Das Symposium präsentierte sich als Forum für neue Ergebnisse der oberösterreichischen Landesgeschichte. Dass eine solche Plattform notwendig ist, begründete Marcus Gräser (Linz) in seiner Einleitung mit dem Hinweis auf die fehlenden Institutionen zur Erforschung der Landesgeschichte in Oberösterreich. Neben empirischen Forschungsergebnissen sollen künftig zudem theoretische Auseinandersetzungen, etwa über das Verhältnis der Regionalgeschichte zur Landesgeschichte, einen adäquaten Diskussionsraum erhalten.
Das erste Panel eröffnete BIRGIT KIRCHMAYR (Linz) mit der Vorstellung eines bemerkenswerten Dachbodenfundes in Form dreier NS-Fotoalben im Stift Kremsmünster. Anhand ihrer inhaltlichen Analyse der Fotos konnte Kirchmayr mitunter die Übernahme des klösterlichen Raumes durch die Nationalsozialisten sowie personelle Verknüpfungen des Lehrpersonals der Oberschule mit der NSDAP Ortsgruppe verdeutlichen. Die hochgradig inszenierten Bilder stellen eine wichtige neue Quelle für die Erforschung der regionalen NS-Geschichte von Kremsmünster dar, insbesondere in Hinblick auf die wenig erforschte Ortsgruppe.
VERENA LORBER (Linz) schloss daran mit Ausführungen über die digitale Edition des Nachlasses des Widerstandskämpfers Franz Jägerstätter sowie seiner Frau Franziska und ihre Möglichkeiten für die Landesgeschichte an. Ziel der Edition ist die erschließende Wiedergabe der historischen Quellen; dazu zählen Briefe, Lebensdokumente sowie Objekte. Die Edition besticht vor allem durch ihre langzeitige Verfügbarkeit und den einfachen online-Zugriff. Großes Potenzial sieht Lorber in der Generierung neuer Fragestellungen durch vereinfachte Zugänge über Suchfunktionen und Register. Dies ermöglicht Anknüpfungspunkte sowohl an interdisziplinäre Forschungsansätze als auch an die Landes- und Regionalgeschichte.
In ihrem Kommentar betonte Cornelia Sulzbacher (Linz) die schwierige Aufgabe der digitalen Archivierung und die vor allem künftig weniger werdenden privaten Quellen. In der Diskussion wurden Fragen nach dem Umgang mit historischen Funden auf der Lokalebene, Personalkontinuitäten und die Agency der Akteurinnen und Akteure sowie Möglichkeiten für eine Sozialgeschichte des ländlichen Raums besprochen.
Im zweiten Panel erläuterte MAGDALENA EGGER (Linz) die Entwicklung des katholischen Vereins „Seraphisches Liebeswerk“ im Kontext der Kinderfürsorge im 19. Jahrhundert. Sie stellte fest, dass es sich vor dem Hintergrund der Wahrung der Sittlichkeit und Kinderfürsorge um eine gezielte, katholische Milieubildung als Gegengewicht zur liberal antikonfessionellen Haltung handelte. Der Verein wuchs auf diese Weise zu einem einflussreichen Instrument der katholischen Kirche in Oberösterreich.
LISA MARIA HOFER (Linz) diskutierte am Beispiel der Taubstummenanstalt Linz den Begriff disability als historische Kategorie und die Problematik der Perspektive, die sich insbesondere bei der kulturellen (Re-)Konstruktion von „Behinderung“ ergibt. Anhand der Quellen lassen sich in erster Linie Konstruktionen von oben untersuchen; die Perspektive der Betroffenen kommt hingegen nicht zum Vorschein. Um diese Lücke zumindest im gegenwärtigen Diskurs zu adressieren, schlägt Hofer eine partizipative Methode hinsichtlich des Lesens der Quellen vor.
Marcus Gräser (Linz) fragte in seinem Kommentar, ob den untersuchten lokalen Ausprägungen ein repräsentativer oder besonderer Charakter zukomme, sowie nach deren Wirkung auf die beziehungsweise jenseits der Region. In der Diskussion wurden insbesondere überregionale interkonfessionelle Verbindungen thematisiert. Zudem wurde die partizipative Methode kritisch mit Verweis auf den schwierigen Bereich der Identitätspolitik diskutiert.
Im anschließenden Panel gab GERHART MARCKHGOTT (Linz) ausgehend von seinen Forschungen über mittelalterliche Zeugenlisten einen wichtigen Einblick in die Quellengrundlage zur Erforschung der Landwerdung Oberösterreichs/Österreichs ob der Enns. Dabei plädierte er nachdrücklich für eine digitale Transformation des oberösterreichischen Urkundenbuchs sowie die Integration des oberösterreichischen Diplomatars.
Im vierten Panel stellte zunächst STEFAN HUBER (München) seine Forschung zur herrschaftlichen Verwaltung von Ressourcen im historischen Bayern vor. Anhand der Flößerei zwischen Tölz und Aschach führte er exemplarisch den transregionalen Ressourcenstrom zwischen Bayern und Österreich ob der Enns im 18. Jahrhundert aus. Dabei streifte er Bereiche der Verwaltungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Region.
CHRISTIANE GRUBER (Linz) erläuterte ihre Forschung zu Amerika-Rückwander:innen in der späten Habsburgermonarchie und veranschaulichte an Fallbeispielen die unterschiedlichen Beweggründe für die Remigration sowie deren Auswirkungen auf das heimatliche Umfeld. Über eine Vielzahl an Quellen untersucht sie Fragen nach den Lebensverhältnissen der Migrant:innen, Erfahrungen von Mobilität und Migration sowie der Konstruktion von Regionsbegriffen über unterschiedliche Perspektiven (Auswander:innen, Rückkehrer:innen, staatliche Obrigkeit).
In der Diskussion kamen vor allem Überlegungen nach der Anschlussfähigkeit weiterer Quellen zur Ergänzung der bisherigen Ergebnisse sowie Fragen zur Konstruktion von Heimat im Ausland zur Geltung.
Das letzte Panel eröffnete ELIAS KNAPP (Innsbruck) mit seiner Untersuchung von Krisenereignissen in lokalen Zusammenhängen. Exemplarisch führte er dies anhand der oberösterreichischen Pfarre Ansfelden zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus. Besonders Kriege hinterließen Spuren im lokalen Gedächtnis, deutlich erkennbar an Gedenktafeln oder beispielsweise Straßenbenennungen. Über demografische Quellen versuchte Knapp einen Bezug zwischen Großereignissen wie Kriegen und lokalen Ausprägungen aufzuzeigen und verwies dabei auf die Notwendigkeit der Einbeziehung weiterer Quellen wie Ego-Dokumente, um Kausalitäten zu erschließen.
KATHARINA ZIEGLER (Salzburg) präsentierte ihre Analyse der bisher wenig erforschten Grundentlastung in Oberösterreich am Beispiel der Herrschaft Hagenberg. Mit besonderem Blick auf die Grundentlastungskommissionen stellte sie fest, dass neben der Durchführung anhand standardisierter Formulare und der häufig erfolgreichen Reklamationen der Zehententschädigung insbesondere der sogenannte Rustikalzehent, der für Oberösterreich als weit verbreitete Praxis angenommen wird, häufig auftrat.
Anschließend führte JOSEF LÖFFLER (Wien) seine Betrachtungen über die habsburgische Staatsbildung aus der Perspektive der Länder aus. Dabei ging er auf drei Beispiele ein, die das Vordringen des Staates in die Fläche und die Zusammenhänge von Normsetzung und Lokalpraxis verdeutlichen: den Ausbau der Verwaltung durch Kreisämter, die Intensivierung der Normsetzung (u.a. durch das Schulwesen) und die systematische Beschaffung von Informationen durch Erhebungen (beispielsweise über Steuerkataster).
In der Diskussion wurden insbesondere Fragen nach der Multiperspektivität in der Kombination von Mikro- und Makrogeschichte behandelt.
Die Veranstaltung wurde mit der Vorstellung des digitalen österreichischen Geschichtsatlas, der für Forscher:innen zahlreiche digitale Quellen zugänglich macht, beschlossen.
Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass die Tagung neue Erkenntnisse aus dem Bereich der oberösterreichischen Landesgeschichte vermittelte und breiten Raum für theoretische und methodische Debatten bot. Die unterschiedlichen Projekte zeigten sowohl individuelle Fragestellungen als auch gemeinsame Themen und deren potenzielle Anknüpfungspunkte für transregionale Forschungen auf. Die Verbindung von Mikro- und Makro-Ansätzen, die sich bereits im Aufbau der Tagung widerspiegelte, ermöglichte eine breite Auseinandersetzung mit der oberösterreichischen Regionalgeschichte zwischen wissenschaftlichen Neuentdeckungen und kontinuierlicher Weitererforschung.
Konferenzübersicht:
Marcus Gräser (Linz): Begrüßung/Einführung
Sektion 1: Landes-ZEIT-Geschichten
Birgit Kirchmayr (Linz): Drei Fotoalben als Dachbodenfund und ein neuer Blick auf die NS‐Geschichte von Kremsmünster. Versuch einer (über‐)regionalen Einordnung
Verena Lorber (Linz): Eine digitale Jägerstätter Edition – Potenziale für die Landesgeschichte
Cornelia Sulzbacher (Linz): Kommentar
Sektion 2: Landes-SOZIAL-Geschichten
Magdalena Egger (Linz): „Kinderseelen retten“. Der Verein Seraphisches Liebeswerk in der Diözese Linz im Kontext der politischen Konflikte zwischen katholischer Kirche und dem Land Oberösterreich
Lisa Maria Hofer (Linz): Behinderung als historische Kategorie. disability history und Landesgeschichte
Marcus Gräser (Linz): Kommentar
Sektion 3: Landes-META-Geschichten
Gerhart Marckhgott (Linz): Geschichte und Metageschichte des Landes ob der Enns
Sektion 4: Landes-GRENZ-Geschichten
Stefan Huber (München): Ressourcenströme über Landesgrenzen. Die Flößerei zwischen Tölz und Aschach in der Frühen Neuzeit
Christiane Gruber (Linz): „… denn ich halte es nicht mehr lange aus, wenn ich nicht in mein Vaterland zurück darf“. Amerika‐Rückwander:innen in Oberösterreich 1848–1918
Sektion 5: Landes-MIKRO-Geschichten
Elias Knapp (Innsbruck): Zur Dimension „großer“ Krisenereignisse im „Kleinen“: Die Auswirkungen der Koalitionskriege auf die Menschen in der oberösterreichischen Pfarre Ansfelden
Katharina Ziegler (Salzburg): Die Grundentlastung in Oberösterreich (1848–1853). Eine Regionalstudie auf dem Gebiet der Pfarrgemeinde Hagenberg
Josef Löffler (Wien): Die oberösterreichischen Untertanen zwischen lokaler Herrschaft und werdendem Staat. Habsburgische Staatsbildung aus der Perspektive der Landesgeschichte
Schlussvortrag
Gerhard Schwentner (Linz): Zum Digitalen Oö. Geschichtsatlas (DOGA)