Familiengeführte Privatbanken. 16. Arbeitskreissitzung Banken- und Versicherungsgeschichte

Familiengeführte Privatbanken. 16. Arbeitskreissitzung Banken- und Versicherungsgeschichte

Organisatoren
Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) e.V., Frankfurt am Main
Ort
Castell
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.10.2018 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Matthias Kemmerer, Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) mbH, Frankfurt am Main

Die 16. Sitzung des Arbeitskreises Banken- und Versicherungsgeschichte fand am 26. Oktober 2018 im Hause der Fürstlich Castell’schen Bank in Castell statt und widmete sich dem Thema „Bank und Familie“. Hierfür nahm der Arbeitskreis mehrere Fallbeispiele deutscher Privatbanken in den Blick, die familiengeführt waren oder es noch immer sind. In seiner Begrüßung wies Gastgeber Fürst FERDINAND ZU CASTELL-CASTELL (Castell) auf die drei Geschäftsfelder hin, die Castell gegenwärtig immer noch verfolge, nämlich neben dem allgemeinen Bankgeschäft auch den Weinbau und die Forstwirtschaft. Der Arbeitskreisvorsitzende DIETER ZIEGLER (Bochum) ergänzte, dass Castell ein typisches Beispiel für die Entstehung und Ausdifferenzierung deutscher Privatbanken sei, insofern der Adel seine Geschäfte letztlich auf das rentable Bankgeschäft konzentriert habe.

JESKO GRAF ZU DOHNA (Castell) erläuterte in seinem Vortrag, dass das Bankwesen bei Castell aus der Vergabe günstiger Kredite an verarmte Bauern und Handwerker der Castell’schen Dörfer im Jahre 1774 entstanden sei. Die Gründerin der „Landes-Credit-Cassa“, die Fürstin Castell, habe – ganz im Zeichen aufgeklärter Herrschaft – in der Frühzeit der Cassa vor allem Wohltätigkeitszwecke verfolgt, um die Folgen der seinerzeitigen Hungerkrise zu mildern. Im 19. Jahrhundert habe sich die Kasse dann zu einer modernen Privatbank entwickelt. Die bis heute bestehenden alleinigen und vollständig haftenden Inhaberlinien Castell-Castell und Castell-Rüdenhausen waren, so Graf zu Dohna, selbst nie im Management tätig, agierten jedoch immer nahe an der Geschäftsleitung. Unternehmenskrisen habe man nur durch „Subventionen“ aus dem Familienvermögen bewältigen können. Zugleich sei das Fideikommiss sowohl Fessel als auch Schutz für die Entwicklung der Bank gewesen.

GABRIELE TEICHMANN (Köln) referierte in ihrem Beitrag zu Sal. Oppenheim über die Familienstruktur als Faktor für Aufstieg, Erfolg und Niedergang der ehemaligen Kölner Privatbank. Den Grundstein für die Bankiers-Dynastie habe eine gezielte Heiratspolitik gelegt. Die frühen Nachfahren des mittellosen Juden Salomon Oppenheim, der nur durch geliehenes Kapital und die Geldmittel seiner Gattin Therese Stein das Haus 1789 habe begründen können, seien bei Familien in Deutschland, aber auch nach Amsterdam und Paris ver- und eingeheiratet worden. Während spezifische Heiratsmuster nach der Aufbauphase in den Hintergrund getreten seien, hätten die Nachfolgeregelungen, aber auch der Umgang mit zwei verschiedenen Oppenheim-Stämmen im späteren 19. Jahrhundert an Relevanz gewonnen. Strukturell bedeutsam waren, so Teichmann, stets auch externe Einflüsse wie die zeitweilige Hilfe durch die Disconto-Gesellschaft, das Krisenmanagement von Robert Pferdmenges, aber auch die offenkundig fehlende Eignung familienfremder, angeheirateter Manager, die letztlich zum Niedergang des Bankhauses in jüngster Zeit geführt habe. Sal. Oppenheim verdeutliche mithin die Vorzüge wie Nachteile familiär geführter Banken.

ANN-KATHRIN RAHLWES (Frankfurt am Main) befasste sich in ihrem Vortrag mit der Frühgeschichte der Familie Stern und ihrer Bankhäuser Jacob S. H. Stern (Frankfurt am Main, gegründet 1805), Banque Stern beziehungsweise A. J. Stern & Cie. (Paris, 1831) sowie Stern Brothers (London, 1836). Die drei Bankhäuser waren durch einen Gesellschaftervertrag miteinander verbunden, der die Gewinnbeteiligung und die Vollmachten über das Privatvermögen der Familienmitglieder im Sterbefall regelte. Auch hier habe die Heiratspolitik eine zentrale Rolle gespielt, mittels derer wertvolle Verbindungen zu den Rothschilds und zur Familie Fould aufgebaut werden konnten. Jedes der drei Bankhäuser sei von einer Doppelspitze geführt geworden, die teils aus einer einzigen, teils aus unterschiedlichen Linien der Familie stammten. Familiäre Nachfolgeprobleme in Frankfurt hätten Ende des 19. Jahrhunderts aber auch den Einstieg von Otto Braunfels als zweitem Gesellschafter ermöglicht, der dem Bankhaus Jacob S. H. Stern zu großer Bedeutung im Kaiserreich verhalf.

LAURA HERR (Heidelberg) schilderte den Fall des Bankhauses Warschauer. Sie zeigte auf, wie die familiäre Stütze das in Königsberg gegründete Haus anfangs stabilisierte und sich das mit der Zeit aufgebaute Netzwerk bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts bewährte. Mangelhafte Qualifikationen des Leitungspersonals in den 1890er-Jahren, aber vor allem der schlichte Unwille von Robert Warschauer „dem Jüngeren“ das durchaus erfolgreiche Unternehmen, das nunmehr in Berlin residierte, weiter zu führen und das Familiennetzwerk zu pflegen, leiteten den Niedergang der Bank ein. Der nach Warschauers freiwilligem Ausscheiden verbliebene Teilhaber Hugo Oppenheim gehörte zwar zur Familie, war aber nicht kapitalkräftig genug, sodass mehr und mehr externe Teilhaber in die Bankleitung eintraten. 1905 kam es zur Liquidation, als Interessenkonflikte kein Weiterbestehen mehr zuließen.

ANDREA H. SCHNEIDER-BRAUNBERGER (Frankfurt am Main) zeigte am Beispiel des seit 1674 bestehenden Frankfurter Bankhauses Metzler auf, wie externe Faktoren die Corporate Governance der Bank prägten. Metzler, das 1938 von einer oHG in eine Co. KG umgewandelt wurde, lernte laut Schneider-Braunberger seinerzeit den Umgang mit familienfremden Stakeholdern im Unternehmen kennen. Die Übernahme der Vermögenswerte von sich selbst „arisierenden“ Instituten führte zur Aufnahme stiller Teilhaber wie Ferdinand von Lobkowitz, der zuvor Kommanditist bei der liquidierten Privatbank Bass & Herz gewesen war. Nach dem Krieg trat er als persönlich haftender Gesellschafter in die Geschäftsführung von Metzler ein. Der erstmalige Eintritt von Fremdeigentümern 1938 konnte, so Schneider-Braunberger, später in der Bundesrepublik als Erfahrungsraum genutzt werden, als regelmäßige Erweiterungen des Führungskreises notwendig wurden.

Im abschließenden Vortrag der Arbeitskreissitzung zum jüdischen Bankhaus Mendelssohn ging SEBASTIAN PANWITZ (Potsdam) drei Problemkreisen nach: Der Auswahl der Teilhaber eines Familienunternehmens, der Stärkung ihres Verantwortungsbewusstseins für das Unternehmen sowie geeigneter Qualifikationsmaßnahmen für gute Bankiers. Panwitz unterschied bei der Geschichte des Hauses Mendelssohn zudem drei Phasen (Aufbau, Konsolidierung, Erweiterung): Während nach der Gründung 1795 mehrere familienexterne Teilhaber kurzzeitig gewirkt hatten, waren bald ausschließlich Familienmitglieder in der Geschäftsleitung tätig. Zwei Familienlinien hätten überdies stets geschmeidige Übergänge in der Teilhaberstruktur ermöglicht. Im Zuge der auch geographischen Ausdehnung des Geschäfts im späten 19. Jahrhundert hätten zunehmend angestellte (Einzel-)Prokuristen hohe Bedeutung erlangt, die man schließlich entgegen der Familientradition ab dem frühen 20. Jahrhundert ebenfalls als Teilhaber zuließ. Dieser Trend habe sich nach dem Ersten Weltkrieg noch verstärkt, und 1935 wurde mit Rudolf Löb sogar ein „Fremder“ Chef des Bankhauses Mendelssohn, das 1938 gezwungen war, seine gesamten Aktiva auf die Deutsche Bank zu übertragen.

Die Abschlussdiskussion befasste sich insbesondere mit der Frage, inwiefern der Bankensektor Privatbankiers eigentlich benötige. Im Ergebnis wurde festgehalten, dass sie infolge ihrer schlanken Strukturen eine sehr anpassungsfähige Geschäftspolitik verfolgen könnten und zugleich stets nah am Kunden agierten. Privatbanken zeichneten sich durch ihre Agilität und das Vertrauen ihrer Kunden aus, arbeiteten vergleichsweise risikoarm und seien somit wiederum überaus stabil.

Konferenzübersicht:

Jesko Graf zu Dohna (Castell): Vom Landesherrn zum Privatbankier. Die Fürstlich Castell'sche Bank und das Haus Castell 1774 bis heute

Gabriele Teichmann (Köln): Die Familie Oppenheim – Vom Aufstieg und Fall einer Bankiersdynastie

Ann-Kathrin Rahlwes (Frankfurt am Main): Jacob S. H. Stern - Begründer einer seit über 200 Jahren bestehenden Bankiersdynastie

Laura Herr (Heidelberg): Der Untergang des Bankhauses Warschauer - Familie als Chance und Problem der Unternehmensführung

Andrea H. Schneider-Braunberger (Frankfurt am Main): Corporate Governance des Bankhauses B. Metzler seel. Sohn & Co. in schwierigen Zeiten (1935-1950)

Sebastian Panwitz (Potsdam): Mendelssohn & Co. – Kontinuität und Weiterentwicklung bei der Auswahl neuer Teilhaber in einer Privatbank