Future Memories. Erinnerungskultur(en) der Migrationsgesellschaft

Future Memories. Erinnerungskultur(en) der Migrationsgesellschaft

Organisatoren
Center for Metropolitan Studies, Technische Universität Berlin, W. Michael Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.09.2017 - 29.09.2017
Url der Konferenzwebsite
Von
Diane Izabiliza, Alice Salomon Hochschule Berlin

Vom 26. bis zum 29. September 2017 fand in der W. Michael Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums Berlin ein Workshop zum Themenschwerpunkt „Erinnerungskultur(en) in der deutschen Migrationsgesellschaft“ statt. Dieses Forum bot die Möglichkeit, plurale Erinnerungskulturen sowie Ein- und Ausschlüsse der offiziellen Geschichtsschreibung zu diskutieren.

Gemeinsam mit Noa K. Ha (Dresden) haben Serpil Polat (Berlin) und Alina Gromova (Berlin) ein vielseitiges Programm für 25 aktivistisch und/oder wissenschaftlich Interessierte geschaffen. Die Werkstatt, die in dieser Form zum ersten Mal stattfand, wurde durch inhaltliche Vorträge, Workshops und Exkursionen von unterschiedlichen Akteurinnen aus Wissenschaft, Aktivismus und Kunst begleitet.

Zusätzlich zur Werkstatt gab es eine öffentliche Abendveranstaltung. Die Keynote Sprecherin, CHRISTINA JANSSON (Malmö), erörterte in ihrem Beitrag die Relevanz der Repräsentation migrantischer Geschichten in Museen. Die anschließende Podiumsdiskussion mit BELINDA KAZEEM-KAMIŃSKI (Wien) und NATALIE BAYER (Berlin) führte zu einer kritischen Diskussion über die Verflechtung von Museen mit hegemonialen Machtstrukturen. Kazeem-Kaminski nach ist „das Museum kein neutraler Ort“: Auch hier werden Ungleichheiten hergestellt und reproduziert. Eine Museologie, die damit bewusst umgehen möchte, müss die (historische) Rolle der Museen reflektieren. Bayer thematisierte in der Podiumsdiskussion den Auftrag von Kurator/innen: Sie forderte einen reflektierten Umgang mit der eigenen Rolle innerhalb dieser Institution. Die Frage, wer als Expert/in für welche Arbeit eingeladen wird, bezeichnete Bayer als ausschlaggebend für ein kritisches Kuratieren. Ein weiterer Diskussionspunkt waren Sammelstrategien deutscher Museen. Es wurde hinterfragt, ob neue Konzepte in diesem Zusammenhang denkbar sein. Ein Beispiel hierfür sei das Verleihen von Objekten, wie beispielsweise in der Ausstellung „Gesellschaftliche Folgen des NSU in München“ im Münchner Stadtmuseum, unter der Leitung von Natalie Bayer. Die Angehörigen der durch den NSU Ermordeten Habil Kılıç und Theodoros Boulgarides haben persönliche Objekte an das Stadtmuseum verliehen. Hier gibt Bayer zu bedenken, dass, auch wenn die Objekte „nur“ ausgeliehen sind, diese trotzdem in Besitz staatlicher Behörden fallen. Es bliebe die Frage, inwieweit marginalisierte Personen und Personengruppen, die institutionelle Diskriminierung erfahren, das Vertrauen in genau diese Institution haben können, denen sie ihre “Objekte“ leihen.

Im Laufe der vier Tage wurden weitere interne Vorträge und Workshops gehalten. Im Vortrag von NOA K. HA (Dresden) mit dem Titel „Die Un/bekannten Anderen. Öffentlicher Raum zwischen Rassismus und Repräsentation“ hinterfragte die Wissenschaftlerin die Konstruktion des “wir“ und „der Anderen“. Anhand einzelner Beispiele aus den USA und Deutschland stellte sie die Rassifizierung im Öffentlichen Raum dar und richtete ihren Fokus dabei auf Gentrifizierung und Tourismifizierung. Durch historische Verbindungen zwischen der Kolonialisierung und der Berliner Stadtgeschichte verdeutlichte sie, dass Modernität nicht ohne Kolonialherrschaft gedacht werden könne. Ein Beispiel dafür sei das Humboldt Forum, welches eine kritische Auseinandersetzung mit seiner Sammlung verweigere.

Die biografische Arbeit mit jüdischen Migrant/innen war das Thema von LUDMILA BELKINS (Berlin) Vortrag. In ihrer Analyse konzentrierte sie sich auf den nostalgischen Aspekt der Migration und dem Wunsch, „Dinge“ und Geschichten zu bewahren und somit der Vergänglichkeit entgegenzuwirken. Belkin stellte weiter Motive des Erinnerns vor, die sowohl eine persönliche als auch politische Dimension umfassen. Die Historikerin forderte eine „Vielheit von Erinnern statt einer Vielfalt“, um die Dualität zwischen Kollektivität und Individualität zu brechen.

Mit der Praxis des anti-rassistischen Kuratierens befasste sich NATALIE BAYERS (Berlin) Beitrag. Die Rolle von Institutionen, wie der des Museums, wurde kritisch analysiert und über die Grenzen und Möglichkeiten in Museen diskutiert. Dabei hielt Bayer fest, dass auch Personalpolitik, Ressourcen und Macht ausschlaggebende Aspekte sein können. Wer für was eingestellt wird, spiele eine Rolle. Jedoch sein auch die eingesetzten Personen in den Strukturen des Museums eingebunden und hätten dementsprechend nur einen gewissen Spielraum. Wie dieser anti-rassistisch zu nutzen gilt, zeigte sie anhand des Konzeptes des kollaborativen Kuratierens: eine Praxis, die bereits zu Beginn eines Projektes nach zivilgesellschaftlichen Akteur/innen, Organisationen und sonstigen Partner/innen sucht und somit den Arbeitsprozess gemeinsam und transparent gestaltet. Dabei sei es wichtig, auf historisches und bereits vorhandenes Material zurückzugreifen, da widerständige Praxen bereits vorhanden sind, aus denen hilfreiche Schlüsse gezogen werden können. Bayers Arbeit möchte „eine würdige Erinnerung [hervorbringen], die nicht über Opferschaft geht“.

Im Rahmen der Werkstatt wurden zwei Stadtführungen und der Besuch des „RomaniPhen“-Archives ermöglicht. Die eine Hälfte der Gruppe nahm mit Noa K. Ha an einer Audio-Führung (https://flucht-exil-verfolgung.de/de) entlang der Hardenbergstraße in Berlin-Mitte teil. Mit den Hinterlassenschaften und der urbanisierten Erinnerung des Kolonialismus setzte sich die zweite Hälfte der Gruppe auseinander. Die Führung durch den Wedding mit NATHALIE ANGUEZOMA MBA BIKORO (Berlin) fügte den Diskussionen einen künstlerischen und performativen Aspekt hinzu.

Auch auf die Arbeit des feministischen „Romnja Archives“ soll hier kurz eingegangen werden. Die Leiterin ISIDORA RANDJELOVIĆ (Berlin) und ihre Kollegin HAJDI BARZ (Berlin) machten deutlich, dass die Verwendung des Begriffes „Archiv“ sich von der herkömmlichen und akademischen Definition distanziere. Das Archiv sei nicht an einer reinen Sammlung von Objekten und deren Geschichten interessiert, sondern an der interaktiven Arbeit mit Sinti und Roma Communities. Dabei bauen sie auf bereits vorhandenem Wissen und Materialien auf und zeigen anhand ihrer Verwobenheit mit der hegemonialen deutschen Geschichte andere Narrative auf. Der Fokus des Archives „RomaniPhen“ liegt dabei auf sozialen, politischen und gesellschaftlichen Bewegungen, die diskursiv mit persönlichen bzw. biografischen Geschichten gelesen werden können. Ihre Arbeit sehen sie als Stärkung und Förderung der Sinti und Roma Communities sowie als Wissensvermittlung für die Mehrheitsgesellschaft. Die Arbeit mit Biografien und Geschichten, die sie (für die Communities) erarbeiten, entstehe aus einer widerständigen Perspektive und reiche weit in die Geschichte zurück. Eine der vielen Geschichten, die anhand ihrer politischen, diskursiven Relevanz vorgestellt wurden, war die der Chronistin Ceija Stojka (1933-2013). Zudem biete „RomaniPhen“ Projekte von und für Jugendliche an, wie beispielsweise die Erstellung eigener kurzer Videos (siehe u.a. https://www.youtube.com/watch?v=qJzWQP7WeuE).

Während des Workshops wurde immer wieder in kleineren Gruppen gearbeitet. Eröffnet wurde die Diskussion mit Objekten, die alle Beteiligten mitgebracht hatten und anhand derer die Geschichte des jeweiligen Gegenstands mit Bezug zur Werkstatt erzählt wurde. Aus den entstandenen Diskussionen wurden Gruppen gebildet, die punktuell zusammenarbeiteten, um am Ende eine kurze Präsentation ihrer Ergebnisse zu geben. Daraus wurden im Plenum unterschiedliche Aspekte des Erinnerns diskutiert. Die Un-/Sichtbarkeit bzw. die Herstellung von Unsichtbarkeit in Bezug auf marginalisierte Erinnerungen kann als roter Faden der Diskussionen gesehen werden. Von einem hegemonialen Narrativ auszugehen, blendet andere Narrative aus, die durch einzelne historische Ereignisse unmittelbar verwoben sind. Das Konzept der Partizipation kann als Gegenstrategie verstanden werden, wobei auch hier Kritiken zu vernehmen waren. Oft werde Partizipation im Kontext von Museen zu spät ermöglicht, oder läuft aufgrund einer Darstellung „der Anderen“ Gefahr, zu exotisieren und zu rassifizieren. Ein anderer Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Partizipation von z.B. migrantischen Communities als symbolischer Akt, der ihre Geschichten einem weißen (christlichen) Publikum zugänglich macht und somit Tokenismus betreibt. Besonders an dieser Stelle gewinne die Aufgabe des anti-rassistischen Kuratierens eine wichtige Bedeutung.

Sowohl in den kleinen Gruppen als auch im Plenum wurde ersichtlich, dass die Pluralität von Erinnerungen auch Brüche und Leerstellen aushalten soll, da lineare Erzählungen einschränken und unter Umständen historische Ereignisse unsichtbar machen können.
Die Stadt als Ort für multiple Erinnerungen wurde in der Arbeitsgruppe zum Columbiadamm sichtbar. Hier stoßen unterschiedliche Geschichten aufeinander: Zum einem gibt es den muslimischen Friedhof, den Gedenkstein zu Erinnerung an die “gefallenen Soldaten“ in ehemals kolonialisierten Ländern und einen Gedenkstein für die Opfer der deutschen Kolonialherschaft in Namibia.

Das sogenannte „Knoblauch-Verbot“, welches sich hauptsächlich gegen Arbeitsmigrant/innen aus Vietnam richtete, zeigt, wie Erinnerungspraxen verdrängt bzw. verboten werden. Aus heutiger Sicht mag dieses Verbot befremdlich wirken, da der Verzehr von Knoblauch nicht mehr rassifiziert zu sein scheint und eine Aneignung migrantischer Küche stattfindet. Kochen und der gemeinsame Verzehr können daher unter diesen Umständen eine Möglichkeit bieten, sich zu erinnern und Erinnerungen miteinander zu teilen. An dieser Stelle wurde die Gefahr der Exotisierung problematisiert.

Die dritte Gruppe befasste sich mit dem Thema „Archivierung“. Inspiriert durch die Stadtführung von NATHALIE ANGUEZOMA MBA BIKORO (Berlin) und der Arbeit des „RomaniPhen“ Archives wurde eine performative Auseinandersetzung präsentiert. Der Akt des Archivierens kann sich sowohl in Geschichten, Biografien und Orten wiederfinden, ohne dafür in Kategorien eines klassischen Archives aufbewahrt zu werden.

Der mehrtägige Workshop machte deutlich, dass „Erinnerung“ in mehreren Schichten gedacht werden kann. Eine diverse Gesellschaft und die mit ihr verbundene Erinnerungskultur, kann und muss auf verschiedenen Ebenen gedacht werden. Wie Schichten, die aufeinander liegen, beinhaltet der Akt des Erinnerns und weitere damit verbundene (kulturelle) Praktiken ein genaues und intersektionales Hinsehen, da es unterschiedliche Narrative gibt, die miteinander verbunden sind und an die, bedingt durch die hegemoniale Geschichtsschreibung, wenig oder teilweise gar nicht erinnert wird.

Es bestand ein großes Interesse darin, weiterhin zusammen zu arbeiten und die Ergebnisse und Diskussionen des Workshops weiter zu vertiefen. Ende des letzten Jahres fand bereits eine selbstorganisierte Stadtführung zu Walter Benjamin statt. Zudem gibt es das Bestreben, einzelne Ergebnisse, in Form von kleinen Essays, Audiomaterialien und Fotos, für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Konferenzübersicht:

Eröffnungsvortrag
Christina Johannson (Malmö): Including Issues of Migration and Ethnic Diversity in Museum: A Reflection on Different Approaches Used in Sweden

Podiumsdiskussionen
Moderation: Jonas Tinius (Berlin)
Christina Johansson (Malmö)
Belinda Kazeem-Kamiński (Wien)
Natalie Bayer (Berlin)

Vorträge
Noa K. Ha (Dresden):Die Un/BekanntenAnderen – Öffentlicher Raum
Ljudmila Belkin (Berlin): Erinnerungen der Migration: biographische, politische und wissenschaftliche Dimensionen

Workshop
Natalie Bayer (Berlin): Kuratieren als kollaborative Praxis im machtungleichen Raum

Exkursionen
Nathalie Anguezoma Mba Bikoro (Berlin): On the Ruins of Paradise. Postcolonial City Tour in Wedding
Noa K. Ha (Berlin): Tatort und Gedenkort. Die Hardenbergstraße. Multiperspektivischer Spaziergang im Westen Berlins
Isidora Randjelović (Berlin)und Hajdi Barz (Berlin): Sichtbarmachen und Archivieren von marginalisierten Biographien


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts