Quantitative Methoden in der Geschichtsdidaktik

Quantitative Methoden in der Geschichtsdidaktik

Organisatoren
Arbeitskreis Empirische Geschichtsunterrichtsforschung der Konferenz für Geschichtsdidaktik
Ort
digital
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.11.2021 - 25.11.2021
Url der Konferenzwebsite
Von
Charis-Fey Westensee, Abteilung für Didaktik der Geschichte, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Nicht wie ursprünglich in Präsenz in Basel geplant, sondern im digitalen Rahmen fanden an drei Terminen im November und Dezember 2021 Workshops zur quantitativen Forschung in der Geschichtsdidaktik statt. So hatte der Arbeitskreis „Empirische Geschichtsunterrichtsforschung“ die Möglichkeit, anhand dreier Impulsvorträge renommierter Wissenschaftler:innen und unter der Moderation der beiden Veranstalter Sebastian Barsch (Universität Kiel) und Martin Nitsche (Pädagogische Hochschule FHNW Aarau) Einblicke in die quantitative Geschichtsdidaktikforschung zu erhalten, nachdem im letzten Jahr qualitative Methoden stärker in den Blick genommen wurden. Ziel der Veranstaltung war es nicht nur, forschungsmethodische Fragen im Kontext der Geschichtsdidaktik aufzugreifen, sondern auch die (eigens) etablierten Forschungsmethoden kritisch zu diskutieren und damit sodann neue Forschungszugänge zu erwägen.

Den Auftakt am 18. November 2021 machte JESSICA KREUTZ (Universität Frankfurt am Main) mit einem Vortrag über geschichtsdidaktisch-quantitative Forschungszugänge. Einführend wurden Merkmale, Aspekte und Gütekriterien quantitativer Forschung vorgestellt. Eine erste Annäherung an das Erzählte erfolgte – gemäß dem didaktischen Duktus der Veranstaltung – über die selbstständige Zuordnung geschichtsdidaktischer Fragestellungen zu den jeweiligen Zugängen und Erhebungsverfahren in Kleingruppen. Davon ausgehend wurden Erkenntnismöglichkeiten quantitativer Forschung für die Geschichtsdidaktik differenziert, exemplarisch betrachtet und im Spannungsfeld von Aufwand und Erkenntnisgewinn besprochen. Diese Aspekte wurden von den Workshopteilnehmer:innen in der anschließenden Diskussion aufgegriffen. Hier wurde zunächst nach Grenzen und Potentialen, aber auch nach dem Grad der Geisteswissenschaftlichkeit quantitativer Forschung in der Geschichtsdidaktik gefragt. Manuel Köster beispielsweise konstatierte, dass quantitative Forschung auch in der Geisteswissenschaft abhängig von ihrer Operationalisierung sei. Der oftmals hervorgebrachte Gegensatz ‚naturwissenschaftlich‘ – ‚geisteswissenschaftlich‘ sei indes nur Schein: Laut Köster würden die Auswertungsmethoden als solche Aussagen über Relationen treffen, ihre Interpretation sei wiederum natürlich geisteswissenschaftlich. Martin Nitsche plädierte sogar für die Zuspitzung dieser Hypothese: Weil die Geschichtsdidaktik als Geisteswissenschaft einen normierenden Anspruch erhebe, müsse auch quantifiziert werden, um normative Annahmen zu prüfen. Auch würde er der in der Geschichtsdidaktik zuweilen vorherrschenden Annahme widersprechen, die quantitative Forschung sei eine ‚Trittbrettfahrerin‘ der qualitativen Forschung; vielmehr verkehre sich diese Annahme nach der empirischen Wende zu Beginn der 2000er-Jahre vermutlich sogar ins Gegenteil.

Grenzen für die Geisteswissenschaft sah Köster in dem – erstmal ganz subjektiven – Empfinden, dass die Hürden, quantitativ zu forschen, insbesondere in der Geschichtsdidaktik, viel höher seien. Er plädierte dafür, von dem klassischen Antagonismus (qualitativ vs. quantitativ) abzurücken. Stattdessen sollten sich Stärken und Schwächen der jeweiligen Zugänge ergänzen oder sogar aufheben können; das sei eben auch abhängig von der Operationalisierung, wie er sie anfangs ansprach. Daran anschließend stellte sich Sebastian Barsch die Frage, ob es überhaupt eine geisteswissenschaftliche Haltung als solche gebe und ob sich diese dann als Gegensatz zu einer naturwissenschaftlichen Haltung begreife. Anschließend kamen die Methoden quantitativer Geschichtsdidaktikforschung zur Sprache. Grundsätzliche Schwierigkeiten – wie eine adäquate Operationalisierung – wurden in dem Kernproblem einer mangelnden Ausbildung entsprechender Methoden ausfindig gemacht.

Zuletzt besprach der Arbeitskreis Anliegen in eigener Sache. Uneinigkeit herrschte bei der Frage, ob verbindliche Kriterien für die Qualität empirischer Arbeiten für Tagungen und Publikationsorgane der KGD formuliert werden sollten. Während einerseits die Meinung vertreten wurde, dass niemals gleiche Kriterien gelten könnten, wurde andererseits dagegengehalten, dass gemeinsame Kriterien insofern sinnvoll seien, als diese zu einer Rückbindung an den wissenschaftlichen Anspruch bspw. durch die Schaffung von Nachvollziehbarkeit beitragen würden. Dies brachte die Workshopteilnehmer:innen auch zu dem Anliegen, eine Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Theorie zu forcieren.

Am 25. November 2021 führte MARCEL MIERWALD (Universität Bochum) den Workshop fort. Unter dem Thema „Items, Skalen und Co. Eine Einführung in die Fragenbogen-Methode am Beispiel der Erfassung epistemologischer Überzeugungen in der Domäne Geschichte“ konnten die Workshopteilnehmer:innen nun eine konkrete Forschungsmethode detailliert beleuchten. Die schriftliche Befragung mittels standardisierter Fragebogen gehört dabei zum klassischen Methodenrepertoire der empirischen Sozial- und Bildungswissenschaften. Die Fragebogen-Methode, die dazu genutzt wird, Einstellungen, Meinungen, Interessen und andere Persönlichkeitsmerkmale bei einer großen Anzahl an Personen zu erfassen, kommt auch in der empirischen Geschichtsdidaktik immer mehr zum Tragen. Dass die Teilnehmenden grundlegende Schritte der Fragebogenentwicklung kennenlernen, mehr über die Möglichkeiten der Erfassung von epistemologischen Überzeugungen in der Domäne Geschichte wissen und die Qualität von Fragebögen – besonders deren Items – beurteilen und verbessern können, waren die von Mierwald gesetzten Ziele des Workshoptags. Sein Aufbau folgte einem Dreischritt: Nach Inhalten zur Fragebogen-Planung wurden Fragebogen-Konstruktion und -Überprüfung thematisiert. Der gesetzte thematische Schwerpunkt zu epistemologischen Überzeugungen diente dabei nicht nur der Anschaulichkeit, sondern auch als roter Faden. Die Erfassung geschichtsbezogener Vorstellungen stellt indes einen bedeutsamen Forschungsgegenstand der Geschichtsdidaktik dar. Besonders in den beiden Arbeitsphasen half die Bezugnahme, um direkt in tiefere Diskussionen einzusteigen. Beispielsweise konnten durch Vergleiche zweier Fragebogen hinsichtlich ihrer Konstruktion Vor- und Nachteile eruiert und diskutiert werden. Ausgesprochen aufschlussreich war die Analyse von Transkript-Auszügen zu Itemverständnissen von Schüler:innen, die den Workshopteilnehmenden nicht nur Einblicke in die reale Fragebogenüberprüfung als solche, sondern auch in deren Schwierigkeiten geben konnten. So zeigten die Transkripte stellenweise Probleme der Lernenden mit den Items auf. In der anschließenden Diskussion wurden die verschiedenen Problemebenen (wie eine zu subjektivistische Auslegung der Items) auf die abstrakte (sprachliche) Ebene zurückgeführt, die ebenjenen Items per se innewohnt.

Im letzten Teil am 02. Dezember 2021 gab MARIO RESCH (PH Heidelberg) umfassende Einblicke in das Forschungsprojekt „Effektive Kompetenzdiagnose in der Lehrerbildung“ (EKoL). Vom Studiendesign des Forschungskollegs und dessen Planungsprozess ausgehend leitete Resch seinen Forschungsbereich – die Kompetenzfacette ‚Aufgaben formulieren können‘1 – her. Diesen wählte er als Fokus seines nachfolgenden Vortrages. Hier wurde sodann die Entwicklung passender Testinstrumente (Vignettentest und Fachwissenstest) in den Blick genommen. In einer ersten Gruppenarbeitsphase wurde dafür eine skizzierte Unterrichtssituation hinsichtlich ihrer fachdidaktischen Relevanz, ihrer Alltagsnähe und ihrer Eindeutigkeit reflektierend betrachtet. Die Itemkonstruktion und -entwicklung wurde schließlich in einer zweiten Arbeitsphase vor dem Hintergrund der Güte der im Vignettentest eingesetzten Aufgabenformate diskutiert. Andere Einblicke in die Itemkonstruktion wurden weiterhin durch die Vorstellung einer Expert:innenbefragung (Delphistudie) und einem Studierendenquerschnitt gegeben. Für Letzteren wurde der Befund einer stagnierenden Kompetenzentwicklung im Bereich des geschichtsdidaktischen Könnens im Vorbereitungsdienst extrahiert. Dieser wurde im Anschluss unter den Workshopteilnehmer:innen unter methodischer und inhaltlicher Perspektivierung diskutiert. In der Diskussion zeichnete sich die Tendenz ab, nicht nur Inhalte der Ausbildung und Studierende, sondern auch deren Ausbilder:innen verstärkt in den Blick zu nehmen. So plädierte Jessica Kreutz dafür, eigene Expert:innenkompetenzen zu reflektieren. Jan Scheller unterstrich diese Aussage, er zeigte auf, welche unterschiedlichen Perspektiven unter unterschiedlichsten Bedingungen in der Lehrer:innenausbildung Bedeutung erlangen. Schließlich sprachen sich die Teilnehmenden für ein gemeinsames Reflexionsformat aller an der Lehramtsausbildung Beteiligten aus. Den Austausch untereinander gilt es in Zukunft zu fördern.

Die Vorträge und Diskussionen im Workshop zu quantitativen Methoden in der Geschichtsdidaktik im Rahmen des digitalen Jahrestreffens 2021 des AK Empirische Geschichtsunterrichtsforschung haben gezeigt, dass eine weitere Professionalisierung empirischer geschichtsdidaktischer Forschung notwendig ist. Dass im Umfeld der geschichtswissenschaftlichen und -didaktischen Forschungen dabei auf Methodenpluralismus sowohl mittels quantitativen als auch qualitativen Zugängen zurückgegriffen wird, wobei aber auch internationale Standards berücksichtigt werden sollten, ist ein Umstand, der aufgrund des Workshops aufgegriffen werden sollte. Dass es dafür weiterer Anstrengungen bedarf – wissenschaftlicher Austausch, Innovation in der Lehramtsbildung und geschichtsdidaktischer Qualifikationen, um nur einzelne Punkte zu nennen – haben die vielen Diskussionen an den drei Workshop-Terminen aufgezeigt.

Konferenzübersicht:

Jessica Kreutz (Frankfurt am Main): Paradigma quantitativer Forschung und historisches Lernen

Marcel Mierwald (Bochum): Items, Skalen & Co. Eine Einführung in die Fragebogen-Methode am Beispiel der Erfassung epistemologischer Überzeugungen in der Domäne Geschichte

Mario Resch (Heidelberg): Entwicklung und Einsatz von Testinstrumenten zur Erfassung von geschichtsdidaktischem Wissen und Können bei angehenden Lehrpersonen

Anmerkung:
1 Basierend auf dem Kompetenzmodell vgl. Christian Heuer / Mario Resch / Manfred Seidenfuß, Geschichtslehrerkompetenzen? Wissen und Können geschichtsdidaktisch, in: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften 7/2 (2017), S. 158–176.


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