Beziehungsgeschichte(n). 22. Fachtagung des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit

Beziehungsgeschichte(n). 22. Fachtagung des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Arbeitskreis Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit
Ort
Stuttgart-Hohenheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.10.2016 - 29.10.2016
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Von
Katharina Breidenbach, Ruhr-Universität Bochum; Doreen Kobelt, Potsdam

Vom 27. Oktober bis zum 29. Oktober 2016 fand in Stuttgart-Hohenheim die 22. Tagung des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte in der Frühen Neuzeit (AKGG-FNZ) statt. Das Thema der Tagung lautete „Beziehungsgeschichte(n)“. Beziehungen sind und waren in Gesellschaften allgegenwärtig. Insbesondere in Zeiten, die sich durch Abwesenheit von flächendeckender Staatlichkeit auszeichneten wie das frühneuzeitliche Europa, waren Beziehungen für die Strukturierung von Gesellschaft ein integraler Bestandteil. Ziel der Tagung war es zu verdeutlichen, wie sich Beziehungen bzw. Beziehungsgeflechte konstituierten, wie sie genutzt wurden, wer zu ihnen gehörte und wie weit diese reichten. Vor allem standen dabei Geschlechterverhältnisse und ihre Inszenierungen im Fokus der Referent/innen.

SEBASTIAN KÜHN (Hannover) eröffnete die Tagung mit dem Vortrag „Subalterne Beziehungsgeschichte(n) in der frühneuzeitlichen Ungleichheitsgesellschaft“. Anhand von Fallbeispielen aus Adelshaushalten in Brandenburg-Preußen und Kursachsen des 17. und 18. Jahrhunderts erläuterte er die Beziehungen von Dienern und Dienerinnen innerhalb und außerhalb ihrer Haushalte. Durch unterschiedliche Beziehungslogiken innerhalb und außerhalb der Haushalte vollzog sich, so Sebastian Kühn, eine Differenzierung der Dienerschaft, die sich auch in sogenannten, vor allem männlich geprägten, „Dienerzünften“ niederschlug. Kühn konnte in seinem Vortrag darlegen, wie sich über Beziehungen Hierarchien innerhalb von Dienerschaften, Haushalten und der Gesellschaft bildeten.

„Familienbande und Geschlecht“ waren das Thema der Ausführungen von JULIA GEBKE (Wien). Diese konzentrierte sich auf drei Eheprojekte der Habsburger, an denen Maria von Spanien in unterschiedlichen Funktionen teilhatte. War Maria im ersten Projekt noch bloßes Objekt der Verhandlungen, war sie im zweiten die Mutter der Braut, welche die zukünftige Frau ihres Bruders Philipps II. begleitete. Letzterer betraute sie mit der Vermählung seiner Tochter Isabella Clara Eugenia mit Rudolph II. Das Geschlecht der Habsburgerinnen verwendet Gebke hier in Anlehnung an Andrea Griesebner als „mehrfach relationale Kategorie“ und nutzt diese Methode, um die spezielle Rolle der Habsburgerinnen in den Ehearrangements zu untersuchen.

Im Anschluss stellte JULIA HEINEMANN (Zürich) ihre Ausführungen zur „Beziehungspraxis als Legitimation einer Königin. Chatherine de Médicis und ihre Kinder“ vor. Sie analysierte Mutter-Sein als eine Praxis, zeigte, wie Chatherine de Médicis Beziehungen zu ihrer „Kinderschar“ in Briefen aushandelte und dabei angeheiratete Kinder zu leiblichen machte. Die so entstandenen Beziehungen versuchte Chatherine wiederum politisch nutzbar zu machen. Auch Julia Heinemann konzipierte das Geschlecht der Königin als „mehrfach relationale Kategorie“ und nützte sie zum Ausgangspunkt einer neuen Sicht auf weibliche Herrschaft. Zudem warf Heinemann die Frage auf, was eine „Mutter“ in diesem Zusammenhang überhaupt ist.

Im dritten Vortrag des Panels stellte LARS-DIETER LEISNER (Wien) „Das Ehepaar als Arbeitspaar in der frühneuzeitlichen Diplomatie“ dar. Anhand von ausgewählten diplomatischen Ehepaaren aus dem Habsburger Reich des 17. und 18. Jahrhunderts verdeutlichte er das Wirken der Ehepaare in ihrer häuslichen sowie beruflichen Gemeinschaft. Als theoretischen Hintergrund nutzte Lars-Dieter Leisner Heide Wunders Konzept des „Arbeitspaares.“ Durch die Betrachtung der einzelnen Ehepartner und ihrer Netzwerke zeigte er, wie die unterschiedlichen Beziehungsgeflechte der Eheleute sich einander ergänzten. Zudem stellte er anhand von spezieller, für diplomatische Ehepaare geschriebene Ratgeberliteratur dar, dass den Ehefrauen eigene Aufgabenbereiche zugewiesen waren.

Auch PASCAL FIRGES (Paris) und REGINE MARITZ (Paris) nützten das Konzept des "Arbeitspaares". Sie stellten in ihrem Vortrag über „Adelige Arbeitspaare“ die Frage nach den Bedingungen für das Gelingen oder Scheitern einer ehelichen Arbeitspaar-Beziehung. Sie zeigten, dass außereheliche Beziehungen eines oder beider Partner kein Hindernis darstellen mussten, vorausgesetzt man konnte diese Beziehungen für strategische Interessen der Familie nutzbar machen. Regine Maritz plädierte dafür das Arbeitspaarkonzept um das Konzept der „emotional labour“ nach Arlie Hochschield zu erweitert. Sie demonstrierte dies an der Beziehung von Herzog Friedrich I. und Herzogin Sybilla von Württemberg, in der Sybilla angesichts der Ehekriese der beiden über ihre langen versöhnlichen Briefe fortwährend emotioal labour leistete.

SAMUEL WEBER (Basel / Durham) fokussierte in seinem Vortrag „Beziehungen zwischen Brüdern weltlichen und geistlichen Standes im italienischen Adel (17. Jahrhundert)“ die Korrespondenz des jüngeren Federico Borromeo mit seinem älteren Bruder Giovanni Borromeo. Vor dem Hintergrund der für das 17. Jahrhundert typischen sozialen Reproduktionsmechanismen beleuchtete er die scheinbare Patron-Klient-Beziehung der beiden Brüder. Er zeigte, dass Federico in den Briefen Bilder seiner eigenen, geistlichen Männlichkeit mit jenen der ritterlichen Männlichkeit des Bruders konfrontierte. Samuel Weber legte dar, wie der jüngere Bruder die verschiedenen Männlichkeitsentwürfe geschickt nützte, um in kritischen Zeiten seine Verlässlichkeit gegenüber der Familie darzustellen und seinen Bruder an dessen Aufgabe als pater familias zu erinnern.

DOREEN KOBELT (Potsdam) präsentierte in ihrem Vortrag „Was bleibt? Jüdische Testamente als Bilanz und Spiegel von Beziehungen im 19. Jahrhundert“, wie die Beziehungen zwischen Verstorbenen und Lebenden durch Gaben über den Tod verlängert wurden. Sie machte vor dem Hintergrund des jüdischen Erb- und Ehegüterrechts und anhand einer Auswahl von Testamenten aus Hamburg sowie Altona deutlich, wie Beziehungen durch die Testamente bestätigt oder auch verändert wurden. Insbesondere die Testamente von Eheleuten spiegelten deren Beziehungen. In diesem Zusammenhang stellte sie an dem Beispiel der testamentarischen Bestätigung der Mitgift, der sogenannten ketuba, der Ehefrau die Veränderungen in den Verfügungsgewalten und Geschlechterbeziehungen dar, welche sich im Untersuchungszeitraum vollzogen.

Im Abendvortrag von CORINA BASTIAN (Freiburg im Breisgau) und CAROL NATER CARTIER (Zürich) „Von der Quelle über die Idee in den Raum“ standen die Schwierigkeiten, aber auch Möglichkeiten in der musealen Darstellung von diplomatischen Beziehungen im Zentrum. Als Beispiel diente die von Beiden adaptierte Ausstellung „Frieden verhandeln“, welche zum 300-jährigen Jubiläum des Friedens von Baden (1714) auch im historischen Museum Baden gezeigt wurde. Die große Problematik bestand darin, die noch häufig anzutreffende politische Narration von „großen Männern“, die in Machtblöcken agierten, zu durchbrechen. Die beiden Ausstellungsmacherinnen entwickelten ein akteurszentriertes und zugleich niedrigschwelliges Angebot, in dem die Sicht zweier Frauen eine zentrale Rolle einnahm. Dennoch konnte die Ausstellung der Komplexität der Ereignisse gerecht werden und wurde für diese ungewöhnliche Darstellung auch von den Museumsbesucher/innen sehr gelobt.

Das dritte Panel eröffnete ELISE VOERKEL (Basel) mit dem Vortrag „Deine lieben Kinder groß und klein sind gesund und munter“. In diesem verhandelte sie das Selbstverständnis von Vätern in Basel am Ende der Frühen Neuzeit. Die Referentin zeigte Vaterschaft als eine Männlichkeit unter vielen, die daher noch stärker als Mutterschaft mehrfach relational sei. Anhand von umfangreichen Briefwechseln zwischen den Baseler Vätern, ihren Kindern, welche als Jugendliche zumeist ein Pensionat besuchten, und weiteren Akteuren zeigte die Vortragende, wie Erziehungswissen und Erziehungskompetenz zwischen den Briefpartnern verhandelt wurden.

LAILA SCHEUCH (Frankfurt am Main) referierte zu „Beziehungen und Beziehungsgeflechte von französischen und deutschen Stadteinwohnern während der Französischen Revolution am Beispiel von Scheidungsverfahren“. Das neue Gesetz sah vor, dass bei einer Scheidung eine Versammlung mit sechs Personen abzuhalten sei. Die erhaltenen Quellen ermöglichen es daher, die Beziehungsnetzwerke der einzelnen Ehepartner zu untersuchen. Laila Scheuch wählte ein Setting von Scheidungsfällen aus Frankreich und ehemaligen deutschen Städten zwischen 1792/98 und 1803. Sie betonte, dass Frauen und Männer unterschiedliche Personen für diese Versammlungen aktivierten. Frauen bedienten sich eher ihrer familiären Beziehungen, während Männer mehr auf Freunde und Rechtsgelehrte zurückgriffen. Sie verdeutlichte zudem, dass es bei der Antragsstellung zwischen Männern und Frauen signifikante Altersunterschiede gab.

Den letzten Vortrag „Die Liebe des Staates zum Gesellschaftskörper (18. Jahrhundert)“ hielt SANDRO GUZZI-HEEB (Lausanne). Er verdeutlichte in seiner Darstellung, dass sich die Auffassungen von Ehe und Familie im 18. Jahrhundert wandelten und strich die veränderte Bedeutung von Emotionen hervor. Anhand von zeitgenössischer Literatur versuchte er auch darzulegen, wie sich zeitgleich auch die Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft veränderte. Insbesondere der Bereich der Reproduktion sei verstärkt in das Interesse der Gelehrten und des Staates gerückt. So habe der Staat im 18. Jahrhundert immer massiver in das gesellschaftliche Leben eingegriffen, um sich in Form von Steuern, aber auch Informationen wichtige Ressourcen anzueignen. Er zeigte auf, dass durch diese Entwicklungen der Staat sich die Gesellschaft einverleibte.

Insgesamt zeigte die Tagung, dass sozialen Beziehungen in der Frühen Neuzeit strukturierende Eigenschaften zukamen. Vor allem für die Diplomatie- und Adelsgeschichte eröffnet die Betrachtung des Ehepaars als Arbeitspaar neue Sichtweisen. Deutlich wurde zugleich, wie produktiv ein akteurszentrierter Zugang für die Analyse von Geschlechterdifferenzen und ihrer jeweiligen Wirkmächtigkeit ist. Zudem war die Tagung durch eine rege und offene Diskussion geprägt, welche viele neue Denkanstöße über Beziehungen in der Frühen Neuzeit hervorbrachte.

Die nächste Tagung des Arbeitskreises „Geschlechtergeschichte in der Frühen Neuzeit“ wird vom 26. bis 28. Oktober 2017 stattfinden und sich dem Thema „Tradition und Tradierung“ widmen.

Konferenzübersicht:

Sebastian Kühn (Hannover): Subalterne Beziehungsgeschichte(n) in der frühneuzeitlichen Ungleichheitsgesellschaft

Julia Gebke (Wien): Familienbande und Geschlecht. Strategien in Habsburger Eheverhandlungen in der Frühen Neuzeit

Julia Heinemann (Zürich): Beziehungspraxis als Legitimation einer Königin. Catherine de Médicis und ihre Kinder

Lars-Dieter Leisner (Wien): Das Ehepaar als Arbeitspaar in der frühneuzeitlichen Diplomatie. Geschlechterrollen und Beziehungsgeflechte zwischen Hofgesellschaft und Staatsgeschäften

Pascal Firges / Regine Maritz (Paris): Adelige Arbeitspaare. Eheliche und außereheliche Beziehungen an Höfen der Frühen Neuzeit

Samuel Weber (Bern / Durham): Beziehungen zwischen Brüdern weltlichen und geistlichen Standes im italienischen Adel (17. Jahrhundert)

Doreen Kobelt (Potsdam): Was bleibt? Jüdische Testamente als Bilanz und Spiegel von Beziehungen im 19. Jahrhundert

Corina Bastian (Freiburg im Breisgaus) / Carol Nater Cartier (Zürich): „Von der Quelle über die Idee in den Raum.“ Von der Darstellbarkeit frühneuzeitlicher Außen-Beziehungen im Museum

Elise Voerkel (Basel): „Deine lieben Kinder groß und klein sind gesund und munter.“ Beziehungsgeflechte und Selbstverständnis von Vätern in Basel am Ende der Frühen Neuzeit

Laila Scheuch (Frankfurt am Main): Beziehungen und Beziehungsgeflechte von französischen und deutschen StadteinwohnerInnen während der Französischen Revolution am Beispiel von Scheidungsverfahren

Sandro Guzzi-Heeb (Lausanne): Die Liebe des Staates zum Gesellschaftskörper (18. Jahrhundert). Eine romantische Beziehungsgeschichte?


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