Negationismus und „Geschichtsrevisionismus“ fordern Wissenschaftler:innen in den Universitäten und außeruniversitären Forschungsinstituten, aber vor allem auch Mitarbeiter:innen in Gedenkstätten und zeithistorischen Museen immer wieder auf neue Weise heraus. Im digitalen und globalisierten Zeitalter lässt sich die Verbreitung falscher Behauptungen über die Vergangenheit kaum einhegen. Wie haben sich Negationismus und „Geschichtsrevisionismus“ entwickelt? Wie kann und wie sollte die Wissenschaft, die Justiz und die Erinnerungskultur auf diese Entwicklung reagieren? Kann historisch-politische Bildungsarbeit Antisemitismus, Rassismus oder Holocaust-Leugnung vorbeugen beziehungsweise davor wappnen? In einem Workshop mit Vertreter:innen aus der Geschichts- und Rechtswissenschaft sowie der historisch-politischen Bildungsarbeit wurden diese Fragen Anfang Juli am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam diskutiert. Dort untersucht eine Arbeitsgruppe in Kooperation mit dem Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam und unter Leitung von Frank Bösch und Gideon Botsch seit 2021 die Geschichte der radikalen Rechten in Deutschland nach 1945.1
In seiner thematischen Einführung stellte FRANK BÖSCH (Potsdam) die verschiedenen Funktionen der „historischen Apologetik“ für die extreme Rechte dar: Einerseits dient sie der Legitimation der eigenen Ideologie, andererseits der Mobilisierung neuer Anhänger:innen. Zudem ist dieser „Geschichtsrevisionismus“ als Apologetik ein Faktor nationalistischer Identitätsbildung und er ist nicht zuletzt auch von kommerzieller Bedeutung etwa für extrem rechte Verlage. Die Narrative der Protagonist:innen wandelten sich im Verlauf der Jahrzehnte - die Holocaustleugnung wurde offensiver und konstruierte auch naturwissenschaftliche Argumente. Frank Bösch betonte, dass es sich beim Wandel auch um eine Art Ping-Pong-Spiel mit der Erinnerungskultur der jeweiligen Zeit handele. Die Berichterstattung über die Auschwitzprozesse oder Reaktionen auf die Serie „Holocaust“ wurden von Negationist:innen explizit auf- und angegriffen. In der Konsequenz nahmen nicht nur die öffentliche Aufmerksamkeit, sondern auch juristische Verfolgungen zu.
Im ersten Panel verortete DOMINIK RIGOLL (Potsdam) den Negationismus in Anknüpfung an Pierre Vidal-Naquet und an neuere Forschungen in seinem breiteren historischen Kontext, um seine politische und soziale Basis herauszuarbeiten. Er zeigte, dass die Genese des Negationismus nicht einfach nur die Reaktion einer kleinen Clique von Antisemit:innen auf den Judenmord war, als welche sie mitunter erzählt wird. Sie war auch Teil eines längeren Prozesses, der schon bei der Leugnung deutscher Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg einsetzte und der von rechten Parteien wie auch von rechten Funktionseliten vorangetrieben wurde. Es war von Beginn an ein transnationaler, mit der Zeit sogar transkontinentaler Prozess.
Daran anknüpfend sprach MARIE MÜLLER-ZETZSCHE (Potsdam) über frühe Holocaustverharmlosung und -leugnung in den 1950er und 1960er-Jahren als Instrument extrem rechter Ideologieproduktion. Sie skizzierte ein deutsch-französisch-anglo-amerikanisch-argentinisches Netzwerk um den französischen Neofaschisten Maurice Bardèche, der mit seinem Buch Nuremberg ou la terre promise (1948) und seiner Zeitschrift Défense de l'Occident zu einem zentralen Stichwortgeber des internationalen rechten und antisemitischen „Geschichtsrevisionismus“ wurde. Dieses Netzwerk funktionierte über gegenseitige Übersetzungen, (Selbst-)Zitate und den Aufbau einer extrem rechten Verlags- und Zeitschriftenlandschaft. Öffentlich und an den Forschungseinrichtungen fand – mit Ausnahme des Instituts für Zeitgeschichte in München – in dieser Frühphase noch relativ wenig Auseinandersetzung mit den Schriften dieser Publizisten statt.
Das zweite Panel wurde von VOLKER WEISS (Hamburg) eingeleitet. In Abgrenzung von der „alten Rechten“ stellte er die Neue Rechte in der Bundesrepublik als eine Reaktion auf deren politische Niederlagen vor. Er beschrieb die Neue Rechte als international vernetzt, akademisch geprägt und metapolitisch orientiert, wobei sie mittlerweile in der AfD einen parteipolitischen Arm gefunden habe. Die Vergangenheitspolitik der Neuen Rechten setzt, so Volker Weiß, die Gedenkkultur in Bezug auf den Nationalsozialismus ins Zentrum. Mit den tatsächlichen Verbrechen befasst sie sich hingegen nicht. Mit Anleihen an antisemitische Schriften des 19. Jahrhunderts von Bruno Bauer und an faschistische Denker der 1920er-Jahre streben Protagonist:innen der Neuen Rechten eine Neugeburt der Nation durch Zerschlagung der Vergangenheitspolitik an.
LAURA SCHWARZ (Berlin) skizzierte anschließend die strafrechtliche Bekämpfung von Antisemitismus beginnend in den 1950er-Jahren bis in die heutige Zeit. Dabei gab sie Aufschluss über wichtige Meilensteine und Etappen der strafrechtlichen Bekämpfung von Antisemitismus und deren Hintergründe. So wurde insbesondere die Einführung des Volksverhetzungstatbestands in den 1960er-Jahren und dessen Entwicklung bis in die heutige Zeit veranschaulicht. Daran anknüpfend legte sie einige justizielle Herausforderungen im Umgang mit Antisemitismus dar: Insbesondere die Problematik der Deutung von Äußerungen, das bestehende Spannungsverhältnis zwischen der Meinungsfreiheit des Äußernden und die durch den jeweiligen Straftatbestand zu schützende Güter sowie die Entscheidungstendenzen der Gerichte sich auf Grund der besonderen Bedeutung für die Meinungsfreiheit und damit gegen die Strafbarkeit zu entscheiden (in dubio pro Meinungsfreiheit).
Am Abend warf die NDR-Dokumentation „Böse Fälschung: Was steht in den „Hitler-Tagebüchern“?“ (2023) einen Blick auf die 2023 erstmals als Text öffentlich gemachten gefälschten Tagebücher Hitlers aus dem Jahr 1983. Da im Film insbesondere Konrad Kujaus Vernetzung in extrem rechte Kreise betont wird, diskutierten HEIKE GÖRTEMAKER (Berlin) und MAGNUS BRECHTKEN (München) im Anschluss zunächst darüber, ob und inwiefern Kujau und sein Umfeld gezielt die Umdeutung Hitlers planten, um damit gesichertes Wissen über den Nationalsozialismus zu revidieren. Außerdem sprachen sie über die Rolle der einzelnen Mitglieder der Stern-Redaktion bei der Beschaffung und mangelnden Prüfung der falschen „Tagebücher“ und betteten den Skandal in die Erinnerungskultur der 1970er und 1980er-Jahre ein.
Am folgenden Tag startete mit einem Panel über die Herausforderungen der sogenannten Neuen Media für die Geschichtswissenschaft und -aufarbeitung. Zunächst sprach ALEXANDRA PREITSCHOPF (Klagenfurt) in ihrem Beitrag über neue Formen der Holocaustrelativierung in Frankreich am Beispiel des antisemitischen „Komikers“ Dieudonné M'Bala M'Bala und der Frage, welchen Widerhall er bis heute in den sozialen Medien findet. Im Vordergrund standen dabei verschiedene Kodierungen Dieudonnés, die die Shoah ins Lächerliche ziehen, wie das von ihm kreierte Wortspiel „Shoananas“ (auf Französisch ausgesprochen gleich klingend wie chaud ananas, „heiße Ananas“). Verbunden war dies im Vortrag auch mit der Frage, wer aus welchen Gründen Dieudonné rezipiert. Sein Publikum reicht von der extremen Rechten bis zu „Banlieue-Jugendlichen“ mit postkolonialem Hintergrund.
Mit Blick auf die Praxis der Vermittlung stellte STEFFEN JOST (Berlin) einen Auszug aus der Memo-Jugendstudie zur Nutzung digitaler Medien vor, derzufolge große Anbieter am meisten genutzt werden und hier insbesondere Videoformate nachgefragt werden. Als erfolgreiche Beispiele von TikTok-Accounts zeigte er Videobeiträge der Gedenkstätte Neuengamme und von Susanne Siegert („keine erinnerungskultur“). Die große Reichweite dieser beiden Anbieter:innen führte er auf eine gelungene Umsetzung der Plattformlogik zurück: Sie bieten snackable contents, verwenden eine zielgruppenkonforme „Plattformsprache“ und sind stark personalisiert. Steffen Jost stellte die These auf, dass die eigentliche Bildungsarbeit aber nicht im Video, sondern in der Kommentarspalte stattfinde. Content moderation sollte daher als Teil von Bildungsarbeit begriffen werden und entsprechend auch Personal in Gedenkstätten dafür geschult und bezahlt werden.
Daran anschließend forderte ELKE GRYGLEWSKI (Hannover), dass Gedenkstätten sich selbst als Teil der sozialen Medien und damit als Teil eines gesellschaftlichen Dialogs begreifen sollten. Zu den Chancen, die Gedenkstätten durch neue Medien ergreifen können, zählte sie den Einsatz von_ Augmented Reality_ – gerade an Orten, an denen Originalschauplätze zerstört wurden oder nicht zugänglich sind – und die Erweiterung der Zielgruppen auf ein überregionales, auch internationales Publikum. Als problematisch beschrieb sie Narrative, die etwa aus mangelnder Medienkompetenz auf pure Identifikation zielen. Extrem rechte Akteure nutzen Gedenkstätten inzwischen teilweise als Hintergrund für ihre eigenen Social-Media-Inhalte. Von diesen problematischen Posts würden die Gedenkstätten manchmal erst durch aufmerksame Journalist:innen erfahren.
Das letzte Panel des Workshops startete mit CHARLOTTE HUSEMANN (Potsdam). Als Geschichtsdidaktikerin sprach sie über die Herausforderungen von Antisemitismus und Revisionismus in einer postmigrantischen, postdigitalen und postfaktischen Gesellschaft. Sie betonte dabei die Aufgabe der Lehrer:innen, migrantische Perspektiven in das historische Lernen einzubeziehen. Anschließend stellte sie Überlegungen zum Einfluss Sozialer Medien auf die Verbreitung antisemitischer und revisionistischer Narrative dar. Ein zentraler Ansatz, um diese im digitalen Raum breit geteilten, unter dem Begriff „postfaktisch“ zusammengeführten Positionen verhandeln zu können, liegt in der Entwicklung von Medienkompetenz. Beispielhaft wurden dafür ein im Rahmen universitärer Lehrveranstaltungen entwickeltes De-Konstruktionsraster skizziert, welches zur reflektierten Bewertung historischer Narrationen in Sozialen Medien beitragen kann.
Einen ganz anderen und eher ungewöhnlichen Einblick gab JACQUELINE DYBALLA (Sofia), die über die Vermittlung des Nationalsozialismus im Fach Deutsch als Fremdsprache (DaF) sprach und sich dabei auf die DaF-Lehrwerke konzentrierte, die im Ausland an Schulen und Universitäten zum Einsatz kommen. Auf die Frage, ob der Nationalsozialismus immer noch (fast) ein Tabu-Thema im DaF-Unterricht ist, stellte sie fest, dass das Thema in Lehrwerken kaum bis gar nicht angesprochen wird. Wenn es zur Sprache kommt, dann nur im Gesamtkontext der deutschen Geschichte, die oft nur auf einer Doppelseite vermittelt wird. Ihre Beispiele aus China, Thailand und Bulgarien zeigten, dass es Nachholbedarf bei der Vermittlung der NS-Zeit und ihren Auswirkungen in der deutschen Gesellschaft im Ausland gibt. Der Fremdsprachenunterricht sollte auch dazu dienen, Antisemitismus, Diskriminierung oder Rassismus entgegenzuwirken.
MATTHIAS HEYL (Fürstenberg) lenkte den Blick wieder zurück nach Deutschland und ganz praktisch auf die Arbeit der Pädagog:innen in den Gedenkstätten. Wie kann „rechten“ beziehungsweise „rechtsfaszinierten“ Schüler:innen begegnet werden? Dabei betonte Heyl, dass diese weniger den Holocaust leugnen als „Bewunderung“ und „Stolz“ äußern würden. Es sei wichtig Haltung zu zeigen und dabei vielleicht auch einmal ungewöhnliche Methoden anzuwenden – wie in der Pädagogik allgemein ginge es darum zu überraschen und sich nicht in eine Verteidigungsecke drängen zu lassen. Gerade die jüngeren Guides in den Gedenkstätten seien hochmotiviert, stünden aber häufig allein schwierigen Situationen gegenüber, auf die sie nicht vorbereitet sind. Während angemeldete AfD-Gruppen eher seltener z.B. in die Gedenkstätte Ravensbrück kommen, liege die Herausforderung eher bei Einzelnen, die erst im Verlauf des Besuchs ihre Ansichten zeigen beziehungsweise versuchen diese zu verbreiten. Heyl wünscht sich eine bessere Unterstützung und Fortbildungsmöglichkeiten – auch für „freie“ Führungskräfte, um die sie auf solche Situationen vorzubereiten.
Der Vortrag von JULIA GILFERT (Tübingen) griff diese Problematik noch einmal auf. So thematisierte sie einen Aspekt ihrer in Arbeit befindlichen Dissertation, für die sie an den Gedenkstätten Sachsenhausen und Wewelsburg sowie an der Dokumentation Obersalzberg zu rechtsextremer Einflussnahme forscht. Am Beispiel Sachsenhausen zeigte sie, wie sich rechtsextreme Praktiken und die Präsenz entsprechender Akteur:innen auf die Wahrnehmung und das Handeln der Gedenkstättenmitarbeitenden auswirken. So wurde unter anderem deutlich, dass AfD-Gruppen, die über das Bundespresseamt die Gedenkstätte besuchen, auch hier vergleichsweise selten sind. Trotzdem spielt deren Präsenz im Denken und Handeln insbesondere der freiberuflichen Guides aber eine große Rolle. Die Frage nach dem Umgang mit rechtsextremer Einflussnahme ist laut Gilfert letztlich eine Frage nach den Ressourcen und Handlungsspielräumen, die die jeweiligen Orte zur Verfügung haben, um die Handlungsmacht ihrer Mitarbeitenden im Umgang mit Rechtsextremismus, Antisemitismus und demokratiefeindlichen Äußerungen zu stärken.
In den Diskussionen wurde deutlich, dass sowohl Geschichtsdidaktik als auch Gedenkstättenpädagogik auf gezielte (auch digitale) Gegen-Strategien, etwa in Form von Weiterbildungen und neuen Stellen angewiesen sind. Juristische Antworten auf Geschichtsrevisionismus haben sich zwar ausdifferenziert, sind aber nicht immer zufriedenstellend, so dass auch jenseits von eindeutigen Straftatbeständen eine öffentliche Gegenrede erforderlich bleibt. Der Workshop endete wie so oft mit mehr Fragen als Antworten und dem Wunsch, den interdisziplinären Austausch zwischen Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen weiter zu vertiefen.
Konferenzübersicht:
Frank Bösch (Potsdam): Begrüßung und Einführung
Panel 1: :Negationismus und „Geschichtsrevisionismus“ in der Zeitgeschichte:
Dominik Rigoll (Potsdam): Antisemitismus als Waffe - Die nationalistische Internationale und die Geburt des globalen Negationismus
Marie Müller-Zetzsche (Potsdam): Internationale publizistische Netzwerke von Holocaustleugnern
Moderation: Christoph Schulze (Potsdam)
Panel 2: :Negationismus und „Geschichtsrevisionismus“ in der Gegenwart:
Volker Weiß (Hamburg): Finis Germania – Die Neue Rechte und die Vergangenheitsbewältigung
Laura Schwarz (Berlin): Strafrechtliche Bekämpfung von Antisemitismus - Etappen und Herausforderungen
Moderation: Dominik Rigoll (Potsdam)
Abendveranstaltung im Filmmuseum Potsdam:
Magnus Brechtken (München) und Heike Görtemaker (Kleinmachnow): Böse Fälschung: Was steht in den „Hitler-Tagebüchern“? (NDR 2023) Film und Diskussion
Moderation: Marie Müller-Zetzsche (Potsdam)
Panel 3: :Neue Herausforderungen durch neue Medien:
Alexandra Preitschopf (Klagenfurt): „Shoahnanas“, „Quenelle“ und „concurrence victimaire“ - Neue Formen von Holocaustrelativierung am Beispiel Frankreich
Steffen Jost (Berlin): Digitale Bildung zum Nationalsozialismus als Mittel gegen Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus & Co?
Elke Gryglewski (Hannoover): Soziale Medien als Herausforderung für die Gedenkstätten
Moderation: Irmgard Zündorf (Potsdam)
Panel 4: :Holocaust Education in der Erwachsenenbildung:
Charlotte Husemann (Potsdam): Postmigrantisch, postdigital, postfaktisch? – Historisches Lernen im Umgang mit geschichtsrevisionistischen Narrativen
Jacqueline Dyballa (Sofia): Nationalsozialismus im DaF-Unterricht – immer noch (fast) ein Tabuthema?
Matthias Heyl (Fürstenberg): „Was ist, wenn es das alles nicht gegeben hat?“ Wie umgehen mit rechtskonnotierten Interventionen in der Bildungsarbeit der Gedenkstätte Ravensbrück?
Julia Gilfert (Tübingen): Wie mit rechter Einflussnahme umgehen? Chancen und Herausforderungen am Beispiel der Gedenkstätte Sachsenhausen
Moderation: Alexandra Preitschopf (Klagenfurt)
Anmerkungen:
1https://projekt.radikale-rechte.de/