Die extreme Rechte in Deutschland und Österreich und ihr Verhältnis zu Europa, den USA und zur Sowjetunion/Russland (1945 bis heute)

Die extreme Rechte in Deutschland und Österreich und ihr Verhältnis zu Europa, den USA und zur Sowjetunion/Russland (1945 bis heute)

Organisatoren
Fachbereich Geschichte, Paris-Lodron-Universität Salzburg; Forschungsgruppe „Die radikale Rechte in Deutschland, 1945–2000“, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam / Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam; Zeithistorischer Arbeitskreis Extreme Rechte (ZAER)
Ort
Salzburg
Land
Austria
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
16.06.2023 - 17.06.2023
Von
Johannes Dafinger, Fachbereich Geschichte, Paris-Lodron-Universität Salzburg; Maximilian Kreter, Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der TU Dresden

Die Jahrestagung 2023 des Zeithistorischen Arbeitskreises Extreme Rechte (ZAER) beschäftigte sich in Salzburg mit einem denkbar aktuellen Thema, denn sie widmete sich dem Verhältnis der extremen Rechten zu Europa sowie zu den USA und zur Sowjetunion/zu Russland in historischer Perspektive. Diese drei Regionen und Chiffren waren als positive wie auch negative Bezugspunkte der extremen Rechten eng miteinander verbunden. So entwarfen viele der rechtsextremen Europakonzepte nach 1945 – die teils an nationalsozialistische Europakonzepte anknüpften – ein Bild von Europa, das seine Schärfe in Abgrenzung einerseits zur kommunistischen Welt, andererseits zu den Vereinigten Staaten von Amerika erhielt. Wie JOHANNES DAFINGER (Salzburg) in seiner Einführung darlegte, wurde in Diskursen insbesondere der Neuen Rechten (Nouvelle Droite) eine Stärkung des europäischen Zusammenhalts gegen vermeintliche Bedrohungen von außen sowie zur Aufrechterhaltung einer rassistisch-kulturalistisch bestimmten angeblichen Eigenart Europas befürwortet. Man hoffte, Europa zur dritten, eigenständigen Macht zwischen den beiden Supermächten USA und Sowjetunion entwickeln und damit aus deren Einflusssphären lösen zu können. Damit einher ging die Ablehnung weltweiter Vernetzung und der Globalisierung internationaler politischer, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Beziehungen, insbesondere eine migrationsfeindliche Haltung sowie eine negative Einstellung gegenüber globalen politischen Strukturen, allen voran den Vereinten Nationen. Auch nach dem Ende des Kalten Krieges pflegte die extreme Rechte eine Bollwerksrhetorik und betrachtete Europa als schützenswerte Festung. Dafinger argumentierte, dass die extreme Rechte Europäisierung stets nur im Modus einer „protektionistischen Europäisierung“ gutgeheißen habe. Mit dem Begriff „protektionistische Europäisierung“ ließen sich Europäisierungsprozesse fassen, die darauf ausgerichtet seien, Europa von breiteren multilateralen und potentiell globalen Verbindungen abzuschneiden.

Die USA und die Sowjetunion/Russland waren freilich nicht immer nur negative Bezugspunkte für alle Teile der extremen Rechten. So konnte „Antiamerikanismus“ im Sinne einer kritischen Haltung gegenüber dem liberalen, demokratischen „Westen“ Hand in Hand gehen mit der Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten jenseits des Atlantiks, die den Liberalismus und die Demokratie ebenfalls bekämpften. Und in den Antikommunismus der extremen Rechten mischte sich mitunter Russlandbegeisterung, die sich nach dem Zerfall der Sowjetunion verstärkte.

MARGIT REITER (Salzburg) eröffnete das erste Panel zu Europadiskursen der außerparlamentarischen extremen Rechten in Österreich mit einem Vortrag über den Nationalsozialisten Theodor Soucek, der sich – begnadigt nach einer Verurteilung wegen der Planung eines politischen Mordes – ab Mitte der 1950er-Jahre wieder politisch engagierte. Soucek schrieb nun das Buch „Wir rufen Europa. Vereinigung des Abendlandes auf sozialorganischer Grundlage“, gab die Zeitschrift „Europaruf“ heraus und gründete die Partei „Sozialorganische Bewegung Europas“ (SORBE). 1957 organisierte er in Salzburg zudem einen großen Europa-Kongress, der der transnationalen Vernetzung der extremen Rechten diente. Soucek verfocht das Ziel eines starken Europas im Sinne einer „europäischen Völkergemeinschaft auf der Basis bedingungsloser Gleichberechtigung“ der Nationen mit einer gemeinsamen Europaregierung. Nur ein solches Europa könne sich zwischen Ost und West behaupten. Wie Reiter zeigte, scheiterten Souceks Annäherungsversuche an die 1955/56 gegründete FPÖ. Nach der Auflösung der SORBE setzte er sich nach Spanien ab.

JUDITH GÖTZ (Innsbruck) widmete sich in ihrem Vortrag der jüngsten Zeitgeschichte und analysierte rechtsextreme „Europakonstruktionen“ am Beispiel der 2012 entstandenen Identitären Bewegung in Österreich. Sie unterstrich, dass die „Europäische Union“ ein Feindbild der Identitären sei, ein anders verstandenes „Europa“ aber Identifikationsangebote für die extreme Rechte bereithalte. Götz verwies insbesondere auf das Konzept eines „Europas der Völker“ bzw. „der Vaterländer“, das auf der völkischen Idee aufbaue. Die Identitäre Bewegung habe sich insbesondere die „Erhaltung“ der „ethnokulturellen Identität“ auf die Fahnen geschrieben. Neben einer regionalen und einer nationalen Identität existiere für die Identitäre Bewegung auch eine europäische Identität, die allerdings durch „Islamisierung“ und Zuwanderung, die zur Ersetzung der „autochtonen“ Bevölkerung führen werde, bedroht sei. Das von der Identitären Bewegung erstrebte Europa sei – in den Worten der Akteure selbst – „kein multikulturelles Einheitsgebilde“; stattdessen solle es in Europa „echte Vielfalt“ geben, womit vermeintlich althergebrachte Eigenheiten der „Volkstümer“ Europas gemeint seien. Dieses Programm habe die Identitäre Bewegung durch Aktionen in- und außerhalb Österreichs bekannt zu machen versucht.

In der anschließenden Diskussion wurde unter anderem die Frage aufgeworfen, inwieweit die Europakonzepte der extremen Rechten nach 1945 an faschistische und nationalsozialistische Europakonzepte anknüpften. Derartige gedanklich-ideologische Kontinuitäten über die Zäsur 1945 hinaus betonte DOMINIK RIGOLL (Potsdam) in seinem Vortrag im zweiten Panel. Er präsentierte darin den rechtsextremen Anwalt und Publizisten Friedrich Grimm als Vorläufer der heutigen extremen Rechten und wies insbesondere auf Verbindungen zwischen der Leugnung deutscher Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg in den 1920er-Jahren und der Leugnung des Holocausts nach 1945 hin. Das also schon in den 1920er-Jahren entstandene Negationisten-Netzwerk sei bald nach 1945 Teil einer rechten Internationale gewesen.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit, genauer gesagt in den Jahren 1947 bis 1950, verfasste Bernhard Gericke die Kampfschrift „Die Europäische Revolution“, die MAIK ULLMANN (Braunschweig) in seinem Vortrag analysierte. Gericke sah das Kriegsende nicht als tiefe Zäsur, sondern lediglich als den Zeitpunkt, der die erste und die zweite Phase „einer großen europäischen Revolution“ voneinander abgrenze. Der Nationalsozialismus „und die ihm verwandten Bewegungen in anderen europäischen Ländern“ seien Ausdruck dieser Revolution, deren Bedeutung und Wirkung genauso hoch einzuschätzen sei wie die der „anderen großen Revolutionen der Neuzeit, der englischen, der französischen und der russischen Revolution“. In der noch bevorstehenden zweiten Phase dieser Revolution müsse sich ausgehend von Deutschland eine „revolutionäre Kampfgemeinschaft auf europäischer Ebene“ herausbilden, um den Umsturz in Europa zu vollenden. Gericke gehörte 1949/50 dem Parteivorstand der rechtsextremen Sozialistischen Reichspartei an und gründete anschließend die Nationale Arbeiter-Partei, die in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre in der FDP aufging.

ALEXANDER HOBE (Hamburg) plädierte in seinem Vortrag dafür, den Rechtsextremismusbegriff stärker zu historisieren. In den frühen 1950er-Jahren in der Debatte über die Schaffung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft von Verbänden ehemaliger Wehrmachtssoldaten vertretene Positionen würden heute möglicherweise als „rechtsextrem“ beschrieben werden, seien aber in der zeitgenössischen Debatte keineswegs „extrem“ gewesen. Hobe illustrierte dies am Beispiel von Äußerungen von Akteuren im Umfeld des Verbandes Deutscher Soldaten. Sowohl „Europa“ (in seiner uns geläufigen Bedeutung) als auch „Extremismus“ seien als Konzepte das Ergebnis einer Suchbewegung und erst im Diskurs der 1950er-Jahre allmählich „entstanden“.

Das dritte Panel widmete sich dem rechtsextremen Konzept einer „Nation Europa“, dessen „Erfindung“ die extreme Rechte dem britischen Faschisten Oswald Mosley zuschreibt. MARIE MÜLLER-ZETZSCHE (Potsdam) analysierte dazu zwei Zeitschriftenprojekte der extremen Rechten, die beide in engem Zusammenhang mit der Europäischen Sozialen Bewegung standen, einem 1951 gegründeten rechtsextremen Netzwerk: die in Coburg herausgegebene Monatszeitschrift „Nation Europa“ und die Pariser „Défense de l’Occident“. Müller-Zetzsche verortete das dahinterstehende publizistische Netzwerk im Dreieck Europa-USA-Sowjetunion, indem sie den Antikommunismus als Element hervorhob, das die Akteur:innen zusammengebunden habe. Die USA seien von Teilen des Netzwerks als Schutzmacht akzeptiert worden, grundsätzlich habe Europa als Nation aber unabhängig von jedem Einfluss der Großmächte bleiben und als Dritte Kraft aufgebaut werden sollen. Dazu sollte eine europäisch geführte Armee gehören sowie eine gesamteuropäische Sozialpolitik, für die es aber kein gemeinsames Konzept gab. Strittiger noch war das Verhältnis der „Nation Europa“ zu den (ehemaligen) Kolonien und zur Dekolonisierung. An dieser Frage spaltete sich die Europäische Soziale Bewegung.

Henning Eichberg knüpfte an derartige Europakonzepte in den 1970er-Jahren an. Im Zentrum der Schriften Eichbergs stand, wie LINN SOFIE BØRRESEN (Berlin) herausarbeitete, die fixe Idee von der Verschiedenheit der Kulturen. Eichberg glaubte, dass das von ihm postulierte „Recht auf Verschiedenheit“ und kulturelle Unterschiede von verschiedener Seite angegriffen wurde: Auf der einen Seite habe die Sowjetunion „Völkerausrottung“ betrieben, auf der anderen Seite die Orientierung am „american way of life“ in Europa zum Verlust nationaler Identität geführt. Auch multinationale Konzerne und die von ihm so bezeichnete „One World-Ideologie“ sah Eichberg als Gefahren für diese Identität an. Er proklamierte daher ebenfalls einen „europäischen Nationalismus“ und das Konzept einer „Nation Europa“, das er als „revolutionär“ und „antiimperialistisch“ ansah. Eichberg griff damit bewusst Elemente linker Globalisierungs-, Imperialismus- und Kapitalismuskritik auf.

In seiner Keynote am Ende des ersten Konferenztages skizzierte ANTON SHEKHOVTSOV (Wien) die ideologischen und personellen Verbindungen der westeuropäischen extremen Rechten zur Sowjetunion vor beziehungsweise zu Russland nach 1990/91. In den 1960er-Jahren entwickelte Jean-François Thiriart – wie die im vorangegangenen Panel in den Blick genommenen Akteure – Ideen eines europäischen Nationalismus (und sah Afrika als „natürliche Erweiterung Europas“). Russland sprach er in seiner Konzeption eines europäischen Imperiums die Rolle eines Bollwerks gegen „die asiatische Flut“ zu. Dazu müsse Sibirien von „Weißen“ aus dem europäischen Teil Russlands besiedelt werden. Bevor dies geschehen könne, müsse die Sowjetunion aber mithilfe Chinas geschwächt werden. Diese Überlegungen wandelte Thiriart in den 1980er-Jahren ab zum Konzept eines „euro-sowjetischen Imperiums“, in dem er der Sowjetunion nun eine deutlich wichtigere Rolle zuschrieb. Europa könne von Moskau aus vereinigt werden; die Voraussetzung sei allerdings, dass Moskau Europa „europäisch“ machen wolle und nicht „russisch“. Beziehungen zwischen der westeuropäischen extremen Rechten und der Sowjetunion ließen sich für die Zeit vor 1990/91 nicht belegen. Ganz anders sehe es jedoch für die Zeit nach dem Zerfall der Sowjetunion aus. Alexander Dugin und Wladimir Schirinowski seien etwa im Austausch mit Rechtsextremen in diversen europäischen Ländern gestanden. Besonders enge Beziehungen nach Russland habe die FPÖ aufgebaut.

Im vierten Panel, mit dem der zweite Konferenztag eröffnet wurde, weitete sich die Perspektive erneut. MARIUS HUBER (Berlin) zeigte am Beispiel des deutschen Befreiungsnationalismus in den 1980er-Jahren auf, dass der Blick von rechten Akteur:innen nicht nur im Rahmen von Europakonzeptionen über die Grenzen des eigenen Nationalstaates hinausging, sondern auch über die Grenzen des europäischen Kontinents reichte. Dabei fokussierte Huber auf zwei Personen, die maßgeblich für die Übernahme des Begriffs „Antiimperialismus“ zur Selbstbezeichnung des eigenen politischen Lagers von der Neuen Linken in die Neue Rechte verantwortlich waren: Wolfgang Strauß und Siegfried Bublies. Anhand von Veröffentlichungen in der von Bublies herausgegebenen Zeitschrift „Wir selbst“ zeichnete Huber die Debatten der Anhänger:innen der entstehenden Nationalrevolutionären Bewegung nach, die sich als Europäerinnen und Europäer von den USA und der Sowjetunion gleichermaßen kolonisiert sahen. So wähnte sich laut Huber die Nationalrevolutionäre Bewegung auf der Seite der Nationalbewegungen in der „Dritten Welt“ und der sezessionistischen Bewegungen in Europa im Kampf gegen „imperialistische Supermächte“, die sowohl in Gestalt von Vielvölkerstaaten als auch als Kolonialherren aufträten. Huber betonte, dass ein dezidiert rechter Befreiungsnationalismus – anders als der Antiimperialismus der Neuen Linken – sich an vermeintlichen ethnischen und nationalen Zugehörigkeiten orientiert habe und er damit auf die „Allgegenwärtigkeit des Ethnopluralismus“ in der extremen Rechten verweise.

Auch MARTIN DEUERLEIN (Tübingen) wies auf Basis von Beiträgen in der Zeitschrift „Wir selbst“ darauf hin, dass Rechtsextreme die angebliche „Kolonisierung“ Europas durch die beiden Supermächte des Kalten Krieges mit historischen Formen des Kolonialismus verglichen – hier mit der Unterdrückung von Nordamerikas Indigenen durch europäische Kolonisatoren. Deuerlein zeichnete die verschiedenen Perspektiven der extremen Rechten auf die „Indianer“ von den 1970er-Jahren bis in die 1990er-Jahre nach. Gleichzeitig erläuterte er, dass rechtsextreme Akteur:innen postulierten, der „westliche Imperialismus“ habe schon durch die Römer seine Wirkung gegen die Germanen entfaltet und sich konsequent durch die deutsche Geschichte gezogen. Der bereits erwähnte Henning Eichberg packte diese fixen Ideen in die griffige Formulierung, die Deutschen seien die „Indianer Europas“. Gegen dieses Schicksal helfe nur eine Rückbesinnung auf Mythen und Traditionen. Diese Perspektive sei, so Deuerlein, auch einhergegangen mit einer intensiven Kritik an der Rationalität und an „westlicher“ Wissenschaft. Das Erkennen der eigenen Subjektivität habe die extreme Rechte als Rückbesinnung auf das Eigene und Ursprüngliche begriffen. Hier zeige sich bei Eichberg der Übergang vom Ethnozentrismus zum Ethnopluralismus, der bis heute prägend für die extreme Rechte sei. Vereinzelte Beispiele dieser Kolonisierungsvergleiche fänden sich heute noch bei der AfD sowie bei der extremen Rechten in Großbritannien.

Im Mittelpunkt von STEFAN RINDLISBACHERs (Wien) Vortrag standen das „Collegium Humanum“ (CH) und der „Weltbund zum Schutze des Lebens“ (WSL) sowie deren Hauptakteure Günther Schwab, Werner Haverbeck und Ursula Haverbeck-Wetzel. Rindlisbacher arbeitete heraus, wie stark die Akteur:innen von ihren Lebensverläufen in der Zeit des Nationalsozialismus und von ihren Funktionen in nationalsozialistischen Organisationen geprägt waren. So hätten der WSL und das CH zahlreichen im Nationalsozialismus tätigen Wissenschaftler:innen und Ärzt:innen die Möglichkeit geboten, sich nach 1945 wieder zu vernetzen. Unter dem Vorsitz von Werner Haverbeck wurden der WSL und das CH eine Anlaufstelle für Personen, die sich der Esoterik, Naturheilkunde, Astrologie sowie biodynamischen Landwirtschaft und Impfkritik zuwandten und zumindest eine gewisse Offenheit für (extrem) rechte Positionen zeigten. Diese Positionen finden sich laut Rindlisbacher konzentriert in Schwabs Manifest „Der Tanz mit dem Teufel“ von 1958 wieder. In dieser und anderen Publikationen zeige sich ein kulturkritisches, extrem konservatives, teilweise auch rechtsextremes beziehungsweise völkisches Weltbild, das sich – in Frontstellung zu dem verbreiteten starken Antikommunismus nicht nur in der extremen Rechten – mit einer großen Russlandbegeisterung gemischt habe. Auch hier würden Gemeinsamkeiten der extremen Rechten mit der Neuen Linken offenbar, die sich auf gemeinsame Feindbilder und -konstruktionen wie das kapitalistische, rechtsstaatlich-liberale System der USA hätten „einigen“ können, aber bei den dazugehörenden Gegenentwürfen sehr weit auseinandergelegen hätten. Abschließend erläuterte Rindlisbacher, dass die Lebensschutzbewegung als Bindeglied zwischen alter Naturschutz- und Lebensreformbewegung und neuen Umweltschutzbewegungen den Weg für die Querdenken-Bewegung vorgezeichnet habe.

Das fünfte Panel widmete sich der extremen Rechten und Europa nach 1989. ANN-KATHRIN MOGGE (Kassel) blickte in ihrem Vortrag zunächst auf Wegmarken der Entwicklungen nach 1989/90, infolge derer beispielsweise Francis Fukuyama eine Verstetigung der westlich geprägten Nachkriegsordnung prognostizierte. Im Gegensatz dazu, so Mogge, sahen deutsche Rechtsintellektuelle die Rolle Deutschlands als Nation in Europa als neu gestaltbar an. Sie hofften auf ein neues Europa – ein Europa, das ihren Vorstellungen entspreche, insbesondere ein „Europa der Vaterländer“ oder ein „Europa der Regionen“. Damit sei auch die Hoffnung auf neue Allianzen und die Auflösung der Westbindung verbunden gewesen. Mogge stellte Ergebnisse ihrer Untersuchung der Zeitschrift „Criticón“ vor, deren Beiträge sie hinsichtlich der Haltung der Autor:innen zur zukünftigen Rolle Deutschlands in Europa analysierte. So arbeitete sie heraus, welche Positionen hinsichtlich der Frage der EU-Mitgliedschaft Deutschlands in der Zeitschrift vertreten wurden. Ein einheitliches „Maastricht-Europa“, das mit Auflösung der Nationalstaatlichkeit, Umverteilung deutscher Gelder und der Festschreibung der Westbindung assoziiert wurde, wurde von den deutschen „Rechtsintellektuellen“ abgelehnt, da es ihren eigenen Vorstellungen von Europa widersprach. Im Zentrum der Kritik habe der angeblich fehlende demokratische demos gestanden, so Mogge. Als Argument für die Dysfunktionalität einer Suprastruktur wie der EU wurde der Zerfall der Sowjetunion als Vielvölkerstaat angeführt, der ein nach ethnischen und nationalen Gesichtspunkten konstruiertes „Europa der Vaterländer“ als vermeintlich tragfähiger Entwurf entgegengesetzt wurde. Im Zentrum sollte ein starkes Deutschland stehen. Der österreichische FPÖ-Parteiideologe Andreas Mölzer machte sich dabei dafür stark, die „Achse Berlin – Wien“ wiederzubeleben, um eine mitteleuropäische Föderation unter deutscher Führung als Gegenprojekt zu einer französisch-britischen Vorherrschaft in Europa zu etablieren.

Darauf ging CONSTANZE JEITLER (Tübingen) in ihrem Vortrag zu Europa-Konzeptionen der FPÖ ebenfalls ein. Sie strich zunächst heraus, dass sich die Positionen der FPÖ immer wieder gewandelt hätten. Dabei unterschied Jeitler verschiedene Phasen. Die Frühphase bis Mitte der 1960er-Jahre sei von Revisionismus, Antikommunismus, Antislawismus sowie der Vertretung der Interessen der Vertriebenen geprägt gewesen. Die mittlere Phase ab Ende der 1970er Jahre sei eine „liberale“ Phase gewesen. Mitte der 1990er-Jahre, kurz vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft (EG), habe sich die Partei für den Beitritt zur EG und NATO starkgemacht. Ende der 1990er-Jahre habe die bis heute andauernde dritte Phase eingesetzt, die von Euroskeptizismus sowie den Konzepten eines „Mitteleuropa“ und eines „christlichen Abendlandes“ in verschiedenen Ausprägungen gekennzeichnet (gewesen) sei. Die beiden letztgenannten Konzepte seien insbesondere von Andreas Mölzer über die von ihm gegründeten Zeitungen wie den österreichischen Ableger der „Jungen Freiheit“ sowie die Zeitung „Zur Zeit“ in die Debatte eingebracht worden. Mölzer zog 2004 nach einem Vorzugsstimmenwahlkampf gegen den Willen der FPÖ-Führung in das Europaparlament ein.

Die Konferenz brachte die Teilnehmer:innen in ausgesprochen produktiver Atmosphäre miteinander ins Gespräch. Der Zeithistorische Arbeitskreis Extreme Rechte ist als Plattform für die Zusammenarbeit im Bereich der deutschsprachigen historischen Rechtsextremismusforschung inzwischen kaum mehr wegzudenken. Die nächste Jahrestagung des ZAER findet am 27. und 28. Juni 2024 zum Thema „Lebenswelten der radikalen Rechten“ in Potsdam statt.1

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Einführung

Margit Reiter (Salzburg) / Johannes Dafinger (Salzburg)

Panel 1: Europadiskurse der außerparlamentarischen extremen Rechten in Österreich
Moderation: Robert Obermair (Salzburg)

Margit Reiter (Salzburg): „Wir rufen Europa“. Rechtsextreme Europaideen und transnationale Vernetzung am Beispiel von Theodor Soucek

Judith Götz (Innsbruck): „Verteidiger∗innen Europas“? Rechtsextreme Europakonstruktionen am Beispiel der Identitären

Panel 2: Die extreme Rechte und Europa im ersten Nachkriegsjahrzehnt
Moderation: Grazia Prontera (Salzburg)

Maik Ullmann (Braunschweig): Die europäische Nachkriegsordnung im rechtsextremen Milieu der Bundesrepublik: Bernhard Gerickes Europäische Revolution

Alexander Hobe (Hamburg): Rechtextrem? Wehrmachtsveteranen, die europäische Integration und die Kriegsverbrecherfrage

Dominik Rigoll (Potsdam): Die Internationale der Nationalisten und die Geburt des Negationismus

Panel 3: Rechtsextreme Konzepte einer „Nation Europa“ zwischen West und Ost, 1950er bis 1980er Jahre
Moderation: Johannes Dafinger (Salzburg)

Marie Müller-Zetzsche (Potsdam): Europakonzeptionen einer „faschistischen Internationale“ in den 1950er Jahren

Linn Sofie Børresen (Berlin): Henning Eichberg und seine Idee der „nationalen, europäischen Kulturrevolution” – ein Bollwerk gegen den „Spätkapitalismus” und den „Apparatekommunismus”

Keynote
Moderation: Johannes Dafinger (Salzburg)

Anton Shekhovtsov (Wien): Relations between the German/Austrian Far Right and the Soviet Union/Russia

Panel 4: Antiamerikanismus, antiimperialistische Rhetorik und Russlandbegeisterung in der extremen Rechten
Moderation: Margit Reiter (Salzburg)

Marius Huber (Berlin): Rechter „Antiimperialismus“. Deutscher Befreiungsnationalismus in den 1980er Jahren

Martin Deuerlein (Tübingen): „Indianische Ratschläge zur Entkolonisierung“ – Die „neue Rechte“ und Nordamerikas Indigene

Stefan Rindlisbacher (Wien): „Rußland ist ganz anders!“: Die Lebensschutzbewegung zwischen Umweltschutz, Antiamerikanismus und Russlandbegeisterung

Panel 5: Die extreme Rechte und Europa nach 1989
Moderation: Maximilian Kreter (Dresden)

Ann-Kathrin Mogge (Kassel): „[E]ine Wiederkehr der Rechten auf die politische Bühne“: Deutsche Rechtsintellektuelle zur Rolle Deutschlands in Europa nach 1989/90

Constanze Jeitler (Tübingen): Europapolitik der FPÖ nach 1989. Zwischen Euroskeptizismus, Mitteleuropa und Abendland

Anmerkung:

1 Siehe den Call for Papers: Lebenswelten der radikalen Rechten, in: H-Soz-Kult, 3.12.2023, https://www.hsozkult.de/event/id/event-140461 (23.1.2024).

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