Bilder von Nicht-Arbeit

Bilder von Nicht-Arbeit

Organisatoren
Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Hamburg; Stiftung Historische Museen Hamburg / Museum der Arbeit
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.11.2017 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Sandra Schürmann, Hamburg

Nicht nur in der Öffentlichkeit werden aktuelle Veränderungen der Arbeitswelt unter Schlagworten wie Work-Life-Balance, Prekarität und Homeoffice diskutiert – auch die geisteswissenschaftliche Forschung widmet sich seit einigen Jahren verstärkt dem Thema Arbeit. Aus der Beobachtung, dass nicht nur Arbeitswelten und Arbeitsverständnisse sich wandeln, sondern auch die Grenzen der Arbeit verschwimmen, folgt dabei ein zunehmendes Interesse an Nicht-Arbeit. Das Hamburger Museum der Arbeit befasst sich ebenfalls, wie dessen Direktorin RITA MÜLLER zur Begrüßung berichtete, etwa angesichts einer anstehenden Neukonzeption der 1997 eröffneten Dauerausstellung, mit dem Phänomen Arbeit „von seinen Rändern her“. Der Ort für den Workshop, dessen Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Kultur-, Geschichts-, Kunst- und Medienwissenschaften einen Tag lang die Bilder von Nicht-Arbeit diskutierten, hätte also nicht besser gewählt sein können.

Einführend berichtete Initiatorin YVONNE ROBEL (Hamburg), in Forschungen zu Arbeit und Nicht-Arbeit würden durchaus vereinzelt Repräsentationen behandelt. Allerdings werde der Gegenstand dabei oft so weit gefasst, dass er politische Diskurse, mediale Inszenierungen oder allgemeinere Narrationen umfasse; Bilder im wortwörtlichen Sinne seien dann eine Repräsentationsart unter vielen. Eben deshalb stünden sie im Mittelpunkt dieses Workshops. Für Deutungen von Nicht-Arbeit spielten sie schließlich eine besondere Rolle, da sie nicht etwa lediglich gesellschaftliche Zustände abbildeten, sondern gesellschaftlich geteiltes Wissen über Nicht-Arbeit mit produzierten. Aus dieser Relevanz der Bilder leitete Robel die übergreifenden Fragestellungen für den Workshop ab: nach dem Bilderfundus und den darin erkennbaren Perspektiven, nach der Rolle verschiedener Bildmedien, nach Stilisierungen und Inszenierungen, Produzentinnen und Produzenten, nach den so reproduzierten Distinktionslinien von class, race und gender und schließlich nach Bildtraditionen oder Neuformulierungen, also nach einer Ikonografie von Nicht-Arbeit. Aus der Annahme, dass visuelle Deutungen mit Erfahrungen, Lebenswelten und Praktiken von Arbeit und Nicht-Arbeit in einem engen Wechselverhältnis stehen, folge zudem die übergreifende Frage, inwiefern sich auf der visuellen Ebene ein gesellschaftlicher Wandel im Umgang mit Nicht-Arbeit beobachten lässt.

Vor dem Hintergrund seiner Forschung zu einem Konvolut von Arbeiterfotografien aus den Jahren zwischen 1926 und 1933 verwies MANFRED SEIFERT (Marburg) auf eine Problematik historischer Bilder und aktueller Vorstellungen von Arbeit und Nicht-Arbeit: Viele dieser Fotografien zeigten zwar keine Lohnarbeit, aber auch keine selbstbestimmte Freizeit im heutigen Sinne, sondern einen Alltag der Werktätigen, der stark von Aktivitäten und Verpflichtungen für die Arbeiterbewegung geprägt war. Die von geschulten Amateuren angefertigten Aufnahmen im Auftrag der KPD-nahen „Vereinigung der deutschen Arbeiter-Fotografen“ (VdAF) erfüllten den Auftrag, „das ganze Leben des Proletariats“ abzubilden und Bildmaterial für die politische Propaganda in Parteizeitungen zu gewinnen. Sie entsprachen also offensichtlich einer Perspektive der Arbeiterbewegung, in der (männliche Lohn-)Arbeit den zentralen Referenzrahmen des Alltags bildete. Abgesehen von klassenkämpferischen Intentionen waren in den Bildern dabei durchaus Einflüsse bürgerlicher Bildkodizes zu erkennen, etwa in Familienbildern am privaten Esstisch.

Im Anschluss erörterte PIA MASURCZAK (Freiburg) anhand von Fotografien britischer und indischer Frauen die Bilder des Müßiggangs im britischen Kolonialdiskurs. Generell sei die als problematisch angesehene „idleness“ insbesondere mit Blick auf das Leben in den Kolonien erörtert worden. Das dortige Leben der Briten habe in vieler Hinsicht jenem in der Heimat widersprochen, wo die Abgrenzung der „arbeitsamen“ („industrious“) Angestellten von den „faulen“ Industriearbeitern oder „dekadenten“ Adeligen ein wichtiger Teil des bürgerlichen Selbstverständnisses war. Von britischen Frauen in den Kolonien sei daher erwartet worden, dass sie trotz zahlreicher Hausangestellter stets einen arbeitenden Eindruck vermittelten und keinesfalls „unschicklichen“ Beschäftigungen wie Romanlektüre nachgingen. Entsprechend zeigte sich die Dame des Hauses in einer Fotografie also in einer Sänfte, aber in aufrechter Haltung und an zentraler Stelle, als verantwortungsvolle Überwacherin des Hausstandes. Dieser Darstellungskonvention gegenüber stellte Masurczak Bilder indischer Tänzerinnen, die von britischen Fotografen als Sinnbilder frivolen Nichtstuns (ihres eigenen wie ihres Publikums) inszeniert wurden. Dass die typischen, halb liegenden Posen keinesfalls den Selbstverständnissen dieser Frauen entsprachen, zeigte sich in einem Beispiel, in dem sich die Tänzerinnen entgegen der Wünsche des Fotografen aufrecht hingesetzt hatten. Im Workshop wurden im Anschluss mögliche Gemeinsamkeiten zwischen solchen kolonialen Bilddiskursen und Darstellungen bürgerlicher Frauen und leitender Angestellter im europäischen Kontext diskutiert: Auch letztere dürften im Arbeitsalltag Phasen der Muße erlebt haben, die sie nach außen hin oder vor sich selbst unbedingt als „Arbeit“ deklarieren mussten. Eine weitere inhaltliche Anschlussmöglichkeit boten positive Bilder nicht-arbeitender Einheimischer aus den Kolonien wie auch in Europa, etwa in Darstellungen vermeintlich vormoderner Idyllen mit Viehhütern oder Schäfern.

Einer jahrhundertealten, diskriminierenden Bildtradition widmete sich DIRK SUCKOW (Leipzig) in seinem Vortrag: Er verwies auf die konstitutive Bedeutung von Nicht-Arbeit für das Bild von ‚Zigeunern‘:1 Klassische Genreszenen betonten deren angeblich typisches Handlesen oder das „Ergaunern dessen, was andere sich erarbeitet haben“, eine generelle Nicht-Produktivität und einen der sonstigen Welt entkoppelten Alltag in der freien Natur oder auf Jahrmärkten. Diese Gemengelage aus positiv-romantisierenden und negativen Klischees sei in bildlichen Darstellungen über einen sehr langen Zeitraum bis in die heutige Zeit erkennbar. Suckow verwies dabei auf die Schnittmengen mit (Bild-)Diskursen von Asozialität und Kriminalität, aber auch Kunstfertigkeit und Bohème (worauf auch die bis ins 19. Jahrhundert verbreitete, französische Bezeichnung „bohémiens“ für Roma verweist) sowie Fremdheit und Orientalismus. Ein auch in der anschließenden Diskussion angesprochenes Problem der Forschung zu ‚Zigeunern‘ ist die besonders deutliche Dominanz der Fremdrepräsentationen in der historischen Überlieferung angesichts fehlender eigener Bild- und Schriftproduktion, deren Überwindung erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann.

Bilder von Arbeitspausen, also von Phasen der Nicht-Arbeit am (Industrie-)Arbeitsplatz, zeigte STEFAN RAHNER (Hamburg) anhand von Beispielen aus Unternehmensarchiven und Fotografennachlässen. In der NS-Zeit etwa hätten die Publikationen des Amtes „Schönheit der Arbeit“ einige Unternehmen dazu bewogen, ausführliche Dokumentationen ihrer Sozialeinrichtungen und Pausenräume anfertigen zu lassen. Diese Fotografien, aber auch später entstandene Aufnahmen, zeigten neben Kantinen auch immer wieder Arbeiterinnen und Arbeiter, die ihre Pausen im werkseigenen Garten auf der geradezu sinnbildlichen Bank im Freien verbrachten. Eine weniger gestellte Perspektive prägte die Fotografien Harald Zochs, der von den fotografierten Hafenarbeitern eher als Kollege gesehen wurde und diese z.B. beim Nickerchen auf oder hinter Sackstapeln abbilden konnte. Insgesamt wurde damit auch hier deutlich, welchen Einfluss der Entstehungskontext auf die Bilder von Nicht-Arbeit ausübte. Die vorgestellten Bilder lenkten die Aufmerksamkeit der Runde zudem auf unterschiedliche Grade an Selbstbestimmung und freier Einteilung von Phasen der Nicht-Arbeit – hier unterschied die Kantine eines Großunternehmens sich offensichtlich von der verborgenen Ecke im Hafenschuppen.

Eine ganz andere Bildquelle nahm KYRA PALBERG (Duisburg-Essen) in den Blick: Sie stellte anhand von Infografiken, der häufigsten Form der Visualisierung von Arbeitslosigkeit, heraus, wie sich seit der ersten Arbeitsmarktkrise um 1960 die Begründungen dieses Phänomens und damit auch die Konventionen seiner Visualisierung veränderten. So habe etwa der bei Verlaufsdiagrammen ausgewählte Zeitraum erheblichen Einfluss auf deren Aussage: Eine „politische Zeitachse“ etwa, die sich an Legislaturperioden orientierte, suggeriere eine Verantwortung der jeweiligen Regierung für die Situation, während eine Parallelsetzung mit Börsenzyklen übergeordnete konjunkturelle Zusammenhänge betone. Generell seien die Ursachen von Arbeitslosigkeit seit den 1980er-Jahren nicht mehr in wirtschaftlichen Konjunkturen oder strukturellem Wandel, sondern in individuellen Versäumnissen der Arbeitslosen gesehen worden. Entsprechend habe die Visualisierung individuelle Risiken und Fähigkeiten in den Mittelpunkt gestellt, die Rezipienten somit zu Eigeninitiative, Selbstreflexion und -optimierung aufgefordert. Ein Rückgriff auf Abbildungen aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise 1929/31 und die Bildwelt der Industriearbeit hingegen zeige die historische Dimension von Arbeitslosigkeit, aber auch das Fehlen einer eigenen Darstellungskonvention für die Situation der 1980er- und 1990er-Jahre.

Noch einen Schritt näher an aktuelle Debatten rückte der Workshop mit dem Beitrag von PHILIPP MILSE (Leipzig), der Bilder von Heimarbeit ins Zentrum stellte. Die von ihm ausgewählten Fotografien propagierten diese als zeitgemäße Alternative zur klassischen Büroarbeit und betonten deren Vorteile durch Inszenierungen arbeitender Männer und Frauen mit Laptop auf dem Sofa, in Socken oder barfuß am Schreibtisch, oft mit einem Baby auf dem Arm oder im Hintergrund. Solche Bilder suggerierten laut Milse eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die vor allem darauf beruhe, Heimarbeit in die Nähe von Nicht-Arbeit und Freizeit zu rücken, sie also als „nebenher“ zu erledigende oder „leichtere“ Arbeit zu deklarieren. Das sei nicht zuletzt dann problematisch, wenn auch noch romantisierende Vorstellungen historischer Heimarbeit – inklusive Kinderarbeit – verwendet würden. Um die Ambivalenzen dieser Entwicklungen drehte sich auch die anschließende Diskussion: Der Mann am Notebook mit Baby auf dem Schoß stelle auch durchaus ein positives und neues Identifikationsangebot dar, werde aber den tatsächlichen Herausforderungen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht gerecht. Die erkennbare Tendenz, positive Vorstellungen von Nicht-Arbeit – insbesondere die Bequemlichkeit auf dem Sofa und die Zeit für die Familie – auf die Arbeitswelt zu übertragen, lasse sich auch in modernen Unternehmen erkennen: Durch die zunehmende Verbreitung von Sofas und anderen Wohlfühl-Möblierungen ändern sich auch die Bilder klassischer (Büro-)Arbeitsplätze. Nicht nur dringe also die Arbeit qua Heimarbeit in die Privatsphäre ein, sondern auch das Bild der Arbeit beziehe zunehmend materielle wie immaterielle Aspekte von Freizeit und Privatleben mit ein. Das Sofa symbolisiere insofern nicht nur das Verwischen der räumlichen, sondern auch der sozialen und emotionalen Grenzen zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit.

Im abschließenden Vortrag stellte Yvonne Robel (Hamburg) drei Spielfilme als Zugang zu einer Geschichte der Nicht-Arbeit vor. „Vitelloni“ (Die Müßggänger)“ von Federico Fellini aus dem Jahr 1953, „Zur Sache Schätzchen“ von May Spils von 1968 und „The Big Lebowski“ von Ethan und Joel Cohen von 1998 zeigten allesamt männliche Protagonisten, die sich einer Erwerbsarbeit entziehen. Ihr Alltag wurde dabei auf komödiantische Art und ohne moralische Verurteilung gezeigt. Robel stellte die Gemeinsamkeiten der Körperbilder in den Filmen heraus: Charakteristisch sei das häufige Liegen und Lungern auf Sofas oder Betten; anders als in den beiden älteren Filmen sei Müßiggang bei „Lebowski“ zudem in den wenig sportlichen Körper des Titelhelden eingeschrieben. Weitere Stilmittel der Inszenierung von Nicht-Arbeit seien abrupte Tempiwechsel, die eine Unterbrechung des radikal entschleunigten Alltags des „Dude“ betonten. Bei „Vitelloni“ hingegen transportierten Szenen des winterlichen Badeortes und eines Spaziergangs am leeren Strand die entsprechende Atmosphäre, beim „Schätzchen“ das sommerliche München mit Freibad und beschwingter Musik. Gemeinsame Motive aller drei Filme wiederum seien die Passivität, Sorglosigkeit und das Spielerische der Protagonisten, deren nicht-vorhandenen Ambitionen ein subversives Potential und eine Abgrenzung zu klassischen Vorstellungen bürgerlicher Erwerbsarbeit erkennen ließen.

Insgesamt boten die Vorträge und Diskussionen eine sehr facettenreiche Bestandsaufnahme zu Bildern von Nicht-Arbeit sowie deren Verhältnis zu Darstellungen von Arbeit. Dass es letztere als Referenzrahmen braucht, wurde dabei immer wieder deutlich: Mehr oder weniger explizit waren bei allen diskutierten Beispielen nicht nur die Betrachtenden, sondern auch die Arbeitenden und die Arbeitswelt „mit im Bild“, sei es in Orten, Accessoires, Kleidungen oder Körperhaltungen. Besonders gut eigneten sich offenbar Frauen und nicht-europäische oder als „fremd“ wahrgenommene Menschen, um die Grenze zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit visuell zu markieren und das Bild einer männlich konnotierten Lohnarbeit und das dazugehörige „arbeitsame“ Selbstverständnis zu schärfen. Dass natürlich auch indische Hausangestellte, bürgerliche Frauen und ‚Zigeuner‘ arbeiteten und dass der Arbeitsalltag gerade von Angestellten auch Phasen des Müßiggangs oder Tendenzen zur Verwischung von Arbeit und Nicht-Arbeit aufwies, wurde dabei visuell ausgeblendet. Auffällig waren zudem die immer wieder erkennbaren Kontinuitäten in den Bildtraditionen, welche offenbar historische Umbrüche relativ unbeschadet überdauerten. Diese und andere Beobachtungen machten immer wieder deutlich, wie sorgfältig die jeweiligen Produktions- und Veröffentlichungsbedingungen der ausgewählten Bilder hinterfragt werden müssen. Auf diesem Workshop nicht angesprochen und sicher Stoff für weitere Forschungen und Diskussionen blieben aktive Formen der Nicht-Arbeit wie jene des Adels oder bürgerlicher Flaneure und Reisender. Es ist also spannend und lohnend, sich weiter mit diesem Thema zu befassen.

Konferenzübersicht:

Yvonne Robel (Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Hamburg): Einführung

Manfred Seifert (Phillips-Universität Marburg): Das „ganze Leben“ des Proletariats. Zum interpretatorischen Dilemma zwischen historischer Bildproduktion und aktuellen Vorstellungen von Arbeit

Pia Masurczak (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg): Fotografien der Muße/des Müßiggangs im britischen Kolonialdiskurs

Dirk Suckow (Universität Leipzig): Die visuelle Stigmatisierung von Zigeunern als „Nichtstuer“

Stefan Rahner (Historische Museen Hamburg / Museum der Arbeit): Fofftein. Pausenbilder

Kyra Palberg (Universität Duisburg-Essen): Subjektivierungen von Arbeitslosigkeit? Die Konstruktion (nicht-)arbeitender Subjekte in Infografiken

Philipp Milse (Universität Leipzig): Orte der Arbeit - Orte der Nicht-Arbeit? Von der Fabrik zum Sofa

Yvonne Robel (FZH): Bewegte Müßiggänger. Figuren des Nichtstuns im Spielfilm

Anmerkung:
1 Der Begriff ‚Zigeuner‘ ist eine Fremdbezeichnung; er wird von vielen so bezeichneten Menschen als diskriminierend abgelehnt. In der aktuellen Forschung wird er jedoch – meist in Anführungsstrichen – verwendet, wenn ausdrücklich die Erfindung dieser Gruppe in Bildern oder Texten gemeint ist, d.h. die Zuschreibung von „Anderssein“ und die Projektionen auf die so beschriebenen Menschen. Seine Verwendung trägt dann dem hegemonialen Blick und dem Machtgefälle Rechnung, dem die so Etikettierten unterliegen.


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