Vom Zukunftswissen zum Handeln: Expertise und Entscheidungen über Umwelt, Gesundheit und Sicherheit im 20. und 21. Jahrhundert

Vom Zukunftswissen zum Handeln: Expertise und Entscheidungen über Umwelt, Gesundheit und Sicherheit im 20. und 21. Jahrhundert

Organisatoren
Roderich von Detten / Birgit Metzger / Sabine Blum, Martin Bemmann, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Ort
Freiburg im Breisgau
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.10.2017 - 06.10.2017
Url der Konferenzwebsite
Von
André Biermann, Institut für Soziologie & Centre for Security and Society, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Als inhaltliches Ziel der Konferenz galt es, Wege vom wissenschaftlich generierten „Zukunftswissen“ über konkrete Entscheidungen zum tatsächlichen Handeln nachzuzeichnen. Insbesondere Schnittstellen zwischen zukunftsbezogenem Fachwissen, professioneller Expertise und konkreten Praktiken verantwortlicher Akteure standen dabei im Fokus der Tagungsorganisator/innen. Neben diesen Schnittstellen und dem Aufzeigen von (Dis)-Kontinuitäten des Weges vom Zukunftswissen in die Praxis sollten Fragen nach den Formen des Zukunftswissens, ihrer Epistemologie und der Performanz entsprechender Darstellungsformen in den Blick genommen werden. Das Format der Tagung zielte darauf ab, ein „Podium für den interdisziplinären Austausch“ zu sein. So beteiligten sich an dem wissenschaftlichen Austausch denn auch 18 Wissenschaftler/innen (davon 13 Referent/innen) aus den Fachrichtungen Forstwissenschaft, Physik, Philosophie, Design, Soziologie, Geschichtswissenschaft und Meteorologie.

Den Aufschlag im ersten Panel („Unsichere Zeiten“) machte CHRISTOPHER KIRCHBERG (Bochum) mit einer Betrachtung des Wandels der Praktiken des westdeutschen Verfassungsschutzes in der Adressierung potenzieller Staatsgefährder/innen. Mit der zunehmenden Konjunktur verschiedenster Richtungen westlich-marxistischen Denkens sei Ende der 1960er-Jahre ein gewissermaßen „amorpher“ Feind inmitten der eigenen Bevölkerungsreihen emergiert. Die „Unsichtbarkeit“ dieses neuen Typus von Staatsfeind, der sowohl ideologisch als auch sozialstrukturell nur schwer zu verorten gewesen sei, evozierte Kirchberg zu Folge neue Unsicherheiten und eine Form der Wissenskonstruktion, die sich im zunehmenden Rückgriff auf sozialwissenschaftliche Expertise und der Einführung des computerisierten nachrichtendienstlichen Informationssystems „NADIS“ zeigte. Hier seien solche Kategorien zur Konstruktion von Verdachtsmomenten gleichsam adaptiert, gebildet und angewendet worden, dass schließlich jeder Bundesbürger in den Fokus des Verfassungsschutzes geriet. Die Kategorisierungen zur Konstruktion staatsgefährdender Zukünfte und ihrer vermeintlichen Urheber seien damit reflexiv und performativ geworden: Nicht mehr die Frage des Wirklichkeitsgehaltes der Kategorien, sondern wer mit diesen erfasst werden konnte, wurde Kirchberg zu Folge schließlich zum Leitmotiv des Verfassungsschutzes.

Als soziologische Genealogie zeichnete MATTHIAS LEANZA (Basel) im zweiten Vortrag die Karriere des Resilienzbegriffes nach. Dieser galt Leanza als ein zentrales Dispositiv des von ihm weit gefassten Paradigmas der Prävention, das mittlerweile in verschiedensten gesellschaftlichen Teilbereichen zur Adressierung von Risiken zur Anwendung komme. Ursprünglich sei der Resilienzbegriff allerdings innerhalb des psychologischen Stressdiskurses entstanden. So entwickelte sich der Resilienzbegriff als Zuschreibung von Widerstandsfähigkeit mit dem Aufkommen eines relationalen Stressmodells, das sich von der bis dato dominanten Reifizierung von Stress als Ausdruck objektiver Belastungen abgehoben habe. Der Beginn eines Resilienzdispositives zeige sich gegenwärtig in Prämienmodellen gesetzlicher Krankenkassen, wo diejenigen Individuen belohnt würden, die sich im Sinne der eigenen Resilienz selbst optimierten. Dass sich Leanza zufolge die zunehmende Attribuierung auf individuelle Mechanismen der Selbstregulation und die im Resilienzdiskurs ausbleibende Adressierung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen mit einem Rückzug wohlfahrtsstaatlicher Basisinstitutionen parallelisieren ließe, stimmte nachdenklich. Dieses erste Panel fand seinen Abschluss mit einem Kommentar von MALTE THIEßEN (Münster).

Das zweite Panel („Instrumente und Entscheidungspraktiken“) eröffnete SEBASTIAN VOLKMANN (Freiburg im Breisgau) mit einem philosophiegeschichtlichen Abriss über Spielarten ethischer Technikfolgenabschätzung und den Konturen einer von ihm entwickelten Bereichsethik, die sich am Pragmatismus von John Dewey orientiert. Volkmann ging dabei von dem Befund aus, dass eine Ethik, die auf Letztbegründung zielt und die eindeutige Auflösung von Wert bezogenen Konflikten hin zum „Guten“ oder zum „Richtigen“ anvisiert, gegenwärtig weder Legitimation zu erzielen vermag noch der Ankerkennung tatsächlicher Wertkonflikte, der Ungewissheit über nichtintendierte Nebenfolgen oder dem Bedarf nach ethisch begründeten Entscheidungen gerecht werde. Ergo müsse eine angewandte Ethik empirisch informiert sein, die Vielschichtigkeit betrachteter Ziel- und Wertkonflikte freilegen können und bereits in einem frühen Stadium der Technikgenese ansetzen.

Im anschließenden Vortrag entwarf SILKE ZIMMER-MERKLE (Karlsruhe) eine Geschichte der Telematik in ihrer Anwendung auf automobile Assistenzsysteme mit Schwerpunkt USA und zeigte daran auf, wie sich vergangene Zukunftsvisionen in ihrer Form veränderten. Während die Zukunftsentwürfe der 1930er-Jahre als Reflexionsmoment auf die erste Massenmotorisierung noch ganzheitlich, optimistisch und positiv ausgestaltet gewesen seien, hätten zunehmend kleinteilig-nüchterne Entwürfe an Verve gewonnen, die ex negativo auf zu vermeidende Zukünfte reflektierten. Machbarkeitsutopien um eine Gewährleistung eines Mehrs an Geschwindigkeit, Komfort und Sicherheit seien dabei zuletzt „phantasielosen Debatten um Infrastrukturprojekte“ gewichen, die sich durch eine Engführung auf Chancen und Risiken technologischer Teilaspekte auszeichneten. Zimmer-Merkle konnte schließlich zeigen, dass nicht trotz, sondern gerade wegen des Überschusses an kreativem Möglichkeitssinn einige Ideen der ersten Zukunftsvisionen über Umwege tatsächlich in Innovationen überführt werden konnten.

Das zweite Panel schloss mit einem Vortrag von VERA-KARINA GEBHARDT (Lissabon) an der Schnittstelle zwischen geisteswissenschaftlicher Reflektion und ästhetischer Praxis. Über die Verschränkung ihrer ästhetischen mit einer sozialwissenschaftlichen Perspektive auf dystopische Zukünfte zeigte sie auf, dass eine mehrdimensionale Vergegenwärtigung von Zukunftsentwürfen auf eine Leib bezogene Perspektive angewiesen bleibt, die rein kognitive Zugänge zu transzendieren vermag. Eindrucksvoll bespielte sie dazu das Plenum mit verschiedenen Kunstinstallationen, so der künstlerischen Adaption eines düsteren Klimaszenarios namens „Silent Spring“ von Liam Young.1 Kommentiert wurden die erwähnten Vorträge von dem Zukunftsforscher und Science-Fiction-Autor KARL-HEINZ STEIGMÜLLER (Berlin). Er verwies in Anlehnung an den Vortrag von Zimmer-Merkle auf die Relevanz, auch die Bedeutung der gescheiterten Visionen vergangener Zukunftsentwürfe in den Blick zu nehmen: „Der Weg in die Zukunft wird erst durch falsche Prognosen gangbar gemacht!“

THOMAS ETZEMÜLLER (Oldenburg) eröffnete das dritte Panel („Institutionen und Programme“) mit einem Beitrag zur Frage der Diffusion von Zukunftswissen über wissenschaftliche Forschung und Expertise in die politische Praxis. Hierzu umriss er die Geschichte des schwedischen Ehepaares Alva und Gunnar Myrdals, zweier als kongenial vorgestellter Persönlichkeiten, die in unterschiedlichen Rollen in der schwedischen Öffentlichkeit als Wissenschaftler/innen, Publizist/innen, Sozialexpert/innen und Politiker/innen wirkten. Gleichsam mit dem Aufkommen der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre und der daraus abgeleiteten Bevölkerungsfrage trugen Etzemüller zufolge beide maßgeblich zur Konstruktion, Erforschung und zum Agendasetting des sozialstaatlichen Problemfeldes der „Bevölkerungskrise“2 bei. Zur Perpetuierung dieser Krisendiagnose sei die performative Vermessung, Erforschung und Abbildung verschiedenster mikro-, meso- und makrogesellschaftlicher Bereiche auf das Leitbild des „gesunden Mitbürgers“ – ein „neuer Menschentypus“ – ausgerichtet worden. Über die fortlaufende Adressierung der Öffentlichkeit mittels Statistiken und Graphen ungünstiger demographischer Entwicklungen seien die betreffenden Problemfelder mit dem „Antlitz der Katastrophe“ versehen und eine „Dringlichkeit der Tat“ suggeriert worden. Die „Firma Myrdal“ trug in ihren unterschiedlichen Rollen maßgeblich zur Institutionalisierung der „Enquete-Form des Denkens“ bei, die sich durch Konsensorientierung und ihren Ort an der Schnittstelle von Wissenschaft und politischer Praxis auszeichnete, so Etzemüller. Als Randbedingungen des Erfolges der Myrdals umriss Etzemüller neben der Weltwirtschaftskrise und dem schwedischen Projekt des Aufbaus eines Sozialstaates auch die spezifische gesellschaftliche Verfassung, die von relativer Ideologiefreiheit geprägt gewesen sei. Allerdings scheiterten die Myrdals in ihren späteren Tätigkeiten bei den Vereinten Nationen – so Etzemüller – mit ihren Anliegen, ihre wissenschaftliche Expertise in die politische Praxis zu überführen. Ob dies nicht zuletzt im Übergang von einer technokratischen ersten Moderne in eine zweite reflexive Moderne begründet lag, mag als These an die Ausführungen von Etzemüller herangetragen werden.

Im zweiten Vortrag dieses von ELKE SEEFRIED (Augsburg) kommentierten Panels thematisierte STEFAN LEHR (Münster) das Verhältnis von wissenschaftlichem Zukunftswissen und politischem Handeln im tschechischen Staatssozialismus. Lehr reflektierte dabei auf die Prognose als wissenschaftliche Form der Zukunftsadressierung und wie diese in Konkurrenz zur Planung als Form politischer Zukunftsadressierung getreten sei.

RODERICH VON DETTEN fokussierte in seinem Vortrag die Schnittstellen zwischen wissenschaftlicher Modellierung von Klimazukünften und den konkrete Entscheidungspraktiken von Verantwortlichen im Bereich der Forstwirtschaft. Klimamodelle beschrieben v.a. längerfristige Trends, auch forstwissenschaftliche Adaptionen derselben setzten entsprechend bei längeren Perioden – 100 Jahre als Dauer der Entwicklung eines Baumbestandes – an. Auf der Ebene der professionellen Praxis zeigten sich allerdings Diskontinuitäten zum wissenschaftlichen Diskurs: Hier würden Entscheidungen und Umsetzungen derselben mit Blick auf die Wahl der richtigen Baumarten etc. unverändert in einem 10-Jahres-Turnus vollzogen. Dabei sei es eher die Legitimität gegenüber Öffentlichkeit und übergeordneten Entscheidungsträgern, warum der Baumbestand auf eine gegebene Art und Weise geplant werde. In forstwirtschaftlichen Praktiken manifestierten sich entsprechend Handlungsrationalitäten, die sich gerade nicht im weiten Horizont eines Zukunftswissens bewegten, der für die Modellierung des Klimawandels zentral sei.

Am zweiten Tag der Konferenz zeichnete GABRIELE GRAMELSBERGER (Aachen) mit der Eröffnung des vierten Panels („Modellierungen“) den Paradigmenwechsel von prognostischer Klimamodellierung zum instruktiven Gebrauch von Klimasimulationen nach. Als zentrales Diskursfragment der prognostischen Verwendung diente Gramelsberger dabei ein Artikel des britischen Ingenieurs Guy Callendar, der – basierend auf der Freisetzung von 150.000 Millionen Tonnen Kohlendioxid zwischen den 1880er-Jahren und 1938 – in den 1930er-Jahren noch einen jährlichen Anstieg der globalen Jahrestemperatur um 0,003 °C berechnete. Während sich die Darstellungsformen des damaligen Zukunftswissens zum Klimawandel in der linearen Extrapolation zeitgenössischer Ist-Zustände verdichtet hätten, sei dieser prognostische Gebrauch allmählich von einem instruktiv-peformativen Gebrauch abgelöst worden. Als paradigmatisches Beispiel verwies Gramelsberger dazu auf das gegenwärtig viel diskutierte Geo-Engineering.

Den zweiten und letzten Vortrag des von CARSTEN DORMANN (Freiburg im Breisgau) kommentierten Panels hielt BODO AHRENS (Frankfurt am Main) über aktuelle Formen der Klimasystemmodellierung. Dabei erörterte er epistemische und ethische Herausforderungen, die sich entlang der Dimension der Skalierung (globale vs. lokale Klimafolgen) und bei den entsprechenden Adressierungsformen – „Mitigation“ (den Klimawandel abschwächende Maßnahmen) und „Adaptation“ (Anpassungen an lokale Auswirkungen) – ergeben.

Den Aufschlag für das letzte Panel („Konzeptionen“) machte STEFAN BÖSCHEN (Karlsruhe). Er begann mit einigen grundlegenden Ausführungen zur Funktion von Zukunftswissen als Transformationswissen, das ihm zufolge gegebene gesellschaftliche Ordnungen irritieren und auf unterschiedlichen Ebenen Veränderungen anzustoßen vermag. Dazu umriss er einen „feldtheoretischen Ansatz“ und stellte den Begriff der „Aufforderungsmomente“ vor, die er als „Objekte mit Aufforderungscharakter“ zu einem erwünschten Handeln einführte. Dieses Konzept eigne sich besonders dazu, die praktische Aneignung von wissenschaftlichem Zukunftswissen auf lokaler Ebene in den Blick zu nehmen. Böschen veranschaulichte dies über verschiedene Ansätze in einigen Alpengemeinden, wissenschaftliche Klimaszenarien in eine kommunale Adressierung des Klimawandels zu übersetzen, so über die Einschreibung in interaktive Wanderkarten.

Im zweiten Vortrag beschäftigte sich INGO HEIDBRINK (Norfolk, Virginia, USA) mit der Entdeckung des „Krills“ – neben Plankton eine zentrale Nahrungsgrundlage für den Lebensraum Ozean – durch die deutsche Hochseeschifffahrt als Lösung der Welternährungsfrage. Heidbrink zeigte, wie aus der Verschränkung von ökonomischem Kalkül und der Adressierung des Welternährungsproblems trotz mangelhafter wissenschaftlicher Grundlage eine politische Maßnahme mit weitreichenden ökologischen Nebenfolgen getroffen wurde. Vor diesem Hintergrund kann schließlich die von Heidbrink angeführte frühe Verankerung des Vorsorgeprinzips („Precaution“) in die „Convention on the Conversation of Antarctic Marine Living Resources“ von 1982 gelesen werden.3

Im abschließenden Vortrag des letzten Panels entwarf SABINE BLUM (Freiburg) eine auf Resilienz gewendete Lesart, welche sie an die Schriften des Zukunftsforschers und Militärstrategen Herman Kahns herantrug. Dieser habe Ansätze entwickelt, das „Unvorstellbare“ der Auswirkungen eines Atomkrieges über kreative Szenariotechniken zu vergegenwärtigen und militärstrategisch zu übersetzen. Seine Idee, „Ersatzerfahrungen“ vorweggenommener Zukünfte ( möglicher „dritter und vierter Weltkriege“) in die aktuelle militärstrategische Ausrichtung zu übersetzen, transzendiere die konventionelle und auf Berechenbarkeit abzielende Extrapolation gegebener Erfahrungswerte. Gegenüber solchen „probabilistischen Realitätsverdopplung[en]“4 indizierten Kahns Überlegungen eine „possibilistische Realitätsverdopplung“, die in der gedanklichen Vorwegnahme der „schlimmstmöglichen Zukunft“ (Worst Case) bereits einen zentralen Aspekt Resilienz orientierten Denkens verkörpere. Blums Vortrag ermöglichte es, zentrale Spielarten ungewissen Zukunftswissens konzeptionell zu fassen: Neben den erwähnten Formen der epistemischen Realitätsverdopplung reflektierte sie auf unterschiedliche Formen des Nicht-Wissens und abschließend auf die ambivalenten Folgen einer Episteme der Resilienz.

STEFAN KAUFMANN (Freiburg) umriss in seinem abschließenden Kommentar die zentralen Dimensionen der Vorträge des letzten Panels. Dabei seien nicht zuletzt die Themenfelder Periodisierung (z.B. erste Moderne oder reflexive Moderne), Wissens- und Machtverschränkungen und die Frage nach Entscheidungsrationalitäten berührt worden. Die politischen Maßnahmen im Fall Krill seien dabei Ausdruck einer Episteme der „Unkown Knowns“ gewesen, wurde dort die absehbaren Nebenfolgen gerade nicht in entsprechende Entscheidungskalküle übersetzt.

Teilnehmer*innen übergreifend wurde der interdisziplinäre Austausch als belebend und intellektuell anregend wahrgenommen. Allerdings wurde recht unterschiedlich auf diese Feststellung reflektiert: Während manche gerade die „produktive Unschärfe“ einiger Begriffsbildungen begrüßten, optierten andere für stärkere Konturen derselben. Gramelsberger gab zu Bedenken, einige der Vorträge seien eher ausgearbeitete und anregende Fallbeispiele denn theoretische Betrachtungen gewesen; entsprechend ambitioniert wäre die Überführung der Vorträge in ein gemeinsames Projekt. Für Malte Thießen zielten die meisten Vorträge auf dystopische Zukünftsentwürfe ab, hier käme eine „Pathologisierung der Zukunft“ zum Ausdruck. Insgesamt wäre ein stärkerer Fokus auf unter-schiedliche Formen der Materialisierung und die Schnittstellen zwischen wissenschaftlichem Zukunftswissen und Praxis wünschenswert gewesen. Für einen Beobachter außerhalb des fachlichen Diskurses hätte zudem ein Mehr an expliziter Begriffs- und interdisziplinärer Übersetzungsarbeit eine willkommene Orientierungshilfe sein können: Wie ließen sich verschiedene Formen der Zukunftsadressierung voneinander abgrenzen? Worin bestünde die Begriffsintension entsprechend differenzierter Konzepte wie Prävention, Preparedness, Präemption, Precaution, Planung, Prognose oder Resilienz und wie stünde es um ihre interdisziplinären Bedeutungsverschiebungen? Insgesamt kann jedoch von einer Tagung gesprochen werden, deren Gelingen sich nicht zuletzt in der äußerst lebendigen Diskussionskultur manifestierte, die auch zwischen den Panels – gewissermaßen im Off der Vorträge – ihren Ausdruck fand.

Konferenzübersicht:

Eröffnung

Birgit Metzger/Martin Bemmann/Roderich von Detten/Sabine Blum/(alle Freiburg im Breisgau)

Panel I: Unsichere Zeiten?

Christopher Kirchberg (Bochum): Unsicherheit durch Unsichtbarkeit

Matthias Leanza (Basel, CH): Prävention durch Störung

Kommentar: Malte Thießen (Münster)

Panel II: Instrumente und Entscheidungspraktiken

Sebastian Volkmann (Freiburg): Moral-Pragmatismus in der Technikfolgen-Forschung: Perspektiven zur Bearbeitung von erwartbaren Wertungskonflikten für eine ethisch informierte Entscheidungsfindung

Silke Zimmer-Merkle (Karlsruhe): Entscheidungsprozesse um automobile Assistenzsysteme aus historischer Perspektive. Versprechungen, Erwartungen und die Rolle von Zukunftswissen

Vera-Karina Gebhardt (Lissabon): Experiential Futures. Potentiale und Herausforderungen erfahrbarer Zukünfte im Entscheidungsprozess

Kommentar: Karl-Heinz Steinmüller (Berlin)

Panel III: Institutionen und Programme

Thomas Etzemüller (Oldenburg): Wissenschaftler, Publizisten, Minister aus einem Guss. Die ´Firma Myrdal´ reformiert die Welt

Stefan Lehr (Münster): Die Zukunft planen. Energiepolitisches Entscheiden in der sozialistischen Tschechoslowakei (1955-1989)

Roderich v. Detten (Freiburg): „Ich sage Ihnen: In unseren Modellen wird die Fichte im Schwarzwald besser wachsen!“ Die Verarbeitung des Klimawandels in Forstwissenschaft, Forstpolitik und Forstplanung

Kommentar: Elke Seefried (Augsburg)

Panel IV: Modellierungen

Gabriele Gramelsberger (Aachen): Paradigmenwechsel im Umgang mit Klimazukünften. Vom prognostischen zum instruktiven Gebrauch von Klimasimulationen

Bodo Ahrens (Frankfurt am Main): Klimasystemmodellierungen: Wetter-, Klimavorhersage, Klimaprojektion und Entscheidungshorizonte

Kommentar: Carsten Dormann (Freiburg im Breisgau)

Panel V: Konzeptionen

Stefan Böschen (Karlsruhe): Zukunftswissen als Transformationsmotor? Eine feldtheoretische Skizze und zwei empirische Beispiele

Ingo Heidbrink (Norfolk, Virginia/USA): Krill – von falschen Hoffnungen, unvollständiger wissenschaftlicher Erkenntnis bis hin zur Beinahe-Zerstörung eines Ökosystems. Historische Anmerkungen zu einem Versuch der (schnellen und einfachen) Lösung der Welternährungsfrage in den 1960er und 1970er Jahren

Sabine Blum (Freiburg im Breisgau): Ungewisse Zukünfte: Worst Case – Antizipationen und Resilienz

Abschlussdiskussion

Anmerkungen:
1 Vgl. https://vimeo.com/43378138 (Abruf zuletzt am 21.11.2017).
2 Ähnlich der Titel des einflussreichen Buches von Alvar und Gunnar Myrdal aus dem Jahr 1934: Crisis in the population question.
3 Zum Einblick in die Konvention siehe https://www.ats.aq/documents/ats/ccamlr_e.pdf (letzter Abruf am 21.11.2017). Daraus zum Vorsorgeprinzip „Where there are threats of serious or irreversible damage, lack of full scientific certainty shall not be used as a reason for postponing cost- effective measures to prevent environmental degradation“.
4 Zum Konzept der Realitätsverdopplung vgl. Elena Esposito, Die Fiktion der wahrscheinlichen Realität, 1997.


Redaktion
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