Geisteswissenschaften spielen in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung gerade angesichts zunehmender kultureller Heterogenität in Klassenzimmern eine herausragende Rolle. Die Potenziale und Herausforderungen einer „Kulturellen Lehrerinnen- und Lehrerbildung“ im Austausch zwischen geistes- und kulturwissenschaftlichen Fachwissenschaften und Fachdidaktiken sowie kulturbezogen forschenden Bildungswissenschaften standen im Mittelpunkt der Tagung.
Die interdisziplinär ausgerichtete Tagung veranschaulichte die Vielgestaltigkeit des Forschungs- und Professionalisierungsfeldes "Kulturelle Lehrerinnen- und Lehrerbildung" sowohl auf personaler wie auch auf wissenschaftlicher Ebene. Daran zeigte sich, dass das Anliegen einer Stärkung kultursensibler Lehrerinnen- und Lehrerbildung von einer breit aufgestellten community getragen wird, die jedoch in dieser, in der Bamberger Tagung zur Geltung kommenden Interdisziplinarität bislang kaum im Austausch gestanden hat. Insgesamt adressierte die Veranstaltung zentrale Anliegen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung wie eine Profilierung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung an den Hochschulen, eine Auseinandersetzung mit Fragen von Heterogenität und Inklusion sowie insbesondere eine stärkere Verzahnung der Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften.
Angesichts der Ausdifferenzierung der Fächer im Gefolge des cultural turn sei es in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung notwendig, transdisziplinäre Kooperationen anzubahnen und Potenziale aus den geschaffenen Verbindungen zu schöpfen, argumentierten SABINE VOGT und KONSTANTIN LINDNER (beide Bamberg), die beiden Sprecher von KulturPLUS, einem Teilprojekt des von der Qualitätsoffensive Lehrerbildung geförderten Projekts WegE an der Universität Bamberg, in ihrem Eröffnungsbeitrag. In diesem Prozess Ambiguitäten auszuhalten und das Potenzial der Geisteswissenschaften auch gegen Widerstände gesellschaftlich zu nutzen, dazu ermutigte die Literatin NORA GOMRINGER (Bamberg) zu Beginn der Tagung in ihrer ausdrucksstarken Lecture-Performance: „Wir sprechen gefährlich mehrdeutig“, erinnerte die Bachmann-Preisträgerin die Tagungsteilnehmenden.
Insbesondere die disziplinäre „Mehrsprachigkeit“ stellte eine bereichernde Herausforderung für die Kommunikation und den fächerübergreifenden Austausch zu Fragen und Lösungsansätzen einer kulturbezogenen Lehrerinnen- und Lehrerbildung dar. Die thematisch strukturierten Sessions und Foren wurden interdisziplinär getragen. Neben grundsätzlichen kulturtheoretischen Verortungen stand die Anbahnung eines professionellen Umgangs mit kultureller Heterogenität im Klassenzimmer als Potenzial, Aufgabe und Herausforderung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung im Vordergrund. Aber auch in Sessions zu kultureller Bildung an außerschulischen Lernorten, der Schule als kulturellem und zur Kultur hinführendem Ort sowie zur Praxis kulturbezogener Lehrerinnen- und Lehrerbildung präsentierten und diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer fächerübergreifend ihre Ansätze und Forschungsergebnisse. Viele Tagungsbeiträge zeugten von einem großen Interesse an Fragen sprachlich-kultureller Bildung im Angesicht zunehmender Heterogenität in den Klassenzimmern und problematisierten zugleich die Reduktion von Kultur und Pluralität auf Migrationskontexte.
Der Erziehungswissenschaftler JOHANNES BILSTEIN (Essen) thematisierte in seiner Keynote die Problematik des Kulturbegriffs selbst: So beinhalte der Containerbegriff oft gleichzeitig Aspekte von Selektion, Abgrenzung und Diversifizierung, von Hochkultur ebenso wie von allgemeiner Lebensart und eröffne damit insbesondere für Lehrerinnen- und Lehrerbildung Spannungsfelder. Bilstein plädierte für eine neue Schärfung des Kulturbegriffs unter Fokussierung auf Intentionen kultureller Bildung, wie beispielsweise Qualifikation, Enkulturation und Bildungsgerechtigkeit, Freude und Sinn, aber auch Irritation. Wo verschiedene Modi der Welterfahrung in Austausch treten, sind Irritationen zu erwarten, die jedoch für schulische Bildungsprozesse durchaus fruchtbar gemacht werden können.
Der Literaturwissenschaftler und Fachdidaktiker MICHAEL KÄMPER-VAN DEN BOOGAART (Berlin) betonte in seiner Keynote einmal mehr das Bildungspotenzial, das in einer Vernetzung der Disziplinen des geisteswissenschaftlichen Fächerkanons, vor allem auch im Bereich der Lehre, liege. Unter Rekurs auf die Geschichte der universitären Lehrerinnen- und Lehrerbildung charakterisierte er diesbezügliche Stärken der Geisteswissenschaften und ihre Relevanz im Rahmen von (schulischen) Bildungsprozessen.
Zum Abschluss der Tagung verwies die Sprecherin des Bamberger WegE-Projekts ANNETTE SCHEUNPFLUG (Bamberg) auf die enkulturierende Aufgabe von Schule im Angesicht einer wahrgenommenen Unschärfe von Kultur. Eine metareflexive kulturbezogene Bildung von (angehenden) Lehrkräften sei vor diesem Hintergrund zwingend notwendig, um einen kompetenten Umgang mit kultureller Heterogenität anzubahnen und einem essentialistischen Verständnis von Kultur vorzubeugen.
Ganz in diesem Sinne ist das Ergebnis der international besuchten Tagung der Universität Bamberg zu deuten, die durch das interdisziplinäre Ausloten verschiedener Lesarten und Geltungsbedingungen kultureller Bildung einen möglichen Weg zur Weiterentwicklung einer kulturellen Lehrerinnen- und Lehrerbildung initiierte. Der Weg, das zeigte die Tagung allerdings auch, wird durch disziplinäre Grenzen auch mit einigen Hürden gesäumt sein.
Konferenzübersicht:
Sabine Vogt, Konstantin Lindner (Otto-Friedrich-Universität Bamberg): Eröffnung
Nora Gomringer (Villa Concordia, Bamberg): "Kultur(en) vermitteln". Lecture Performance
Session: Kulturtheoretische Verortungen kultureller Lehrerinnen- und Lehrerbildung
Sandra Frey (Europa-Universität Flensburg): Philosophie der Bildung und Philosophische Bildung. Wesentliche Elemente einer modernen Philosophie der Bildung und deren Relevanz für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung
Peter W. Schatt (Folkwang Universität der Künste): "turn"-Übungen? Perspektiven für eine kulturwissenschaftliche Ausrichtung des Lehramtsstudiums am Beispiel der Musikpädagogik
Christian Sinn (Pädagogische Hochschule St. Gallen): Kulturwissenschaft als Beitrag zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung? Versuch, den philosophischen Humor in Schulen und Hochschulen zu befördern
Session: Grundlegende Referenzen kultureller Lehrerinnen- und Lehrerbildung
Sabine Anselm (Ludwig-Maximilians-Universität München), Sieglinde Grimm (Universität zu Köln), Berbeli Wanning (Universität Siegen): Werte im Deutschunterricht: Themenorientierte Literaturdidaktik (TOLD) als Prinzip einer kulturellen Lehrerinnen- und Lehrerbildung
Janosch Freuding (Otto-Friedrich-Universität Bamberg): Sensibilisierung für Othering-Prozesse als Aufgabe kultureller Lehrerinnen- und Lehrerbildung
Judith Rauscher (Otto-Friedrich-Universität Bamberg): "deutschland im herbst / mir graut vor dem winter": Teaching Comparative Cultural Studies Courses on Race in Germany
Session: Objektbezogene Kompetenzen im Rahmen kultureller Lehrerinnen- und Lehrerbildung
Adrianna Hlukhovych (Otto-Friedrich-Universität Bamberg):Kulturelle Biographien der Dinge: Beitrag materieller Kulturen zum schulischen Heterogenitäts- und Inklusionsdiskurs
Eveliina Juntunen (Otto-Friedrich-Universität Bamberg): Bildkritik- und Bildinterpretationsfähigkeit als Grundkompetenz von Lehrkräften. Kunstgeschichte und ihr Beitrag zur kulturellen Lehrerinnen- und Lehrerbildung
Benjamin Bauer (Otto-Friedrich-Universität Bamberg): Lehrerinnen und Lehrer machen Schulbücher. Zur fachlichen Einstellung von Lehrkräften und ihren Eingriffen in Schulgeschichtsbücher
_Session: Sprachliche Diversität und ihre Implikationen für kulturelle Bildung:
Katharina Beuter (Otto-Friedrich-Universität Bamberg): Translanguaging made transparent: Zum inklusiven Potential von Linguae francae für sprachlich-kulturelle Bildung
Julia Podelo (Julius-Maximilians-Universität Würzburg):"Mehrsprachigkeit ist nicht das Gegenteil von Einsprachigkeit". Diversität sprachlicher Vielfalt
Renata Szczepaniak, Annika Vieregge (Otto-Friedrich-Universität Bamberg): Sprachliche Formen als kulturelle Marker – metasprachliches Wissen in der Schule
Session: Heterogenität als Herausforderung für kulturelle Bildung
Anja Bossen (Universität Potsdam): Musikalische Bildung im Spiegel sprachlicher Heterogenität
Kristina Krieger-Laude (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn): Das literarische Unterrichtsgespräch als Möglichkeit zur Verhandlung von Irritationsmomenten bei der Rezeption interkultureller Literatur
Judith Leiß (Universität zu Köln): Balance zwischen Dramatisierung und Entdramatisierung als Orientierungsnorm für die Inszenierung kulturellen Lernens im inklusiven Literaturunterricht
Forums-Intro
Jana Costa (Otto-Friedrich-Universität Bamberg): Kulturbezogene Aktivitäten von angehenden Lehrkräften
Foren
Detlef Goller (Otto-Friedrich-Universität Bamberg): Kult(o)ur für die Schule: Das Bamberger Projekt "MimaSch" ("Mittelalter macht Schule")
Julia Henningsen (Otto-Friedrich-Universität Bamberg): Schulbuch als Mikrokosmos globaler Diskurse – am Beispiel des "Kursbuchs Religion"
Martina Ide (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel): Bilder in sozialen Medien – Kulturelle Bildung in der universitären Lehrerinnen- und Lehrerbildung
Roland Ißler (Universität Duisburg-Essen): Kulturelle Bildung als Querschnittsaufgabe in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Zum Potential des Fächerdialogs für eine bildungsorientierte Fremdsprachendidaktik
Julia Köhler (Universität Wien): Konzept zur kulturellen Bildung in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung
Michael Wimmer (EDUCULT, Wien): Kulturelle Lehrerinnen- und Lehrerbildung: Auf der Suche nach "Spezialisten der Entspezialisierung"
Keynote
Johannes Bilstein (Folkwang Universität der Künste): Kulturelle Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Bildungswissenschaftliche Erfordernisse und Perspektiven
Session: Außerschulische Lernorte und kulturelle Lehrerinnen- und Lehrerbildung
Ina Brendel-Perpina (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt): Leseclubs als kulturelles Bildungsangebot: Literaturpädagogische Qualifizierung im Lehramtsstudium
Ulrike Greiner (Paris Lodron Universität Salzburg): Literarisches Wissen schafft Raum: Ein "third space" in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung
Magdalena Michalak, Gesa Büchert (Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg): Mehrsprachige und transkulturelle Zugänge zur Geschichte
Session: Interkulturelle Pädagogik
Mishela Ivanova (Universität Innsbruck): Pädagogische Zugänge im Umgang mit kultureller Heterogenität
Manfred Oberlechner (Pädagogische Hochschule Salzburg): Kulturelle Bildung in der österreichischen Lehrerinnen- und Lehrerbildung am Beispiel der Migrationspädagogik
Gülsen Sevdiren (Technische Universität Dortmund): Migrationsbedingte kulturelle Vielfalt. (K)Eine Herausforderung für die Hochschullehre?
Session: Schul- und Unterrichtskulturen
Olivier Blanchard (Pädagogische Hochschule Freiburg): Die Herstellung kultureller Differenzen im Musikunterricht. Ein Blick auf unterrichtliche Praktiken als Beitrag für eine kultursensible Pädagogik
Leopold Klepacki (Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg): Kulturelle Lehrerinnen- und Lehrerbildung aus allgemeinpädagogisch-praxeologischer Perspektive – oder: die Schule als originärer Kulturort und als Bezugshorizont der Lehrerinnen- und Lehrerbildung
Evelina Winter, Magdalena Michalak (Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg): "Und Sachen pünktlich abzugeben…". Wahrnehmung von kulturell geprägten schulischen Erfahrungen
Session: Praxis kultureller Lehrerinnen- und Lehrerbildung
Brigitta Barandun (Kalaidos Fachhochschule Schweiz): "Wie Begeisterung sich zeigt". Eine empirische Studie zum Enthusiasmus der Lehrkraft
Maxi Kupetz, Elena Becker (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg): Professionalisierung für den Umgang mit kultureller Vielfalt durch gesprächsanalytische Fallarbeit im Lehramtsstudium
Lisa Otto, Judith Stander-Dulisch (Ruhr-Universität Bochum): Das lehrerbildende Modul "Sprachförderung und Transkulturelle Sensibilität" – Herausforderungen und Potentiale
Keynote
Michael Kämper-van den Boogaart (Humboldt-Universität zu Berlin): Geisteswissenschaftliche Lehrerinnen- und Lehrerbildung als Befähigung zur Kultur(en)erschließung angesichts kultureller Vielfalt
Fazit
Annette Scheunpflug (Otto-Friedrich-Universität Bamberg): Herausforderung "Kulturelle Lehrerinnen- und Lehrerbildung". Konzeptionelle und forschungsbezogene Impulse