Unter dem Eindruck des erheblichen Zuwachses der digitalen Lehre, der der weltweit grassierenden Corona-Pandemie geschuldet ist, bot sich für die Arbeitsgemeinschaft Geschichte und EDV (AGE)1 die Möglichkeit einer Online-Tagung zum Thema und zu den Erfahrungen der digitalen Lehre im Bereich der Geschichtswissenschaften. Angedacht vonseiten der Veranstalter war ein Erfahrungsaustausch darüber, „inwieweit das digitale Arbeiten zu Problemen, Veränderungen, Optimierungen etc. geführt hat“2. Nach der Eröffnung der Tagung durch den AGE-Vorsitzenden Leif Scheuermann (Graz) stellte Patrick Reinard (Trier) das Tagungsprogramm vor.
Im ersten Panel, das unter dem Titel „Geschichtsvermittlung im digitalen Unterricht“ stand, sprach KREŠIMIR MATIJEVIĆ (Flensburg) über die besondere Herausforderung für Lehrende der Universität Flensburg mit der spontanen Umstellung auf digitale Lehre, die dem Umstand der Frühjahrs- und Herbstsemester in Flensburg geschuldet sei. Mitten im Semester musste auf digitale Lehre umgestellt werden, was größere technische Probleme verursachte, die erst mit der endgültigen Nutzung des Programmes Webex behoben wurden. Des Weiteren hob der Referent den massiv angestiegenen Workload für Studierende wie Dozierende hervor. Inhaltlichen Ansprüchen der Präsenzlehre mit digitaler Lehre gerecht zu werden, sei schlicht nicht zu leisten, vielfältige Probleme von außen, wie etwa Kita-Schließungen, taten ihr Übriges. Im Herbstsemester habe sich die digitale Lehre jedoch eingependelt.
Anschließend trug PATRICK REINARD (Trier) seine Eindrücke digitaler althistorischer und papyrologischer Lehre vor, deren Probleme sich in vielerlei Hinsicht mit denen seines Vorredners deckten. Reinard skizzierte die Probleme vieler Studierender mit digitalen Inhalten insbesondere hinsichtlich veralteter Literatur zum Umgang mit digitaler Lehre sowie dem Arbeiten mit fachspezifischen Internetseiten. Die Erfahrung gerade mit letzteren wuchs und wächst jedoch durch die zunehmende Vertrautheit mit der Online-Lehre. Der Referent hob das Fach Papyrologie hervor, dessen Datenbanken nebst dem Gewinn für die Forschung eine hervorragende Basis für digitale Lehre bieten. Ein Problem sei, dass die Studierenden lediglich Konsumenten des Inhaltes digitaler Lehre seien, was jedoch durch das Schaffen digitaler Angebote, die von Studierenden selbst erstellt wurden, zu kompensieren sei. Diese werden dann Prosumentinnen und Prosumenten, was einen nicht zu unterschätzenden Gewinn der digitalen Lehre darstelle.
IVO KÖTH (Trier) äußerte sich als studentischer Vertreter zur digitalen Lehre und zeichnete ähnliche Probleme auf wie seine Vorredner. Er hob besonders die den Studierenden fehlenden sozialen Kontakte vor und nach den Seminaren hervor.
ELISABETH GÜNTHER (Göttingen) und SVEN GÜNTHER (Changchun) referierten über ein gemeinsam veranstaltetes Online-Seminar zum „Mind Mapping“ des antiken Rom, basierend auf historischen und archäologischen Quellen. Die digitalen kommunikativen Möglichkeiten zur Durchführung dieses internationalen Projektes sind sehr vielfältig, und die digitale Vernetzung und Wechselwirkung zwischen deutschen und chinesischen Studenten bei diesem Projekt sei sehr gelungen.
JÜRGEN NEMITZ (Marburg) sprach über von ihm abgehaltene Wikipedia- und Wikisource-Veranstaltungen, die Studierende insbesondere lehrt, den neuesten Forschungsstand knapp zusammenzufassen. Vor allem stehe bei Wikisource-Seminaren die Erstellung digitaler Faksimiles und das Erlernen technischer Fähigkeiten im Vordergrund. Hervorzuheben sei auch, dass viele Studierende Wikipedia und Wikisource nutzen, ohne mit deren technischen Gegebenheiten und der Artikelentstehung vertraut zu sein.
ANSGAR BERGER (Trier) zeichnete die Probleme der abrupten Umstellung auf digitale Lehre an der Universität Trier auf und betonte die emotionale wie arbeitstechnische Belastung von Studierenden und Dozierenden, die durch die Angst vor technischem Versagen noch verstärkt werde.
Vergleichend zu seinem Vorredner stellte MATTHIAS WEIPERT (Siegen) die Erfahrungen der Universität Siegen mit der digitalen Lehre dar und überraschte mit fast 50 Prozent Zufriedenheit der Studierenden und Dozierenden mit Online-Veranstaltungen. Zu bedenken sei auch das regionale Einzugsgebiet einer Universität. Es gab aber, wie bei Berger, Matijević und Köth, auch negative Dinge zu berichten. So stelle die nicht zu realisierende Überprüfung des Lernfortschritts der Studierenden ein ernstes Problem dar.
Zum Abschluss des ersten Panels diskutierten CHRISTINE ACHENBACH-CARRET und CHARLOTTE KEULER (beide Trier) Zustand und Entwicklungen schulischer Demokratiebildung in der Corona-Pandemie. Die Partizipation von SchülerInnen scheint erschwert; auch langjährig bewährte Strukturen müssen neu gedacht werden. Im Fokus stand u.a. die Digitalisierung, die im Sinne von Demokratielernen neben einem Unterrichtsthema auch ein wohlüberlegt eingesetztes Hilfsmittel für Mitbestimmung werden kann. Für den Geschichtsunterricht sehen die Referentinnen aktuell eine Gelegenheit, sich exemplarisch mit Herausforderungen der Demokratie auseinanderzusetzen.
Das zweite Panel „Bibliotheks- und Verlagswesen in der Corona-Pandemie“ eröffnete TANJA KLÖPFEL (Trier). Sie stellte verschiedene Umfrageergebnisse vor und betonte, dass sich trotz der Corona-Pandemie die Nachfrage nach e-Books nicht erhöht habe. Dies schlage sich auch in der Nutzung der Bibliothek nieder, die seit ihrer Öffnung wieder stark frequentiert wurde und damit auch ein sozialer Lern- und Interaktionsraum sei.
Dieser Meinung schloss sich MARCUS SCHRÖTER (Freiburg) an, der auch die Rolle der Universitätsbibliotheken für die Digitalisierung thematisierte, zumal die Schaffung digitaler Lern- und Lehrstrukturen zentral über die Universitätsbibliotheken laufe. Bibliotheken seien als physischer wie digitaler Raum wahrzunehmen und dienten der Förderung geschichtswissenschaftlicher Informations- und Medienkompetenz.
JÖRN KOBES (Gutenberg) berichtete über die Arbeit im Verlagswesen unter Corona-Bedingungen. Er betonte, dass die staatlichen Corona-Hilfen nicht funktionierten, und stellte fest, dass Amazon gerade unter dem Einfluss der Corona-Pandemie die kleinen wissenschaftlichen Verlage an die Wand dränge. Auch die Schließung von Buchhandel und Bibliotheken treffe die Verlage empfindlich.
Das dritte Panel stand unter dem Titel „Public History? Geschichtsvermittlung jenseits der Universitäten“. TILLMANN SCHWEITZER (Trier) referierte über den Schulunterricht unter dem Eindruck der Pandemie und nannte bereits von anderen Teilnehmern aufgeführte Programme wie Webex, zwischen denen aufgrund der Verordnungen des Kultusministeriums mehrfach gewechselt werden musste, was zu erheblichen technischen Schwierigkeiten führte und auch zu Protesten der Eltern, besonders aus Datenschutzgründen. Insgesamt bestätigte Schweitzer die Eindrücke mehrerer seiner VorrednerInnen und hob hervor, dass die digitale Lehre den SchülerInnen lediglich reines Faktenwissen statt Kompetenzerwerb vermitteln könne.
Vom Unterricht in der Schule zu YouTube sprang MICHAEL ZERJADTKE (Hamburg), dessen geschichtswissenschaftlicher YouTube-Kanal einen langsamen, aber dennoch persistenten Zuschauer- und Abonnementenzuwachs verzeichnen könne. Mit einem solchen Kanal könne eine große Öffentlichkeit erreicht werden, wie auch das eManual Alte Geschichte der Universität Hamburg zeige, gerade wenn man auch aktuelle Themen, wie etwa die Netflix Serie „Barbaren“ behandelt, die eine hohe Einschaltquote generieren konnte. Damit verließe man die rein geschichtswissenschaftliche Ebene. Kehre man auf diese zurück, sänken die Klickzahlen wieder, ohne jedoch den beschriebenen Anstieg zu gefährden.
KAI MATUSZKIEWICZ und KAI RUFFING (beide Kassel) sprachen über eine gemeinsam abgehaltene Lehrveranstaltung und ein Lehrprojekt zum Computerspiel „Assassin’s Creed Odyssey“ und die dortige Darstellung der klassischen griechischen Welt. Mit eigenen „Let´s Analyse“-Formaten der Studierenden wurde eine Form des digitalen Kommentierens eines digitalen geschichtlichen Raumes ermöglicht, der zudem die technischen Fähigkeiten der Studierenden fördere. Wichtig sei die Kombination von geschichts- und medienwissenschaftlicher Praxis sowie von quellenkritischem Denken und der Erstellung eigenen Contents.
Die (digitale) Arbeit der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg hob ELISABETH SINGER-BREHM (Flossenbürg) hervor, die aufzeigte, dass die Nachfrage nach Archiv- und Gedenkstättenmaterialien unter dem Eindruck der Pandemie enorm gestiegen ist. Diese digitalen Hilfsmittel wurden auch in einer Lehrveranstaltung mit Studierenden der Universität Regensburg angewendet, um etwa exakte Rekonstruktionen der Verläufe der Todesmärsche zu ermöglichen, was insbesondere mit den Memorial Archives gelang, einem bestechenden Vorbild für die digitalen Geschichtswissenschaften und die digitale Geschichtsvermittlung. Zudem sei die Geschichtsvermittlung über verschiedene digitale Kanäle wie etwa Instagram ein wichtiger Baustein für die Weitergabe von historischen Inhalten. Man erreiche fernab des Fachpublikums weitere Personengruppen, die sonst nicht unbedingt mit geschichtlichem Wissen in Kontakt kämen.
Das abschließende Panel unter dem Titel „Apps und Geschichte“ begann mit dem Vortrag von FERDINAND HEIMERL (Trier). Er stellte die App „Arch. Parcours Bitburg“ vor, die den neuen Rundweg u.a. durch die antike Siedlung Vicus Beda unterstützt. Dadurch sei neben den Befunden vor Ort eine digitale Rekonstruktion des antiken und mittelalterlichen Bitburg möglich. Insgesamt böte die App einige nützliche Features, die auch Kinder und Jugendliche ansprächen und zudem ein Nebeneinander der physischen und digitalen Aspekte der Geschichte Bitburgs ermöglichen.
PASCAL WARNKING (Trier) stellte die von ihm und Trierer Studierenden entwickelte App „Talking Stones“ vor, die dem Benutzer eine fiktive Kriminalgeschichte erzählt, die sich entlang der antiken Bauten in Trier – wie etwa der Konstantinbasilika oder der Porta Nigra – aufbaut. Die Studierenden seien durch die Programmierung der App zu Prosumentinnen und Prosumenten geworden, womit Warnking einen Bogen zu Reinard schlug. Die Studierenden hätten neben der technischen und archäologisch-historischen Kompetenz vor allem didaktische Erkenntnisse gewonnen, nämlich wie der Informationsgehalt an die Aufmerksamkeitsspanne anknüpft. Es galt zudem, einen Ansatz für die Lehre und das Lernen auf Distanz zu schaffen, ein nicht zu unterschätzender Aspekt der Lehre unter Corona-Bedingungen.
SASCHA SCHMITZ (Trier) präsentierte die App „ARGO – Augmented Archeology“, die im Rahmen des Projekts ARmob (Antike Realitäten mobil erleben) entwickelt wurde. Diese App setzt an historischen und archäologischen Stätten Rekonstruktionen in die reale Landschaft ein, was insbesondere bei Bodendenkmälern wichtig für die Vermittlung des Aufbaus römischer und mittelalterlicher Bauwerke sei. Die große Teile der historischen Kultur- und Bodendenkmäler von Rheinland-Pfalz abdeckende App beruhe auf Forschungsständen, Modellbauten und natürlich Grabungsbefunden. Die Darstellung des Geländes werde durch Lidar-Daten ergänzt. Neben fachwissenschaftlichen Erkenntnissen biete ARGO den zahlreichen kooperierenden Gemeinden die Chance, mit ihrer historischen Vergangenheit zu werben. Zudem ermögliche dies eine breite Vermittlung von archäologisch-historischem Wissen nicht nur für Fachpublikum.
Zum Abschluss des Panels und der Tagung referierten CHRISTOPH SCHÄFER, PETER JOHANN und AMON TRAXINGER (alle Trier) über das unter der Leitung von Christoph Schäfer laufende Projekt der Rekonstruktion des Seehandelsschiffes Laurons 2 sowie über bereits abgeschlossene Projekte von Rekonstruktionen römischer Schiffe verschiedenen Typs. Diese Projekte, vor allem die Rekonstruktion und Erprobung der Schiffe im Experiment, sollen den Studierenden die antike Wirtschaftsgeschichte und die Konstruktion antiker (Handels-)Schiffe näherbringen und dabei auch ihre technischen Kompetenzen zwecks der Erbringung nautischer Daten fördern. Eine weitere Säule des Projekts ist die Vermittlung der Kenntnisse an SchülerInnen verschiedener Altersgruppen, die insbesondere durch die am Projekt beteiligten Lehramtsstudierenden erfolgen soll, was jedoch wegen der Corona-Pandemie nicht möglich war. Zudem verwiesen die Referenten auf Modellschiffe sowohl aus der Sammlung des Transmare-Instituts der Universität Trier als auch auf solche, die geschaffen wurden, um später die Laurons 2 im Maßstab 1:1 oder den Prahm Secundinia im Maßstab 1:2 zu rekonstruieren. Diese Modelle böten sich für Schulbesuche nahezu an und zeigten den Schülern den Weg vom Modell zur 1:1-Rekonstruktion.
Konferenzübersicht:
Leif Scheuermann (Graz): Begrüßung und Eröffnung
Panel 1: Geschichtsvermittlung im universitären Unterricht
Moderation: Leif Scheuermann
Krešimir Matijević (Flensburg): Digitale Lehre am Seminar für Geschichte und Geschichtsdidaktik der Europa-Universität Flensburg im „Corona-Semester“
Patrick Reinard (Trier): Probleme und Möglichkeiten der digitalen Lehre in althistorischen und papyrologischen Lehrveranstaltungen
Ivo Köth (Trier): Studentische Perspektiven auf die digitale Lehre
Elisabeth Günther (Göttingen) / Sven Günther (Changchun): Mit Plinius im antiken Rom. Ein Digital-Mapping-Projekt zwischen China (IHAC, Changchun) und Deutschland (Institute for Digital Humanities, Universität Göttingen)
Jürgen Nemitz (Marburg): Wikipedia und Wikisource in der Lehre. Ein Erfahrungsbericht
Ansgar Berger (Trier): Alles auf Start! Erfahrungsbericht zur Umstellung des Lehrbetriebs auf digitale Formate an der Universität Trier
Charlotte Keuler / Christine Achenbach-Carret (beide Trier): Krisenbehaftete Demokratiebildung? Aktuelle Chancen und Herausforderungen in Schule und Unterricht
Matthias Weipert (Siegen): Digitale Lehre in der Coronakrise – Erfahrungen und Konsequenzen
Panel 2: Bibliotheks- und Verlagswesen in der Corona-Pandemie
Moderation: Wolfgang Spickermann (Graz)
Tanja Klöpfel (Trier): Corona als Katalysator oder als Brennglas? Was unsere BibliotheksnutzerInnen wirklich von uns wollen
Marcus Schröter (Freiburg): Förderung geschichtswissenschaftlicher Informationskompetenz virtuell. Im Spannungsfeld von akademischer Lehre, bibliothekarischen Konzepten und Kompetenzen Studierender
Jörn Kobes (Mainz): Virenfreie Bücher. Verlagsarbeit unter Corona-Bedingungen
Panel 3: Public History? Geschichtsvermittlung jenseits der Universitäten
Moderation: Maximilian Kalus (Kempten)
Tillmann Schweitzer (Trier): Gymnasialer Schulunterricht während der Corona-Pandemie – ein Erfahrungsbericht
Michael Zerjadtke (Hamburg): Zwischen Katzenvideos und Gaming. Alte Geschichte auf YouTube
Kai Matuszkiewicz / Kai Ruffing (beide Kassel): Assassin’s Creed und das klassische Griechenland
Elisabeth Singer-Brehm (Flossenbürg): Online-Angebote von Gedenkstätten in Bayern
Panel 4: Apps und Geschichte
Moderation: Patrick Reinard
Ferdinand Heimerl (Trier): Digital und analog. Der neue archäologische Parcours Bitburg
Pascal Warnking (Trier): Audio-Guides als Mittel des Lehrens und Lernens auf Distanz am Beispiel von Talking Stones
Sascha Schmitz (Trier): ARmob – antike Realität mobil erleben
Peter Johann / Amon Traxinger / Christoph Schäfer (alle Trier): Forschendes Lernen und lebendige Geschichte. Zu einem aktuellen Projekt der Alten Geschichte an der Universität Trier
Anmerkungen:
1 Mehr Information zur Arbeitsgemeinschaft Geschichte und EDV unter folgendem Link: https://www.age-net.de/ (11.12.2020).
2https://www.age-net.de/2020/11/1-age-online-tagung-am-27-11-2020/ (11.12.2020).