Kaiser Julian und seine Zeit

Organisatoren
Nicola Zito, Goethe-Universität Frankfurt; Helmut Seng, Goethe-Universität Frankfurt; Giusto Traina, Sorbonne Université, Paris
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
19.07.2023 - 21.07.2023
Von
Helmut Seng, Institut für Klassische Philologie, Johann-Wolfgang-Goethe-Universität

Neben Konstantin (306-337), der nach den letzten Verfolgungen durch seine Vorgänger dem Christentum den Weg zur vorherrschenden Religion im Römischen Reich bahnte, ist vermutlich Julian (360-363) der bekannteste Kaiser der Spätantike, sein Neffe, der das Christentum letztmals zurückzudrängen versuchte. Die Abwendung von der Religion, in der er aufgewachsen war und zu der er sich zunächst öffentlich bekannte, und die Hinwendung zu den paganen Kulten (im Rahmen seiner neuplatonischen Philosophie) brachten ihm den Schimpfnamen Apostata (der Abtrünnige) ein, unter dem er bis heute weithin bekannt ist. Die Frankfurter Tagung zielte darauf ab, neben historischen und biographischen auch philosophische und literarische Aspekte näher zu betrachten.

RICCARDO CHIARADONNA (Rom) stellte heraus, dass die Aristoteles-Kenntnisse Julians über das hinausgehen, was von einem philosophisch Gebildeten seiner Zeit zu erwarten ist. Dabei umfasst die Auseinandersetzung des Kaisers mit Themistios nicht nur im engeren Sinne philosophische Aspekte (wie etwa die Bedeutung der chaldaeisch-theurgischen Tradition), sondern auch politische Gesichtspunkte.

ADRIEN LECERF (Paris) analysierte die Auseinandersetzung Julians mit dem Kynismus seiner Zeit in verschiedenen Schriften. Dabei legte er dar, wie der Kaiser als Gegenbild zu diesem einen angeblich ursprünglichen Kynismus eher imaginiert als rekonstruiert, der seinem eigenen Ideal philosophischer Frömmigkeit entspricht.

ILINCA TANASEANU-DÖBLER (Göttingen) konstatierte, dass Julian – angesichts der häufigen Mysterienmetaphorik in philosophischer Rede – unerwartet wenig Bezug auf die Mysterien nimmt; in der Schrift gegen den Kyniker Herakleios freilich stellt er sich konsequent als Eingeweihten dar. In dieser Eigenschaft gibt er eine allegorische Deutung des Dionysos-Mythos, die insbesondere theologische und hermeneutische Gedanken des Iamblichos aufnimmt.

HELMUT SENG (Frankfurt am Main) legte dar, wie die onto-kosmologische Vorstellung dreier Welten mit ihrer jeweiligen Sonne in Julians Helios-Hymnus aus den Chaldaeischen Orakeln entwickelt ist, freilich modifiziert entsprechend der durch Iamblichos eingeführten Unterscheidung von intelligiblen und intellektualen Entitäten. Während Julians intelligible Sonne als Entsprechung des „ersten“ Intellekts der Orakel gelten kann, wie er in Fragment 1 beschrieben ist, trägt seine intellektuale Sonne Züge ihres demiurgischen „zweiten“ Intellekts.

MARIA CARMEN DE VITA (Salerno) arbeitete die Besonderheit der literarischen Auseinandersetzung Julians mit den Christen heraus. Neben offener Polemik stehen auch unterschwellige Anfeindungen und Konkurrenz-Kreationen. Dabei zeigt Julian genaue Kenntnisse nicht nur der biblischen Schriften, sondern auch der theologischen Diskurse seiner Zeit, wie anhand der Schöpfungstheorie wie in Contra Galilaeos entwickelt (mit Rekurs auf den platonischen Timaios und die Genesis als autoritative Texte) aufgezeigt wird.

NIKOLAI KIEL (Frankfurt am Main) befasste sich ebenfalls mit Julians antichristlicher Polemik in Contra Galilaeos und stellte insbesondere seine Kritik an der Vorstellung des eifernden Gottes, der Inkarnation des Logos und den Wundern Jesu heraus. Insbesondere aber propagiert der Kaiser gegen Christus, dessen Verehrung er als Leichenkult verunglimpft, pagane Göttersöhne wie Herakles, Asklepios und Dionysos als bessere Helfer und Retter der Menschen.

DARIO CELLAMARE (Fribourg) analysierte die Rolle des Julian als pontifex maximus. Ausgehend von der Darstellung des Ammianus Marcellinus, der den Widerstreit zwischen haruspices und Philosophen bei der Deutung von Prodigien schildert, bei der Julian stets den letzteren folgt, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von traditioneller Religion und Philosophie im Denken (und Handeln) des Kaisers. Dieser erweist sich nicht etwa als Neuerer; als oberste Autorität in Religionsangelegenheiten legt er vielmehr Wert auf traditionellen Kult, an dem keinerlei Änderungen vorzunehmen sind. Allerdings legt er sein Verständnis dieser Handlungen als Philosoph für Philosophen dar.

SALVATORE PULIATTI (Parma) stellte die Frage nach dem Verhältnis von Tradition und Neuerung in der Gesetzgebung Julians, die einen in der Forschung wenig beachteten Aspekt darstellt. Es zeigte sich, dass der Kaiser weniger als Neuerer auftritt als vielmehr an frühere Gesetzgebung weiterführend anknüpft. Dabei ist die Absicht zu erkennen, Missstände zu beseitigen und das Wohl der Untertanen zu fördern. In diesem Sinne sind auch die gegen das Christentum gerichteten Maßnahmen zu verstehen, häufig in Form einer Rückkehr zu Rechtsnormen, die vor den Maßnahmen seiner christlichen Vorgänger gültig waren.

IMMACOLATA ERAMO (Bari) stellte anhand der Schlacht von Straßburg gegen die Alamannen den Feldherrn Julian vor Augen. Dabei konnte sie zeigen, dass sein Vorgehen weitgehende Übereinstimmung mit militärischen Handbüchern aufweist – auch wenn sich nicht nachweisen lässt, dass solche zu den Büchern gehörten, die der Kaiser im Felde zahlreich mit sich führte (wie im Zusammenhang des Feldzugs gegen Persien berichtet).

HARTMUT LEPPIN (Frankfurt am Main) analysierte das Bild Julians in den Hymnen Ephrem des Syres, dessen christlicher Blick zudem durch seine Existenz an der umkämpften Peripherie des Reiches geprägt ist, dem seine stets versicherte Loyalität gilt. Der Kaiser aber erscheint als überheblicher Tyrann, dessen Katastrophe im Persienfeldzug als gottgefügte Niederlage des Heidentums erscheint – dass sie den Römern von einem anderen Heiden zugefügt wird, ist eine besondere Zuspitzung.

JULIA SCHWARZER (Würzburg) untersuchte die Darstellung Julians in koptischen Quellen. Ausgehend von der koptischen Kirchengeschichte, die eine auf Alexandria zentrierte Sicht mit anti-chalkedonischer Stoßrichtung vertritt, zeigte sie Übernahmen daraus in späteren Quellen homiletischen und hagiographischen Charakters mit einem Schwerpunkt auf einer bislang wenig beachteten (und unedierten) Dubliner Handschrift.

GIUSTO TRAINA (Paris) gab einen Überblick zu den armenischen Quellen mit Bezug auf Julian, in denen vor allem die Rolle des Königs Arschak II. verhandelt wird, nicht zuletzt beim Widerstand des Katholikos Yusik (Husik) I. gegen die ikonische Präsenz des Kaisers und seinem folgenden Martyrium. Wichtig sind insbesondere die Faustus von Byzanz zugeschriebene Epische Geschichte (Buzandaran Patmut’iwnk’), eine Art „chansons de gestes“, und die Geschichte Armeniens des Moses von Choren (Movsēs Xorenac‘i), die Kenntnis der Polemik Gregors von Nazianz und der Kirchengeschichten des Sokrates und des Sozomenos zeigt.

PIERRE CHARREY (Louvain) und ANTONY HOSTEIN (Paris) zeigten, dass die Geldpolitik Julians die seiner Vorgänger fortsetzt, die auf Stabilisierung des Geldwerts (und damit der politischen Verhältnisse) zielt. Dazu führt er das Amt des zygostates ein, der über Gewicht und Wert der in Umlauf befindlichen solidi zu wachen hat, der goldbasierten Leitwährung. Ikonographischen Niederschlag findet diese Maßnahme in den Waagendarstellungen auf Münzen; Referenzgewichte (exagia) sind archäologisch belegt.

GIANFRANCO AGOSTI (Pisa) analysierte eine Reihe von Inschriften, die sich auf den Kaiser beziehen. Dabei stellte er die Schwierigkeiten heraus, aus den – zum Teil formelhaft verfassten – Texten auf eine Stellungnahme der Verfasser zur Politik Julians (insbesondere unter religiösem Gesichtspunkt) zu schließen.

ÉRIC MORVILLEZ (Avignon) widmete sich den Zeugnissen zu Julians persönlichem Leben. Dabei stellte er drei Aspekte in den Mittelpunkt: die Ablehnung von Tafelluxus, verbunden mit demonstrativer Einfachheit, geradezu rusticitas, und der Neigung zu rituellem Fasten; die ständige Präsenz von Büchern und Julians manchmal geradezu sentimentale Beziehung zu ihnen; sowie schließlich die Bedeutung des Gartens als spiritueller Rückzugs- und Kultort.

ANTOINE PIETROBELLI (Besançon) stellte die Schilderungen vom Tod des Kaisers in den griechischen und lateinischen Quellen in den Mittelpunkt seiner Untersuchung. Dabei stellte sich insbesondere die Frage, ob diese auf den Bericht des Oribasios zurückgehen, des kaiserlichen Leibarztes, und ob Verbindungen zu dessen medizinischen Schriften vorliegen.

HEINZ-GÜNTHER NESSELRATH (Göttingen) analysierte Julians 2. Lobrede auf Constantius. Dabei stellte er heraus, dass der Verfasser neben den Schmeicheleien, die auch die 1. Lobrede charakterisieren, theoretische Gesichtspunkte einarbeitet, wie sie dem Zweittitel Peri basileias entsprechen – wie es scheint, in Anlehnung an die Reden Peri basileias des Dion von Prusa. Zum Teil lassen sich diese Ausführungen Julians als Andeutung eines Regierungsprogramms lesen.

MARÍA DEL PILAR GARCÍA RUIZ (Pamplona) arbeitete heraus, dass für Julians Verständnis des Römischen Reiches die Rolle Constantins zentral ist. Dazu griff sie auf dessen Darstellung im Mythos der Schrift gegen den Kyniker Herakleios, vor allem aber in den Caesares zurück, indem sie einschlägige Stellen vorführte, insbesondere als Kontrastierungen zu Iulius Caesar, Augustus, Marcus Aurelius, aber auch Alexander dem Großen.

NICOLA ZITO (Frankfurt am Main) entwickelte ein Panorama der Dichtung im Umkreis Julians (und über seinen Tod hinausgehend). Neben dem Kaiser selbst und Calixtus (oder Callistio), deren Gedichte bezeugt, jedoch nicht erhalten sind, lassen sich die Schrift Peri katarchon des Maximos und die Orphischen Lithika in diesen Kontext einordnen.

NICOLE BELAYCHE (Paris) übernahm es in ihrem Abschlussvortrag, verbindende Aspekte der verschiedenen Einzelbeiträge herauszuarbeiten und zu einen dichten Netz von Bezügen zu verknüpfen. Zum Ausgangspunkt nahm sie dabei das dem Tagungsplakat zugrunde liegende Bild Julian the Apostate’s Dionysian Procession des norwegischen Künstlers Terje Adler Mørk aus dem Jahr 2013, das zahlreiche Elemente der Julian-Überlieferung verarbeitet.

Die Frankfurter Tagung brachte Wissenschaftler aus zahlreichen Disziplinen zusammen, die teils übergreifende, teils sehr spezifische Themen vorstellten. Zu den in der Breite sonst wenig berücksichtigten Inhalten gehörten etwa die koptisch-, syrisch- und armenisch-sprachige Tradition. Die lebhaften Diskussionen über die engeren Fachgrenzen hinweg erbrachten ein reiches Panorama zu Kaiser Julian und seiner Zeit und ließen den Wunsch aufkommen, die Thematik weiter zu verfolgen.

Konferenzübersicht:

Thomas Paulsen (Frankfurt am Main): Eröffnung

Erster Themenbereich: Julian und die philosophischen und religiösen Traditionen seiner Zeit

Riccardo Chiaradonna (Rom): Dibattiti filosofici in Giuliano: la tradizione peripatetica.

Adrien Lecerf (Paris): Julien et les Cyniques.

Ilinca Tanaseanu-Döbler (Göttingen): Mysterien und Mysterienterminologie in den Werken Kaiser Julians.

Helmut Seng (Frankfurt am Main): Chaldaisierende Seinsebenen bei Iulianus.

Maria Carmen De Vita (Salerno): Una risposta neoplatonica ai miti dei Galilei: Giuliano Imperatore sulla generazione del mondo e dell’uomo.

Nikolai Kiel (Frankfurt am Main): Kaiser Julian und seine Kritik am Christentum in der Schrift Contra Galilaeos – Julians Erlösergestalten als Überwinder des Christengottes.

Dario Cellamare (Fribourg): Giuliano imperatore pontifex: Asianus e Graeculus o restitutor Romanae religionis?

Zweiter Themenbereich: Julian als politischer und militärischer Führer

Salvatore Puliatti (Parma): Per una valutazione della legislazione dell’imperatore Giuliano: tra continuità e distacco.

Immacolata Eramo (Bari): Giuliano stratego.

Dritter Themenbereich: Kaiser Julian und die globale Alte Geschichte

Hartmut Leppin (Frankfurt am Main): Julian in der syrischen Tradition.

Julia Schwarzer (Würzburg): Die Julianrezeption in Ägypten unter besonderer Berücksichtigung koptischer Quellen.

Giusto Traina (Paris): Giuliano e gli Armeni.

Vierter Themenbereich: Julians Zeit im Lichte technischer und materieller Daten

Pierre Charrey (Louvain) / Antony Hostein (Paris): Politique monétaire et idéal de bon gouvernement de l’empereur Julien.

Gianfranco Agosti (Pisa): Iscrizioni di Giuliano e per Giuliano: paideia e potere.

Éric Morvillez (Avignon): Julien tel qu’en lui-même: ascèse, livres et jardins.

Antoine Pietrobelli (Besançon): Oribase et la mort de Julien.

Fünfter Themenbereich: Julian und die Literatur

Heinz-Günther Nesselrath (Göttingen): Julian als Schmeichler, Kritiker und Herrschaftstheoretiker: Die zweite Lobrede auf Constantius.

María del Pilar García Ruiz (Pamplona): To be a speaker of words and a doer of deeds: literary and political paradigms in Julian’s works.

Nicola Zito (Frankfurt am Main): Poesia, politica e religione alla corte di Giuliano.

Nicole Belayche (Paris): Remarques en guise de conclusion: l’empereur Julien et son temps.

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