Die vierte Auflage der digital stattfindenden Wuppertal-Bochumer Hochmittelaltertage stieß zum wiederholten Male auf großes Interesse und brachte rege Diskussionen zwischen Referent:innen und Zuhörer:innen.
SABRINA VOGT (Zürich) referierte zu verheirateten Klerikern in merowingischer Zeit. Sie blickte nach Gallien im 6. Jahrhundert, wo verheiratete Kleriker nicht außergewöhnlich waren, sexuelle Enthaltsamkeit jedoch für die Amtsausführung vorgeschrieben war. Dem Werk Gregors von Tours – im Gegensatz zu den Synodalakten, die allgemein vom höheren Klerus sprechen – ist der spezifische Blick auf verheiratete Bischöfe zu entnehmen. Beiden Quellen ist dabei die verstärkt formulierte Forderung nach sichtbarer klerikaler Keuschheit gemeinsam, was eine physische Trennung des Klerikers von seiner Frau zur Folge hatte. Diese Entwicklung fand Niederschlag in den Synodalbeschlüssen und auf ebendiese bezugnehmend auch bei Gregor von Tours.
SOFIE AUER (Wuppertal) widmete sich der Sanctio in den Briefen und Urkunden Gregors VII., wobei das Register in der Edition Caspars vollständig vorliegt. Nach einer allgemeinen Definition der Sanctio als Strafandrohung ging Auer konkret auf ebendiese bei Gregor VII. ein. In den Privilegien zeige sich demnach eine schon im Ansatz von Schematisierung bei Gregor dem Großen zu findende standardisierte Sanctio ohne ausladende Verfluchungen. In den Briefen hingegen wurde eine weitgehend konkrete Form nachgewiesen. Darin sind als Strafen die Exkommunikation, das Anathem, das Interdikt und die Deposition/Suspension festgehalten, wobei auch der angedrohte Huldentzug Eingang in die Sanctio fand. Gerade letzterer sei bei Gregor VII. eine nennenswerte Größe gewesen.
LEA RAITH (Köln/Münster) betrachtete die kölnische Hagiographie in der Zeit vom 10. bis zum 12. Jahrhundert. Sie verdeutlichte, dass der Bezug auf eine gemeinsame Vergangenheit einer der wichtigsten Selbstvergewisserungsmechanismen sozialer Gruppen war. Dabei konnte die Stadt Köln aus einer Vielzahl an Legenden und Heiligen schöpfen, die vom Klerus verschriftlicht und tradiert wurden. Für die in erster Linie als Kirchengemeinde konstituierte Kölner Bürgerschaft dienten diese Erzählungen als Brücke, wovon Raith Maternus’ Traktat zur Gründung des Erzbistums und das Annolied beispielhaft näher betrachtete. Neben die religiöse Dimension dieser Lokallegenden trat damit auch die historische Funktion der Verankerung der Gemeinschaft in der Geschichte, wobei die wohlhabende städtische Oberschicht des 12. Jahrhunderts den bis dahin tradierten Erzählungen eigene zur Seite stellte.
JAN LEMMER (Bochum) referierte zu Inschriften und Raum als soziales Element. Dabei sprach er zu Form und Stoff der Schrift auf Baukörpern sowie zu Tiersymbolen, die zusätzlich zu den Inschriften zu betrachten seien. Dabei hob Lemmer hervor, dass die Sinnzuschreibungen von Inschriften zum Teil konträr verlaufen würden, jedoch im sozialen Raum fixiert würden. Es gäbe demnach eine „soziale Bedeutungszuschrift im Raum“, wobei auch der Anbringungsort eine Rolle spiele. Am Beispiel des Kathedralportals von Saint-Denis machte er fest, dass es wörtliche Parallelen zu patristischen Texten bzw. den Kirchenvätern wie Ambrosius von Mailand gebe. Die Inschriften seien zwar an einen theologisch gebildeten Adressatenkreis gerichtet, jedoch habe die Inschrift allgemein als legitimatorisches Mittel fungiert.
MIRIAM PEUKER (Greifswald) ging auf monastisch-geistliche Netzwerke ein und nannte das Beispiel des Klosters Lahde, das in Konkurrenz zum Zisterzienserkloster Loccum stand. Nach einer Skizze der Kriterien einer Datenerhebung der Urkunden aller Mindener Bischöfe von 1206 bis 1306 konnten die meisten Urkunden betreffs Lahde unter Bischof Johann von Minden festgestellt werden. Dabei fanden Frauenklöster nicht nur aufgrund ihrer quantitativen Menge Niederschlag in den bischöflichen Urkunden, sondern sie wurden bewusst durch den Mindener Episkopat gefördert, wobei auch eine verwandtschaftliche Nähe als Grund für die Berücksichtigung angenommen werden kann. Das Kloster Loccum sei selbst unter Bischof Johann allerdings der größte Profiteur der bischöflichen Zuwendungen gewesen.
Die vierte Ausgabe der Wuppertal-Bochumer Hochmittelaltertage konnte abermals verdeutlichen, wie vielfältig die Epoche des Hochmittelalters ist. Die Beiträge zeigen, dass diese Epoche aus reichs-, papst- und landesgeschichtlicher Perspektive noch manchen Fragen offenhält und weitere Forschung diese erhellen können.
Konferenzübersicht:
Jochen Johrendt (Wuppertal) / Gerhard Lubich (Bochum): Begrüßung
Sabrina Vogt (Zürich): Verbotene Hochzeiten und getrennte Betten. Verheiratete Kleriker in den Quellen der Merowingerzeit
Sofie Auer (Wuppertal): Die Sanctio in den Briefen und Urkunden Gregors VII.
Lea Raith (Köln/Münster): Quasi Historia. Kölner Stadtgeschichte in der Hagiographie des 10.–12. Jahrhunderts
Jan Lemmer (Bochum): Nobile claret opus, sed opus, quod nobile claret… Soziale Artefakte und ihre Codierung als dynamische Darstellungsstrategie politisch-klerikaler Würdenträger des 12. Jahrhunderts. Drei Fallbeispiele
Miriam Peuker (Greifswald): Überlegungen zur Funktion der Bischöfe von Minden im Netzwerk des Dominkanerinnenklosters Lahde im 13. Jahrhundert