Tagung des Arbeitskreises Historische Kartographie

Tagung des Arbeitskreises Historische Kartographie

Organisatoren
Arbeitskreis Historische Kartographie
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.11.2016 -
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Von
René Schulz, Universität Bonn

Am 28. November 2016 tagte im LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte in Bonn der Arbeitskreis Historische Kartographie. In vier Sektionen befassten sich zwölf Referentinnen und Referenten mit der Historischen Kartographie in unterschiedlicher Perspektive – sowohl als Disziplin als auch Methode geschichtswissenschaftlicher Forschung. Ein Schwerpunkt der Tagung lag dabei auf den Fragen der Digitalisierung.

HELMUT RÖNZ (Bonn) begrüßte die Teilnehmer und Freunde des Arbeitskreises und präsentierte in seiner Einführung einen instruktiven Überblick über die langjährige und dementsprechend erfahrungsreiche kartographische Arbeit des LVR-Instituts. Er gewährte Einblick in den Arbeitsstand des vom Institut herausgegebenen Rheinischen Städteatlas, ein historisch-topographisches Grundlagenwerk zur Geschichte rheinischer Städte1, das sich in seinen nächsten Lieferungen den Städten Siegburg, Kaster, Waldbröl, Waldfeucht und Porz (Köln) widmen wird. Die fortschreitende Arbeit am Städteatlas stellte er zudem in den Kontext des Relaunch des LVR-Internetportals Rheinische Geschichte, der auf eine höhere Verknüpfung der gebotenen Inhalte, darunter auch die geplante Digitalisierung und Einbindung des Atlaswerkes in das Portal, zielt. Die am Rheinischen Städteatlas vorgenommenen Neuerungen veranschaulichte WOLFGANG ROSEN (Bonn) am Beispiel Siegburgs. Als neue Herausforderung sah er unter anderem die gewandelten Nutzungsinteressen und Rezeptionsgewohnheiten der Nutzer, die durch die enorm verstärkte Digitalisierung – auch von Forschungsergebnissen – bedingt sei. Hierdurch würden vermehrt Visualisierungen von Inhalten notwendig, die beim Atlas durch die Einbindung unterschiedlicher Diagrammarten, Abbildungen von Siegeln und Wappen sowie den Einsatz weiterer Karten erfolgten, so der Referent.

ALENA SAAM (Bonn) präsentierte anschließend die Ergebnisse des Teilprojekts Widerstand an der Saar 1935–1945, das in das umfassendere LVR-Forschungsprojekt „Widerstand im Rheinland 1933–1945“ eingebettet ist. Die erforschten Widerstandsfälle, die seit Sommer 2016 in einer gemeinsamen Publikation von LVR und Union Stiftung vorliegen2, seien im Portal Rheinische Geschichte in einer interaktiven und nach dem Prinzip von Google Maps arbeitenden Onlinekarte aufbereitet und eingeordnet.3 Deutlich würden durch diese kartographische Aufarbeitung nicht nur die räumlichen Zusammenhänge, sondern ebenso die Verwendungsfähigkeiten nichthistorischer Karten für die Bildungsarbeit von Schulen, Vereinen und Initiativen, insbesondere in lokaler Hinsicht.

MARGRIT SCHULTE BEERBÜHL (Düsseldorf) eröffnete die zweite Sektion mit der Vorstellung ihrer bisherigen Forschung zum Aufstieg und Niedergang der rheinischen Schokoladenindustrie zwischen Emmerich und Bonn, von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu den 1970er-Jahren. Schulte Beerbühl wies auf die problematische Quellenlage für die Schokoladenindustrie sowie deren geringe Verankerung im historischen Bewusstsein hin. Die frühen Untersuchungen seien bereits in eine interaktive Karte eingegangen und zeitigten jetzt schon einen spannenden Befund: So erreichte die rheinische Schokoladenindustrie an der Zahl ihrer Betriebe gemessen den Höhepunkt in der Weimarer Republik, die den meisten Zeitgenossen eher als Ära politischer und wirtschaftlicher Krise in Erinnerung hafte. Diesen und anderen Ergebnissen werde in einem anstehenden Projekt mit dem LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, begleitet vom Portal Rheinische Geschichte weiter nachgegangen.

Vom Rheinland nach Brandenburg wechselte der Blickwinkel im Vortrag von ALEXANDER WALBERG (Potsdam), der über den Brandenburgischen Historischen Städteatlas referierte. Ziel des Projekts der Brandenburgischen Historischen Kommission sei es, das östliche Bundesland auf der europa- und deutschlandweiten Karte der Städteatlanten sichtbar werden zu lassen. Den Anfang der Atlanten solle die Stadt Eberswalde machen. Walberg ließ aber auch die schwierigen Anfänge des Projekts deutlich werden, welche nun durch Kooperation und Erfahrungsaustausch überwunden werden sollen.

KEYWAN KLAUS MÜNSTER (Bonn) führte am Anfang der dritten Abteilung anhand des Städteatlas Wesseling vor, wie der digitalisierte Rheinische Städteatlas im Konkreten aussehen kann. Er machte deutlich, dass es bei einem solchen Digitalisierungsprojekt nicht um einen reinen Transfer von Kartenmaterial und Textteilen der gedruckten Atlanten ins Netz ohne Mehrgewinn gehe, sondern um ein digitales Angebot, das die Printversion ergänze und nicht ersetze: Genau dies umschrieb er annähernd mit dem Begriff der „verlinkten Karte 2.0“. Objektbezogene Informationen und die Darstellung von Entwicklungsverläufen machen die Onlineversion des Atlas erst dynamisch und vernetzbar mit anderen Inhalten des Portals, in das sie schließlich eingebunden werde. So könnten gegenseitige Konkurrenz vermieden und Synergien geschaffen werden.

Ein großes, aber auch mit vielen Erschwernissen verbundenes Projekt stellten ISABELLE BERENS und MELANIE MÜLLER-BERING (Marburg) mit der Erschließung der Urkataster hessischer Städte vor. Das im April 2016 begonnene Projekt hat sich das ambitionierte und ebenso beeindruckende Ziel gesetzt, alle relevanten Quellen zu recherchieren, zu erfassen und auch zu digitalisieren. Auf dem Weg zu diesem Ziel bildeten die verstreuten und oftmals umsignierten Bestände von Katasterämtern, Behörden und Staatsarchiven ein großes Hindernis. Als problematisch stellten die beiden Referentinnen auch die bewegte politische Geschichte Hessens heraus, die dazu geführt hatte, dass zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Landesherren verschiedene Katasteraufnahmen von natürlich unterschiedlicher Qualität und Darstellung anordneten. Die Chancen der Unternehmung lägen klar auf der Hand: Für die vergleichende Städteforschung würden wesentliche Grundlagen bereitet. Bis zur Georeferenzierung und Vektorisierung der Urkatasterkarten würden sich darüber hinaus noch weitere Möglichkeiten der Visualisierung und andere Fragestellungen an das Kartenmaterial ergeben.

Als impulsgebend kann auch der folgende, weitere Vortrag aus Marburg bezeichnet werden. PAUL GEORG ROTH (Marburg) führte in die Arbeiten am digitalen Atlas zur Geschichte von Hessen ein und konnte anhand unterschiedlicher Beispiele demonstrieren, dass georeferenziertes Kartenmaterial bis auf Veränderungen von Gebäuden und Straßenzügen genau sein kann. Die zwar in Hinsicht auf Genauigkeit und Vollständigkeit nicht unproblematische, aber für das verkartete Gesamtbild eines Landes erforderliche Zusammenführung unterschiedlicher Karten verschiedener Zeitabschnitte ermögliche neue Perspektiven im Hinblick auf Siedlungen und Territorien. Genau dies dürfte das besondere Verdienst des neuen Kartendienstes des Hessischen Landesamts für geschichtliche Landeskunde darstellen.

Zu Beginn der letzten Sektion berichtete THOMAS TIPPACH (Münster) aus der Arbeit am Städteatlas Soest und setzte sich in diesem Zuge mit einer Reihe von ausgewählten Fragen zum Historischen Atlas westfälischer Städte auseinander. Die Betonung bei der Behandlung dieser Fragen lag deutlich auf dem interdisziplinären Ansatz der Arbeit. Mit Hilfe der angefertigten thematischen Karten, die für Tippach Anlass zu Überlegungen über die Standartsetzung boten, konnte zum Beispiel die in der Soester Stadtgeschichte dominierende Erzählung vom angeblichen Niedergang der Stadt nach dem Dreißigjährigen Kriege aufgrund der festgestellten hohen baulichen Kontinuität erheblich in Frage gestellt werden. Die Auseinandersetzung über die Standardsetzung thematischer Karten, die stets zwischen Arbeitsaufwand und Ertrag abwägen muss, erwies sich hier als lohnend, fiel das Urteil doch deutlich zugunsten des geschichtswissenschaftlichen Ertrages aus.

Mit dem Projektbericht von DANIEL STRACKE (Münster) zum Städteatlas Dortmund im Deutschen Historischen Städteatlas blieb der Fokus auf Westfalen, wandte sich aber mit der Ruhrgebietsstadt der Problematik von regionalen Besonderheiten und ihrem Niederschlag in der Historischen Kartographie zu. So erschwerten die erheblichen Dortmunder Kriegsschäden Genauigkeit und Verwendung georeferenzierter Daten. Am Beispiel Dortmund gelang es Stracke, Industrialisierung und Deindustrialisierung als raumbildende Faktoren zu veranschaulichen. Gleichwohl ging es dabei weniger um eine klassische Industriegeschichte, als vielmehr um die Auswirkungen der industriellen Prägung auf die Stadtentwicklung. Die weitere Verdichtung und Bebauung des Dortmunder Umlandes wirft in diesem Sinne die Frage nach der postindustriellen Nutzung des Raumes auf.

Zum Abschluss der Tagung beschäftigte sich DANIEL KUGEL (Trier) mit der Mobilisierung und Differenzierung des Trierer Bürgertums in der Zeit des Umbruchs vor und nach der Französischen Revolution (1781–1791). Das Ziel von Kugels vorgestellter Arbeit war eine Verhältnisbestimmung von Trierer Bürgerschaftsvertretern und Magistraten, bei der sich allein aufgrund der Quellenlage, wie der kurfürstlichen Anordnung zur Nummerierung der Häuser, eine kartographische Darstellung geradezu anbot. Mittels eigens angefertigter Karten der Stadt und weitreichenden prosopographischen Untersuchungen wies Kugel eine starke personelle Vernetzung der Magistrate nach und zeigte die hohe Verteilung der Bürgerschaftsvertreter über die Stadt bei einer räumlichen Ballung nach ihrem jeweiligen ökonomischen und sozialen Status auf. Dies ist ein Forschungsergebnis, von dem Kugel zurecht betonte, dass es ohne eine kartographische Aufarbeitung nicht zustande gekommen wäre.

Die Tagung des Arbeitskreises Historische Kartographie veranschaulichte auf einer Vielzahl von Feldern den Gewinn kartographischer Methoden im Digitalzeitalter. Die Historische Kartographie besitzt das Potenzial, sich zu einer Drehscheibe von Forschungsinhalten zu entwickeln, wenn die Geschichtswissenschaft auf die digitalen Fragen Antworten findet, die ihre Reichweite und Möglichkeiten vergrößern.

Konferenzübersicht:

Helmut Rönz (Bonn): Begrüßung und Einführung

Helmut Rönz / Wolfgang Rosen (Bonn): Rheinischer Städteatlas und Internetportal Rheinische Geschichte

Alena Saam (Bonn): Widerstand an der Saar 1933-1945 und die Widerstandskarte

Margrit Schulte Beerbühl (Düsseldorf): Aufstieg und Niedergang der niederrheinischen Schokoladenlandschaft 1850-1970 im Kartenbild

Alexander Walberg (Potsdam): Brandenburgischer Städteatlas

Keywan Klaus Münster (Bonn): Digitalisierung Rheinischer Städteatlas

Isabelle Berens / Melanie Müller-Bering (Marburg): Projekt zur Erschließung der Urkataster hessischer Städte

Paul Georg Roth (Marburg): Der digitale Atlas zur Geschichte von Hessen – Arbeiten am neuen Kartendienst des Hessischen Landesamts für geschichtliche Landeskunde

Thomas Tippach (Münster): Projektbericht Soest – Ausgewählte Fragen zum Historischen Atlas westfälischer Städte

Daniel Stracke (Münster): Projektbericht Dortmund – Erfahrungen und Probleme in der Verwendung von GIS

Daniel Kugel (Trier): Differenzierung und Mobilisierung des Trierer Bürgertums im Übergang zur Französischen Revolution (1781-1791) im Kartenbild

Anmerkungen:
1 Zur Forschungsarbeit und -arbeitsweise des Städteatlas siehe Margret Wensky, Der Rheinische Städteatlas – Eine Forschungsbilanz, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 69 (2005), S. 275-282. Auch online abrufbar unter: http://www.rheinische-landeskunde.lvr.de/media/ilr/geschichte/rheinischer_staedteatlas/pdf/DerRheinischeStaedteatlasEineForschungsbilanz.pdf (06.03.2017).
2 Helmut Rönz / Markus Gestier (Hrsg.), „Herr Hitler, ihre Zeit ist um!“. Widerstand an der Saar 1935–1945, St. Ingbert 2016.
3 LVR-Widerstandskarte für das Saarland, abrufbar unter: http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Widerstandskarte/saarland/Seiten/home.aspx (06.03.2017).