New Area Studies – Transottoman Perspectives

New Area Studies – Transottoman Perspectives

Organisatoren
Stephan Conermann / Zaur Gasimov / Veruschka Wagner, Universität Bonn
PLZ
53012
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
21.10.2022 - 22.10.2022
Von
Veruschka Wagner, Islamwissenschaft und Nahostsprachen, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

In kritischer Auseinandersetzung mit bisherigen Untersuchungen zu Regionalstudien befassen sich neuere Ansätze damit, Räume als Ergebnis kommunikativer und imaginierter Konstruktionsprozesse zu begreifen. Diese Interaktionsräume zeichnen sich durch Beziehungen und Austausch aus, in denen Wissen, Handeln und Kommunikation grundlegende Parameter sind. Für die Forschungsprojekte des Schwerpunktprogramms 1981 „Transottomanica: Osteuropäisch-osmanisch-persische Mobilitätsdynamiken“ bedeutet dies, dass über normative und physische Grenzzonen hinweg Räume in den Fokus gerückt werden, die sich durch Mobilität entstandene Netzwerke konstituiert und bestanden haben. Diese Räume existierten parallel und überlappend mit anderen Räumen, die sich ebenfalls durch Netzwerke manifestierten. Das interessante an dieser Raumkonzeption ist, dass sie nicht durch das Konzept des Containerraums mit klaren Grenzen und Linien gekennzeichnet, sondern im Gegenteil, dynamisch, fluid und an den äußeren Enden offen gestaltet ist. Die in Bonn durchgeführte Veranstaltung befasste sich thematisch mit den New Area Studies aus transosmanischer Perspektive, um sich der Frage der Raumbildung durch Mobilität zu nähern.

Der zweitägige in Präsenz und auf Deutsch und Englisch durchgeführte Workshop beleuchtete Fallstudien des genannten Schwerpunktprogramms zu sozialen, wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und religiösen Interaktionen, die zwischen den jeweiligen Akteuren und Aktanten ein relationales Raumgefüge konstituierten. Ausgehend von der Kategorie Raum als analytische Entität, die nicht nur geographisch definierter, sondern auch als imaginierter Ort verstanden werden soll, befassten sich die Teilnehmer:innen mit den Verflechtungsbeziehungen und Verwobenheiten der mobilen Akteure, die für die Konstruktion bzw. (Re-)Produktion von Räumen grundlegend sind.

Untergliedert war die Veranstaltung in vier thematische Bereiche: „Ideology and Knowledge“, „Concept of Space and Mobility“, „Actors and Networks“ sowie „Dependencies“. Die insgesamt neun Vortragenden orientierten sich an den im Vorfeld von den Organisatoren des Workshops vorbereiteten Fragen, die als Leitfaden und als Grundlage zur Diskussion dienen sollten. Dabei ging es vor allem um Prozesse, die Räume durch Akteure und Netzwerke erzeugen. Thematische Schwerpunkte waren die Bezüge von realen und virtuellen Räumen zu Wissen, Handel und Kommunikation. Dabei formen und überschreiten Dynamiken der Immobilisierung und Mobilisierung zugleich die infrastrukturellen, politischen und administrativen Grenzen in jeweils spezifischer Weise.

Während sich die Vorträge im zweiten Panel mehr mit theoretischen Fragen der Entwicklung der Area Studies und der Erforschung von Räumen im Zusammenhang mit Mobilität befassten (STEFAN ROHDEWALD (Leipzig) und ANDREAS HELMEDACH (Bochum)) und auch Aspekte der Infrastruktur aufgriffen (FLORIAN RIEDLER (Leipzig)), konzentrierten sich die Vortragenden der anderen Panels jeweils auf spezifische Akteursgruppen und deren Netzwerke. TAISIYA LEBER (Mainz) behandelte die Frage der vormodernen Geschichte der orthodoxen Völker im transosmanischen Kontext, d.h. über das Osmanischen Reiche hinaus in Osteuropa und deren Wahrnehmung als eine gemeinsame Einheit, jenseits von staatlichen und nationalen Grenzen. Der Fokus lag nicht nur auf der historischen Vergangenheitsreferenz, sondern auch auf den divergenten Wahrnehmungen der beteiligten wissenschaftlichen Disziplinen. MALKHAZI ARCHVADZE (Bamberg) konzentrierte sich auf georgisch-iranische Geschichtsschreiber während der persischen Herrschaft über Georgien, die in ihren Geschichtswerken interkulturelle und intersprachliche Raumwirklichkeiten schafften. Die Geschichte des Königreichs Georgien erscheint je nach Schwerpunkt unterschiedlich und perspektivisch divers.

Das dritte Panel befasste sich mit der Schaffung von Räumen durch einzelne Akteure, deren physischen Mobilität und Vernetzung mit anderen Akteuren. STEPHAN CONERMANN (Bonn) illustrierte am Beispiel osmanischer Diplomaten aus Istanbul und russischer wie auch deutscher Diplomaten und Reisender aus Sankt Petersburg, die in jeweils entgegengesetzte Richtungen sich bewegten, wie Interaktionsräume auch geographisch konzipiert werden konnten. NANA KHAREBAVA (Marburg) erläuterte in ihrem Beitrag zur georgischen Feministin, Politikwissenschaftlerin und Schriftstellerin Kato Mikeladze (1878-1942), wie Frauen im (vor-)sowjetischen Georgien durch Interaktionen männlich dominierte Räume erobern konnten und sich durch schriftstellerisches Schaffen, Publikationen und Austausch auch intellektuell vernetzen und dadurch ideologisch virtuelle Räume konstruieren konnten.

Im letzten Panel setzen sich die beiden Vortragenden mit dem Thema Abhängigkeiten im Russischen Reich und den angrenzenden Gebieten auseinander. Während sich CHRISTOPH WITZENRATH (Bonn) mit der Mobilität von Sklaven und Sklavenhändlern in Bezug auf das Konzept der „slaving zones“ und „non slaving-zones“ befasste, untersuchte STANISLAV MOHYLNYI (Bonn) in seinem Beitrag Räume der Unfreiheit, in dem er sich auf die Mobilität Abhängiger wie Sklaven und Leibeigene konzentrierte, um zu analysieren, wie sich diese Räume der Freiheit schafften. Dabei hob er die Bedeutung der Nachbarregionen hervor, die als Zufluchtsorte die Bedingungen der Abhängigen stark mitbestimmten.

Grundsätzlich veranschaulichten alle Beiträge die Rolle von Mobilität bei der Entstehung von Räumen, dem Wechselspiel zwischen Mobilität und Immobilität und die Bedeutung von Grenzen, mit der Aufforderung deren Untersuchung in die Forschung vermehrt einzubringen.

Die Veranstaltung schloss mit einer Diskussion mit externen Gästen, dem Osmanisten CHRISTOPH HERZOG (Bamberg), dem Anthropologen CHRISTOPH ANTWEILER (Bonn) und der Nahosthistorikerin BIRGIT SCHÄBLER (Erfurt), zur aktuellen Situation der Area Studies innerhalb und außerhalb Deutschlands ab. Im Zentrum standen unter anderem die Fragen nach Schwachpunkten der bisherigen Forschungsansätze für Raumstudien wie etwa die institutionalisierte Vordefiniertheit von Forschungsräumen und die Peripherisierung bestimmter Zonen und deren Überwindung. Das Fazit bleibt, dass das Forschungsfeld durch konventionelle Disziplinen stark geprägt ist, die inhaltlich aber auch begrifflich Grenzen definieren und Bereiche dadurch markieren. Diskutiert wurde in diesem Zusammenhang auch die Problematik neuer disziplinärer Bezeichnungen in interdisziplinären Forschungszusammenhängen.

Konferenzübersicht:

Panel 1: Ideology and Knowledge
Chair: Zaur Gasimov (Bonn)

Taisiya Leber (Mainz): “An Orthodox Commonwealth“? Dealing with Post-Byzantine Orthodox Christian Networks through the Prism of New Area Studies

Malkhazi Archvadze (Bamberg): History Writing in Persian and Georgian Styles (The Revival of Georgian Historiography in the 17th and 18th Centuries)

Panel 2: Concepts of Space and Mobility
Chair: Stephan Conermann (Bonn)

Stefan Rohdewald (Leipzig): Transottomanica or Spatial Consolidations of „Flows“: Opening a Perspective on Meta Area Studies

Andreas Helmedach (Bochum): An Undead Area – the Venetian Republic, its Overseas Possessions (Stato da mar) and the Constructivist Approach to Area Studies

Florian Riedler (Leipzig): Transottoman Routes as Durable Mobility Networks

Panel 3: Actors and Networks
Chair: Stefan Rohdewald (Leipzig)

Stephan Conermann (Bonn): Transottoman Mobilities in the Second Half of the 18th Century: Semiospheric Entanglements along the Russian-Ottoman Embassies in the 1790s

Nana Kharebeva (Marburg): The Woman’s New Spaces: Kato Mikeladze at the Crossroads of Global Ideas and Local Boundaries

Panel 4: Dependencies
Chair: Veruschka Wagner (Bonn)

Christoph Witzenrath (Bonn): Slaving, Manumission and Redemption across the Transottoman Steppe

Stanislav Mohylnyi (Bonn): Spaces of unfreedom: social subjection, mobility and interactions in the Eastern Europe and the Ottoman Empire during the 18th century

Roundtable discussion „Area Studies“ with Christoph Herzog (Bamberg), Christoph Antweiler (Bonn), Birgit Schäbler (Erfurt), hosted by Stephan Conermann (Bonn)

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Englisch, Deutsch
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