Vorstellung und Interpretation der aktuellen Grabungsbefunde an der Mikwe in Worms

Vorstellung und Interpretation der aktuellen Grabungsbefunde an der Mikwe in Worms

Organisatoren
Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz
PLZ
67549
Ort
Worms
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
24.11.2023 -
Von
Mirko Monschauer, Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz

Der Ende November von der Generaldirektion Kulturelles Erbe ausgerichtete Workshop „Vorstellung und Interpretation der aktuellen Grabungsbefunde an der Mikwe in Worms“ nahm die Zwischenergebnisse der Ausgrabung an dem jüdischen Ritualbad im Synagogenbezirk in Worms in den Blick. Der Synagogenbezirk ist Teil der SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz, die 2021 als Welterbestätte zu jüdischem Leben in Deutschland in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen wurden. Der Workshop hatte zum Ziel, einer breiten Runde mit Expertise in den Bereichen Judaistik, Mittelalterarchäologie, Denkmalpflege, Bauforschung, Geotechnik und Baugrundgeologie die Befundsituation anschaulich visualisiert und in situ im Synagogenbezirk vorzustellen und im Anschluss Ansätze für eine Interpretation der nicht immer eindeutigen Erkenntnisse sowie den weiteren Umgang mit der Grabungsstätte und dem herausragenden Kulturdenkmal aus dem letzten Viertel des 12. Jahrhunderts zu entwickeln. Die Mikwe wurde 1185/86 gestiftet und ist bis heute umfänglich erhalten.

Im Tagungssaal mit weitgespanntem Ausblick auf die Silhouette der Wormser Innenstadt begrüßten die Referatsleiterin Kulturelles Erbe, Weltkulturerbe des Ministeriums des Innern und für Sport STEFANIE HAHN (Mainz) und Oberbürgermeister ADOLF KESSEL (Worms) die Anwesenden. Nach Hahns kurzer Tageseinleitung verwies STEPHANIE METZ (Mainz) von der Direktion Landesarchäologie der GDKE in ihrer Sektionsleitung auf die besondere Bedeutung der Mikwe und betonte die einmalige Chance, im Zuge der von restauratorischen Maßnahmen angestoßenen Grabungskampagne wichtige Erkenntnisse über die Baugeschichte und Topgraphie des Synagogenbezirks zu gewinnen und die Zwischenergebnisse nun einer Runde, in der viele Fachdisziplinen mit hoher Expertise vertreten sind, zur Diskussion zu stellen.

In seinem Einführungsvortrag stellte der Projektleiter der Grabung HOLGER GREWE (Ingelheim) die neuen archäologischen Befunde zur Mikwe in Worms, die durch das Team rund um Ausgrabungsleiter Piotr Noszczyński von der Forschungsstelle Kaiserpfalz Ingelheim bislang gesichert wurden, umfassend vor. Anlass für die Grabung waren die Vorarbeiten für eine Oberflächenabdeckung der Mikwe. Die Größe der geplanten Maßnahme begrenzte den Bereich der Ausgrabung. Es wurde eine Zieltiefe von 1,4 Meter erreicht und sich vorrangig auf die Zeitschicht des Hochmittelalters fokussiert, wobei das Fundmaterial, welches primär Keramik und Knochenmaterial des 10. bis 12. Jahrhunderts beinhaltet, bislang nur teilweise gesichtet werden konnte. Die Ergebnisse zeigen unter anderem eine dominante Mauerlinie in Nordsüdausrichtung im Synagogengarten, ein stark verdichtete Planierschicht sowie einen Ofen und eine Leitung mit infrastruktureller Funktion. Insgesamt wird nach der gegenwärtigen Befundsituation von einer Simultanität der verschiedenen Bauteile ausgegangen. Dennoch bleiben Fragen hinsichtlich der Disposition, Funktion und Nutzung der einzelnen Räume, der topographischen Situation im Synagogengarten und der zeitlichen Abfolge der Bauphasen, die Grewe zum Ende seiner Ausführungen an das Plenum weitergab.

Im Rahmen der anschließenden Diskussion wurde angeregt, den Untersuchungsauftrag auf die spätmittelalterlichen, barocken und neuzeitlichen Veränderungen auszuweiten, um über die detaillierte Kenntnis aller relevanten Bauphasen zu einem besseren Gesamtverständnis der in diesem Bereich dicht bebauten Anlage zu gelangen. Ferner wurden die Fragen der Umlagerung und Abraumabfuhr des Erdmaterials im Kontext mit der Planierschicht sowie der baulichen Situation des offensichtlich nachträglich umgebauten Treppenzugangs erörtert. Nach einem kurzen Fußweg zur Mikwe in der Hinteren Judengasse konnten in situ frische Beobachtungen gemacht und sich aus der Befundlage ergebende Fragen gestellt werden. HOLGER GREWE (Ingelheim) unterstrich noch einmal seine vorangegangenen Ausführungen, indem er die Abstände, Höhenunterschiede, die Zusammensetzung der Grubenverfüllung und bauliche Details hervorhob sowie eine Auswahl der Fundstücke präsentierte. Im Zentrum der anschließenden Diskussion standen die Belüftung des Licht- bzw. Luftschachts und die Abfolge der baulichen Veränderungen rund um das Ritualbad. Auch Fragen der Wasserversorgung, der bauzeitlichen Funktion des Ofens und der Erschließungssituation des Badeschachts wurden im Angesicht der freigelegten Mauerverläufe engagiert und offen thematisiert.

Zurück im Sitzungssaal des Tagungszentrums „Das Wormser“ wurden die vor Ort gesammelten Eindrücke und Fragestellungen für die sich anschließenden Themengebiete gewinnbringend eingebracht. Die erste Sektion zu den Gründungsvorgängen und Bauprozessen wurde von HOLGER GREWE moderiert. Die historischen Quellen geben bedauerlicherweise kaum Auskunft über die Gründung der Wormser Synagoge und dem Bau der Mikwe, wie von der Runde einhellig konstatiert wurde. Für die jüdischen Gemeindezentren von Speyer und Köln liegen immerhin vergleichende Schilderungen vor. Ein Zwischenfazit bildete die Erkenntnis, dass die Hypothese von Otto Böcher aus den 1960er-Jahren über einen Mauerfortgang nach Westen im Bereich des Synagogengartens wiederlegt werden konnte. Es handelt sich lediglich um ein vor der Nordwestecke 2,7 m tief unter Segmentbögen gegründetes Punktfundament, das einen Rücksprung der Synagoge nachformt. Im Anschluss wurden Fragen der Wiederverwendung älterer Fundamente und des Standortswechsels von jüdischen Kultbezirken ausgiebig diskutiert. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass bei der Errichtung von Mikwen hochspezialisierte Bautrupps zum Einsatz kamen. Obgleich man noch nicht von Bauhütten im Sinne des Spätmittelalters sprechen kann, gab es augenscheinlich fundierte Ingenieurkenntnisse für den Tiefbau und einen regen Austausch mit Baustellen innerhalb der Stadt und mit überregionalen Zentren wie Speyer und Bamberg. Abschließend thematisierte die Runde Größe, Form und Ausprägung mittelalterlicher Baugruben im Hinblick auf die spezielle Disposition der Mikwe im Wormser Synagogenbezirk.

In der zweiten Sektion, die durch ULRICH HIMMELMANN (Speyer) von der Direktion Landesarchäologie der GDKE geleitet wurde, sollten Funktion und Gebrauch der aufgefundenen baulichen Strukturen im Umfeld des hochmittelalterlichen Ritualbades im Mittelpunkt stehen. Die Materialänderungen im Mauerwerk deuten nach Auffassung des Plenums auf Zerstörungen der Frühen Neuzeit und der Umnutzung der Mikwe zu einer Senkgrube im 19. Jahrhundert hin. Da das Warmbad noch nicht lokalisiert werden konnte, wurde vorgeschlagen, das U-förmige Mauer-Carré des ausgegrabenen Mauerverlaufs als ebenjenes zu identifizieren. Bis auf eine Lehm- bzw. Putzschicht war es bislang jedoch nicht möglich, die Höhe und Ausprägung von Laufniveaus eindeutig zu benennen. Mit regem Interesse wurde die Funktion der (Wasser-)Leitung erörtert, die sowohl der Trinkwasserversorgung als auch dem Abwassertransport gedient haben könnte. Zudem wurden Druckwasserleitungen und Speichersysteme wie Zisternen ins Spiel gebracht, wobei der Umstand, dass sich kein Fließgewässer in unmittelbarer Nähe des alten jüdischen Viertels befand, die Interpretation des Befunds nicht gerade erleichtert. Auch für die Deutung des Ofens wäre das ein entscheidender Faktor, da bislang nicht abschließend zu entscheiden ist, ob dieser zum Heizen eines Warmbads diente oder Teil einer mittelgroßen Bäckerei war. Vonseiten der Teilnehmenden wurde daher angeregt, die grundlegende sowie aktuellen Forschungsliteratur zu mittelalterlichen Heiztechniken und Wasserversorgungssystemen stärker einzubeziehen und in diesem Befundbereich gegebenenfalls vertiefende Nachuntersuchungen zum Mauerwerk und zur Nutzungszeit der Feuerstelle vorzunehmen.

Die letzte Sektion über Lage und Topographie der Kultbezirke moderierte STEPHANIE METZ und gab der Runde im Saal einige Leitfragen zu den Schwerpunkten Gebäudeverteilung und Geschlechtertrennung mit auf den Weg. Generell war man sich einig, dass üblicherweise Synagoge, Mikwe, Jeschiwa, Backhaus, Tanzhaus, Hospital und Warmbad als funktionale Gebäude einer jüdischen Gemeinde zu erwarten sind. Allerdings scheinen keine klar erkennbaren Normen oder eine wesentliche Vergleichbarkeit gegeben, da kaum mehr als zwei Synagogenkomplexe des 12. Jahrhunderts umfänglich überliefert sind. Aus dem Plenum heraus waren weder eine klare Geschlechtertrennung noch ein gesonderter Zugang für Frauen bei Mikwe andernorts bekannt. Indes gab es die Regelung unterschiedlicher Nutzungszeiten, sodass Frauen das Ritualbad üblicherweise erst nach Einbruch der Dämmerung nutzten. Den Teilnehmenden zufolge erscheint eine Interpretation der Gebäude durch die Archäologie allein aus dem Befund heraus nicht in allen Fällen möglich, weshalb historische Quellen des 17. und 18. Jahrhunderts wie Hausbücher, Hausinventare und Stadtkataster einen wichtigen Beitrag zur Lösung der offenen Fragen rund um den in dieser Zeit dicht bebauten Synagogenbezirk leisten könnten. Ferner haben sich religiöse Praktiken im Laufe der Zeit stetig weiterentwickelt und regional bzw. kleinräumlich verschiedentlich ausgebildet, sodass man auch für das Wormser Beispiel nicht von Gewissheiten hinsichtlich der Nutzung und der rituellen Praxis ausgehen kann. Daran anschließend wurde von der Runde hervorgehoben, dass die Restaurierungsgeschichte und Wiedergewinnung dem Wormser Kultbezirk eine besondere qualitative Bedeutung verleiht und ganz wesentlich zum Charakter des UNESCO-Weltkulturerbes SchUM-Stätten beiträgt.

Zum Abschluss des Workshops fasste STEFANIE HAHN die Eindrücke und Eckpunkte des Tages sowie die notwendigen kommenden Arbeitsschritte zusammen und ermutigte die Teilnehmenden zu einem Resümee. Man war sich einig, dass die Befunde gesichert und von zahlreichen externeren Sachverständigen in situ begutachtet werden sollten, bevor die Grube zeitnah im Zuge der Umsetzung dringender Sicherungsmaßnahmen wieder geschlossen werden muss. Zudem wurde eine stärkere Fokussierung der Erdstratigraphie ins Spiel gebracht, da die Materialschichten bislang insgesamt eine weniger belastbare Aussagekraft besitzen als die Mauern. Von einigen aus dem Plenum wurde der Einsatz von 3D-Modellen auf CAD-Basis in Verbindung mit moderner Digital-App-Technologie für den weiteren Planungsprozess angeregt, um die Abfolge der Grabungsschichten und die Befundsituation nach der Schließung weiterhin für den konservatorischen Umgang, die Forschung und die Nachwelt anschaulich zu halten. Der Aspekt des Halachischen Gesetzes bzw. der jüdischen Lebenspraxis wurden ebenso benannt, wie Fragen der Vermittlung und öffentlichen Präsentation von Synagoge und Mikwe, die weiterhin zusammen als lebendiger religiöser Ort stärker gewürdigt werden sollten. Man beabsichtigt seitens der Stadt und der Denkmalschutzbehörde zudem ausgiebig Analysenproben vom Lehmboden im Hinblick auf die Abdichtung der Mikwe zu nehmen, um auf die bauzeitliche Technik anstelle von modernen Methoden zurückgreifen zu können. Drei gezielte Sondagen sollen zudem zu einer besseren Interpretation der bisherigen Befunde beitragen, bevor das Provisorium aufgelöst und die Grabung geschlossen wird. HOLGER GREWE bedankte sich für die vielen Anmerkungen und Interpretationsvorschläge und sieht mit großer Neugier der weiteren Auswertung der Grabungsbefunde entgegen. Gleichsam entrichtete STEFANIE HAHN ihren Dank an alle Organisatoren, Mitwirkenden und Teilnehmenden für das abwechslungsreiche Programm, die freundschaftlich-kontroverse Diskussion und die ertragreichen Erkenntnisse des Workshops.

Konferenzübersicht:

Stefanie Hahn (Mainz) / Adolf Kessel (Worms): Begrüßung

Stephanie Metz (Mainz): Einführung

Holger Grewe (Ingelheim): Die neuen archäologischen Befunde zur Mikwe in Worms

Vorstellung der Befunde an der Ausgrabungsstelle:

Holger Grewe: Präsentation der Befunde zur Mikwe in situ

Sektion 1: Gründungsvorgänge und Bauprozesse
Moderation: Holger Grewe

Diskussion

Sektion 2: Funktion und Gebrauch
Moderation: Ulrich Himmelmann (Speyer)

Diskussion

Sektion 3: Lage und Topographie der Kultbezirke
Moderation: Stephanie Metz

Diskussion

Abschlussdiskussion
Moderation: Stefanie Hahn

Stefanie Hahn / Holger Grewe: Schlusswort

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