-1850)

Heinrich Lang (Bamberg): Schlusskommentar