Kultur in Hamburg 1930–1970. Aktuelle Forschungsprojekte und -perspektiven

Kultur in Hamburg 1930–1970. Aktuelle Forschungsprojekte und -perspektiven

Organisatoren
Yvonne Robel, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
PLZ
20144
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
29.04.2024 -
Von
Joana Gelhart, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg

Die Forschung zu Kultur im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik hat Konjunktur. Das zeigt sich in Hamburg im Besonderen, wo sich gegenwärtig gleich mehrere Aufarbeitungsstudien kritisch mit der NS-Vergangenheit Hamburger Kulturbehörden und -institutionen unter Berücksichtigung der ‚langen historischen Linien‘ auseinandersetzen. Erstmals kamen nun in der Forschungsstelle für Zeitgeschichte Vertreter:innen aus Kunst, Kultur und Wissenschaft zusammen, um anhand der aktuellen Projekte übergeordnete Forschungsperspektiven, -thesen und -fragen zu diskutieren und gemeinsam zu entwerfen. Historische Netzwerke identifizieren, gegenwärtig Netzwerke schaffen und verstetigen – auf diese Formel ließe sich das Anliegen des Workshops bringen, der den ersten Grundstein legte, langfristig einzelne Institutionengeschichten unter einem gemeinsamen Forschungshorizont zusammenzuführen.

Mögliche Anschlusspunkte unter den Projekten und an allgemeine Forschungsdebatten skizzierte YVONNE ROBEL (Hamburg) sogleich in ihrer Einführung. Mit der Frage nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten verwies sie auf ein Kerngeschäft historischen Forschens und regte in Anlehnung an Birthe Kundrus und Sibylle Steinbacher1 an, deutlicher die Gemengelage und Gleichzeitigkeit von Brüchen und Beharrungskräften in den Blick zu nehmen. Darüber hinaus berge das Ausloten von Handlungsräumen – gerade im lokalen Raum – das Potenzial, jenseits von Großbegriffen wie Anpassung, Widerstand oder Gleichschaltung zu differenzieren und vertiefte Einblicke in das Verhältnis von Kollektivität und Individualität zu erhalten. Schließlich regte Robel an, gezielter als bisher den kulturpraktischen Alltag zu beleuchten und ausgrenzende und ausbeuterische Maßnahmen so auch zum sich wandelnden zeitgenössischen Verständnis von ‚Normalität‘ in Beziehung zu setzen. Anknüpfend an bisherige Forschungsarbeiten betonte Robel die Synergien zwischen Kultur und Politik im Nationalsozialismus („Kultur verlieh politischen Fantasien Ausdruck“) und plädierte dafür, das Verhältnis noch deutlicher als bisher geschehen auf das politische Selbstverständnis der Kulturträger auszuleuchten, statt Kultur als einen von Politik unterwanderten Bereich zu betrachten.

Einen Überblick über die städtische Kulturlandschaft und ihre Infrastrukturen boten GISELA EWE (Hamburg) und KARSTEN UHL (Hamburg) mit einem Projekt zur Hamburger Kulturverwaltung während des NS, das den Kulturbereich sparten- und institutionsübergreifend in den Blick nimmt. Einen der Schwerpunkte legten sie auf die oft ambivalenten Handlungsspielräume der Kulturtreibenden, für die sie einen ersten Ordnungsversuch vornahmen. Auf die Frage nach einer genuin nationalsozialistischen Kultur schlugen die Referierenden mit der Flucht in die Klassik, Antisemitismus und Antimodernismus drei verbindende Kennzeichen vor. Das dahinter stehende Verständnis von ‚(Anti-)Modernismus‘, der bisher vor allem ex negativo bestimmt worden sei, beschäftigte die Teilnehmer:innen in der anschließenden Diskussion. Vorgeschlagen wurde dabei, den Untersuchungszeitraum konsequenter bis auf das Kaiserreich auszudehnen, um damit auch die langen Linien konservativer Strömungen zu erfassen. Für die Zeit des Nationalsozialismus indes rückten Fragen des Nebeneinanders von Partei und Staat sowie finanzielle Voraussetzungen in den Blick, um sich Charakteristika im Kulturbereich anzunähern. Damit eröffneten die Teilnehmer:innen zentrale Diskussionspunkte, die auch den weiteren Austausch begleiten sollten.

Einen kulturhistorischen Zugang boten zwei Studien zur Hamburger Kunsthalle im Nationalsozialismus und während der britischen Besatzung, die die Ausstellungspraxis in der Übergangszeit der Systeme in den Blick nahmen. Die Möglichkeitsräume in der Frühphase des NS-Regimes zeigte NEREIDA GYLLENSVÄRD (Hamburg) am Beispiel der Amtszeit Harald Buschs auf, der sich als Leiter der Kunsthalle 1934/1935 für den Ankauf und die Ausstellung expressionistischer Künstler einsetzte. Waren diese Werke andernorts bereits aus Ausstellungen verbannt worden, suchte Busch über die Integrationsklammer des ‚Niederdeutschen‘ die Präsentation in der Kunsthalle durchzusetzen. Gleichwohl ließe sich das Eintreten für moderne Kunst nicht in eine regimekritische Haltung übersetzen, vielmehr verdeutliche das Beispiel die institutionellen Spielräume, wie die Referentin betonte.

FELIX KREBS (Hamburg) beleuchtete indes die Anbahnung europäischer Beziehungen in der Besatzungszeit unter Direktor Carl Georg Heise. Geleitet von der Vorstellung, Deutschland sei aus der künstlerischen Isolation zu führen, suchten die Verantwortlichen über Kooperationsausstellungen den ästhetisch-künstlerischen Austausch zu initiieren und damit auch die diplomatischen Außenbeziehungen zu stärken. Am Beispiel zweier Ausstellungen zu deutschen Künstlern machte der Referent deutlich, dass dieses Vakuum nicht zuletzt auch von Heise dafür genutzt wurde, Hamburg als Kunststadt zu profilieren und die Deutungsmacht über ‚deutsche Kunst‘ zu erlangen.

Beide Beiträge verdeutlichten damit eindrücklich, wie die Akteur:innen sich in den jeweils neuen Systemen einrichteten, Handlungsspielräume nutzten und wie fluide sich diese Übergänge letztlich gestalteten. Aufgegriffen und erweitert wurde in der Diskussion ferner der von Krebs vorgestellte Blick auf die Außenbeziehungen städtischer Kultureinrichtungen und ihrer Akteure. Zum einen waren osteuropäische Länder von diesen Kooperationen ausgeschlossen, zum anderen sei das Narrativ der Isolation Deutschlands aufzuweichen, fand doch künstlerisches Schaffen auch im NS-Regime stets in Abstandsvermessung zu Künstler:innen anderer Nationen statt.

Mit den Hamburger Bücherhallen rückte FRAUKE STEINHÄUSER (Hamburg) einen frauen-dominierten Kulturbereich in den Fokus und machte die Bedeutung des Geschlechts zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen. Die Bibliothekarinnen hätten sich ebenso vorauseilend und effizient in das NS-System eingefügt wie ihre männlichen Kollegen. Die Referentin sah die Anschlussfähigkeit dabei aber weniger in einer vermeintlich unpolitischen Haltung der Frauen begründet als vielmehr in der starken Identifikation mit ihrem Beruf. Am Beispiel der Bibliothekarin und Bücherhallenleiterin Lilli Volbehr zeigte sie auf, wie sich die Frauen aus Unsicherheit über ihre berufliche Zukunft dem NS-Regime andienten und damit ihre Stellung zu behaupten versuchten.

YVONNE ROBELs (Hamburg) Interesse galt dagegen dem museumspraktischen Alltag im Museum für Hamburgische Geschichte und Altonaer Museum, dem sie sich am Beispiel der zahlreichen Sonderausstellungen näherte. In Ergänzung zu Gyllensvärd identifizierte sie neben dem ‚Niederdeutschen‘ besonders in der ‚Heimat‘ eine Scharnierstelle und einen Möglichkeitsraum des Ausstellungmachens. Aus einer alltagsgeschichtlichen Perspektive zeichnete sich weniger das Jahr 1933 als Einschnitt ab als vielmehr der Krieg, der in den Jahren 1940 bis 1943 mit materiellen wie personellen Engpässen zu einer „anderen Normalität“ führte, wie die Referentin formulierte. Gerade das Verständnis von ‚Alltag‘ als Forschungsperspektive beschäftigte die Teilnehmer:innen im nachfolgenden Austausch.

ALINA JUSTs (Hamburg) Projektvorstellung zur Hochschule für bildende Künste respektive Hansische Hochschule für bildende Künste bot den Diskutant:innen abschließend Anlass, gemeinsam historische Netzwerke und Schlüsselfiguren zu identifizieren. Als institutionsübergreifende Vertiefung schlug sie neben den sogenannten Künstlerfesten vor, diejenigen Direktoren in das Zentrum der Betrachtung zu stellen, die über Personalunionen Netzwerke zwischen den Institutionen bildeten. So ließen sich auch Verbindungen zwischen den Projekten herstellen, wie etwa an der Person Wilhelm Kleinschmit von Lengefelds verdeutlicht wurde, der temporär sowohl als Behördenleiter als auch als Direktor der Kunsthalle agierte. Insgesamt bezeichnete die Referentin die Veränderungen im NS unter anderem in den Lehrplänen wie in der Lehrenden- und Studierendenschaft als „leise, von außen fast unbemerkte Vorgänge“ – wenngleich von den Betroffenen als einschneidend und folgenschwer wahrgenommen – und knüpfte damit an die Erkenntnisse ihrer Vorrednerinnen an. Im Anschluss wurden die kommissarischen Leitungen der Direktoren diskutiert, ein Phänomen, das sich in vielen Kultureinrichtungen zu dieser Zeit beobachten ließe, bisher aber kaum erforscht wurde.

KIRSTEN HEINSOHN (Hamburg) betonte im abschließenden Kommentar die verbindenden Forschungslinien. Die Eigenlogik des Feldes Kultur in den Blick zu nehmen, anstatt sie zugunsten einer stromlinienförmigen Erzählung des Nationalsozialismus einzuebnen, sei eine gemeinsame Aufgabe. Dabei gehe es auch darum, die Übergangszeit in ihrer Fluidität zu fokussieren und sensibel für die Formen des Anpassens, Arrangierens und Integrierens zu sein, wie sie etwa anhand des ‚Niederdeutschen‘ und der ‚Heimat‘ diskutiert wurden. Die Beiträge hätten gezeigt, dass eine Erweiterung des Untersuchungszeitraums durchaus lohne, um die Entwicklung im Nationalsozialismus zu erfassen und einzuordnen. Insgesamt, so schlussfolgerte Heinsohn, gingen diese Projekte über eine Aufarbeitungsgeschichte hinaus und leisteten vielmehr einen Beitrag zu einer „Gesellschaftsgeschichte des Kulturellen“.

In der Abschlussdiskussion plädierten einige Teilnehmende dafür, die Bedeutung des Städtischen im Allgemeinen und des Hamburgischen im Besonderen sowie die Netzwerke über Hamburg hinaus in andere Städte hinein stärker auszuleuchten. Ferner wurde angeregt, die Zielgruppen der Kulturinstitutionen und damit die Rezeption vermehrt in den Blick zu nehmen. Dies wirft freilich Fragen nach der diesbezüglichen, schwierigen Quellenlage auf – ein grundsätzliches Problem, das viele der Projekte verband. Die zusätzlichen Hinweise auf Desiderata, wie etwa Subkulturen oder der Musikbereich, zeigten deutlich, dass der Themenbereich Kultur trotz der Dichte an Studien nicht in Bälde erforscht sein wird. Dass dieser produktive Austausch verstetigt und die Synergien dieser inhaltlichen und forschungspraktischen Querverbindungen zwischen den Projekten auch weiterhin genutzt werden, ist den Forschenden zu wünschen. Weitere Workshops dazu sind geplant.

Konferenzübersicht:

Yvonne Robel (Hamburg): Begrüßung und inhaltliche Einführung

Gisela Ewe (Hamburg) / Karsten Uhl (Hamburg): Das Forschungs- und Ausstellungsprojekt „Die Hamburger Kulturlandschaft im Nationalsozialismus“

Nereida Gyllensvärd (Hamburg): Nolde, Kirchner & Co. – Inszenierung und Narration des nordischen Expressionismus in der Kunsthalle unter Harald Busch? Werkstattbericht

Felix Krebs (Hamburg): „Zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“. Ein Werkstattbericht zu Akteuren, Inhalten und kulturpolitischen Potentialen zeitgenössischer Kunst in Hamburger Ausstellungen der Besatzungszeit

Frauke Steinhäuser (Hamburg): Literaturbegeistert, engagiert – und politisch? Mitarbeiterinnen der Hamburger öffentlichen Bücherhallen im Nationalsozialismus

Yvonne Robel (Hamburg): Annäherungen an den Alltag des Ausstellungsmachens? Das Museum für Hamburgische Geschichte und das Altonaer Museum von 1930 bis 1950

Alina Just (Hamburg): Überlegungen zu Kontinuitäten und Zäsuren in der Geschichte der Landeskunstschule/Hansische Hochschule für bildende Künste (1930-1950)

Kirsten Heinsohn (Hamburg): Abschlusskommentar

Diskussion

Anmerkungen:
1 Birthe Kundrus / Sibylle Steinbacher (Hrsg.), Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Der Nationalsozialismus in der Geschichte des 20. Jahrhunderts, Göttingen 2013.

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