Ziel des Workshops war es, über die Herausforderungen nachzudenken, die die Digital Humanities für historische Erkenntnisprozesse im Bereich der Zeitgeschichte bedeuten. Versammelt hatten sich dazu Personen, die in Universitäten, Archiven, Museen und Gedenkstätten mit unterschiedlichen Perspektiven und Zielsetzungen Online-Angebote verantworten, was sich im Laufe der beiden Workshoptage als fruchtbare Diskussionsgrundlage herausstellte.
Nach einem Grußwort von Michael Scheffel, Prorektor für Forschung der Bergischen Universität Wuppertal, eröffneten Anke John und Tatjana Tönsmeyer den Workshop mit vier Fragenkomplexen bzw. Befunden. Durch die zunehmende Bereitstellung von Quellen im Internet habe der Zugang zu Quellen sich demokratisiert, es lasse sich jedoch auf der anderen Seite eine Kluft beobachten zwischen den teilweise sehr aufwendigen Produktionen und dem Wissen über ihre tatsächliche Nutzung und ihre Wirkung auf die Herausbildung von historischem Bewusstsein. Daher müssen erstens die Fragen diskutiert werden, wie sich die Zeitgeschichte im Internet präsentiert und wie der Zugang dazu im Internet reguliert wird. Angebote wie der Instagram-Account @ichbinsophiescholl kämen bei jungen Erwachsenen gut an, böten jedoch einen erlebnisorientierten und emotionalisierten Zugang zur Zeitgeschichte, der auf Kosten einer problemorientierten Auseinandersetzung gehe. Zweitens sei zu fragen, welche Bedeutung Online-Portalen in Bildungssystemen zukomme. Erste Berichte über das Lernen in der Pandemie zeigten, dass dieses vor allem über E-Mails und Lernplattformen wie Moodle stattfinde. Hier sei jedoch die Herausbildung von eigenständigem historischem Denken eher schwierig. Online-Portale müssten sich daher mit der Frage auseinandersetzen, ob sie historische Fragestellungen und somit den Zugang zu Wissen nicht vorstrukturierten. Drittens scheine die Online-Präsentation von Quellen die Differenzierung zwischen Quelle und Darstellung vor allem für Schüler:innen stark zu verwischen. Dies zeige sich beispielsweise in Wortneuschöpfungen wie „PDF-Quelle“ oder „Internetquelle“. Vor diesem Hintergrund müssten die Verantwortlichen von Online-Portalen darüber nachdenken, wie die Entstehung eines Portals für Nutzer:innen so sichtbar gemacht werden kann, dass es auch Fragen nach dem Kontext und Aussagewert von Quellen gerecht wird. Viertens müsse die Frage diskutiert werden, ob digitale Sammlungs- und Bildungsportale geeignet seien für eine transnationale, vergleichende Geschichtsschreibung, die sich nationalen Narrativen entzieht.
In einem einführenden Vortrag bot PATRICK SAHLE (Wuppertal) einen Einstieg in das, was in den Digital Humanities in Bezug auf digitale Editorik Lehrbuchwissen ist. Die Digitalisierung beschrieb er nicht als Entmaterialisierung von Quellen, vielmehr unterstütze diese den material turn, indem sie der Materialität von Quellen gerechter werde als gedruckte Editionen. Die digitale Editorik müsse weniger vom Produkt her betrachtet, sondern als Abfolge aufeinander aufbauender Prozessschritte bewertet werden. In ihrem Aufbau folgen Online-Portale noch häufig der Logik der traditionellen Typographie, gleichzeitig leisten sie eine De- und Re-Kontextualisierung von Quellen. Dies mache nicht nur eine stärkere theoretisch-methodische Reflexion darüber notwendig, inwiefern Portale wissenschaftliche Narrative konstituieren, sondern auch über Usability-Standards. Erst das Ernstnehmen des Grundsatzes data first stelle, so Sahle, einen tiefgreifenden Methodenwechsel dar. Hier müsse auch eine neue Datenkultur anschließen, die Daten jenseits von Medialisierungsformen als Produkte ernstnehme und anschlussfähig für Weiterverarbeitungen mache. Der Entstehungsprozess der digitalen Quellenerschließung und -präsentation könne dabei meist nicht von einer einzigen Person in einer überschaubaren Projektlaufzeit bewältigt werden. Er müsse modular betrachtet und die einzelnen Module als eigenständige wissenschaftliche Leistungen sichtbar und damit auch kreditierbar gemacht werden. Ergänzt wurde der Vortrag in der Diskussion durch einen Kommentar von Michael Scheffel, der in Sahles Frage nach den Publikationsformen von Online-Editionen komplexe Fragen zu den Themen Usability und Webdesign verborgen sah, die letztendlich den Zugang zu Quellen und somit auch historische Erkenntnisprozesse bestimmten.
TATJANA TÖNSMEYER (Wuppertal) und THOMAS BURCH (Trier) stellten ihre mit dem Forschungsdatenmanagement FuD erstellte Online-Edition „Societies under German Occupation. Experiences and Everyday Life“ vor und gingen darauf ein, wie strukturelle Entscheidungen zu Aufbau und Nutzungsangeboten aus den theoretisch-methodischen Überlegungen zur Thematik entwickelt wurden. Aus dem Konzept der „Besatzungsgesellschaften“ wurden Themenbereiche entwickelt, die den Alltag ihrer Mitglieder prägten, woraufhin ein umfassender Fragenkatalog die Quellenrecherche angeleitet hat. Im Portal schlage sich das in einem paneuropäisch-vergleichenden Zugang zu einem unabgeschlossenen oder potentiell unabgeschlossenen Quellenkorpus mit exemplarischen Quellen nieder. Der Zugang zu den Quellen erfolgt sowohl über eine Volltextsuche als auch über einen Index, der aus 24 Clustern besteht, die wiederum insgesamt 1.700 Schlagworte umfassen. Die Cluster sind sowohl faktual als auch interpretativ angelegt, wobei letztere auf Handlungsformen von Mitgliedern der „Besatzungsgesellschaften“ abzielen. Diese Anlage des Indexes mache die Online-Edition sehr voraussetzungsreich. Gleichzeitig stelle sie sprachliche Kategorien für eine transnationale Erforschung von „Besatzungsgesellschaften“ zur Verfügung, was auch ein Angebot für eine Nachnutzung sei. In der anschließenden Diskussion kamen Fragen zum Index der Online-Edition und danach auf, wie personalisiert die Cluster seien und ob diese die unterschiedlichen Besatzungsregime abbilden könnten. Die erarbeiteten Themenfelder, so Tönsmeyer, böten einen problemorientierten Zugang zu den Quellen, der explizit nicht nationalen Narrativen folge, und könnten so die Entwicklung vergleichender wissenschaftlicher Fragestellungen anregen.
KATRIN WOLF und SEBASTIAN KINDLER (Moskau) berichteten über das Recherche- und Dokumentationsprojekt zu sowjetischen Kriegsgefangenen, das auf eine gemeinsame Initiative der Außenminister der Russischen Föderation und der Bundesrepublik zurückgeht. Über die Forschungsplattform „Memorial Archives“ werden Massendaten zu sowjetischen Kriegsgefangenen bereitgestellt. Die Vortragenden verwiesen auf die Chancen des Projektes für wissenschaftliche Arbeiten aufgrund der Bündelung der ansonsten stark verstreuten Quellen an einem zentralen „Ort“, aufgrund der Möglichkeiten der Abfrage gruppenbezogener Schicksale und der Georeferenzierung der Akten, die verschiedene Möglichkeiten der Visualisierung bietet. Sie sprachen aber auch über die Herausforderungen des Projektes, wie die proaktive Quellenrecherche, ethische Probleme, etwa wenn Akten ehemalige Kriegsgefangene diskreditierten, sowie fehlerhafte Transliterationen aus dem Russischen. In der anschließenden Diskussion wurde die Tatsache, dass es sich bei dem Projekt um ein in erster Linie politisch motiviertes Unterfangen handelt, zum Anlass genommen, um daran zu erinnern, dass auch Datenbanken und digitale Tools nicht neutral seien. Entstehungskontexte von Projekten hätten immer auch Einfluss darauf, was z.B. in Datenbanken indexiert und somit überhaupt erst zugänglich und erforschbar gemacht wird. Diese Dinge, so die Schlussfolgerung, müssten in mission statements, die Projektpartner und -ziele und daraus resultierende Schwerpunkte bei der Bearbeitung auflisten, offengelegt werden.
Anschließend stellte WOLF GRUNER das USC Shoah Foundation's Visual History Archive (VHA) vor. Es waren vor allem Gruners Ausführungen zur Indexierung der Zeitzeugeninterviews, die die anschließende Diskussion bestimmten und an die Diskussion im Nachklang des Vortrags von Tönsmeyer und Burch anschlossen. So berichtete Gruner davon, dass seine Kollegin Alina Bothe einen Vergleich der Indexierung von Interviews von Personen vorgenommen hat, die sowohl vom das VHA als auch vom Fortunoff Archive for Holocaust Testomonies der Yale Universität und dem United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) interviewt worden waren. Im Vergleich zum Fortunoff Archive und dem USHMM biete nur das VHA eine Tiefenerschließung an: Neben dem biographischen Profil der Interviewten werden die Interwies anhand von verknüpften GIS-Daten, einer Zeitkodierung des Interviews sowie vier Suchfunktionen und der Segmentierung des Interviews anhand von Keywords zugänglich gemacht. Ähnlich wie Tönsmeyer sah Gruner in der Indexierung eine Chance für die Anregung von insbesondere vergleichender Forschung. Er machte jedoch auch deutlich, dass diese zeitgebunden sei. So fände man in der Indexierung von Interviews, die in den 1990er-Jahren bearbeitet worden waren, unter dem Keyword „Widerstand“ nur Ausführungen, die zu diesem Zeitpunkt als solcher verstanden worden waren. In der Diskussion wurde der Themenkomplex Verschlagwortung/Indexierung um die Frage ergänzt, ob es nicht sinnvoll sei, Nutzer:innen einzubeziehen, die durch die Vergabe von eigenen tags eine zweite Ebene der Indexierung vornehmen könnten.
In seiner Keynote griff PETER HASLINGER (Marburg/Gießen) zahlreiche Punkte auf und verwies allgemeiner auf die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Geschichtswissenschaften. Er reflektierte über die Notwendigkeit einer digitalen Quellenkritik, bei der nicht mehr allein die Quellen, sondern auch ihre digitale Repräsentation sowie die damit verbundenen Arbeitsprozesse bei der Analyse berücksichtigt werden müssen. Am Beispiel des Livenalbum aus den Sammlungen des Herder-Instituts veranschaulichte Haslinger die De- und Re-Kontextualisierung von Quellen in Online-Portalen. Einzelfotos aus dem Album seien aus ihrem originären Zusammenhang herausgenommen worden, indem sie ins online recherchierbare Bildarchiv des Herder-Instituts aufgenommen worden waren. Durch die Verknüpfung mit Karten, Links und Metadaten seien sie neu kontextualisiert worden. Fragezeichen machten unbekannte Informationen kenntlich, wobei eine Gefahr darin bestehe, dass diese unbekannten Entitäten in den Architekturen der Datenbanken „unsichtbar“ gemacht oder gar der Aussagegehalt der Quelle verändert werde. Die Verantwortlichen von Portalen sollten daher reflektieren, wie sie die Entstehungsprozesse von Portalen für Nutzer:innen sichtbar machen. Denn nicht nur die online präsentierten Quellen besitzen für eine historische Analyse Relevanz, sondern auch die Kontexte, Infrastrukturen und Webseiten, in denen diese präsentiert werden. Diese konstituieren Narrative von historischen Wahrheiten mit, wie Haslinger an mehreren Beispielen aus Russland und Ungarn verdeutlichte.
HENNING BORGGRÄFE (Bad Arolsen) ging auf die Chancen und Herausforderungen der partizipativen Online-Angebote der Bad Arolsen Archives ein. Dem International Tracing Service liegt die größte Dokumentensammlung von Verfolgungsakten des Nationalsozialismus vor, die sich zum Großteil personenbezogen mit den Themen Konzentrationslager, Zwangsarbeit und Displaced Persons beschäftigt. Beispielhaft zog Borggräfe die Projekte „Transnational Rememberance of Nazi Forced Labor Migration“ und #everynamecounts heran, um zu veranschaulichen, wie die Arolsen Archives Open-source-Tools, Crowdsourcing und generell partizipativ ausgerichtete Vermittlungs- und Erinnerungsformate testen und Nutzer:innen interaktiv in die Erschließung von Daten einbinden. Borggräfe gab in seinem Resümee an, dass Online-Angebote, in denen Nutzer:innen selbst aktiv werden können, begleitende Anstrengungen und Ressourcen benötigen, um die Portale zu betreuen und am Leben zu halten. Er gab zu bedenken, dass Historiker:innen nicht allein über die inhaltliche Realisierung von digitalen Portalen entscheiden und Beteiligungsformate, die sich im Bereich der Citizen science bewegen, Geschichtsbilder der Forschung herausfordern und vermutlich irritieren werden. Mögliche Lösungen für diese Herausforderungen könnten Verbundprojekte zwischen Wissenschaft, Gedenkstätten und Archiven sein, in denen Aushandlungsprozesse in der Gestaltung digitaler Angebote, denen unterschiedliche Interessen zugrunde liegen, produktiv gestaltet werden können.
Die anschließende Diskussion drehte sich um ethische Dimensionen der Datennutzung. Bei digitalen Formaten, die sensible, personenbezogene Informationen für Lai:innen zur interaktiven Nutzung zur Verfügung stellen, müsse besonders auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte von Betroffenen geachtet werden. Auch müsse problematisiert werden, inwiefern Marktmechanismen die Konzeption von digitalen Portalen und die Darstellung von Daten beeinflussten, beispielweise um eine möglichst große Anzahl an Nutzer:innen zu generieren. Zum anderen wurde gefragt, welchen Einfluss partizipative Formate auf Geschichtsbilder ausüben und konstatiert, dass der Fokus auf personenbezogene Quellen das Verständnis von Geschichte stark individualisiere und größere Kontexte verloren gingen.
ANKE JOHN und WILMA SCHÜTZE (Jena) stellten das digitale Portal zum Tagebuch der Eva Schiffmann (1925-1930) vor und zeichneten nach, welche didaktischen Überlegungen in diesem digitalen Bildungsportal umgesetzt wurden. Das Manuskript gibt einen Einblick in die Lebenswelt einer jungen, jüdischen Frau im Thüringen der Zwischenkriegszeit, hin- und hergerissen zwischen beruflichen Aufstiegschancen und ihrem Engagement in der zionistischen Bewegung. Das digitalisierte Manuskript ist im Portal von Leitfragen begleitet und kann über drei methodische Zugänge genutzt werden – biografisch, geografisch und thematisch. Die Perspektiven und Fragestellungen, mit denen die Kurator:innen das Portal konzipiert haben, sollen möglichst transparent werden, um Nutzer:innen auf Augenhöhe in den Prozess einzubeziehen. Dem Projekt, das als Prototyp fungieren soll, liegen drei übergeordnete Ziele zugrunde: Der Open Access soll die Nutzung durch die Forschung ermöglichen. Das Portal soll den Distanzunterricht in Geschichte durchbrechen und konkrete, pragmatische Angebote für den Unterricht und das Methodenlernen schaffen. Schließlich soll durch den kuratierten Zugriff ein reflexives Geschichtsbewusstsein gefördert werden. Das Tagebuch eröffne beispielsweise neue Perspektiven auf die Goldenen Zwanziger der Weimarer Republik, die sich jenseits der Hauptstadt Berlin abspielten.
JÖRG SKRIEBELEIT (Flossenbürg) ging der Frage nach, welche Herausforderungen die Digitalisierung an die Gedenkstättenarbeit stellt. Eingangs erinnerte er daran, dass insbesondere die Öffentlichkeit eine hohe Erwartung an die Gedenkstättenlandschaft formuliert, sich schnell und umfassend zu digitalisieren. Am Beispiel des 75. Jahrestages der Gedenkstätte Flossenbürg im Jahr 2020 veranschaulichte Skriebeleit die Grenzen von digitalen Formaten bzw. ihrer technischen Umsetzung. Begegnungen – für Jahrestage konstitutiv – sowie das Arbeiten an und mit dem historischen Ort fielen weg oder konnten nur in defizitärer Form ins Digitale transportiert werden. Hinzu kamen Hürden, um Personen jenseits der digital natives einzubinden. Er sprach sich bei der Konzeption von kommenden digitalen Formaten für eine interdisziplinäre und multiperspektivische Zusammenarbeit mit anderen Akteur:innen und Institutionen aus, um diesen Herausforderungen adäquater zu begegnen. Er streifte kurz das Problem der ausufernden Datenbanken am Beispiel der Memorial Archives. Abschließend plädierte er für eine neue Ethik von webbasiertem Design, das die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen, die in Portalen suchbar gemacht und dargestellt werden, umsichtiger mitdenken müsse.
Im Laufe der Diskussion formte sich die Idee, bisher Gelerntes zu digitalen Portalen und Angeboten in schriftlichen Beiträgen festzuhalten und auf dem Blogportal „hypotheses“ zur Verfügung zu stellen. Dies könnte ein erster Versuch sein, bisher gemachte Erfahrungswerte zu systematisieren und einen Überblick zu einer zumindest good practice im Digitalen zusammenzutragen und die oft betonte interdisziplinäre Zusammenarbeit anzugehen.
JENS CHRISTIAN WAGNER (Weimar) nahm Virtual und Augmented Reality in der Gedenkstättenarbeit in den Blick. Er problematisierte Virtual-Reality-Formate, da sie – oftmals auf emotionalisierende Weise – Authentizität simulierten. Im Gegensatz dazu führte er Beispiele der Augmented Reality an, die Orte des Erinnerns für Besucher:innen visuell sichtbar machten, die schwer begehbar oder, wie in der Gedenkstätte JVA Wolfenbüttel, aufgrund juristischer Hürden nicht zugänglich seien. Vom Gebäude dieser Gedenkstätte aus könnten Besucher:innen auf den historischen Ort blicken. Dies verletze jedoch die Persönlichkeitsrechte der Insassen des gegenwärtigen Gefängnisses, das sich ebenfalls in diesem Blickfeld befindet. Als Lösung bietet die Gedenkstätte Tablets mit Augmented-Reality-Tools an, die nicht einsehbare Teile des Ortes visualisieren. Wagner sprach sich dafür aus, solche Angebote als didaktische Ergänzung zu nutzen, erinnerte aber daran, dass der Besuch des historischen Ortes nicht über digitale Zugriffe ersetzt werden könne. Er betonte, dass eine simulierte Authentizität nie zulässig sei und der haptische Beweischarakter der Quellen, beispielsweise auch der baulichen Relikte, betont und erhalten werden müsse.
ALFONS KENKMANN (Leipzig) fasste in seinem Abschlussvortrag Chancen und Hürden der Digitalisierung zusammen. Ein klarer Vorteil sei, dass eine breite Öffentlichkeit niedrigschwellig Zugang zu Quellenbeständen erhält. Durch die Aufhebung von räumlichen Distanzen und finanziellen Hürden werde auch eine transnationale Wissensvernetzung gefördert. Dokumentendigitalisate könnten eine Chance sein, Quellen mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Hier müssten noch mehr Digitalisate angefertigt und klare Kriterien für die Qualitätssicherung festgelegt werden. Eine große Herausforderung bestehe darin, dass sich die Begegnung ins Digitale verlagere. Das „Authentische“ historischer Orte solle nicht unterschätzt werden, weswegen Augmented Reality als additives Element sinnvoll sei, um historische Spuren nachzuzeichnen. Kenkmann griff auf, dass eine immer höhere Nachfrage nach simulierter Authentizität dazu führe, dass Geschichtsvermittlung zunehmend als Unterhaltung gestaltet werde. Er befürwortete, dass sich die Gedenkstätten von dieser Eventkultur von Geschichtserlebnissen distanzierten. Für die Zukunft sprach er sich dafür aus, historische Online-Kompetenzen zu schulen und eine Hermeneutik und Propädeutik für den digitalen Kontext zu entwickeln. Zudem brauche Digital History Interdisziplinarität. Konglomerate und Verbundportale seien daher wünschenswert. Kenkmann fasste damit die zentral diskutierten Chancen und Herausforderungen von Online-Angeboten zusammen. Er machte einmal mehr sichtbar, dass die Teilnehmer:innen des Workshops trotz unterschiedlicher Projektausrichtung ähnliche technisch-methodische Fragestellungen beschäftigen und der Austausch zwischen Forschung, Gedenkstätten, Archiven und Datenbanken für eine good practice im Digitalen unerlässlich ist.
Konferenzübersicht:
Michael Scheffel (Wuppertal): Grußwort
Tatjana Tönsmeyer (Wuppertal) / Anke John (Jena): Zeithistorische Portale und historische Erkenntnis. Zur Einführung in den Workshop
Patrick Sahle (Wuppertal): Quellen und ihre digitale Repräsentation. Zu den Herausforderungen für die Zeitgeschichte
Tatjana Tönsmeyer (Wuppertal) /Thomas Burch (Trier): Zeithistorische Portale und ihre usability. Nachdenken über digitale Nutzungsformen in transnationalen Kontexten zwischen Geschichtswissenschaft und Informatik
Katrin Wolf / Sebastian Kindler (Moskau): Digitalisierung und Indexierung von Quellenmaterial zu sowjetischen Kriegsgefangenen – Erfahrungen und Best Practice(s)
Wolf Gruner (Los Angeles): Das USC Shoah Foundation's Visual History Archive und die Dokumentation von transkribierten Zeitzeugen-Erinnerungen
Peter Haslinger (Marburg/Gießen): Quellenkritik im digitalen Zeitalter – Definitionen, Herausforderungen, Chancen
Henning Borggräfe (Bad Arolsen): Online-Archiv und partizipative Erinnerung: Wie lassen sich digitale Angebote aufeinander beziehen?
Anke John / Wilma Schütze (Jena): Das Tagebuch der Eva Schiffmann (1925-1930). Quellenmerkmale und historische Darstellungsverfahren auf einem Bildungsportal sichtbar machen
Jörg Skriebeleit (Gedenkstätte Flossenbürg): Digitalisierung als Herausforderung für die Gedenkstätten
Jens Christian Wagner (Gedenkstätte Buchenwald): Simulierte Authentizität. Virtual und Augmented Reality in der Gedenkstättenarbeit
Alfons Kenkmann (Leipzig): Zusammenfassung und Kommentar