Am 28. und 29. November 2019 fand im Kölnischen Stadtmuseum eine Tagung zum 70. Geburtstag von Manfred Groten statt. Veranstalter waren der Landschaftsverband Rheinland (LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte Bonn), das Historische Institut der Universität zu Köln (Abt. Mittelalterliche Geschichte) und der Förderverein Geschichte in Köln e.V. in Kooperation mit dem Kölnischen Stadtmuseum, der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, dem Zentrum für Mittelalterstudien der Universität zu Köln sowie dem Internetportal „Rheinische Geschichte“. Unter dem Titel „The WALL: Der Mensch im Schatten der Mauer“ befasste sich die epochenübergreifende Konferenz mit dem Verhältnis des Menschen und seiner Stadt zur Mauer. Die Vorträge behandelten dabei ein breites Spektrum von sozial-, militär-, mentalitäts-, kultur-, kunst- und architekturgeschichtlichen Fragen.
In ihren Grußworten dankten STEFAN LEWEJOHANN (Köln), GEORG CORNELISSEN (Bonn), JOACHIM OEPEN (Köln), SABINE VON HEUSINGER (Köln), HELMUT RÖNZ (Bonn) und MARIO KRAMP (Köln) zunächst dem Jubilar für sein langjähriges Engagement für die Rheinische Geschichtsforschung. Anschließend kamen sie auf die Aktualität des Tagungsthemas zu sprechen, da Mauern als Orte der Konflikte und Repräsentation bis zum heutigen Tag im politischen Diskurs, etwa der Vereinigten Staaten, eine Rolle spielen würden. Im anschließenden Eröffnungsvortrag „Stadtbefestigungen im mittelalterlichen Reich“ verdeutlichte LUKAS CLEMENS (Trier) das Leitmotiv und die interdisziplinären Ansprüche der Tagung. Seine weitgespannte Präsentation zeigte an verschiedenen Beispielen, vor allem jedoch an einem aktuellen Projekt zu Metz, wie archäologische und historische Quellen wechselseitig interpretiert werden müssten. Ein angemessenes Verständnis mittelalterlicher Stadtmauern könne nur erlangt werden, indem etwa erhaltene Rechnungen in Bezug zu Grabungsbefunden gesetzt werden.
Die von GEORG MÖLICH (Bonn) moderierte erste Sektion befasste sich mit dem Verhältnis von „Mensch und Mauer“. In diesem Sinne warf der Vortrag von BEATRIX SCHÖNEWALD (Ingolstadt) am Beispiel des Daniel Speckle aus Straßburg einen exemplarischen Blick auf die Baumeister frühneuzeitlicher Stadtbefestigungen. Sie zeigte dabei den schwierigen Karriereweg des protestantischen Straßburgers in katholischen Territorien und betonte dessen revolutionäre Leistungen auf dem Gebiet der Architekturtheorie, die dem Mauerbau in Deutschland im ausgehenden 16. Jahrhundert entscheidende Impulse zur Anpassung an die veränderten technischen und militärischen Gegebenheiten gegeben hätten. Der darauffolgende Vortrag von THOMAS TIPPACH (Münster) behandelte Festungsstädte im 19. Jahrhundert. Der Referent erläuterte, wie die Defensivkriegsstrategie nach den Napoleonischen Kriegen eine neue Blüte des Festungsbaus befördert habe, was in den betroffenen Kommunen zu zahlreichen Konflikten um Land und neue Regeln, etwa Ausgangssperren, geführt habe. Er zeigte somit soziale Konsequenzen des Festungsbaus auf, die über die unmittelbar an der Errichtung beteiligten Akteure hinausreichten. Die Sektion wurde durch SIMON LIENING (Köln) beschlossen, der über „Emotionen und mittelalterliche Stadtmauern“ referierte. Wie Beispiele aus dem Kontext der Burgunderkriege und der Feldzüge Friedrich Barbarossas zeigen, wurde die Mauer in der zeitgenössischen Historiographie oft zum Ort, in dessen Kontext Emotionen beschrieben wurden; so fanden oft die Furcht, die zum Bau von Befestigungen geführt habe, oder aber das Vertrauen auf deren Stärke Erwähnung. Der Referent betonte die Einbindung der Mauer in die „psychologische Kriegsführung“ und brachte das Tagungsthema damit mit einem wichtigen Aspekt der menschlichen Existenz, der inneren Gefühlswelt, in Verbindung.
Die von HELMUT RÖNZ (Bonn) moderierte zweite Sektion vertiefte das bereits zuvor zur Sprache gekommene Verhältnis von „Stadt und Mauer“. So behandelte der Vortrag von MARTIN BREDENBECK (Köln) den Umgang der modernen Stadtplanung seit dem 19. Jahrhundert mit den Resten mittelalterlicher Befestigungsanlagen. Im Sinne einer „Kulturgeschichte der Aneignung“ wurde dabei hervorgehoben, dass die historische Bausubstanz im 19. Jahrhundert zunächst einer stolzen Inszenierung der städtischen Vergangenheit diente, dann aber in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg oft auch bewusst überbaut wurde, um den Blick in die Zukunft zu betonen (so etwa in Koblenz). Die folgende Präsentation von MARKUS JANSEN (Köln) widmete sich der großen Kölner Stadtmauer; der Referent verwies durch eine detaillierte Analyse lokaler Annalen darauf, dass die Kölner Bürgerschaft durchaus Hauptakteurin des Mauerneubaus Ende des 12. Jahrhunderts gewesen sein könnte und betonte die Vorbildfunktion der Kölner Wehrarchitektur über das Stadtgebiet hinaus. Auch der folgende Vortrag von JOACHIM OEPEN (Köln) behandelte das Kölner Beispiel, indem der Frage nachgegangen wurde, warum auf dem Grabmal des Erzbischofs Philipp von Heinsberg (gestorben 1191) eine dreidimensionale Mauer dargestellt ist. Der Referent vermutet, dass der Erzbischof bewusst als Stifter der Mauer bzw. Stadtherr inszeniert wurde; auf diese Weise hätte der Stifter des Grabes, der aus einer mit der erzbischöflichen Münze zusammenarbeitenden Aufsteigerfamilie stammte, seine Verbundenheit mit dem zur Bauzeit auf dem Stadtgebiet faktisch entmachteten Erzbischof zeigen können. Die gründliche Analyse des Kölner Beispiels führte CHRISTIAN HILLEN (Köln) fort. Sein Vortrag zeigte, dass die Befestigungsreste im 19. Jahrhundert vielfach als Hindernis für die sich industrialisierende Wirtschaft wahrgenommen wurde, da sie Platz für Maschinen wegnähmen; diese zeitgenössische Meinung sei jedoch eine Fehleinschätzung gewesen, da in der Praxis die Anbindung an die Eisenbahn und die mit den preußischen Befestigungen verbundenen Gesetze wichtigere ökonomische Faktoren gewesen seien.
Zum Abschluss des ersten Tages hielt AXEL KLAUSMEIER (Berlin) einen Abendvortrag zu einer zeithistorisch bedeutsamen Befestigung, nämlich zur Berliner Mauer. Der weitgespannte Vortrag betonte anhand zahlreicher Beispiele die Einschränkung der Freiheitsrechte der DDR-Bevölkerung durch dieses Bauwerk, das nicht zur Abwehr nach außen, sondern nach innen aufgerichtet gewesen sei, und wies auf die Verantwortung hin, die aus diesem Aspekt der deutschen Geschichte erwachse.
Am zweiten Tag wurde die Tagung mit der dritten Sektion fortgesetzt, die sich mit der „Materialität von Befestigungen“ beschäftigte. So stellte die Archäologin HEIKE KRAUSE (Wien) in ihrem Vortrag Ausgrabungen zur heute weitgehend verschwundenen Wiener Stadtbefestigung vor. Die Referentin zeigte dabei vor allem Versuche, mit modernen digitalen Techniken die rekonstruierte Gestalt der Mauer plastisch erfahrbar zu machen. PHILIPP HOFFMANN (Köln) behandelte anschließend Nachnutzungskonzepte der noch erhaltenen Teile der Kölner mittelalterlichen Stadtmauer. Waren diese im 19. Jahrhundert zunächst als Museen genutzt worden, so gingen sie im späten 20. Jahrhundert in privaten Besitz über, wobei vor allem die Karnevalsgesellschaften die alten Torburgen zur Betonung der eigenen Historizität nutzen; auch die heutige Verwendung könne demnach nicht vom Anknüpfen an vermeintliche frühere städtische Größe getrennt werden – materielle Überreste hätten also auch sinngebende, ideelle Funktionen. Der darauffolgende Vortrag von WOLFGANG ROSEN (Bonn) stellte vor, wie im Großprojekt „Rheinischer Städteatlas“ auch Befestigungen in diesem geographischen Raum erfasst werden. Der Referent betonte, dass man eher von Fortifikation als von Mauern sprechen müsse, um auch Formen wie Wälle und Gräben einzuschließen. Er zeigte an einer Vielzahl von Beispielen die Vielfalt der materiellen Gestalten von mittelalterlichen Befestigungen auf. Im letzten Vortrag befasste sich ALFRED SCHÄFER (Köln) mit Ausgrabungen zur Kölner Stadtmauer in römischer Zeit. Die referierten archäologischen Funde würden demonstrieren, dass die Stadt seit ihrer Gründung für eine systematische Erweiterung der Befestigung konzipiert, letztlich auf Wachstum angelegt gewesen sei. Der Vortrag lieferte damit eindrücklich weitere Belege dafür, wie wichtig der Einbezug materieller Überreste für die historische Forschung ist.
Die Tagung endete mit zwei von MARKUS JANSEN und JOACHIM OEPEN (beide Köln) geleiteten Führungen zu erhaltenen mittelalterlichen und römischen Mauerabschnitten in Köln.
Insgesamt konnte die Tagung durch ihre thematische Breite zeigen, wie fruchtbar ein weitgespannter methodischer Zugriff für die Erforschung des Themas „Mauer“ ist. Sie leistete so einen wichtigen Beitrag zur Vernetzung entsprechender Bemühungen.
Konferenzübersicht:
Eröffnung
Stefan Lewejohann (Bonn), Georg Cornelissen (Bonn), Joachim Oepen (Köln), Sabine von Heusinger (Köln), Helmut Rönz (Bonn), Mario Kramp (Köln): Begrüßung und Einführung
Lukas Clemens (Trier): Stadtbefestigungen im mittelalterlichen Reich. Perspektiven der Forschung
Mensch und Mauer
Georg Mölich (Bonn): Moderation
Beatrix Schönewald (Ingolstadt): Daniel Speckle als Baumeister in Ingolstadt
Thomas Tippach (Münster): Festungsstädte im 19. Jahrhundert. Festungswälle, Rayonbestimmungen und ihre Auswirkungen auf die Bevölkerung
Simon Liening (Köln): Emotionen und mittelalterliche Stadtmauern
Stadt und Mauer
Helmut Rönz (Bonn): Moderation
Martin Bredenbeck (Köln): Stadtmauer vs. Stadtplanung? Der Umgang mit historischen Stadtbefestigungen beim Wiederaufbau nach 1945
Markus Jansen (Köln): Die große Kölner Stadtmauer im Kontext. Köln und der Stadtmauerbau im Nordwesten des Reiches um 1200
Joachim Oepen (Köln): Der Erzbischof als Bauherr der Stadtmauer? Politische Propaganda am Grabmal des Kölner Erzbischofs Philipp von Heinsberg (gest. 1191)
Christian Hillen (Köln): Die Mauer als Wirtschaftshindernis im 19. und 20. Jahrhundert
Öffentlicher Abendvortrag
Axel Klausmeier (Berlin): Die Berliner Mauer – Facetten der Teilungsikone
Materialität von Befestigungen
Sabine von Heusinger (Köln): Moderation
Heike Krause (Wien): Zur Entwicklung der Wiener Stadtbefestigung vom 13. bis zum 17. Jahrhundert. Archäologie – Baugeschichte – Spatial Humanities
Philipp Hoffmann (Köln): Bezugspunkte lokaler Identität zwischen Eventlocation und Vereinsdomizil. Nachnutzungskonzepte für die mittelalterliche Kölner Stadtbefestigung
Wolfgang Rosen (Bonn): Stadtmauern und Ortsbefestigungen im „Rheinischen Städteatlas“
Alfred Schäfer (Köln): Die römischen Stadtmauern von Köln
Abschluss
Markus Jansen (Köln) / Joachim Oepen (Köln): Stadtmauer-Führungen