Geschichte der deutschen Industrie im Dritten Reich

Geschichte der deutschen Industrie im Dritten Reich

Organisatoren
Seminar für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Mannheim / Prof. Dr. Christoph Buchheim
Ort
Mannheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.10.2002 - 05.10.2002
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Von
Ulrich Hensler, Seminar für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Mannheim

Besagte Konferenz, die von der Fritz Thyssen Stiftung gefördert wurde, fand vom 3. bis 5. Oktober 2002 in der Universität Mannheim statt. Im Mittelpunkt standen einerseits Kernbereiche des unternehmerischen Verhaltens wie Investition und Forschung, andererseits die Voraussetzungen und Wirkungen der gesamt- und einzelwirtschaftlichen Regulierung. Prof. Dr. Christoph Buchheim (Universität Mannheim) stellte einleitend dar, daß die zentralen Themenkreise der Tagung die Fragestellungen eines am Seminar für Wirtschafts- und Sozialgeschichte angesiedelten Projektes widerspiegeln. Durch die Analyse unternehmerischen Verhaltens unter den Bedingungen des Dritten Reichs sowie der Wechselwirkungen zwischen staatlicher Regulierung und unternehmerischer Anpassung solle eine Einschätzung der Zukunftsfähigkeit der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik vorgenommen und damit auch die Frage einer Beantwortung nähergebracht werden, inwieweit die Staatskonjunktur des Dritten Reichs die Ausgangsbedingungen für das Wirtschaftswunder nach 1945 legte. Zudem wurde darauf verwiesen, daß die im Rahmen der Tagung gehaltenen Vorträge in einem Sammelband publiziert werden, der voraussichtlich Ende 2003 erscheinen wird.

In einer modellhaften Betrachtung befasste sich Dr. Jonas Scherner (Universität Mannheim) mit den zwischen Staat und Unternehmen geschlossenen Verträgen. Dabei legte er dar, daß der Wahl der Vertragsform unterschiedliche Abwägungsprozesse der Unternehmen und des Staates voraus gingen. Keineswegs seien den Firmen die Verträge vom Staat generell diktiert worden, sondern auch im Dritten Reich seien lang- und kurzfristige Gewinnerwartungen und Opportunitätskosten für unternehmerische Investitionsentscheidungen ausschlaggebend gewesen. Dagegen versuchte der Staat im allgemeinen, gewünschte Kapazitäten mit möglichst geringen Kosten zu realisieren. Daß die These einer Kommandowirtschaft selbst für Investitionen im Rahmen des Vierjahresplanes falsch ist, zeigte Scherner durch eine empirische Überprüfung der Vertragsgestaltung bei Projekten in der synthetischen Kautschukherstellung und der Mineralölhydrierung. In der anschließenden Diskussion wurde von Dr. Adam Tooze (Jesus College, Cambridge) die Frage aufgeworfen, ob es sich bei der Einschätzung der Erwartungen der Unternehmen nicht um eine ex post Rationalisierung handle, was Scherner mit Hinweis auf Prognosen der damaligen Marktforschungsabteilungen zurückwies. Daneben wurde von Dr. Stephan Lindner (TU München) und Prof. Dr. Rüdiger Hachtmann (TU Berlin) zu bedenken gegeben, daß es sich bei dem nationalsozialistischen Staat keineswegs um ein monolithisches Gebilde gehandelt habe, sondern die verschiedenen staatlichen Institutionen wie Wehrmacht oder Reichswirtschaftsministerium oftmals unterschiedliche Interessen vertraten.

Im nächsten Vortrag behandelte Prof. Peter Hayes Ph.D. (Northwestern University, Evanston) die Entwicklung der Degussa AG und in diesem Zusammenhang besonders die von ihr getätigten Akquisitionen. Der Konzern, der auch in der Weltwirtschaftskrise dank seiner Zwischenprodukt-Lieferungen für die Herstellung von Persil an Henkel ein profitables Unternehmen war, habe vor allem in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft eine Vielzahl von Beteiligungen erworben und damit seine bereits zuvor begonnene Diversifikationsstrategie weiterverfolgt. Im Zuge dieser Entwicklung verstrickte sich das Unternehmen in die nationalsozialistische Arisierungspolitik. Dabei habe zunächst das Hauptmotiv der Firma darin gelegen, die hohen Liquiditätsüberschüsse profitabel anzulegen. Nach 1936 sei dann die Sicherung der Marktstellung in den Mittelpunkt der Unternehmensstrategie gerückt. Die Interessenkongruenz von Unternehmen und Staat habe mit der immer stärkeren Forcierung der Rüstung und der infolgedessen wachsenden Befürchtung des Unternehmens, Überkapazitäten aufzubauen, ein Ende gefunden. So habe sich die Degussa im Krieg kaum noch an den Arisierungen in den besetzten Gebieten beteiligt, sondern den Akzent auf Konsolidierung und Reorganisation des Unternehmens gelegt. Insgesamt gesehen bewertete Hayes die von der Degussa AG im Lauf der NS-Zeit getätigten Akquisitionen als eine wesentliche Grundlage für den Erfolg des Unternehmens nach 1945. Im Anschluss an den Vortrag verwies Buchheim darauf, daß die Degussa die Diversifikationsstrategie wohl auch ohne eine Machtübernahme der Nationalsozialisten weiterverfolgt hätte. Hayes hielt dem entgegen, daß wichtige Produktinnovationen, beispielsweise die Stahlhärtung, aus den Anforderungen der Kriegswirtschaft hervorgegangen seien, was in jedem Fall auf positive Impulse für das Unternehmen schließen lasse. Die spezifischen Bedingungen der NS-Wirtschaft hätten zwar zweifellos eine Sackgasse für die deutsche Volkswirtschaft insgesamt dargestellt, für einzelne Unternehmen wie die Degussa AG jedoch auch positive Entwicklungsstimuli gesetzt.

Zu Beginn des zweiten Tages referierte Prof. Raymond Stokes Ph.D (University of Glasgow) über die Forschungspolitik der deutschen Industrie im Dritten Reich. Stokes ging dabei auf die Ziele, Ausrichtung und Ergebnisse der industriellen Forschungs- und Entwicklungstätigkeit ein. Als Motive der Unternehmen für die Verfolgung bestimmter Forschungsprojekte nannte er, neben der Gewinnmaximierung, auch andere Faktoren wie Prestigedenken oder Patriotismus. Stokes arbeitete heraus, daß die Kriegswichtigkeit zwar als ein entscheidendes Kriterium für Forschungsvorhaben angeführt wurde, jedoch eine eindeutige Trennung in rüstungsrelevante und -unwichtige Projekte auch zur damaligen Zeit nur schwer vorzunehmen war. So gingen aus vormals wehrwirtschaftlichen Projekten durchaus marktfähige Produkte (Farbfilm, Polyamid, Polyäthylen) und konkurrenzfähige Verfahren hervor. In der anschließenden Diskussion verwies Buchheim auf die Produktivitätsunterschiede zwischen den USA und Deutschland, die für einen relativen Mißerfolg der Forschungspolitik im Dritten Reich sprächen. Dem entgegnete Stokes, daß Produktivitätsunterschiede immer eine Mischung von Organisation und Technik darstellten und daher die Produktivitätsdifferenzen nicht monokausal erklärt werden könnten. Ein weiterer Einwand kam von Dr. Wolfgang Metternich (Industriepark Höchst), der anmerkte, daß Forschung und Entwicklung ein langfristiger Prozess seien und daher eine isolierte Betrachtung der nationalsozialistischen Periode zu kurz greife. Stokes stimmte dem zu und bekräftigte, daß der Vierjahresplan zweifellos auf die deutsche Forschungstradition der vorangegangenen Jahre aufgebaut habe.

PD Dr. Jochen Streb (Universität Heidelberg) stellte in seinem Vortrag die Frage des branchenübergreifenden Wissenstransfers in der Kunststoffindustrie und seine Auswirkungen auf die Zeit nach 1945 in den Mittelpunkt. Er zeigte mithilfe einer spieltheoretischen Betrachtung auf, daß der branchenübergreifende Wissenstransfer im Interesse sowohl der Kunststoff produzierenden wie der weiterverarbeitenden Unternehmen lag. Um jedoch zu verhindern, daß nach der Weitergabe der Technologien an die Verarbeiter letztere die notwendigen Vorprodukte bei preiswerteren Anbietern kauften, verfolgten die Kunststoff erzeugenden Unternehmen schon früh eine Strategie der vertikalen Integration. Streb leitete daraus ab, daß die spezifischen Bedingungen der NS-Wirtschaft den Transfer von Know how förderten. Der Beitrag der Nationalsozialisten habe aber nicht in einer aktiven Einflußnahme bestanden, sondern sei vielmehr auf die fehlende Wettbewerbs- sowie auf die Autarkiepolitik zurückzuführen. Aufgrund der in der NS-Zeit stattgehabten Zusammenarbeit sei es dann auch nach der erzwungenen Entflechtung in der Nachkriegszeit unter marktwirtschaftlichen Vorzeichen schnell zum Aufbau entsprechender Netzwerke gekommen, innerhalb derer die produktive und gewinnträchtige Zusammenarbeit fortgesetzt werden konnte. Demgegenüber habe der Wissenstransfer per Befehl, der für die Zeit der Speer´schen Reformen typisch war, wegen der fehlenden Anreize kontraproduktiv gewirkt. Von verschiedenen Seiten wurde in der anschließenden Diskussion bemerkt, daß die Rolle der personellen Verflechtungen noch nicht ausreichend geklärt sei und einer genaueren Analyse bedürfe. Auch verwies Buchheim darauf, daß detaillierter untersucht werden müsse, inwieweit die von Streb aufgezeigte Entwicklung nicht auch ohne die spezifischen Bedingungen der NS-Zeit eingetreten wäre.

Der Finanzierungssektor stand im Mittelpunkt des Vortrages von PD Dr. Johannes Bähr (Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt/Main), der sich am Beispiel der 1937 reprivatisierten Dresdner Bank mit der Entwicklung der Beziehungen zwischen Industrie und den deutschen Großbanken befasste. Bähr legte dar, wie sich nach 1933 durch die staatliche Kontrolle des Kapitalmarktes die Handlungsspielräume der Banken verengten. So habe zwar, vor allem ab 1937, das Gewicht der Industriekunden am Geschäftsvolumen auch infolge des Vierjahresplans wieder zugenommen, die Geschäftsentwicklung insgesamt sei jedoch vergleichsweise zurückgeblieben. Teilweise hätte der Rückgang allerdings durch eine stark erhöhte Beratungstätigkeit im Rahmen der Devisenbewirtschaftung, aber auch im Zuge der Arisierung, von den Banken kompensiert werden können. Bähr führte im weiteren aus, daß die Zahl der Aufsichtsratsmandate der Banken sich ebenfalls verringerte. Zudem beschränkte die Aktiengesetznovelle die Einflußnahme des Aufsichtsrats auf die Industrie. Demgegenüber betonte Bähr jedoch die parallel erfolgende Zunahme der Wichtigkeit informeller Netzwerke. Von einem tatsächlichen Bedeutungsverlust der Banken könne daher kaum gesprochen werden. Die Bankiers seien wegen ihrer Kenntnisse und ihrer internationalen Kontakte für den nationalsozialistischen Staat letztlich unentbehrlich gewesen. In der anschließenden Diskussion wurde abermals die Frage des Technologietransfers vor dem Hintergrund der personellen Verflechtungen zwischen den Banken und der Industrie in Deutschland thematisiert. Dazu stellte Bähr fest, daß Aufsichtsräte, da sie keine Entscheidungen über Technologien und Prozesse fällten, im branchenübergreifenden Wissenstransfer keine Bedeutung hatten. Weiterhin führte er auf Nachfrage von Tooze aus, daß die Reprivatisierung der Dresdner Bank bereits für einen früheren Zeitpunkt geplant war, wegen der schlechten finanziellen Situation jedoch erst 1937 durchgeführt werden konnte.

Auch Prof. Gerald Feldman Ph.D. (University of California, Berkeley) beschäftigte sich in seinem Vortrag mit dem Finanzsektor. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen standen die österreichischen Banken und dabei insbesonder die Wiener Creditanstalt. Der Besitz dieser Bank an Industriebeteiligungen habe bereits vor dem Anschluß Begehrlichkeiten deutscher Unternehmen wie Krupp oder IG-Farben geweckt. Ab 1938 gelang es diesen dann Beteiligungen von der C.A. zu einem geringen Preis zu erwerben. Oft seien diese Übernahmen jedoch auch innerhalb der nationalsozialistischen Wirtschaftsbürokratie auf Widerstand gestoßen, nicht zuletzt weil befürchtet wurde, daß ein Ausverkauf der österreichischen Industrie zu einer antideutschen Stimmung führen könne. Ähnliche Überlegungen gab es, so Feldman, auch beim Erwerb von Anteilen an der Creditanstalt durch die Deutsche Bank. Zwar kaufte sich die Deutsche Bank in die Wiener Großbank ein, jedoch wurde dafür Sorge getragen, daß die Deutsche Bank dadurch keinen größeren Einfluß auf die Industriebeteiligungen dieses Instituts erhielt. Weit weniger Rücksichtnahme wurde hingegen bei der Übernahme verschiedener Beteiligungen durch die Reichswerke geübt. Andererseits profitierte die Creditanstalt von der Arisierung in Österreich und erwarb selbst eine Vielzahl von neuen Beteiligungen. Hinsichtlich der Wirkungen, die das starke Engagement deutscher Unternehmen auf die österreichische Industrie hatte, sprach Feldman von einer Periode der "abhängigen Modernisierung". Hieran knüpfte Buchheim in der Diskussion an, der fragte, inwieweit auch für den Bankensektor von einer Modernisierung gesprochen werden könne. Feldman antwortete, daß die Zusammenschlüsse verschiedener regionaler Institute zu gewissen Modernisierungseffekten geführt hätten, wenngleich die Rationalisierungsimpulse in der Industrie ungleich größer gewesen seien. Außerdem wurde von Bajohr die Frage gestellt, ob die von der Creditanstalt durchgeführten Arisierungen als Kompensation für die an deutsche Unternehmen abgegebenen Beteiligungen empfunden wurden. Hier verwies Feldman darauf, daß die von der Creditanstalt verlorenen Beteiligungen ungleich wertvoller gewesen seien als die aus der Arisierung neu gewonnenen, so daß diese von dem Unternehmen keineswegs als Kompensation aufgefaßt wurden.

Den Themenkreis zur gesamtwirtschaftlichen Regulierung eröffnete PD Dr. André Steiner (Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam) mit einem Vortrag, in dem er den 1936 verkündeten Preisstopp sowie die Reaktionen der Industrie darauf beleuchtete. Steiner führte aus, daß der Preisstopp keineswegs absolut war, sondern den Beginn einer Vielzahl von Preisregulierungen und staatlich genehmigten Preisänderungen darstellte. Durch die Neubildung einzelner Preise sollte nach den Vorstellungen der Nationalsozialisten eine volkswirtschaftlich gerechtfertigte Preisstruktur entstehen, was faktisch jedoch zu zunehmenden Verzerrungen führte. Die Unternehmen konnten über die Fach- und Wirtschaftsgruppen sowie die Kammern an der Neufestsetzung von Preisen mitwirken. Sie reagierten jedoch auch mit Umgehungsstrategien auf die staatliche Regulierung. So wurden billige Produkte aus dem Sortiment genommen, Kopplungsgeschäfte erzwungen oder die Produktqualität verringert. Dies führte dazu, daß auch der Großhandelspreisindex die wirkliche Preisentwicklung nicht mehr richtig abbildete. In der anschließenden Diskussion wurde von Tooze darauf verwiesen, daß die in Spoerers Arbeit festgestellten hohen Eigenkapitalrenditen in Verbindung mit den von Steiner als zu gering eingestuften offiziellen Preisen auf einen Rationalisierungserfolg schließen ließen. Dem widersprach Buchheim unter Hinweis auf den die Produktivitätssteigerung bremsenden Effekt eines permanenten Nachfrageüberhanges. Steiner meinte dazu, daß wohl beide Effekte gleichzeitig zu beobachten gewesen seien, jedoch eine exakte Quantifizierung wegen der nur fragmentarisch vorhandenen Quellen als unmöglich erscheine.

In einem weiteren Vortrag setzte sich Prof. Dr. Rüdiger Hachtmann (TU Berlin) mit der Arbeitsmarkt- und Arbeitseinsatzpolitik in der Industrie in den Jahren 1933 bis 1939 auseinander. Hachtmann führte aus, daß sich der Systemwechsel in der Zerschlagung der Gewerkschaften und der Abschaffung von Betriebsräten manifestierte. An Hand einer Betrachtung der Arbeitsmarktstatistik zeigte er dann, daß der Abbau der Erwerbslosigkeit langsamer vor sich ging als behauptet, was zum Teil in der Veränderung der Erhebungsmethoden begründet lag. Erst im Frühsommer 1934 sei es zu einem massiven Abbau der Arbeitslosigkeit gekommen, wobei sich der Rückgang in der Konsumgüterindustrie wesentlich langsamer vollzog als in der Bauindustrie oder der Metallverarbeitung. Auch eine ideologisch motivierte Verdrängung der Frauen aus dem Arbeitsleben bestätige sich bei der Analyse der Zahlen nicht. Vielmehr habe der nationalsozialistische Staat nach Erreichen der Vollbeschäftigung versucht, das weibliche Arbeitskräftepotential besser auszuschöpfen. Der durch die Überbeschäftigung auftretende Arbeitskräftemangel führte neben einer Ausweitung der Wochenarbeitszeiten zu Lohnauftriebstendenzen, worauf mit Zwangsmaßnahmen reagiert wurde. Jedoch habe, so Hachtmann, den getroffenen Maßnahmen kein Gesamtkonzept zugrundegelegen. Sowohl die Arbeitsmarktpolitik wie auch die Arbeitsverfassung des Dritten Reichs hätten niemals ihren provisorischen Charkter verloren. In der anschließenden Diskussion verwies Lutz Becht (Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt/Main) auf regionale Unterschiede und die besondere Situation in den grenznahen Gebieten. Lindner meinte dagegen, daß selbst bei Ausblendung der Veränderungen in der Statistik die Arbeitslosigkeit bereits 1933 deutlich gefallen sei. Dem entgegnete Hachtmann, daß die Entwicklung der Zahl der Erwerbspersonen keinen deutlichen Anstieg aufweise und daher den manipulativen Effekten wohl eine ganz erhebliche Bedeutung am Rückgang der Arbeitslosigkeit im Jahre 1933 zugemessen werden müsse.

Michael Ebi (Universität Mannheim) stellte in seinem Vortrag die Folgen der Überbewertung der Reichsmark für die deutschen Industrieexporte und die staatliche Exportpolitik dar. Dabei ging er zunächst auf die bis 1934 bestehenden Exportförderverfahren und deren Auswirkungen auf die deutsche Ausfuhr ein. An Hand der internationalen Entwicklung zeigte Ebi, daß die deutschen Exporte trotz Subventionierung auch im Vergleich zu Ländern (Schweiz, Frankreich), die ebenfalls nicht abgewertet hatten, zurückblieben. Als Ursachen für den offensichtlichen Mißerfolg benannte Ebi, neben der nicht erfolgten Abwertung der Reichsmark, Mängel im Verfahren, wie das Fehlen von Anreizen und die hohen Transaktionskosten. Das Scheitern habe die Devisenbestände der Reichsbank weiter schrumpfen lassen und damit die Staatskonjunktur gefährdet. Eine aus diesem Grund Anfang 1935 durchgeführte Reform der Exportförderung sei, nach anfänglichem Erfolg im Jahre 1938 fehlgeschlagen, da die benötigten Subventionsmittel durch die deutsche Industrie nicht mehr aufzubringen waren. Im Anschluss an Ebis Vortrag gab Hayes zu bedenken, daß das zentrale Problem wohl bei der infolge der enormen Inlandskonjunktur mangelnden Exportfreudigkeit der deutschen Unternehmen gelegen habe. Den von Bähr vorgetragenen Einwand, daß die deutsche Industrie immer mit der Normalisierung der Verhältnisse rechnete, ließ Hayes nicht gelten, da seiner Auffassung nach der Versuch, internationale Märkte zu erhalten, kein dauerhaftes Motiv für die gesamte Periode der nationalsozialistischen Herrschaft gewesen sei. Ebi stimmte Hayes für die Zeit ab 1936 zu und verwies in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit einer stetigen Neuimplementation von Anreizen in die Exportförderverfahren.

Am dritten Tag der Veranstaltung standen Voraussetzungen und Wirkungen staatlicher Interventionen in einzelne Märkte im Mittelpunkt. Im ersten Vortrag zu diesem Themenkomplex betrachtete Gerd Höschle (Universität Mannheim) die staatlichen Eingriffe in die Textilindustrie. Er legte dar, daß die Textilindustrie wegen ihres hohen Devisenbedarfs bereits ab 1934 unter der staatlichen Reglementierung zu leiden hatte. Durch den Erlaß einer Einzeleinkaufsgenehmigungspflicht, individuellen Höchstpreisregelungen, zwangsweise Arbeitszeitverkürzungen sowie Investitionsverbote und Produktionsmengenregelungen sollte der Verbrauch von Importrohstoffen und damit der Devisenbedarf gedrosselt werden. Dabei entstand ein verwirrendes und unübersichtliches Regelwerk, daß den Unternehmen allerdings eine Vielzahl von legalen Anpassungs- und Umgehungsmöglichkeiten gewährte. Dies legte Höschle an Hand des Rohstoffverbrauchs in der Textilindustrie dar, der deutlich über den sukzessive verringerten allgemeinen Verarbeitungskontingenten lag. Die Textilindustrie sei, so Höschle in seiner abschließenden Bemerkung, als erster Industriezweig von den Nationalsozialisten einer umfassenden Regulierung unterworfen worden und habe ein Experimentierfeld für die in anderen Bereichen erst später begonnenen Regulierungsversuche dargestellt. In der an den Vortrag anschließenden Diskussion wurde von Feldman die Frage aufgeworfen, inwieweit Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg die Entscheidungen der Nationalsozialisten in diesem Bereich mitbeeinflußten. Hinsichtlich der Einführung von Zellwolle fragte Becht, ob durch die staatliche Regulierung nicht die Durchsetzung der Chemiefasern gefördert worden sei. Dies bejahte Höschle, verwies aber darauf, daß der Impuls zur Verwendung von Ersatzstoffen in der Bekleidung nicht von den Unternehmen, sondern vom Staat ausgegangen sei.

Im Vortrag von Dr. Adam Tooze (Jesus College, Cambridge) stand die deutsche Statistik und vor allem die Betriebszählung von 1936 im Mittelpunkt. Tooze legte dar, daß es sich dabei um die erste Erhebung in Deutschland gehandelt habe, in der im Gegensatz zu früheren Zählungen auch Informationen über den Produktionswert und die Kosten der Industrie erfaßt wurden. Auf diese Weise sei eine Berechnung der Wertschöpfung der einzelnen Industriezweige möglich gewesen und damit ein moderner Ansatz in der Wirtschaftsstatistik realisiert worden. Die Ergebnisse von 1936, die sowohl bei der Planung des Luftkrieges der Alliierten, wie auch bei der Zoneneinteilung nach 1945 wieder herangezogen wurden, seien als „Urtext“ der deutsche Wirtschaftsstatistik anzusehen. Daneben ging Tooze aber auch auf den Wandel im Selbstverständnis der deutschen Statistiker ein. Diese hätten sich im Verlauf der Entwicklung zunehmend der verschiedenen Bewirtschaftungsstellen bedient und versucht, die Fülle der dort ermittelten Daten zentral zu sammeln und ein Mengenschema der Produktion daraus zu entwickeln. Trotz des Einsatzes von modernen Techniken sei dieses Vorhaben jedoch an den polykratischen Strukturen und der Menge und Komplexität der zu verarbeitenden Daten gescheitert. So standen bei Kriegsbeginn trotz immenser Anstrengungen keine wehrwirtschaftlichen Bilanzen zur Verfügung. Von Hachtmann und Stokes wurde im Anschluss daran das Problem der Richtigkeit der Angaben bei statistischen Erhebungen thematisiert. Tooze stimmte zu und führte weiter aus, daß gerade dieses Problem mitverantwortlich für die Anlehnung der Statistiker an die Bewirtschaftungsstellen gewesen sei.

Den letzten Vortrag der Tagung hielt Dr. Frank Bajohr (Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Hamburg). Darin beschäftigte er sich mit dem Umfang und der Bedeutung von Korruption im Dritten Reich am Beispiel des Reemtsma Konzerns. Er zeigte, daß direkte und indirekte finanzielle Zuwendungen an Parteifunktionäre, Kritiker des Unternehmens und Entscheidungsträger ein fester Bestandteil der Geschäftspolitik der Firma waren. Auf diese Weise konnte sich der Konzerninhaber trotz seiner liberalen politischen Vergangenheit auch unter den Nationalsozialisten einen erheblichen persönlichen Einfluß verschaffen. Dabei seien die Zahlungen Reemtsmas an Göring und andere jedoch keineswegs nur Ausdruck für die Bestechlichkeit einzelner gewesen, sondern sie hätten oft dazu gedient, ganz bestimmte Personen innerhalb der Partei zu fördern und dadurch Informationsnetzwerke aufzubauen. Daß Reemtsma diese Strategie in finanziellen Erfolg ummünzen konnte, zeigte Bajohr anhand der Geschäftsentwicklung des Konzerns auf. Dagegen habe Korruption allgemein, so die Hypothese Bajohrs, zu Ineffizienzen geführt, was etwa bei der Typenvielfalt von Wehrmachtsgerät zu beobachten sei. In der Diskussion wurde von Buchheim und Feldman die Frage gestellt, inwieweit der Zusammenhang zwischen Typenvielfalt und Korruption durch Quellen belegbar sei. Bajohr beschrieb die naturgemäß nur dürftige Quellenlage in diesem Bereich. Auch wies er auf weitere Faktoren in diesem Zusammenhag hin, etwa die im Gegensatz zu den USA geringere Beteiligung der Unternehmen an Entscheidungen in der Rüstungsendfertigung.


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