Forschungstag zum englischen Mittelalter, den Britischen Inseln und Irland 2023

Forschungstag zum englischen Mittelalter, den Britischen Inseln und Irland 2023

Organisatoren
Jörg Schwarz, Universität Innsbruck; Dominik Waßenhoven, Universität zu Köln
Ort
Innsbruck
Land
Austria
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
21.09.2023 - 22.09.2023
Von
Felix Schulz, Institut für Geschichte und Europäische Ethnologie, Universität Innsbruck

Der diesjährige Forschungstag von „fembi“ (Forschungsportal zum englischen Mittelalter, den Britischen Inseln und Irland)1 fand zum ersten Mal an der Universität Innsbruck statt und soll künftig alternierend in Innsbruck und Köln stattfinden. Die Tagung begann mit einem kurzen Gedenken an die im letzten Jahr verstorbene Alheydis Plassmann, die das Portal maßgeblich begründet hat. Der Grundgedanke, Forschenden fächerübergreifend eine Plattform zu bieten, um ihre abgeschlossenen oder laufenden Projekte zum britisch-irischen Mittelalter vorzustellen und dabei das Mittelalter in seiner ganzen Breite abzudecken, soll auch künftig beibehalten werden.

Zu Beginn beschäftigte sich ROBIN WHEELER (Berlin) mit der Sozialstruktur im ländlichen England während der Great Famine 1315-17. Gegenstand der Untersuchung bildeten die Court Rolls der Grundherrschaft Wakefield in Nordengland, welche auf Zusammenhänge zwischen Sozialstruktur und Kriminalität in drei Bereichen hin untersucht wurden. In Bezug auf Eigentumsdelikte hätte sich die soziale Verteilung (Grundherren und Dorfgemeinschaft am häufigsten als Opfer) durch die akute Mangellage nicht geändert. Statt offener Rebellionen wäre zudem häufig die Missachtung grundherrlicher Vorrechte (z.B. Mühlenzwänge) zu erkennen, wodurch bestehende Konflikte verstärkt würden. Zuletzt legten die Quellen nahe, dass eine Neuaushandlung von Kriminalität stattgefunden habe.

MARIA PIESCHACON-RAFFAEL (München) gab einen Einblick in den aktuellen Stand ihres Dissertationsprojektes zu Städtebelagerungen im Hundertjährigen Krieg, das weniger militärgeschichtliche Fragestellungen, sondern die Resilienz einer Stadt unter Belagerung sowie die Bewältigungsstrategien der Bevölkerung in den Fokus nehmen will. Analysekategorien sind dabei Akteure und sozialer Raum, Kommunikative Strategien, ökonomische Handlungsspielräume, Sanktionierungs- und Regulierungsmaßnahmen. Am Beispiel der drei Belagerungen von Caen (1346, 1417 und 1450) stellte sie Beispiele des in England recherchierten Archivmaterials vor (z.B. Rechnungslisten mit Ausgaben für durch den Krieg beschädigte Häuser oder Musterungen für den Bailli von Caen).

REBECCA ECKHARDT (Düsseldorf) schloss in ihrem Vortrag an die Forschungsrichtung nach mächtigen Frauen an und fragte nach der Bildung Emmas von der Normandie, Königin von England (Tod 1052), insbesondere nach ihrer Latinität. Da in den Quellen keine Belege dafür existieren würden, spreche ihr die Forschung bisweilen ab, die lateinische Sprache beherrscht zu haben. Lateinkenntnisse seien als Grundlage der politischen Partizipation und der Bewältigung gesellschaftlich geforderter Aufgabenbereiche für Fürstinnen jedoch wesentliche Voraussetzung für weibliche Handlungsautorität gewesen, welche Emma unbestritten besessen habe. Auch aufgrund der ausgeprägten Bildungsbewegung und -tradition am normannischen Hof sei eine Schulung Emmas deshalb sehr wahrscheinlich. Obwohl die Quellen über die Bildung von Frauen meist schweigen würden, müssten für eine Bewertung alle verfügbaren Aspekte berücksichtigt werden. In Bezug auf Emmas Mäzenatentum wurde zuletzt die Frage aufgeworfen, inwieweit bei einigen von ihr geförderten Texten eine Mitautorschaft Emmas in Betracht gezogen werden kann und ob darin politische Intentionen zu erkennen sind.

Einen über den Fokus auf Mächtige Frauen hinausgehenden Ansatz präsentierten MAXIMILIANE BERGER und MARIA TRANTER (Basel) mit dem an der Universität Basel angesiedelten Projekt „AEMUL∗AE. Frauen und Konkurrenzen im englischen Hochmittelalter.“ Für den Zeitraum von 900-1300 solle mit einem geographischen Zuschnitt auf Nordwesteuropa auf Basis historiografischer Quellen im weitesten Sinne die Frage nach Existenz und möglichen Formen einer mittelalterlichen Geschlechterkonkurrenz untersucht werden, wobei unter dem Oberbegriff doctae die Teilbereiche Religion, Krieg und Herrschaft (sponsae, bellatrices, dominae und amicae) unterschieden würden. Der zugrunde liegende Konkurrenzbegriff gehe von einer Kompetitivität mehrerer Parteien um dasselbe Gut (materiell oder sozial, rival und knapp) aus und sei auf ein relationales Ergebnis ausgerichtet, wobei die Abgrenzung zum Konfliktbegriff und die Differenzierung des zeitgenössischen Vokabulars (emulacione, contendere, confligere…) von zentraler Bedeutung seien. Fragestellung und Methode wurden anhand der bei Osbert de Clare beschriebenen Konkurrenz des Old Minster und des Nunnaminster mit ihren jeweiligen Schutzheiligen Swithun und Edburga um Bittsteller und finanzielle Mittel in Winchester 960 illustriert.

MATTHIAS BERLANDI (Utrecht) richtete den Blick auf das spätmittelalterliche Schottland. Im Zentrum der Untersuchung standen die noch weitgehend unerforschten spätmittelalterlichen Bonds of Manrent, in welchen sich die Aussteller ohne auf den ersten Blick erkennbare Gegenleistung zu Loyalität gegenüber dem Empfänger verpflichteten, was deshalb von der älteren Forschung 2 als Ausdruck für das Ende des Feudalismus und ein Mittel der Pazifizierung angesehen wurde, was durch jüngere Studien jedoch kritisiert worden sei. 3 Nach Berlandi könne man eine Klassifizierung in drei Gruppen vornehmen: Während die Bonds of Manrent umgekehrte Feudalverträge darstellen würden, könne man zudem zwischen Bonds of Obligation (z.B. in Form von gewisse Vergünstigungen zusichernden Vorverträgen, die als Mittel der Rechtssicherheit maßgeblich zur langfristigen Zentralisierung der Rechtsprechung beigetragen hätten) und Bonds of friendship (Verschriftlichung der Friedenseide nach einer Fehde, Mittel zur Pazifizierung) unterscheiden. Anders als „klassische“ Feudalverträge seien die Bonds of Manrent jedoch deutlich flexibler in Bezug auf die Dienste, die geleistet werden müssen. So seien manche Bonds of Manrent eher als Familienverträge anzusehen, andere wiederum würden der Nachverhandlung von bestehenden Feudalverhältnissen (z.B. bei Doppelvasallitäten) dienen.

Mit dem in der schottischen Forschung bis heute zentralen Begriff der Communitas beschäftigte sich SEBASTIAN WEIL (Mainz), wobei keine abschließenden Ergebnisse, sondern eine Bestandsaufnahme der aktuellen Forschung angestrebt werden sollte. Die Vorstellung eines sich ab dem 13. Jahrhundert entwickelnden genossenschaftlichen und kommunalen Königreichs mit einer besonderen Solidarität sei u.a. von Geoffrey Barrow 4 vertreten worden, der die Kämpfe des Ersten Schottischen Unabhängigkeitskrieges als Reaktion dieses Gemeinschaftsgefühls betrachtet hätte, die berühmte Declaration von Arbroath 1320 sei ebenfalls als Beweis einer besonders fortschrittlichen Solidarität angesehen worden. Trotz kritischer Stimmen herrsche über den Begriff der Communitas in der schottischen Forschung allgemeiner Konsens. Auswertungen der Records of Parliament hätten jedoch gezeigt, dass die Verwendung des Begriffs Communitas mit Verweis auf das Königreich eher Sonder- als Regelfall gewesen und mehr als pragmatischer Begriff zur Beschreibung klar umrissener Rechtskreise verwendet worden sei. Die Vorstellung einer Volksgemeinschaft sei demzufolge mehr eine Rückprojizierung der Historiker, aber keine von allen Untertanen getragene Idee. Künftige Forschungen sollten deshalb den Fluchtpunkt „Nation“ aufgeben und stattdessen auf Basis der Quellen nach Existenz und Funktionieren von Gemeinschaften innerhalb des Königreichs und ihren Bezeichnungen fragen.

GABRIELE BONOMELLI (Kent) fragte nach den Möglichkeiten der Lollarden, durch fingierte Teufelsbriefe antiklerikales Gedankengut zu verbreiten. Ausgangspunkt der Analyse war dabei die im Register John Trefnants (Bischof von Hereford 1389-1404) überlieferte Epistola Luciferi, welche zusammen mit zwei weiteren in England um 1400 kursierenden Teufelsbriefen (die in Volkssprache verfasste Epistola Sathane und die Epistola Belial) mit den Inhalten der Lehre John Wyclifs (Tod 1384) verglichen wurden. Aus der Analyse gehe hervor, dass die Epistola Luciferi die erste Erwähnung der Lollarden beinhalte und dass sich insbesondere in der Epistola Sathane Anklänge an Wyclif finden lassen (z.B. Verurteilung der Konstantinischen Schenkung und antimendikante Rhetorik in De Diabolo). Die drei Briefe würden das Geschick der Lollarden für politische Polemik bezeugen, wobei England aufgrund der sozio-politischen Turbulenzen der 1380er- und 90er-Jahre die idealen Voraussetzungen für eine derartige Agitation geboten habe. Auch der Fokus der Lollarden auf die Volkssprache spiegle sich in ihnen wieder, was die Frage nach einer breiteren Leserschaft aufwerfe.

CHRISTIAN SCHWEIZER (Galway) untersuchte mit Dicuil einen im Vergleich zu Alkuin eher weniger bekannten irischen Gelehrten am Hof Karls des Großen. Dabei wurde besonders der bereits von Mabillon geäußerten These nachgegangen, die von Alkuin in einem Brief an Karl geschmähten und rätselhaften „ägyptischen Knaben“ („Aegyptiaci pueri“) könnten mit Iren identisch sein, die am Hof Computistik (Wissenschaft der Zeitrechnung um die Osterberechnung) betrieben und vor allem in Bezug auf die Datierung des Mondsprungs (Anti-Schalttag für den Mond) eine andere Position vertreten hätten als die Angeln und somit auch Alkuin. Dicuil (De cursu solis Iuniaque, 814-816; Liber de mensuria orbis terrae, 825) sei aufgrund seiner Methoden eindeutig als Ire und als Gegner der „Angeln“ zu identifizieren und könnte durchaus einer der „ägyptischen Knaben“ gewesen sein, wobei es auch Gegenargumente gäbe (erste Erwähnung erst 814, bevorzugter Jahresanfang). Auch weitere irische Gelehrte am karolingischen Hof (Hibernicus Exul, Dungal, Clemens Scottus, Cadac-Andreas) kämen in Betracht. Am Ende müsse eine eindeutige Zuschreibung der „ägyptischen Knaben“ jedoch Spekulation bleiben, wobei man sich Personengruppen künftig besser nicht über die Bezeichnung (inkonsistent), sondern über die Individuen nähern solle.

Zuletzt gab PETER FRAUNDORFER (Dublin) einen Einblick in ein laufendes Dissertationsprojekt über die Reichenau-Gruppe, eine besondere Gruppe irischer Handschriften (Projekt Early Irish Hands). Neben Zeitpunkt und Ort der Entstehung sollen paläografische und kodikologische Untersuchungen Aufschluss über Verbindungen zwischen den einzelnen Handschriften geben, was am Beispiel einer als „Reichenauer Schulheft“ bekannten Handschrift illustriert wurde, die Ähnlichkeiten mit drei heute in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe aufbewahrten Codices aufweise. Nach eingehenden Analysen sei der Schluss zu ziehen, dass fol. 45 und 46 der Augustinus-Schriften in Karlsruhe durch mehrere Aspekte mit dem Reichenauer Schulheft verbunden seien (Linierung, Layout, Punktationssystem, Technische Zeichen, zwei Schreiberhände), womit eine Einschätzung Bernhard Bischoffs aus dem Jahr 1877 bestätigt worden sei. 5 Weitere Untersuchungen würden die Fragen klären, ob die Haupthand des Schulhefts auch an anderen Handschriften der Reichenau-Gruppe beteiligt und ob die zweite Schreiberhand eine der Haupthände des Karlsruher Augustinus war.

In einer Abschlussdiskussion wurde eine mögliche Namensänderung des Portals diskutiert, um eine Subsumierung Irlands unter der Bezeichnung „Britische Inseln“ zu vermeiden. Verschiedene Vorschläge wurden aufgenommen und diskutiert, eine abschließende Antwort auf diese Frage steht jedoch noch aus.

Konferenzübersicht:

Sektion 1

Robin Wheeler (Berlin): Sozialstruktur im ländlichen England während der Great Famine 1315–17. Kriminalität als gesellschaftliches Brennglas.

Maria Pieschacon-Raffael (München): „La victoire est à Dieu seul“ – Caen unter mehrfacher Belagerung im Hundertjährigen Krieg (1337–1453).

Sektion 2

Rebecca Eckhardt (Düsseldorf): Emma: litterata – illitterata?

Maximiliane Berger/Maria Tranter (Basel): Aemul∗ae. Frauen und Konkurrenzen im englischen Hochmittelalter.

Sektion 3

Matthias Berlandi (Utrecht): Die Schottischen Bonds im 15. Jahrhundert. Eine funktionale und institutionengeschichtliche Analyse.

Sebastian Weil (Mainz): „One of the most advanced kingdoms of medieval Europe“? Der Communitas-Begriff und Formen genossenschaftlicher Herrschaft im spätmittelalterlichen Schottland.

Sektion 4

Gabriele Bonomelli (Kent): New perspectives on Lollard strategies of dissent: a Wycliffite Vernacular Devil’s letter (1393–1414).

Sektion 5
Christian Schweizer (Galway): Der Ire Dicuil, die „Angeln“ und die „ägyptischen Knaben“ am karolingischen Hof.

Peter Fraundorfer (Dublin): Of cats and manuscripts: Eine Fallstudie zur irischen Minuskel des 9. Jahrhunderts anhand der „Reichenau-Gruppe“

Anmerkungen:
1https://fembi.uni-koeln.de/ (06.11.2023).
2 Jenny Wormald, Lords and Men in Scotland. Bonds of Manrent, 1442–1603, Edinburgh 1985.
3 Alison Cathcart, Kinship and Clientage. Highland Clanship, 1451–1609, Leiden 2006.
4 Geoffrey Wallis Stewart Barrow, Robert the Bruce and the Community of the Realm of Scotland, Berkeley 1965.
5 Bernhard Bischoff, Irische Hände im Karolingerreich, in: René Roques (Hrsg.), Jean Scot Erigène et l’histoire de la philosophie. Laon 7-12 juillet 1975, Paris 1977, S. 47–58, bes. S. 49.

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