„Mediterrane Kriegskulturen in der Vormoderne“, unter diesem Thema stand der diesjährige Studienkurs des Deutschen Studienzentrums in Venedig. Seit dem Jahr 2007 findet dieser Kurs jedes Jahr unter der wissenschaftlichen Leitung eines Mitglieds des Wissenschaftlichen Beirats, des Vorstands oder des Vereins, zusammen mit weiteren externen LeiterInnen statt.
Die bekannte Terrasse des Palazzo Barbarigo bot den perfekten Rahmen für den Auftakt am 1. Oktober. Bei einem kleinen Empfang am Abend begrüßte der Leiter des Studienzentrums, RICHARD ERKENS (Venedig) die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dazu gab es eine kleine Führung durch das Centro, dessen beeindruckende Räumlichkeiten uns die nächsten Tage beherbergen sollten. Der Plan für die Woche sah jeweils einen halben Tag gemeinsamer Arbeit im Centro vor, begleitet von täglichen Exkursionen in die Stadt und die Lagune. 15 fortgeschrittene Studierende und DoktorandInnen hatten die Einladung nach Venedig erhalten. Das Fächerspektrum reichte von der Archäologie über Geschichte, Musikwissenschaft und Kunstgeschichte und spiegelte damit den interdisziplinären Ansatz des Kurses und seiner OrganisatorInnen wider. Deren Forschungsinteressen definierten das Thema, welches sich nicht zufällig anlehnte an das Mainzer Graduiertenkolleg 2304 „Byzanz und die euromediterranen Kriegskulturen“. Johannes Pahlitzsch fungiert als dessen Sprecher und Barbara Henning ist mit Beginn der zweiten Förderperiode (01.04.2023 – 30.09.2027) Mitglied des Trägerkreises. Andreas Helmedach komplettierte als Experte für das vormoderne Venedig mit einem Schwerpunkt auf der Militärgeschichte das Leitungstrio des Studienkurses. Der dezidierte Fokus auf Kriegskulturen ermöglichte es dabei, die hier greifbar werdenden Verflechtungen und Spannungen nicht auf militärische Konfrontation und Auseinandersetzungen zu reduzieren, sondern nach den im Krieg wirkenden Wechselwirkungen der politischen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Faktoren zu fragen. Venedig, Byzanz und das Osmanische Reich waren im Laufe ihrer gemeinsamen Geschichte in vielfältiger Weise verbunden. Die Verknüpfung der unterschiedlichen Fachkulturen sowie deren Blick auf die mit den venezianischen Kriegskulturen verbundenen Akteure, Netzwerke und Wissenstransferprozesse standen dann die ganze Woche im Vordergrund. Schnell zeigte sich hier in den Diskussionen, wie wichtig es ist, tradierte Forschungsmeinungen immer wieder neu zu hinterfragen und die historischen Ereignisse auf transkultureller Ebene zu betrachten.
Alle TeilnehmerInnen hatten jeweils ca. 30-minütige Referate vorbereitet, welche im Anschluss ausführlich im Plenum diskutiert wurden. Der erste Tag stand im Zeichen des historischen Überblicks. JOHANNES WILLERT (München) und MICHAEL KISTER (München) führten die Teilnehmenden in die grundlegenden Entwicklungsstufen der Serenissima ein, wobei ein besonderer Fokus von Beginn an auf die Verbindungen Venedigs zum Byzantinischen Reich lag. Ab dem zweiten Tag ging es in medias res. Den Anfang machte SINA OELRICH (Göttingen) mit „Venedig als Großmacht im spätmittelalterlichen Italien“. Der Blick auf die Entstehung der Liga von Cambrai und die Hauptschlachten zeigten deutlich, in welchem Spannungsfeld sich Venedig sowohl geografisch als auch politisch befand zwischen dem Osmanischen Reich und den christlichen Staaten. Neben dem häufigen Wechsel der Bündnispartner stellte die Referentin aber besonders die diplomatischen Taktiken heraus, innerhalb der die betrachteten Konflikte angewendet wurden. Den osmanischen Counterpart behandelte SARAH WIEGRATZ (Stuttgart) in ihrem Referat, welches besonders deutlich machte, wie unterschiedlich die jeweiligen Forschungsnarrative die wissenschaftliche Betrachtung von historischen Ereignissen und ihre Deutung bis heute prägen. Die Expertise von Barbara Henning war hier gerade in der ausführlichen Diskussion gefragt und allen Beteiligten wurde klar, dass so manches Handbuchwissen über das osmanische Reich einer Korrektur bedurfte. So wurden beispielsweise die eroberten Gebiete nicht automatisch durchgehend islamisiert, auch die Rolle und Funktion von Amtsträgern in eroberten Gebieten, die hier erstmals zur Sprache kam, sollte im Laufe des Kurses immer deutlicher werden. Daher bot das Referat von WINAND TREMMEL (Gießen) zu den „Diplomatischen Beziehungen zwischen Byzanz, Venedig und den Osmanen“ den perfekten Anschluss. Grundlage jeglichen diplomatischen Dienstes war eine umfassende Ausbildung, besonders in den jeweiligen Sprachen. Winand bot dann einen gut strukturierten Überblick über die verschiedenen Ausdrucksformen (u.a. Gaben, Hofzeremoniell, Verleihung von Ehrentiteln) und die verhandelten Themen (u.a. der bereits angesprochene Umgang mit den verschiedenen Bevölkerungsgruppen im eigenen Herrschaftsgebiet, Religion, Bündnispolitik, Handelsbeziehungen). In diesen Kontext gehört auch das Referat von ALINE FRIES (Trier) über die „Venezianische Diaspora im osmanischen Reich und osmanische Präsenz in Venedig“. Sie stellte die jeweiligen „Vertretungen“ in Istanbul bzw. in Venedig vor, in denen die eigenen Landsleute Hilfe fanden und gemeinschaftlich zusammenlebten, aber gleichzeitig unter Kontrolle der Stadtregierung standen. So war der bis heute erhaltene Fondaco dei Turchi nachts verschlossen.
Von den direkten Akteuren zu den von Konflikten und Eroberungen betroffenen Personengruppen führten die Referate am Mittwoch. AGATA CALCAGNO (Münster) begann mit „Byzanz und der Heilige Krieg“. Nach einer ausführlichen Analyse byzantinischer Konzepte von Krieg kam sie zu dem Schluss, dass Krieg und Gewalt zwar Konstanten bildeten, mit denen sich byzantinische Autoren vielfältig auseinandersetzten, dass es jedoch keine zeitgenössische Vorstellung eines „heiligen Kriegs“ gegeben hat. LAURIN HERBERICH (Heidelberg) betrachtete „Sklaven, Kriegsgefangene, Flüchtlinge zwischen Venedig und dem Osmanischen Reich“. Mit Hilfe der Spieltheorie stellte er die Ver- und Entflechtungssysteme der beteiligten Personen vor. Gefangene konnten als politisches Kapital genutzt werden, ihre Gefangennahme geschah oft bereits vor dem Hintergrund der Austauschoptionen. Hier schloss sich das Referat von SIMON SUTTMANN (Freiburg) zu den „Piraten als ökonomische und politische Akteure im östlichen Mittelmeerraum“ an, die eine besondere Gefahr für alle Seiten darstellten. Besonders die geruderten Galeeren mussten regelmäßig anlanden, um Frischwasser zu laden und waren auf ihren küstennahen Routen ein leichtes Ziel.
Das Beispiel der Galeeren leitete über zum nächsten Komplex, der näheren Betrachtung der Flotten und ihrer Bedeutung für die Rivalitäten im Mittelmeer. Auch hier wieder in der Trias der beteiligten Akteure: ANGELIKI KOLOVOU (Wien) hielt ein Referat über „Die Byzantinische Flotte“, DAVID BRAUN (Mainz) über die „Venezianische Flotte und Armee in der Frühen Neuzeit“ und MARTIN GRUBER (Erlangen) stellte die „Osmanische Flotte und Armee“ vor. Die Referate beleuchteten u.a. die jeweiligen Kommandostrukturen, diplomatische Beziehungen innerhalb der beteiligten Seemächte aber auch materielle Aspekte. Funktionsweisen und Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Schiffstypen wurden ebenso diskutiert wie praktische Fragen der Ausrüstung, der Verpflegung und die Organisation an Bord. Einen besonderen Einblick in die Erforschung mittelalterlicher Schiffstypen bot dabei der Gastvortrag von MAURO BONDIOLI (Pašman). Am Beispiel einer Ausgrabung innerhalb der Lagune zeigten sich die Vorteile moderner archäologischer Methoden ebenso wie die Schwierigkeiten der korrekten Datenerfassung und -interpretation.
Last but not least stand der Samstag im Zeichen der symbolischen Bedeutung, Mythenbildung und Rezeption Venedigs in der frühen Neuzeit. Den Anfang machte DEANNA PELLERANO (Mainz), die „Klang und Bedeutung nach der Eroberung von Brescia im Jahre 1509“ aus musikwissenschaftlicher Perspektive vorstellte. Anhand von ausgewählten Beispielen verdeutlichte sie die Rolle von Musik im Rahmen symbolischer Kommunikation im Kriegs- und Konfliktfall. Warnende Glockentöne kamen dabei ebenso zur Sprache wie besondere Kompositionen anlässlich der symbolischen Inbesitznahme der eroberten Stadt. Die bekannte Schlacht von Lepanto stand im Fokus von LUCY SALMON (Berlin). „Lepanto: Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie Feindbilder“ wurden von ihr aus Sicht der Kunstgeschichte vorgestellt. Als Untersuchungsobjekt hatte sie die Ausmalung der Sala Regia des Vatikanpalastes gewählt, in der sich ein großformatiges Wandgemälde von Giorgio Vasari der Schlacht von Lepanto widmet. Die Besonderheit des Bildes liegt in der Komposition auf zwei Ebenen, zum einen die „historische“ Darstellung, zum anderen die allegorische Bedeutungsebene. Einen Ausblick in die Rezeptionsgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts bot schlussendlich das Referat von CAROLINE STOBBE (Hamburg) zu den „Antemurale-Konzeptionen in Politik und Kunst Venedigs“. Auch sie begann mit der Betrachtung eines Bildes, der „Allegorie der Schlacht von Lepanto“ von Paolo Veronese. Das Referat und die anschließende Diskussion machten deutlich, dass das Bild des „Bollwerks der Christenheit“ komplexer war als es manchmal in der Forschung dargestellt wird. In der Zusammenschau mit den Inhalten der gesamten Woche zeigte sich hier das gesamte Spannungsfeld, in dem die Geschichte Venedigs und seiner Nachbarn zu deuten ist.
Ebenso reich wie die Referatsthemen war das Rahmenprogramm, welches vor Ort von Michaela Böhringer organisiert und fachkundig begleitet wurde. Der erste Nachmittag führte in das sprichwörtliche Herz der Seerepublik, die Basilika San Marco und den benachbarten Dogenpalast. Geduldig beantwortete unsere Touristenführerin alle Fragen und gab dazu ausführliche Erläuterungen zur Verfassungsstruktur der vormodernen Stadt und ihrer Bewohner. Am zweiten Tag ging es in die Biblioteca Marciana. Neben einer Führung hatte die verantwortliche Archivarin einige zum Studienkurs passende Handschriften herausgesucht, u.a. sogar einen reich mit Blattgold verzierten osmanischen Kodex. Ein anschließender Stadtrundgang führte u.a. zum Grabmal des Alvise Mocenigo (in der Kirche S. Lazzaro dei Mendicanti), dem Palazzo Zen und der Kirche S. Maria del Giglio (Relief der Wirkstätte von Antonio Barbaro). An der Scuola degli Albanesi entdeckten wir das Relief zur Belagerung des albanischen Scutari durch Sultan Mehmet II. und am Campiello Angaran den Tondo di imperatore bizantino. Hatte die Marciana einen ersten Einblick in die venezianische Überlieferungsgeschichte gegeben, sollten wir am nächsten Tag das ganze Ausmaß des Quellenreichtums kennenlernen. Eine ausführliche Führung durch das Staatsarchiv zeigte eindrücklich, in welcher Fülle serielle Quellen und Verwaltungsakten aus der Hochzeit der Serenissima erhalten geblieben sind, allen Hochwassern und der ständigen Feuchtigkeit zum Trotz. Besonderes Glück hatten wir zudem mit der zuständigen Archivarin, die nicht zögerte, auch spontan zahlreiche Archivboxen zu öffnen. Im Rahmen eines Studienkurses zu mediterranen Kriegskulturen durfte ein Alleinstellungsmerkmal Venedigs nicht fehlen: das Arsenal, Werft und zentraler Flottenstützpunkt der Serenissima. Das immer noch im Stadtgrundriss deutlich präsente Areal wird bis heute z.T. militärisch genutzt, Zugang ist nur mit angemeldeten Führungen möglich. Allein die Ausdehnung der in zwei Hafenbecken unterteilten Anlage macht die Bedeutung der Flotte für die Seemacht Venedig mehr als deutlich. Ein anschließender Besuch im benachbarten Museo Storico Navale rundete den Tag ab. Die Geschichte Venedigs ist untrennbar mit der Lagune verbunden, der der Donnerstagnachmittag gewidmet war. Auf zwei venezianischen Bragozzi-Booten erkundeten wir diesen einzigartigen Natur- und Lebensraum, besonderes Augenmerk galt dabei wieder der militärisch-strategischen Bedeutung. Die vorgelagerten Befestigungen von der Seeseite aus zu betrachten, zeigt eindrucksvoll den Umfang der militärischen Befestigung, auch wenn der heutige Lagunenzugang durch künstliche Inseln und neue Fahrrinnen nicht mehr der vormodernen Topographie entspricht. Komplettiert wurde die Fahrt durch Landgänge zur Besichtigung eines der bewusst außerhalb angelegten Pulvermagazine ebenso wie des Torre Massimiliana auf der Insel S. Erasmo, eines Befestigungsturms aus der Epoche der Zugehörigkeit Venetiens zum Österreichischen Kaiserstaat in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Die Bootsfahrt durch die Lagune und das gemeinsame Picknick auf dem Wasser bildeten nicht nur einen gelungenen Abschluss des Kurses, sondern rundeten den transdisziplinären Zugriff des Studienkurses in perfekter Weise ab. Die Stadt Venedig und ihre Lagune stehen in einem engen Beziehungsgeflecht, ebenso wie die Serenissima mit dem gesamten euromediterranen Raum. Die Komplexität dieses Geflechts und die Beziehungsgeschichte Venedigs und seiner Nachbarn in der Vormoderne hat dieser Kurs umfassend zu vermitteln gewusst.
Der Dank der Organisatoren gilt allen Beteiligten, besonders dem Team des Centro Tedesco di Studi Veneziani. Ausdrücklich sei an dieser Stelle der Fritz Thyssen Stiftung für die finanzielle Unterstützung gedankt.
Konferenzübersicht:
Johannes Willert (München): Venedig und Byzanz: von Karl dem Großen bis zum Abkommen von 1082
Michael Kister (München): Der Vierte Kreuzzug und die Begründung des venezianischen Überseestaates
Sina Oelrich (Göttingen): Venedig als Großmacht im spätmittelalterlichen Italien. Die Liga von Cambrai
Sarah Wiegratz (Stuttgart): Osmanische Expansion im Mittelmeer
Winand Wolfgang Tremmel (Gießen): Diplomatische Beziehungen zwischen Byzanz, Venedig und den Osmanen
Agata Calcagno (Münster): Byzanz und der Heilige Krieg
Laurin Herberich (Heidelberg): Sklaven, Kriegsgefangene, Flüchtlinge zwischen Venedig und dem osmanischen Reich
Simon Suttmann (Freiburg): Piraten als ökonomische und politische Akteure im östlichen Mittelmeerraum
Aline Fries (Trier): Venezianische Diaspora im osmanischen Reich und osmanische Präsenz in Venedig
Angeliki Kolovou (Wien): Die Byzantinische Flotte
David Johannes Braun (Mainz): Venezianische Flotte und Armee in der Frühen Neuzeit
Martin Gruber (Erlangen): Osmanische Flotte und Armee
Deanna Pellerano (Mainz): Klang und Bedeutung nach der Eroberung von Brescia im Jahre 1509
Lucy Salmon (Berlin): Lepanto: Selbst- und Fremdwahrnehmungen sowie Feindbilder
Caroline Stobbe (Hamburg): „Antemurale“-Konzeptionen in Politik und Kunst Venedigs im 16. und 17. Jahrhundert