Kompromisse im Mittelalter, Teil II

Kompromisse im Mittelalter, Teil II

Organisatoren
Jan-Hendryk de Boer, Universität Duisburg-Essen; Jessika Nowak, Universität Wuppertal; Shigeto Kikuchi, Universität Tokio
PLZ
-
Ort
digital
Land
Deutschland
Fand statt
Digital
Vom - Bis
03.02.2023 -
Von
Jan-Hendryk de Boer, Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen

Am 3. Februar 2023 fand der zweite Zoom-Workshop zu Kompromissen im Mittelalter statt. Organisiert worden ist er erneut von Jan-Hendryk de Boer (Duisburg-Essen), Jessika Nowak (Wuppertal) und Shigeto Kikuchi (Tokio) in Kooperation mit dem Forschungsprojekt „Kulturen des Kompromisses“. Wie die drei Organisator:innen in ihrer Einführung erläuterten, war das Ziel der Veranstaltung, anhand weiterer Fallbeispiele eine genauere Vorstellung von Voraussetzungen und Wirkweisen des Kompromisses während des Mittelalters in unterschiedlichen Feldern, zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Regionen zu gewinnen.

FRANCESCA LERZ (Trier) widmete sich den Anfängen des Noh-Theaters im Japan des 15. Jahrhunderts anhand der Schriften des Zeami Motokiyo, Haupt der Kanze-Schule, Schauspieler und Autor zahlreicher Noh-Stücke und Lehrbücher, die bis heute gespielt und studiert werden. Zeami genoss die Förderung des Shoguns Ashikaga Yoshimitsu. In dieser Zeit entwickelte er das Noh-Theater entscheidend weiter. Lerz zufolge musste er dabei stets Kompromisse zwischen dem eigenen künstlerischen Ideal und den Erwartungen des Publikums finden, um einerseits seiner Kunst einen Platz in der höfischen Kultur zu sichern und sich andererseits der Konkurrenz anderer Schulen zu erwehren. Zeami lehnte eine strikt imitatorische Nachahmung jeden Aspekts der Realität ab. Vor allem bei niederen Tätigkeiten sei das gänzlich inadäquat. Sein Ideal war stattdessen die Nachahmung („monomane“) als allegorische Wiedergabe der Bewegungen bestimmter menschlicher Typen. Sie sollte durch Eleganz und Anmut gekennzeichnet sein und damit interessante Charakteristika herausarbeiten. So erreiche man die „Blüte“, Metapher für die höchste Form ästhetischer Befriedigung. Zeami wusste allerdings, dass seine Vorstellungen in Teilen den Erwartungen seines Publikums zuwiderliefen. Daher galt es, in der performativen Praxis als Darsteller und Autor Zugeständnisse zu machen. Diese orientierten sich an der imaginierten Erwartungshaltung der Adressaten, die über die ihnen zugeschriebenen Ansprüche Teil des Aushandlungsprozesses wurden. Dem Shogun kam dabei die Macht zu, in letzter Instanz zu entscheiden, ob der gefundene Kompromiss Bestand haben würde. Dass Zeami unter dem neuen Shogun Yoshimochi die herrscherliche Gunst verlor, zeigt, wie prekär die gefundene Lösung blieb.

Dem europäischen Mittelalter widmeten sich die übrigen drei Vorträge. GEORG STRACK (Marburg) unterzog die Ereignisse am Ende des Investiturstreits einer Neubetrachtung. Der Geheimvertrag von Santa Maria in Turri zwischen Paschalis II. und Heinrich V. könne zweifellos als Kompromiss gelten. Die am 4. Februar 1111 geschlossene Vereinbarung nötigte beiden Seiten Zugeständnisse ab: Der römisch-deutsche König sollte bei seiner Krönung erklären, auf die Investitur in allen Kirchen zugunsten des Papstes zu verzichten. Kirchenbesitz, der nicht Reichsgut sei, wolle er zurückgeben. Der Papst sollte sich seinerseits verpflichten, die Regalien König und Reich zu überlassen. Geplant war also eine Differenzierung der Macht- und Einflusssphären von Papsttum und Königtum. Bischöfe und Adel sahen in diesem Kompromiss eine Gefährdung ihrer Position, doch auch Heinrich V. zeigte sich unzufrieden. Also ließ er Paschalis II. gefangen nehmen und presste ihm das sogenannte Pravileg ab. Darin musste der Papst dem König das Investiturrecht zugestehen und ihm sogar die letzte Entscheidung über strittige kanonische Wahlen überlassen. Doch schon im folgenden Jahr wurde dieser ungleiche Vertrag für nichtig erklärt, da er unter Zwang geschlossen worden sei. Eine Lösung wurde erst mit dem Wormser Konkordat im Jahre 1122 gefunden. Diese Einigung lässt sich, wie Strack zeigte, als Kompromiss zwischen Calixt II. und Heinrich V. lesen. Die radikalen Kirchenreformer waren jedoch nicht einverstanden. Erneut galt es, einen Kompromiss – nun in Bezug auf die Form der Zustimmung – zu finden. Gerhoch von Reichersberg zufolge bestand dieser Kompromiss darin, dass auf dem Ersten Laterankonzil keine ausdrückliche Zustimmung zu der Vereinbarung eingefordert wurde. Vielmehr wurde sie lediglich verlesen und durch Schweigen akzeptiert. So sicherte ein Kompromiss hinsichtlich der Art und Weise der Anerkennung des gefundenen Kompromisses dessen Geltung.

KATHARINA MERSCH (Bochum) untersuchte die Rolle von Kompromissen im Konflikt zwischen den Kölner Bürgern und dem Stadtherrn, dem Kölner Erzbischof, während der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Diese Auseinandersetzung präsentierte sie als Serie von Kompromissen und erneuter Eskalation. Nicht zuletzt durch die Mitwirkung von Albertus Magnus als einem der Vermittler ist der Große Schied von 1258 besonders bekannt. Diese Vereinbarung regelte die Stadtverwaltung und klärte die Rechte beider Seiten, wurde jedoch alsbald von Erzbischof Konrad von Hochstaden gebrochen. Unter dem neuen Bischof Engelbert II. blieb die Situation angespannt. In den folgenden Jahren intervenierten zahlreiche Dritte in den Streit, darunter Papst Urban IV. sowie mehrere Bischöfe und Grafen. Jede neue Sühnevereinbarung wurde vom Erzbischof wenig später aufgekündigt. Interdikt und Exkommunikation erwiesen sich Mersch zufolge als Instrumente, um die Position des Erzbischofs zu stärken, womit die lokale Kompromissfindung erschwert wurde. Erst die Beharrlichkeit der Schiedsrichter habe schließlich zu einem Einlenken Engelberts geführt, so dass der Konflikt 1266 als beigelegt erachtet werden konnte. Die Kompromissunwilligkeit der Erzbischöfe musste durch die Anstrengungen einer ganzen Region gebrochen werden. Dabei zeigte sich laut Mersch auf allen Seiten eine Bereitschaft, aus dem Scheitern der zuvor gefundenen Kompromisse zu lernen.

Schließlich lenkte MAXIMILIAN SCHUH (Duisburg-Essen/Berlin) den Blick ins spätmittelalterliche England. Er untersuchte Verhandlungen zwischen König und Aufständischen während der Peasants’ Revolt 1381 daraufhin, inwiefern sie als Kompromissfindung gelten können. Am 14. Juni trafen der junge Richard II. und die Rebellen in Mile End bei London aufeinander. Diese unterbreiteten ihre Forderungen, darunter die Abschaffung der Leibeigenschaft und das Recht zur Bestrafung der Verräter des Königs. Richard stimmte in den meisten Punkten zu, womit er die Situation zunächst befriedete. Am 15. Juni standen sich König und Rebellen im Smithfield gegenüber. Dieses Mal kam es zu einem gewaltsamen Zusammenstoß, bei dem mit Wat Tyler ein Anführer der Aufständischen getötet wurde. Richard nutzte die Gelegenheit, um sich selbst zum neuen Anführer der Rebellen zu erklären. Ein nahendes Entsatzheer zwang diese zur Aufgabe. Darin, dass der König zunächst darauf verzichtete, blutige Rache zu nehmen, zeigte sich laut Schuh eine gewisse Kompromissbereitschaft von König und Regierung. Als sie die unmittelbare Gefahr jedoch abgewehrt hätten, hätten sie zu harten Strafmaßnahmen gegriffen. Insofern handele es sich hier um fingierte Kompromisse: Der Herrscher zeigte sich kompromissbereit, solange es ratsam schien, ohne jedoch die Absicht zu haben, sich an die aus situativen Gründen geschlossenen Vereinbarungen dauerhaft zu halten. Und doch stand am Ende ein erneuter Kompromiss: Nachdem die Krone ihre Stärke hatte demonstrieren können, konnte sie auf einen konzilianteren Kurs einschwenken. Sie beschränkte sich nun darauf, nur noch die Rädelsführer zu bestrafen, und verzichtete auf die Erhebung einer Kopfsteuer.

In einer Zusammenfassung hob JAN-HENDRYK DE BOER jene Aspekte hervor, in denen die Vorträge besonders zum Weiterdenken anregten: Demnach beschränkte sich die Rolle von Kompromissen als Technik der Konfliktregulierung nicht auf die Felder Politik und Diplomatie, sondern war auch in anderen Wirklichkeitsbereichen, etwa dem Schauspiel, anzutreffen. Wichtig für das Zustandekommen, mitunter aber auch für das Scheitern von Kompromissen war die Intervention von Dritten, die Machtverhältnisse verändern, aber auch Lösungsmöglichkeiten aufzeigen konnten. Kompromisse blieben sehr instabil, wenn sie unter Zwang oder gegen den Willen einer beteiligten Partei zustande kamen. Dann nutzte die unzufriedene Seite zumeist die erste sich bietende Gelegenheit, um die Vereinbarung aufzukündigen. Das Scheitern eines Kompromisses war häufig nicht das Ende der Geschichte, sondern der Anfang der Suche nach neuen Kompromissmöglichkeiten. Hierbei spielte das Lernen aus früheren gescheiterten Versuchen eine zentrale Rolle.

Konferenzübersicht:

Jessika Nowak (Wuppertal) / Shigeto Kikuchi (Tokio) / Jan-Hendryk de Boer (Duisburg-Essen): Begrüßung und Einführung

Francesca Lerz (Trier): Kompromiss in der Noh-Theateraufführung. Die Beziehung zwischen Schauspieler und Publikum im 15. Jahrhundert

Georg Strack (Marburg): Paschalis II. und Heinrich V. – Kompromissfindung am Ende des Investiturstreits

Katharina Mersch (Bochum): Nicht kompromissfähig? Vermittlung im Streit um die Exkommunikation an einem Kölner Beispiel

Maximilian Schuh (Duisburg-Essen/Berlin): Nur ein fauler Kompromiss? Konfliktregelung auf dem Höhepunkt der Peasants’ Revolt (1381)

Jan-Hendryk de Boer: Zusammenfassung

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