Die Frühe Neuzeit gilt allgemein als das erste Medienzeitalter. Kommunikation und Medien waren zwar keine Erfindung der Epoche, bekannte Erfolgsgeschichten wie die Erfindung der Druckerpresse oder der Ausbau des Postwesens ab dem 16. Jahrhundert beschleunigten aber die Verbreitung und Verfügbarkeit von Informationen in bisher ungeahntem Ausmaß. Mit der Zunahme der verfügbaren und potentiell relevanten Informationen sank gleichzeitig auch die Zeit, die für die Evaluation von deren Glaubwürdigkeit aufgewandt werden konnte. Dass sich die Politik in diesem Zuge aber nicht dem Zwang zur Sammlung und Zentralisierung von Wissen entziehen konnte, machte die Ausbildung neuer Strategien zur Informationsevaluation nötig. Anhand von fünf Fallbeispielen, die sich über Europa und Asien erstreckten, beleuchtete die von Matthias Pohlig (Berlin) und Nadir Weber (Luzern) geleitete Sektion, mit welchen Methoden politische Akteure der Frühen Neuzeit auf diese Entwicklungen reagierten.
In ihrer einführenden Darlegung wiesen die Sektionsleiter auf die Ambivalenzen in den zuvor genannten Erfolgsgeschichten hin. Die Erfindung des Buchdrucks und die Implementierung neuer Postsysteme in der Frühen Neuzeit hätten zwar zu einer beschleunigten und vereinfachten Verbreitung von Informationen geführt. Jedoch brachte die zunehmende Verfügbarkeit von Informationen in der Frühen Neuzeit auch Herausforderungen mit sich. Informationsüberfluss, Unsicherheit bezüglich der Informationsquellen und die Präsenz potentieller Falschinformationen führten bereits in dieser Epoche zu erheblichem Unbehagen und intensiven Debatten. Der Bedarf nach sorgfältiger Evaluation von Informationen wurde größer und rückte insbesondere für frühneuzeitliche Regierungen in den Mittelpunkt, da die Prozesse der Staatsbildung einen wachsenden Bedarf an zeitnahen, präzisen und zutreffenden Informationen mit sich brachten. Paradoxerweise begünstigte das von frühneuzeitlichen Herrschenden praktizierte Prinzip der Arkanpolitik jedoch auch die Verbreitung von Falschnachrichten und Gerüchten. Damit leiteten die Sektionsleiter zu den zentralen Fragestellungen der Sektion über, die in den einzelnen Beiträgen aufgegriffen und vertieft wurden. Wie konnten Informationen in der Frühen Neuzeit überprüft und evaluiert werden? Wie wurde Vertrauen zu Informant:innen hergestellt? Inwiefern konnten persönliche und zeitliche Distanzen bei der Informationsübermittlung überbrückt werden? Und gab es schließlich Unterschiede im Umgang mit Information und derer Evaluation in verschiedenen politischen Systemen?
NADINE AMSLER (Basel) zeigte in ihrem Eröffnungsvortrag, dass bei unerwarteten Nachrichten nicht nur die Information selbst, sondern auch der Bote evaluiert werden musste. Als 1653 an der römischen Kurie der polnische Jesuit Michael Boym eintraf und behauptete, im Auftrag der letzten, zum Christentum konvertierten Kaiserin der chinesischen Ming-Dynastie, zu kommen, stieß er auf großes Misstrauen. Nicht nur die Rolle der chinesischen Riten und der dortigen Jesuiten sorgten für Diskussionen an der Kurie, sondern auch die Frage nach der Relevanz der monatelang gereisten Informationen angesichts des fortlaufenden Krieges. Obwohl Boym auch externe Dokumente, die die Glaubwürdigkeit seiner Aussagen und Schreiben bestätigen sollten, vorlegte, strengte die Kurie einen umfangreichen Evaluationsprozess an. Zwar bat der Jesuit lediglich um eine päpstliche Audienz sowie spirituellen Beistand und weitere Missionare, dennoch musste er über zwei Jahre an der Kurie warten. Diese holte bei externen Experten Meinungen zu Boym und seinen Informationen ein und ließ auch die Dokumente auf äußere authentische Merkmale hin untersuchen. Nach einer letztlich gewährten päpstlichen Audienz am 7. Dezember 1655 musste der Jesuit allerdings mit wohlwollenden, aber unverbindlichen Briefen des Papstes abreisen.
SUSANNE FRIEDRICH (München) setzte sich in ihrem Vortrag ebenfalls mit der Bewertung interkontinentaler Informationsflüsse auseinander. Als Fallbeispiel dienten dabei die Berichte, die die Direktoren der niederländischen Ostindienkompanie (VOC) gegenüber den Generalstaaten, ablegen mussten. Die Informationen der Direktoren basierten wiederum auf den mündlichen oder schriftlichen Berichten, zu denen die zurückkehrenden Schiffskommandanten verpflichtet waren. Diese enthielten nicht nur bloße Informationen, sondern auch kontextualisierende Fakten oder Interpretationen der Kapitäne, die eine Verarbeitbarkeit erleichtern sollten. Auf dieser Basis mussten die Direktoren die Informationen, die sie erhielten, nicht nur evaluieren, sondern auch deren potentielle Wirkung abschätzen. Da es sich bei der VOC um eine börsengehandelte Aktiengesellschaft handelte, konnten positive oder negative Neuigkeiten schnell zu grossen Kursbewegungen führen. Gleichzeitig war es aufgrund der Größe der Generalstaaten, zu deren Mitgliedern auch viele Händler zählten, quasi ausgeschlossen, dass diese Informationen lange vertraulich blieben. Dementsprechend verfolgten die Direktoren der VOC eine Kommunikationsstrategie, die weniger auf Transparenz als auf Antizipation der Reaktion ausgelegt war. Neuigkeiten wurden also nur nach einer Reflexion über die Erwartungshaltung der Generalstaaten und der Öffentlichkeit beziehungsweise der Aktionäre mitgeteilt. Mussten negative Informationen kommuniziert werden, konnten diese günstig verpackt oder zurückgehalten werden, sofern aufgrund der zeitlichen und räumlichen Distanz, die zu mehrmonatigen Verzögerungen im Informationsfluss führte, keine zeitnah eintreffenden Widersprüche erwartet werden mussten. Diese Strategie wurde aber wiederum von anderer Seite antizipiert, was dazu führte, dass es regelmäßig Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Geschäfte der VOC gab und die Berichte der Direktoren mit Skepsis bezüglich ihres Wahrheitsgehaltes und ihrer Vollständigkeit rezipiert wurden.
ELISABETH LOBENWEIN (Rom) untersuchte Informationsflüsse von der Hohen Pforte zum römisch-deutschen Kaiserhof im Zeitraum 1664–1683. Im Zentrum stand dabei nicht nur die Rolle der kaiserlichen Gesandten, sondern auch die der sogenannten Dragomane. Diese Einheimischen fungierten nicht nur als Dolmetscher zwischen Gesandten und Hof, sondern nahmen auch eine essentielle Rolle als Broker und Knotenpunkte der Informationsflüsse ein. Hauptaufgabe der Gesandten war die Informationssammlung und Weiterleitung. Eine eigenständige Informationsbeschaffung war ihnen, auch aufgrund fehlender Sprachkenntnisse, aber fast ausnahmslos in Audienzen beim Sultan oder hochrangigen Beamten möglich. Zwar wurden diese Treffen dann in den Berichten bezüglich des Gesagten, der Umgebung, Stimmung und Reaktionen auch detailliert wiedergegeben, aufgrund ihrer niedrigen Frequenz – bestenfalls fanden Audienzen unregelmäßig alle paar Monate statt – reichten sie aber nicht aus, um einen ständigen Fluss relevanter Informationen aufrechtzuerhalten. Da die Gesandten darüber hinaus auch nicht am Hof lebten sowie stets überwacht wurden und es aufgrund von Rangstreitigkeiten unter ihnen eher selten zu Kooperation kam, waren sie auf externe Akteure zur Informationsgewinnung angewiesen – diese Rolle übernahmen die Dragomane. Diese standen offiziell in Diensten des Kaisers und konnten deshalb eine gewisse Glaubwürdigkeit für sich reklamieren, auf die die Gesandten auch vertrauen mussten, da es ihnen an eigenen Wegen zur Verifizierung fehlte. Als einheimische sprachkundige Akteure konnten die Dragomane aber auch Diener mehrerer Herren sein und Informationen strategisch geschickt einsetzen. Aufgrund der Rahmenbedingungen für die Gesandten blieben sie aber dennoch die wichtigste Quelle, um an Geheiminformationen zu kommen und sich über die Erfüllung ihrer regelmäßigen Berichtspflicht dem Kaiser gegenüber als treue Diener zu inszenieren.
MATTHIAS POHLIG (Berlin) fragte in seinem Beitrag danach, wie die englische Regierung im Spanischen Erbfolgekrieg an zutreffende, kriegsrelevante Informationen kam. Im Krieg war nicht nur das Beschaffen, sondern besonders auch die Evaluation von eingehender Information erschwert. Der ständige Zeitdruck verunmöglichte gängige Strategien der Informationsüberprüfung, wie etwa das Einholen von Augenzeugenberichten. Dies führte dazu, dass trotz einer großen Menge an verfügbarer Information ein strukturelles Nachrichtendefizit vorherrschte, da ein Großteil der Informationen unsicher und nicht überprüfbar war. Anhand zweier Beispiele illustrierte Pohlig, wie die mangelnde Informationssicherheit zu Fehlentscheidungen führen konnte. Im französischen Camisardenaufstand (1702–1710), der von England unterstützt wurde, vermochte die Englische Regierung nicht zwischen Hochstaplern und tatsächlichen Anführern des Aufstands zu unterscheiden. Obwohl ansatzweise überprüft wurde, ob die Leute etwa in vertrauenswürdige Netzwerke eingebunden waren oder gar über Patronagebeziehungen verfügten, führte die schlechte Überprüfbarkeit dazu, dass mehrmals Hochstapler finanzielle Beiträge von Seiten der Regierung erhielten. Die englische Unterstützung des Aufstands scheiterte schließlich komplett, was zu großen Teilen der schlechten Informationslage zuzuschreiben ist. Ähnliche Probleme stellte Pohlig auch in den Friedensverhandlungen nach der Schlacht von Malplaquet (1709) fest. In den Friedensgesprächen stellten die Alliierten Bedingungen an Frankreich, die so hart waren, dass sie zum Scheitern der Verhandlungen führten. Die in der Situation unangemessenen Forderungen werden verständlich, wenn die Informationslage Englands berücksichtigt wird. Fälschlicherweise berichteten Spione und Informanten von apokalyptischen Zuständen in Frankreich, die die englische Regierung vermuten liessen, dass Frankreich auf einen Frieden um jeden Preis angewiesen sei. Diese Fehlinformationen, die nicht richtig evaluiert werden konnten, führten zu einem gänzlich verfälschten Bild der Lage und zu Fehleinschätzungen auf Seiten Englands, die den Misserfolg der Friedensverhandlungen zur Konsequenz hatten. Pohlig konnte damit aufzeigen, dass in diesem Fall die Zusammenhänge zwischen Information und politischer Entscheidung unmittelbar waren. Schlechte Informationssicherheit und nicht evaluierbare Falschnachrichten führten zu strategischen Fehlentscheiden, die für frühneuzeitliche Regierungen verheerend sein konnten.
Zuletzt befasste sich NADIR WEBER (Luzern) mit der Informationsbeschaffung und -evaluation in den sogenannten Geheimen Räten in frühneuzeitlichen Republiken. Ausgehend vom Beispiel Venedig zeigte Weber, wie der consiglio dei dieci ein zentralisiertes Nachrichtensystem aufbaute, in welchem Informationen nicht nur gesammelt, sondern auch auf ihre Glaubwürdigkeit, Dringlichkeit und Relevanz evaluiert wurden. Beeinflusst vom venezianischen Vorbild errichtete auch ein großer Teil der Städte- und Länderorte der Alten Eidgenossenschaft Geheime Räte. Zu deren Aufgaben gehörte ebenfalls die Beschaffung und Evaluation von Informationen, im Unterschied zu Venedig konnten sie jedoch nicht auf einen institutionalisierten, dauerhaften Informationsfluss zurückgreifen. Stattdessen waren laut Weber die personalen Netzwerke der Geheimen Ratsherren ausschlaggebend, die sich über ganz Europa erstreckten. Die Ratsherren standen auch im Zentrum der Informationsevaluation und beurteilten die eingehenden Nachrichten auf ihre Glaubwürdigkeit und Relevanz. Wurden die Informationen für wichtig erachtet, gaben sie diese an andere Räte weiter. Die Geheimen Räte hatten somit in der alten Eidgenossenschaft einen bemerkenswerten Einfluss auf das "Agenda-Setting" der Politik. Weber betonte jedoch, dass eine zu starke Machtkonzentration in den Geheimen Räten durch Kontrollmechanismen wie die Rotation von Ämtern oder Rechenschaftspflichten verhindert wurde. Das Mehr an Kontrolle ging freilich mit dem Defizit einher, dass Information selbst in den Geheimen Räten kaum geheim gehalten werden konnten. Der Umgang mit Informationen in den frühneuzeitlichen eidgenössischen Orten zeichnete sich Weber zufolge deshalb durch eine Dialektik von Geheimhaltung und Öffentlichkeit aus.
In der anschließenden Diskussion wurden zentrale Punkte der Sektion erneut aufgegriffen. Angesprochen wurden die Herausforderungen eines Informationssystems, das mehrheitlich auf personalen Beziehungen und Vertrauen basierte. Informant:innen und Spione konnten eigene Interessen verfolgen, hielten bewusst Informationen zurück und dienten mehreren Auftraggebenden. Der Wahrheitsgehalt von Nachrichten war somit schwer einzuschätzen und noch schwieriger zuverlässig überprüfbar, gerade in Kriegszeiten. Obwohl frühneuzeitliche Systeme der Informationsgewinnung somit anfällig für Falschinformationen und die Weiterverbreitung von Gerüchten waren, wiesen die Vortragenden darauf hin, dass sie funktionaler waren, als dies auf den ersten Blick vermutet werden könnte. So waren Informant:innen in Netzwerke eingebunden, deren Vertrauenswürdigkeit evaluiert werden konnte und der Wahrheitsgehalt von Informationen konnte durch Akkumulation und Vergleich von verschiedenen Quellen eingeschätzt werden. Zudem erhöhten wechselseitige Kontrollmechanismen und die Marktförmigkeit von Nachrichten die Zuverlässigkeit der eingehenden Informationen. Auch eine der größten Schwierigkeiten – die Informationsübermittlung über große Distanzen – wurde kreativ angegangen und im Lauf der Frühen Neuzeit massiv verringert.
Sektionsübersicht:
Sektionsleitung: Matthias Pohlig (Berlin) / Nadir Weber (Luzern)
Matthias Pohlig (Berlin) / Nadir Weber (Luzern): Einführung
Nadine Amsler (Basel): Ein Hilferuf aus China? Rom und der Brief der letzten Kaiserin der Ming-Dynastie
Susanne Friedrich (München): Von Rechenschaftspflichten und Geschäftsgeheimnissen. Die Nachrichtenweitergabe der niederländischen Ostindienkompanie (VOC) an die Generalstaaten im 17. Jahrhundert
Elisabeth Lobenwein (Rom): Politische Korrespondenz und die Kunst der Beurteilung von Informationen. Kaiserliche Residenten an der Hohen Pforte (1664–1683)
Matthias Pohlig (Berlin): Unmöglich und notwendig. Die Informationsevaluation der englischen Regierung im Spanischen Erbfolgekrieg und ihre Rahmenbedingungen
Nadir Weber (Luzern): Diskrete Nachforschungen. Geheime Räte und obrigkeitliches Informationsmanagement in der Eidgenossenschaft um 1700