Wie rassistisch war die Frühe Neuzeit? Welche Handlungsspielräume besaßen People of Colour (PoC) an deutschen Residenzen? Dies sind Fragen, die im Rahmen der Sommerschule „‚Hofmohren‘. Repräsentation und soziale Realität von Afrikanern in deutschen Residenzen 1600–1800“ des Forschungszentrums Gotha diskutiert wurden. Die Teilnehmenden setzten sich aus Doktorand:innen und Postdoktorand:innen verschiedener Disziplinen (Geschichte, Literaturwissenschaft, Ethnologie, Museologie), Professor:innen sowie Museumskurator:innen aus Deutschland, den USA, Togo und Nigeria zusammen. Mit der Organisation der Sommerschule, gefördert durch die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, griff MARTIN MULSOW (Erfurt/Gotha) eine Thematik auf, die Teil intensiv geführter Debatten ist, beispielsweise die Umbenennung der Berliner „Mohrenstraße“ in „Anton-Wilhelm-Amo-Straße“. Der Ort der Sommerschule war ebenfalls passend gewählt, da auch in Gotha „Hofmohren“ lebten, wie die Fourierbücher belegen. Während des Workshops gab es nicht nur die Möglichkeit zur gemeinsamen Diskussion von Texten, sondern es rückten auch künstlerische Darstellungen wie Gemälde und figürliche Objekte in den Fokus. Verschiedene thematische Seminareinheiten und Vorträge ermöglichten den Teilnehmenden einen Einblick in die aktuelle Forschung.
In seinem Eröffnungsvortrag führte Martin Mulsow in die Thematik ein und betonte bereits die Ambivalenz, mit der PoC in der Frühen Neuzeit betrachtet wurden. Einerseits waren sie mit kulturellen Herausforderungen, einer oft geringen Lebenserwartung und einer stets prekären Stellung konfrontiert, andererseits hatten sie als prestigeträchtige Diener an den Höfen eine große Nähe zum Adel und konnten mitunter in verhältnismäßig privilegierte Positionen aufsteigen.
Die Frage nach Freiräumen und Grenzen selbstbestimmten Handelns schwarzer Bediensteter an deutschen Adelshöfen wurde insbesondere in dem Beitrag von ANNE KUHLMANN-SMIRNOV (Berlin) thematisiert, die mit ihrer Dissertation „Schwarze Europäer im Alten Reich. Handel, Migration, Hof“ (2013) bereits einen entscheidenden Beitrag geleistet hat. Ihren Vortrag umrahmten zwei Einzelschicksale, zum einen das von Christian Ferdinand Mohr (1650–1702), dessen Präsenz am Bayreuther Hof aufgrund seiner Tätigkeit als Pauker sehr gut belegt ist. Zum anderen nannte sie Samuel Ramsey, der am Hof in Dresden angestellt war und der in einem kürzlich erschienenen Ausstellungskatalog von Matthias Donath und André Thieme Berücksichtigung findet.1 Kuhlmann-Smirnov legte anschaulich dar, dass es unterschiedliche Formen einer Integration am Hof gab, beispielsweise von „oben“ mithilfe der Taufe, die obligatorisch war.
Am zweiten Tag setzte PETER BURSCHEL (Wolfenbüttel) einen anderen inhaltlichen Schwerpunkt, indem er den Begriff des „(Hof-)Mohren“ anhand einer weiteren Perspektive betrachtete, nämlich die der Hautfarbe. Er stellte die These auf, dass diese erst im Verlauf der Frühen Neuzeit zu einem Unterscheidungsmerkmal wurde, das es erlaubte, interkulturelle Begegnungen „chromatisch zu strukturieren, zu klassifizieren und nicht zuletzt auch zu hierarchisieren“. Er sieht es dabei als entscheidend an, dass Hautfarbe zu einem Kriterium für kulturelle „Reinheit“ wurde. Mitte des 17. Jahrhunderts kam jedoch die Problematik der Abstufung von „Rassen“ hinzu. Fundiert wurden die Ausführungen anhand der Gemälde ethnographischer Typenporträts (unter anderem Eckhout), in denen nichteuropäische Menschen exotisiert werden. Insbesondere die Frage, inwiefern dies als kolonialer Gegendiskurs gedeutet werden kann, wurde anschließend rege diskutiert.
Zahlreiche Quellen zur Thematik der Sommerschule gibt es in der Forschungsbibliothek Gotha. MONIKA MÜLLER (Stiftung Schloss Friedenstein) gab den Teilnehmenden in einer Führung einen Einblick in die umfangreichen Bestände der Einrichtung, die neben seltenen Drucken auch verschiedene Handschriften, unter anderem Reiseberichte, seit dem Mittelalter beherbergt. Die historischen Räumlichkeiten der Bibliothek, die sich im Schloss Friedenstein befinden, gaben gleichzeitig einen Einblick in die höfische Repräsentation der Frühen Neuzeit. Während der gesamten Woche bestand die Möglichkeit, die hier verfügbaren Quellen für Recherchen zum Thema der Summerschool oder für eigene Forschungsprojekte zu nutzen.
MESSAN TOSSA (Lomé) wandte sich in seinem Vortrag dem philosophischen Diskurs in der Frühen Neuzeit zu, indem er in seinem Vortrag europäische Vorstellungen von Afrika und Afrikaner:innen im Zeitalter der Aufklärung in den Blick nahm. Seiner Meinung nach tendiert die moderne Historiographie dazu, die Existenz multiethnischer Akteur:innen zu übersehen, weshalb die Schriften der Philosophen noch einmal neu gelesen werden sollten, um die zeitgenössischen Vorstellungen nachzuvollziehen. Sein Vortrag regte die Teilnehmenden zu einer Debatte an, die vor allem mit Blick auf Kant geführt wird: Wie geht man mit Personen um, die als bedeutende Gestalten der Aufklärung kanonisiert sind, aber mitunter auch rassistische Texte veröffentlicht haben?
KERSTIN VOLKER-SAAD (Berlin) leistete gleich zwei Beiträge zur Sommerschule. Zum einen weitete sie in ihrem Impulsvortrag den Blick auf die afrikanischen Herkunftsregionen der Versklavten an deutschen Höfen aus, indem sie eine Sklavenroute durch Äthiopien, den Sudan und Ägypten vorstellte. Anschließend ermöglichte sie den Teilnehmenden in ihrer Rolle als Ethnologin, die an der exemplarischen Erschließung der Bestände der Sammlung Schloss Friedenstein arbeitet, die Auseinandersetzung mit konkreten Objekten im Gothaer Perthes-Forum. So konnten unter anderem zwei Gemälde betrachtet werden, auf denen „Hofmohren“ abgebildet sind.
ADRIAN MASTERS (Tübingen) stellte in seinem Vortrag die Frage, ob es im frühneuzeitlichen Madrid trotz der Expansion des spanischen Kolonialreiches wirklich so wenige kulturelle Konflikte gab wie die bisherige Historiographie nahelegt. Stattdessen stellte er die These auf, dass die Stadt eine stark multiethnisch geprägte Kontaktzone war. So sprechen die Quellen dafür, dass bis zu zehn Prozent der Einwohner schwarz waren, wobei es sich keineswegs ausschließlich um Unfreie handelte. Vielmehr habe es einen „Afro-Kosmopolitismus“ gegeben, also eine Schicht weltläufiger, zumindest teilweise freier Afrikaner:innen oder deren Nachkommen, die sich unter anderem auf rechtlichen Wegen gegen Diskriminierung zur Wehr setzten. Damit hätten sie Einfluss auf die Entwicklung der Stadt genommen und einen Beitrag zu deren tatsächlich multikultureller Prägung geleistet.
CORINNA DZIUDZIA (Erfurt/Gotha) griff die bereits zu Beginn der Summerschool aufgekommene Problematik des Begriffs „Mohr“ auf, indem sie verschiedene (Online-)Wörterbücher und Datenbanken vorstellte. Sie machte sich für eine digitale Begriffsgeschichte anhand von digitalen Textkorpora und Sammlungen stark. Diese erweitern einerseits die Möglichkeiten qualitativer Untersuchungen, indem Quellenbelege beispielsweise über Tools wie die Suchmaschine Wörterbuchnetz auffindbar und vergleichbar gemacht werden. Andererseits können auch quantitative Untersuchungen profitieren, indem zum Beispiel die Entwicklung der Häufigkeit von Begriffsverwendungen nachvollzogen werden kann.
Dass es auch in Gotha in der Frühen Neuzeit Menschen schwarzer Hautfarbe gegeben hat und inwiefern diese interkulturellen Begegnungen nicht immer von eindeutigen Hierarchien bestimmt waren, zeigte MARTIN MULSOW in seinem Vortrag über Abba Gorgoryos. Dieser war ein abessinischer Reisender und Theologe, der in Rom Bekanntschaft mit dem Gothaer Gelehrten Hiob Ludolf gemacht hatte und diesen später in Thüringen besuchte, um ihn bei der Erstellung eines Buches über die äthiopische Sprache und Kultur zu unterstützen. Als Diskussionsgrundlage diente ein transkribierter Brief, der einen Einblick in die Organisation und Vorgeschichte der Ankunft von Gorgoryos in Gotha gibt. Hiob Ludolf ist noch heute als Begründer der Äthiopistik bekannt. Die Ausführungen haben gezeigt, dass Gorgoryos ebenfalls stark an diesem Projekt beteiligt war und es zu kurz greift, ihn lediglich als „Informanten“ zu bezeichnen.
MARKUS MEUMANN (Erfurt/Gotha) stellte den Bezug zu den Debatten der Gegenwart her, indem er versuchte, die Geschichte und Herkunft einer „Mohrenfigur“ zu rekonstruieren, die bis zu dessen Abriss am Gothaer Gasthof „Zum Mohren“ angebracht war und seit dem Frühjahr 2020 im Forschungszentrum aufgestellt ist. Während es in der lokalen Presse und im Internet unterschiedliche Theorien zur Herkunft der Figur sowie einer Verbindung nach Äthiopien gibt, machte der Vortrag deutlich, dass weder die Provenienz noch die Hinzufügung des meist als koptisches Kreuz gedeuteten Symbols in der Hand der Statuette bislang abschließend geklärt werden konnten. Es ist wahrscheinlich, dass sie nicht in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten ist, sondern nachträglich modifiziert wurde.
REBEKKA VON MALLINCKRODT (Bremen) gelang es anhand ihres Abschlussvortrages über Schwarze am Dresdner Hof, die während der Woche aufgekommenen Fragen und Diskussionen zu bündeln und anhand ihrer Forschung zu untermauern. Während Deutschland lange Zeit als „slavery hinterland“ dargestellt wurde, konnte von Mallinckrodt in ihrer Forschung zeigen, dass diese Sichtweise zu kurz greift. Auch im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gab es Menschen in Sklaverei sowie erhebliche Verbindungen zum Sklavenhandel – beispielsweise am Hof Augusts des Starken.
Am letzten Tag hatten die Teilnehmenden zudem die Möglichkeit, ihre aktuellen Forschungsprojekte oder Recherchen, die sie während ihres Aufenthaltes in den Archiven von Gotha durchgeführt hatten, vorzustellen. Außerdem war im Verlauf der Sommerschule die Idee entstanden, gesammelte Informationen über „Hofmohren“ zusammenzutragen und online frei zur Verfügung zu stellen. Als technisches Tool kann hierbei die offene Datenbank „FactGrid. A database for historians“ fungieren, eine Wikibase-Instanz, die von Olaf Simons (Erfurt/Gotha) am Forschungszentrum Gotha betreut wird. Während der Sommerschule wurden bereits einige Einträge zu der Thematik erstellt und die Plattform steht allen Interessierten zur Verfügung, die sich entsprechend einbringen möchten. Somit entsteht über die Sommerschule hinaus ein nützliches Tool, welches in Zukunft nicht nur die interdisziplinäre Zusammenarbeit, sondern auch ganz allgemein die Forschung zu der Thematik stärkt und vereinfacht.
Konferenzübersicht:
Martin Mulsow (Erfurt/Gotha): Einführung
Olaf Simons (Erfurt/Gotha): Präsentation der Datenbank „FactGrid. A database for historians“
Anne Kuhlmann-Smirnov (Berlin): Inklusion exklusiv? Freiräume und Grenzen selbstbestimmten Handelns schwarzer Bediensteter an deutschen Adelshöfen
Peter Burschel (Göttingen/Wolfenbüttel): Hautfarbe in der Frühen Neuzeit
Monika Müller (Erfurt/Gotha): Führung durch die Forschungsbibliothek Gotha
Messan Tossa (Lomé): Deutsche Vorstellungen von Afrika und Afrikanern im Zeitalter der Aufklärung
Präsentation entstehender Arbeiten von Teilnehmern/-innen
Kerstin Volker-Saad (Berlin): Die afrikanische Heimat: Sklavenrouten in Äthiopien, dem Sudan und Ägypten
Kerstin Volker-Saad (Berlin): Objekte aus der Fremde von den Anfängen der Kunstkammer bis 1822. Außereuropäische Artefakte als Botschafter außereuropäischer Kulturen
Adrian Masters (Tübingen): Afro-Cosmopolitan Madrid, 1561–1600: Slavery, Sovereignity, and Subjecthood in the Spanish Court of Habsburgs
Corinna Dziudzia (Erfurt/Gotha): (Digitale) Begriffsgeschichte am Beispiel des „Hofmohren“
Martin Mulsow (Erfurt/Gotha): Der Äthiopier Abba Gorgoryos in Gotha – eine Begegnung auf Augenhöhe
Markus Meumann (Erfurt/Gotha): Der „Mohr“ im Forschungszentrum
Präsentation und Diskussion von Ergebnissen
Rebekka von Mallinckrodt (Bremen): Sklaven und „Mohren“ am Dresdener Hof
Anmerkung:
1 André Thieme / Matthias Donath (Hrsg.), Augusts Afrika. Afrika in Sachsen, Sachsen in Afrika im 18. Jahrhundert, Königsbrück 2022.